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Wenn Bankdaten über den Atlantik wandern

WikiLeaks-Enthüllung zum Dienstleistungsabkommen TiSA: Finanzsektor soll dereguliert werden

Von Kurt Stenger *

Nach dem Ärger um das geplante Freihandelsabkommen TTIP regt sich nun Kritik an einem weiteren Vertragsprojekt.

Das geplante internationale Dienstleistungsabkommen TiSA könnte Gefahren für den Datenschutz mit sich bringen. Wie aus geheimen Dokumenten, die die Enthüllungsplattform WikiLeaks am Donnerstag veröffentlichte, hervorgeht, fordern die USA in den Verhandlungen eine allgemeine Erlaubnis für Finanzkonzerne, Informationen in »elektronischer oder anderer Form« in ein Land oder aus einem Land heraus zu übertragen. Eine Möglichkeit der Staaten, dabei den Datenschutz für ihre Bürger sicherzustellen, ist nicht vorgesehen.

Das »Trade in Services Agreement« (Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen, kurz TiSA) soll sämtliche Dienstleistungsbereiche umfassen. Ziel ist es, die Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) zu erweitern, den Handel zu liberalisieren und für mehr Wettbewerb zu sorgen. Dienstleistungen machen bereits über 40 Prozent des Welthandels aus. Da es in der laufenden Doha-Freihandelsrunde bislang kaum vorangeht, verhandeln 22 Staaten plus die EU seit gut einem Jahr außerhalb der WTO über ein plurilaterales Abkommen. Die Gespräche finden in der australischen UN-Botschaft statt. Kommenden Mittwoch beginnt die siebte Verhandlungsrunde.

WikiLeaks kritisierte in einer Erklärung, dass trotz der Erfahrungen aus der Finanzkrise 2007/08 und der Forderung nach strengeren Regeln die »Befürworter von TiSA eine weitere Deregulierung der weltweiten Finanzdienstleistungsmärkte anstreben«. Ziel sei es, »die Expansion von Finanzmultis mit Sitz in New York, London, Paris und Frankfurt zu unterstützen«. Die EU-Kommission sieht dies anders. TiSA bedrohe weder die Kontrolle der Finanzmärkte noch den Datenschutz, erklärte ein Sprecher gegenüber der »Süddeutschen Zeitung«.

Die von WikiLeaks veröffentlichten Dokumente, die den Verhandlungsstand zum Finanzsektor sowie Positionen einzelner Länder umfassen, lassen kaum Rückschlüsse auf den Stand der Verhandlungen zu. Zumal die Papiere geheim sind. Selbst der jetzt publizierte Entwurf soll, wie es heißt, erst fünf Jahre nach Inkrafttreten des Abkommens für die Öffentlichkeit zugänglich sein. Die Grünen-Europaabgeordnete Ska Keller wies darauf hin, dass der öffentliche Druck beim geplanten Freihandelsabkommen TTIP zu etwas mehr Transparenz durch die EU-Kommission geführt habe – »TiSA dagegen ist an Intransparenz nicht zu überbieten«. Diesen Vorwurf hält das Bundeswirtschaftsministerium für nicht berechtigt: Die Kommission informiere regelmäßig die Mitgliedstaaten und das Bundeswirtschaftsministerium Vertreter von Wirtschaftsverbänden, Gewerkschaften und Zivilgesellschaft über die Verhandlungen, erklärte ein Sprecher gegenüber »nd«. Er versuchte auch Befürchtungen etwa des Stadtwerkeverbands VKU zu zerstreuen, dass beim Abbau von Handelshemmnissen und Regulierung auch Dienstleistungen der kommunalen Daseinsvorsorge wie die Wasserversorgung betroffen sein könnten. »Es ist nicht Inhalt oder Ziel der TiSA-Verhandlungen, öffentliche Dienstleistungen zu privatisieren«, so der Sprecher.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 21. Juni 2014


Investor ist König

Wenn Staaten sich Fesseln anlegen: Wikileaks leuchtet in dunkle Ecken des Lobbyismus. »Abkommen« wie TISA verfestigen die private Macht über den Globus

