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Terror im Ferienparadies - Kein Grund zum Krieg

Teil II unserer Berichte und Kommentare aus der Presse

Am 14. Oktober, also zwei Tage nach dem entsetzlichen Bombenanschlag auf Bali, haben wir einen ersten Überblick über Pressereaktionen gebracht ("Terror im Ferienparadies"). Wir wollen dies heute fortsetzen, wobei wir diesmal mehr auf Hintergründe und kritische Kommentare Bezug nehmen wollen. Die Beiträge stammen alle aus Zeitungen vom 17. Oktober 2002. "Watch Indonesia!" haben wir einige Artikel zu verdanken.


Den Anfang macht die Schweizer Wochenzeitung - sie erscheint immer am Donnerstagg -, in der Armin Köhli den Blick auf die antiwestliche Motivation der Anschläge und die hohe Anfälligkeit muslimischer Staaten für solche Attentate lenkt. Auf keinen Fall aber rechtfertige die "fiese Bombe" von Bali den Generalverdacht gegen alles Muslimische und schon gar nicht einen Krieg gegen den Irak. Wir zitieren die Schlusspassage aus dem Artikel "Weiche Ziele auf Bali".

"Die USA werden ihren Krieg weiterführen. Dafür kommt das Attentat von Bali gerade recht. Einige Bomben müssen es schon sein, um glaubhaft mit anhaltender Bedrohung argumentieren zu können. Den Feind al-Kaida («die Basis») braucht es zur Rechtfertigung von Sondereinheiten, von Interventionen in aller Welt, von Geheimdienstoperationen und irregulären Gefangenenlagern wie auf Guantánamo. Zur Rechtfertigung von ein paar Bomben (wie im Sudan), von ein paar ungesetzlichen Auslieferungen (wie aus Pakistan), von schwarzen Listen überall. Und dazu der «Antiterrorgesetze» im eigenen Land. Zwar ist al-Kaida eine Phantomorganisation, von der niemand weiss, ob sie als Organisation exisitiert oder nicht einfach nur ideologische «Basis» ist. Aber praktischerweise kann al-Kaida alles in die Schuhe geschoben werden – Giftmüllschiebereien, Beschaffung radioaktiver Substanzen, Terror aller Art.

Verringert eine erneute Hinwendung zum Antiterrorkrieg die Gefahr eines eskalierenden US-Angriffskrieges gegen den Irak? Mitnichten. Den Irak brauchts für einen klassischen Krieg, Staat gegen Staat, Armee gegen Armee. Die USA brauchen einen «militärisch etablierten Gegner», schreibt Lutz Unterseher von der Berliner Studiengruppe alternative Sicherheitspolitik. Um ihre Hochrüstung zu rechtfertigen, um in einer nach Staaten geordneten Welt hin und wieder ein Exempel zu statuieren. Und um die konservativeren Militärköpfe zu bedienen, lässt sich anfügen. Afghanistan war ja nicht wirklich tauglich als militärischer Gegner. Irak lässt sich wenigstens dazu hochstilisieren, auch wenn nach zwölf Jahren Embargo wenig militärisches Potenzial verblieben sein dürfte.

Irak und al-Kaida – die USA haben die besten denkbaren Feinde. Ein geschwächter Staat unter dem Diktat einer Gruselfigur, die sich alle wegwünschen, und eine vage Struktur mit einem Kalaschnikow-bewehrten Gespenst aus dem Mittelalter als Anführer.

Die coolen Schweizer TouristInnen haben Recht: Bali dürfte in den nächsten Wochen zu den sichersten Orten der Welt gehören. Die Terroristen werden dort zuschlagen, wo sie noch können; vorab in Ländern mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit. Daher weniger empfehlenswert für die Wintersaison: Marokko, Malediven, Malaysia."

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Die Berliner Zeitung macht sich Gedanken um die Auswirkungen des Terroranschlags auf die inneren Verhältnisse in Indonesien. "Bürgerliche Freiheiten in Gefahr", ist der Artikel von Hinnerk Berlekamp überschrieben, aus dem wir zitieren:

"In Indonesien wird der Anschlag auf Bali am vergangenen Wochenende zu einer Einschränkung der gerade erst gewonnenen bürgerlichen Freiheiten führen." Diese Sorge äußerte Alex Flor, Sprecher der Menschenrechtsorganisation Watch Indonesia, in einem Gespräch mit der "Berliner Zeitung". Ähnlich wie in den USA, Deutschland und anderen Ländern nach dem 11. September 2001 werde nun auch in Jakarta die Stunde der Law-and-Order-Fraktion" schlagen, sagte Flor, der am Mittwoch von einer vierwöchigen Indonesien-Reise zurückkehrte. Für den Sicherheitsminister, den Polizeichef und das Militär sei der Anschlag von Kuta Beach "ein gefundenes Fressen".

