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Utopie fairer Freihandel

DGB, Kulturrat, Umweltverband und Ökolebensmittelwirtschaft warnen vor TTIP, glauben aber nicht mehr, das Abkommen verhindern zu können

Von Jana Frielinghaus *

Sowohl Befürworter als auch Gegner der geplanten Transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft, kurz TTIP, haben am Freitag erneut ihre Positionen dargelegt. Der Anlass: Am Montag beginnt in Brüssel die achte Verhandlungsrunde zum Freihandelsabkommen zwischen den USA und der Europäischen Union.

Kritiker aus Gewerkschaften, Parteien, Umwelt- und Verbraucherschutzorganisationen warnen vor einem Abbau von Demokratie und in Jahrzehnten erkämpften Standards, was die Rechte abhängig Beschäftigter, den Schutz von Umwelt und Verbrauchern betrifft. In der Berliner Akademie der Künste präsentierte am Freitag ein Zusammenschluss von Institutionen und Organisationen ein gemeinsames Positionspapier, in dem für eine »Handelspolitik im Interesse der Menschen und der Umwelt« plädiert wird. Dessen Kernforderung: kein Abkommen »auf Kosten von Demokratie und Rechtsstaat, Umwelt-, Arbeits- und Sozialstandards, Subsidiarität und kultureller Vielfalt«. Initiiert wurde die Stellungnahme von elf Verbänden und Organisationen, darunter der Deutsche Gewerkschaftsbund und dessen Einzelgewerkschaften ver.di und IG Metall, der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND), der Bund der ökologischen Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) und die Akademie der Künste.

Führende Mitglieder der beteiligten Organisationen haben sich ausgerechnet in einem von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) im Frühjahr 2014 einberufenen Beirat zu TTIP zusammengefunden, in dem selbstredend auch Lobbyisten der Konzerne vertreten sind, die das Abkommen inklusive der berüchtigten Investor-Staat-Schiedsverfahren durchsetzen wollen. Diese sollen Unternehmen in die Lage versetzen, von Unterzeichnerstaaten horrende Entschädigungssummen einzuklagen, wenn sie sich durch nationale Gesetze um potentielle Profite gebracht sehen.

Das Beratungsgremium hat unterdessen kein Mandat zur Beeinflussung der Politik. Die Einbindung von Verbänden, die bislang dezidiert einen kompletten Stopp der TTIP-Verhandlungen verlangt haben, könnte allerdings vor allem deren Schwenk in Richtung Verbesserungsvorschläge statt Widerstand fördern. So meinte der BÖLW-Vorsitzende Felix zu Löwenstein etwas resigniert: »Das Blöde ist: TTIP kommt.« Daher könne man sich »nicht hinstellen und statt dessen eine Umgestaltung der Welthandelsorganisation fordern«. DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell betonte, bei der Ausgestaltung von TTIP müsse verhindert werden, dass es lediglich eine »Negativliste« enthalte, in der Bereiche aufgelistet werden, für die der Vertrag nicht gelten soll. Nötig sei vielmehr eine »Positivliste«, in der aufgeführt sei, »was liberalisiert werden darf«. Auf jW-Nachfrage räumte Körzell jedoch ein, er könne sich »so gut wie keinen Bereich vorstellen«, für den es mit dem Abkommen einen Freibrief für eine weitere Deregulierung geben dürfe.

Akademiepräsident Klaus Staeck warnte vor dem neoliberalen »Geist« des angestrebten Vertrags. Der, so Staeck, werde etwa an Statements der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM), eines von Unternehmerverbänden finanzierten Thinktanks, deutlich: Derzeit prangt an einer Hauswand der Berliner Komischen Oper ein riesiges Banner der INSM mit der Mitteilung an die »liebe Regierung«, diese habe wohl den roten Faden verloren. Darunter ist das nach Meinung der Initiative richtige Motto für die deutsche Politik formuliert: »Nicht Regulierung, sondern Wachstum schafft Wohlstand.«

Neben den Investor-Staats-Verfahren sieht das TTIP-kritische Bündnis vor allem die geplante »regulatorische Kooperation« als größte Gefahr. Über sie soll offenbar verhindert werden, dass mehr Umwelt- und Verbraucherschutz sowie Rechte für Beschäftigte in nationalen Parlamenten überhaupt zur Diskussion kommen, geschweige denn in Gesetze gegossen werden. Anfang dieser Woche war ein internes Verhandlungsdokument bekannt geworden, in dem die EU-Kommission die Schaffung eines »Gremiums für regulatorische Zusammenarbeit« fordert, das Gesetzesvorhaben auf beiden Seiten des Atlantiks »harmonisieren« soll.

Im Papier der Verbände und Gewerkschaften heißt es, statt eines derart beispiellosen Demokratieabbaus seien »soziale und ökologische Leitplanken für die Globalisierung« nötig, die »dafür sorgen, dass Preise und Märkte auch die wahren Kosten widerspiegeln und diese nicht auf sozial Schwache oder die Umwelt abgewälzt werden«.

Derzeit läuft die Unterschriftensammlung für eine unabhängige Europäische Bürgerinitiative »Stop TTIP«. Mehr als 1,3 Millionen Menschen haben bereits unterzeichnet. Parallel zu den offiziellen Gesprächen werden sich in der kommenden Woche in Brüssel auch Vertreter von rund 150 Organisationen aus Europa, den USA und Kanada treffen, die an der internationalen Kampagne gegen TTIP und CETA beteiligt sind.

* Aus: junge Welt, Samstag, 31. Januar 2015

Hier geht es zum Positionspapier:

"Für eine Handelspolitik im Interesse der Menschen und der Umwelt"
DGB und zahlreiche Einzelgewerkschaften sowie Kulturvereine verabschieden am 30. Januar 2015 eine gemeinsame Stellungnahme zu TTIP (Februar 2015)




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