Von Klaus Fischer **


Es wird im Geheimen verhandelt, was dem globalen Geldadel neuen Zugewinn garantieren soll. Seit längerem dealen »Beauftragte« an einem Werk, das die Neuaufteilung der Welt beschleunigen – und unumkehrbar machen soll. In Genf, einem der beliebtesten Rückzugs- und Wohlfühlreservate der gierigen Spezies, trafen sich in den zurückliegenden Monaten Vertreter von etwa 50 Staaten. Klammheimlich ausgekungelt wurde eine Art Neuaufteilung der Welt, mit Hilfe eines Abkommens. Das wird verharmlosend Trade in Services Agreement (Dienstleistungshandelsabkommen, TISA) genannt. Am Donnerstag lüftete der US-Handelsbeauftragte Michael Froman den Schleier und verkündete knapp, Grundzüge seien erarbeitet, nun stehe bald die siebte Verhandlungsrunde an (jW berichtete).

Offiziell geht es, wie der Name besagt, um Dienstleistungen. Mit diesem Begriff wird ein Wirtschaftssegment benannt, das inzwischen weltweit das mit Abstand größte ist. Bank- und Finanzgeschäfte gehören dazu, Telekommunikation und Handel mit der Ware Arbeitskraft ebenso wie grundlegende Aufgaben der elementaren Daseinsvorsorge und -sicherung der Bevölkerung – beispielsweise Strom- und Wasserversorgung. Zweck des Vertragswerkes ist es nicht, das Leben der Bürger in den 50 Ländern – und im »Rest« der Welt – zu verbessern. TISA soll statt dessen Garantien schaffen, daß privates Kapital weiter ungehindert Zugang zu allen globalen Märkten bekommt. Mehr noch, diese Öffnung soll nach Berichten, die auf Wikileaks zurückgehen, auch durch eine mögliche spätere Gesetzgebung der betroffenen Länder nicht rückgängig gemacht werden können. Den grauen Figuren bei den Genfer Geheimverhandlungen scheint so etwas wie eine Ewigkeitsgarantie für die private Profitwirtschaft vorzuschweben.

Wem das seltsam vorkommt, der sollte einen Blick darauf werfen, was bereits jetzt Realität ist. So entschied diese Woche der Oberste Gerichtshof der USA, daß Argentiniens 2005 und 2010 vollzogener Schuldenschnitt wegen Staatsbankrotts gegen das Recht von »Investoren« verstoßen habe. Einige Hedgefonds hatten im Zuge des sich abzeichnenden Zahlungsausfalls billig argentinische Bonds aufgekauft. Die Teilnahme am Schuldenschnitt verweigerten sie und klagten auf volle Zurückzahlung des Nennwertes. Weil diese Verbindlichkeiten zudem in US-Dollar lauteten, seien US-Gerichte zuständig. Laut Richterspruch muß Argentinien zahlen, kann aber nicht. Jetzt steht das Land vor der nächsten Staatspleite.

In Berlin findet derzeit fast im Verborgenen ein ähnlich gelagerter Kulturkampf statt: Der Finanzsenator hatte die gute Idee, bei der Vergabe des Gasnetzes der Stadt nicht den gleichen Fehler zu machen wie einst die Koalition aus SPD und PDS bei der »Privatisierung« der Wasserbetriebe (festgeschriebene Garantiegewinne etc.). Deshalb ließ Ulrich Nußbaum (parteilos) bei der Ausschreibung für dieses Infrastrukturprojekt eine Klausel aufnehmen, die einen späteren Weiterverkauf verhindern sollte. Den Zuschlag erhielt die landeseigene Gesellschaft »Berlin Energie«, leer ging indes die GASAG aus. Die war früher einmal auch im kommunalen Besitz, gehört dank emsiger Politikeraktivitäten inzwischen Vattenfall, E.on und Gaz de France – also mächtigen Privatkonzernen. Die wollen die Entscheidung nicht hinnehmen, das unterlegene Unternehmen klagte. Schützenhilfe bekam die GASAG ausgerechnet vom Bundeskartellamt. Das hatte die besagte Klausel moniert. Private »Bieter« würden möglicherweise dadurch diskriminiert.