Die Abschaffung des Anti-Subversions-Gesetzes von Diktator Suharto sei einer der großen Fortschritte auf dem Wege zur Demokratisierung Indonesiens gewesen, urteilt Flor. Nun bestehe die Gefahr, dass es wieder hervorgeholt werde. In den nach Unabhängigkeit strebenden Landesteilen wie Aceh oder Westpapua werde dann wieder jeder Regierungsgegner pauschal zum "Terroristen" erklärt werden können. Die Forderung der Regierung in Jakarta, künftig präventive Verhaftungen vornehmen zu dürfen, habe eine gewisse Berechtigung, räumt der Watch-Indonesia-Sprecher ein, ergänzt aber: "Zugleich wird dadurch der Willkür Tür und Tor geöffnet."
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Zu den Verdächtigen zählt er (Flor) die Organisation Jemaah Islamiyah, die nach Darstellung der USA und Australiens eng mit dem El-Kaida-Netzwerk von Osama Bin Laden zusammenarbeiten soll. Beweise für diese Verbindungen gebe es aber bisher nicht. Dass auch indonesische Regierungsvertreter mittlerweile El Kaida als Attentäter favorisieren, überrascht Flor nicht. "Die Schuld wird mit Sicherheit im Ausland gesucht werden", sagt er. Nachdem die Regierung in den Wochen vor dem Anschlag vehement bestritten habe, dass es in Indonesien Terroristen geben könnte, sei dies eine sehr bequeme Lösung, die von eigenen Versäumnissen ablenke.

Betrachte man die Professionalität des Anschlags und die Art des benutzten Sprengstoffs, kämen als Täter außer Organisationen mit internationalem Hintergrund aber auch Gruppen in Frage, die mit dem Militär in Verbindung stehen, erklärt der Sprecher von Watch Indonesia. In den Jahren nach dem Sturz Suhartos habe das Militär ein Interesse daran gehabt, "für politische Instabilität zu sorgen, um sich selbst als einzige Kraft zu präsentieren, die Ordnung schaffen kann", erläutert Flor. Daher habe die Armeeführung extremistische Gruppen wie etwa Laskar Dschihad als "nützliche Idioten" geduldet.

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Ein weiterer Beitrag aus der Berliner Zeitung befasst sich mit den Ermittlungen, die immerhin schon einige wertvolle Spuren verfolgen (Autor: Willi Germund).

... Indonesiens Polizei ist inzwischen sicher, dass die Autobombe unter dem Dach eines Minivans versteckt war.
... Es handelte sich um eine Ladung C4-Sprengstoff, der - nach Aussagen eines indonesischen Fachmanns - "nicht einfach zu besorgen" ist. Erwiesen ist auch, dass es sich dabei nicht nur um die gleiche Machart handelt, die vor zwei Jahren bei einem Attentat auf den philippinischen Botschafter in Jakarta verwendet wurde. Der Sprengstoff wurde nach Polizeierkenntnissen auch gleichzeitig hergestellt und stammt aus der gleichen Quelle - und nach eben dieser Quelle wird jetzt gesucht.
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Neue Informationen erhoffen sich Jakartas Behörden außerdem von einem Team, das am Sonntag in aller Eile in die afghanische Hauptstadt Kabul reiste. Spezialisten vom Geheimdienst vernehmen seither auf dem amerikanischen Stützpunkt Baghram den Kuwaiti Omar al Faruk. Der Terrorverdächtige war im Sommer in Jakarta festgenommen und in aller Stille von Indonesien an Washington übergeben worden. Al Faruk soll bereits im September nach langen Befragungen durch amerikanische Verhörspezialisten ausgesagt haben - und dabei auch erstmals Einzelheiten über Querverbindungen zwischen El Kaida und der indonesischen Terrorgruppe "Jemaah Islamiyah" aufgezeigt haben.