Die Gesetzeslage ist längst auf der Seite des Privatkapitals. Sie orientiert sich nicht an den Interessen und Bedürfnissen (bzw. der Kaufkraft) der Bürger, sondern hegt den Fetisch »Freiheit des Kapitalverkehrs«, der durchaus auch das übergreifende Motto für die gesamte EU ist. Begründet wird das meist mit dem »Wettbewerb«, der nicht eingeschränkt werden dürfe. Das würde auch den Verbrauchern zugute kommen. Dabei wurde dieses Märchen gerade von Vattenfall, E.on und Co. im Zuge der sogenannten Liberalisierung des Energiemarktes vor mehr als einem Jahrzehnt eindrucksvoll widerlegt: Vier »Große« teilten sich den deutschen Markt auf, Ergebnisse waren weniger Wettbewerb und höhere Preise.

Was derweil in der australischen Vertretung in Genf ausgehandelt wurde, ist eine konsequente Fortführung dieses Kurses. TISA rollt nicht nur den roten Teppich für die Herren der Welt weiter aus, sondern läßt ihn dauerhaft liegen. Sparkasse aufkaufen? Kein Problem mehr. Wir dürfen den Privatfonds ja nicht diskriminieren. Datentransfer von Volksbank Klein-Kleckersdorf nach London oder Fort Meade? Warum nicht, ist ja eine reine Privatangelegenheit.

Auch die sich mit der Ausarbeitung solcher Abkommen selbst in Fesseln legenden Regierungen erhalten eine Abfindung: Sie dürfen sich um die noch intensivere Überwachung der Telekommunikation kümmern. Es drohen ja stets Terroristen. Und auf Datenschutz für Bürger soll die TISA-Runde bislang keinen besonderen Wert gelegt haben.

** Aus: junge Welt, Samstag, 21. Juni 2014


So was von 90er

Kurt Stenger über das geplante Dienstleistungsabkommen TiSA ***

Wird der im SWIFT-Abkommen zwischen EU und USA ausgehandelte Datenschutz bald schon wieder ausgehebelt? Und wird die Regulierung des Finanzsektors wieder gekippt? Solche Befürchtungen, die die WikiLeaks-Enthüllungen über das geplante Dienstleistungsabkommen TiSA nahelegen, halten die EU-Kommission und das Bundeswirtschaftsministerium für unbegründet. Doch die Öffentlichkeit muss dem einfach vertrauen, ohne dies anhand der Vertragsdokumente überprüfen zu können.

Dies ist indes nur eines der Probleme der TiSA-Verhandlungen. Ein anderes ist das plurilaterale Vorgehen der Beteiligten. Da sich im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO) zahlreiche Entwicklungs- und Schwellenländer zu recht gegen weitere Schritte zur Beseitigung von Handelsbeschränkungen wehren, nahm eine Koalition der Liberalisierungswilligen das Heft in die Hand. Im Falle eines rechtlich verbindlichen Vertragsabschlusses gäbe es massiven Druck, das Abkommen auch den anderen WTO-Mitgliedern überzustülpen.

Inhaltlich könnte TiSA wie auch das geplante transatlantische Freihandelsabkommen TTIP einen Rückschritt in die 90er Jahre darstellen. Auf dem Höhepunkt des Liberalisierungswahns wurden soziale, ökologische und Verbraucherschutzstandards als zu beseitigende Störungen des freien Handels abgetan. Doch welche fatalen Folgen hemmungslose Deregulierung haben kann, wurde nicht zuletzt in der Weltfinanzkrise überdeutlich. Daher kann man nicht einfach so tun, als wäre nichts gewesen.

>*** Aus: neues deutschland, Samstag, 21. Juni 2014 (Kommentar)


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