Doch auch in Indonesien gerät jetzt Bewegung in die Ermittlungen: Zwei Männer, die zunächst als Zeugen verhört worden waren, wurden nach Angaben der Polizei am Mittwoch als Verdächtige in Haft genommen. Zudem hat sich ein ehemaliger Soldat der Luftwaffe den Behörden mit der Behauptung gestellt, er habe die Bombe gebaut. Ob er wirklich zum Täterkreis gehört, ist jedoch fraglich - trotz des Geständnisses wurde der Verdächtige wieder freigelassen. "Die Handschrift deutet auf El Kaida hin", sagte ein Diplomat, "aber wahrscheinlich ist das Attentat von lokalen Sympathisanten verübt worden." Ihr Motiv: Eine weitere Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage Indonesiens würde die Bereitschaft der Bevölkerung fördern, radikal-islamischen Führern zu folgen. ...

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In einem epd-Bericht (epd-evangelischer Pressedienst) vom 16. 10. 2002 äußert sich ebenfalls Alexander Flor zu den möglichen Verbindungen der Attentäter zum indonesischen Militär:

... Nach Einschätzung von Flor ist eine Mittäterschaft des indonesischen Militärs an den Anschlägen nicht auszuschließen. Indirekte Verknüpfungen seien möglich. Flor verweist in dem Zusammenhang auf den Kampf der islamistischen Gruppe Laskar Jihad gegen Christen auf den Molukken und Sulawesi, wo das Militär «aktiv und passiv Hilfe geleistet hat». Eine direkte Verbindung von Baasyir und Angehörigen des Militärs sei ihm jedoch nicht bekannt."

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Die Frankfurter Rundschau brachte am 17.10.2002 mehrere Berichte zu den Hintergründen und Folgen der Attentate. Ein Artikel geht auch die innenpolitischen Reaktionen ein, insbesondere auf die Ausnahmegesetze, die nun die Regierung Megawati in Kraft setzen möchte ("Jakarta bereitet Notfall-Erlass vor"). Außerdem werden Indizien mitgeteilt, wonach es eine Spur vom Attentat zum Militär gäbe.

Der indonesische Außenminister Hassan Wirayuda sagte am Mittwoch (= 16. Oktober), die Regierung werde die Anti-Terror-Gesetze notfalls per Erlass beschließen. Es gehe um die sofortige Umsetzung eines Gesetzentwurfs, der im Parlament seit Monaten auf Eis liege. Beobachter rechneten allerdings damit, dass Präsidentin Megawati Sukarnoputri zunächst die Zustimmung der Fraktionsvorsitzenden suchen werde. Die Ankündigung ihres Außenministers wurde als Reaktion auf internationale Kritik gewertet, wonach Indonesien das Problem des Terrorismus bislang unterschätzt hat. ...

... Der Polizei zufolge wurden am Tatort Spuren von C-4-Plastiksprengstoff entdeckt, wie er von der indonesischen Armee benutzt wird. Zwei Männer, die zunächst als Zeugen verhört worden waren, wurden laut Polizei am Mittwoch als Verdächtige verhaftet. Bei den beiden handele es sich um Indonesier von der Hauptinsel Java, sagte Balis Polizeichef, Brigadegeneral Budi Setyawan. ...

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In der ZEIT (Nr. 43) thematisiert Jochen Bittner vor allem die Versäumnisse Indonesiens im Kampf gegen den Terrfor. Während alle Nachbarstaaten in den vergangenen Monaten reihenweise "Muslimextremisten" verhafteten, "lud der indonesische Vizepräsident und Vorsitzende der größten muslimischen Partei, Hamsa Has, die Anführer dreier Islamistengruppen noch zum Abendessen ein", heißt es in dem Artikel. Und: Bin Ladens weltweite Terrororganisation Al Qaida habe Kämpfer in Indonesien angeworben.

"... Denn die Dschama'at al-Islamija ("Islamische Gruppe") galt in Expertenkreisen längst als regionales Gegenstück zum Al-Qaida-Netzwerk; mit Zellen in Singapur, Malaysia, den Südphilippinen und Indonesien. Ihr erklärtes Ziel ist es, diesen Raum zu einem islamischen Gottesstaat zu einen. Nach US-Geheimdienstinformationen soll die Gruppe schon 1997 damit begonnen haben, mögliche Anschlagsziele in Singapur auszuspähen. Die Zelle, auch das wussten die Ermittler, soll sich vier Tonnen der Sprengstoffkomponente Ammoniumnitrat beschafft haben, die für Autobomben verwendet werden kann. Der Stoff wurde bis heute nicht gefunden." ...

"... Erst im Juni 2002 gestand der indonesische Polizeichef ein, dass der Archipelstaat zum Operationsgebiet des Terrornetzes gehöre. In einem abgelegenen Dorf 100 Kilometer westlich der Hauptstadt Jakarta hatten seine Beamten ein Ausbildungslager ausgehoben. Etwa ein Dutzend Indonesier und Malaysier waren dort unter anderem im Bau von Bomben unterwiesen worden. Im selben Monat nahmen die Sicherheitskräfte den mutmaßlichen Al-Qaida-Einsatzchef für Südostasien Omar al-Faruk fest. Er war vermutlich schon 1995 von dem Al-Qaida-Führer Abu Subeida nach Südostasien geschickt worden, um dort verschiedene extremistische Gruppen zusammenzuführen und neue Anhänger zu rekrutieren. Die Indonesier lieferten al-Faruk an die USA aus. Nach langen Verhören des Muslimaktivisten zog die CIA schon im September den Schluss, Südostasien sei zum wichtigsten Sammelpunkt der Al-Qaida außerhalb Afghanistans und Pakistans geworden. Mehr noch: Die Region, so die CIA, biete Terroristen beste Perspektiven. Wegen der vielen miteinander verbandelten Kampfgruppen und der laxen Polizei und Justiz liege es nahe, dass die Dschihadisten ihre Operationszentrale aus dem umkämpften Afghanistan dorthin verlagerten. ..."

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Die taz widmet sich der wirtschaftlichen Lage in Indonesien und befürchtet, dass es nach dem Anschlag weiter bergab gehen würde. ("Indonesiens Wirtschaft unter Schock", von Nicola Grass)

Indonesiens Wirtschaft kommen die Anschläge von Bali womöglich teuer zu stehen. Vier Tage nach den verheerenden Bombenattentaten hat Präsidentin Sukarnoputri Megawati gestern eine mehrtägige Kabinettssitzung einberufen, um über erste Maßnahmen für die heimische Industrie zu beraten und die Auswirkungen auf die Wirtschaft des Inselreiches zu erörtern. Konkrete Beschlüsse wurden bislang allerdings noch nicht bekannt. Nach dem Bombenattentat schloss der indonesische Leitindex zu Beginn der Woche mit Kursverlusten von mehr als 10 Prozent, so tief wie seit vier Jahren nicht mehr. Die Landeswährung, die indonesische Rupiah, fiel im Verhältnis zum Dollar um 3,8 Prozent. "Die Ereignisse von Bali bestätigen, dass es in der Region terroristische Attacken gibt, und das beunruhigt die Investoren", sagte Anthony Dass, Analyst bei SJ Securities. Zwar hat sich mittlerweile die indonesische Zentralbank eingeschaltet und am Markt interveniert. Die Bankexperten setzten Dollarreserven ein, um die heimische Währung zu stützen und das Zinsniveau anzuheben.

Doch bislang weigert sich das Finanzministerium hartnäckig, auf längere Sicht den Wechselkurs der Rupiah zum Dollar zu beeinflussen, der seit 1997 freigegeben ist. Denn dies würde die gesamte Kalkulation für den Staatshaushalt durcheinander bringen, heißt es aus Jakarta. Kurzfristige Interventionen könnten zwar helfen, den Markt kurzfristig wieder zu beruhigen, doch was langfristig geschehen werde, sei noch völlig offen.

Aber die langfristigen Auswirkungen der Bombenattentate von Bali sind noch längst nicht absehbar. Die "Insel der Götter" galt bisher als Drehscheibe für den Tourismus. Jährlich verzeichnete Bali im Schnitt etwa 1,5 Millionen Touristen, das ist ein Drittel der Gesamtbesucher Indonesiens. Etwa acht Millionen Menschen arbeiten in der Tourismusbranche. Sie ist einer der wichtigsten Wirtschaftszweige, der einen großen Teil der Devisen für das ökonomisch angeschlagene Inselreich erwirtschaftet. ...





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