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Deutschland und Russland "sind aktiver Teil der globalen Koalition gegen den Terrorismus"

Gemeinsame Erklärung von Bundeskanzler Gerhard Schröder und dem russischen Präsidenten Wladimir W. Putin

Der Terroranschlag auf die Schule in Beslan Anfang September und sein schrecklicher Ausgang mit mehreren hundert Toten und Verletzten hat den russischen Staatspräsidenten Putin daran gehindert, seine ursprünglich geplante Reise nach Hamburg zu deutsch-russischen Konsultationen anzutreten. Eine für diesen Zweck im Vorfeld erarbeitete gemeinsame Erklärung wurde dennoch am 10. September zeitgleich in Moskau und Berlin veröffentlicht.
Wir dokumentieren im Folgenden diese Erklärung, in denen eine Vielzahl von sicherheitspolitischen Gemeinsamkeiten zwischen Deutschland und Russland formuliert ist. Wenn in den internationalen Beziehungen von "Sicherheitspolitik" die Rede ist, geht es in erster Linie um Militärangelegenheiten. Vokabeln wie "Militär", "Streitkräfte", "Krieg gegen Terror" u.ä. wird man indessen vergeblich darin suchen. Offenbar eine kosmetische Rücksichtnahme auf die Öffentlichkeit hier zu Lande, zumal nachdem der russische Präsident vor wenigen Tagen in einer programmatischen Rede verkündet hat, im Kampf gegen den internationalen Terrorismus sich auch das Mittel präventiver Militärschläge in der ganzen Welt vorzubehalten - eine deutliche Anlehnung an die Präventivkriegsstrategie der "Nationalen Sicherheitsdoktrin" der USA vom September 2002. Der Schulterschluss zwischen Schröder und Putin deutet auch auf eine Wiederannäherung an den weltweiten US-"Krieg gegen den Terror" hin. Man beachte nur die Wortwahl in dem Satz: "Sie (die beiden Länder Russland und Deutschland, Pst) sind aktiver Teil der globalen Koalition gegen den Terrorismus."
Abzuwarten bleibt auch, wieviel von dem in der Erklärung formulierten Versprechen zu halten ist, "dass jede Maßnahme zur Bekämpfung des Terrorismus mit ihren völkerrechtlichen Verpflichtungen, insbesondere den internationalen Menschenrechten, dem Flüchtlings- und dem humanitären Recht übereinstimmen muss". Die bisherigen Maßnahmen in Russland selbst, insbesondere das Vorgehen des russischen Militärs in Tschetschenien, sprechen da doch eine andere Sprache.



Gemeinsame Erklärung von Bundeskanzler Gerhard Schröder und dem russischen Präsidenten Wladimir W. Putin

Die gemeinsame Erklärung war aus Anlass der für den 10. und 11. September geplanten deutsch-russischen Konsultationen in Hamburg und Schloss Gottorf vorbereitet worden. Angesichts der Ereignisse in Beslan haben sich beide Seiten entschlossen, sie ungeachtet der Verschiebung zu verabschieden. Die Erklärung wird heute in Berlin und Moskau veröffentlicht.

36 Monate nach den Anschlägen in den Vereinigten Staaten von Amerika, 6 Monate nach den Terrorakten von Madrid ist die Russische Föderation Ziel abscheulicher Angriffe des internationalen Terrorismus.

Der gegen die unschuldigen Kinder gerichtete ungeheuerliche Terroranschlag in Beslan zeugt von einer neuen Dimension der Gefahr, die für die gesamte Menschheit vom internationalen Terrorismus ausgeht. Wir stimmen darin überein, dass der Terror überall gemeinsam dort zu bekämpfen ist, wo er stattfindet.

Heute gedenken wir der Opfer des Terrorismus aus unseren beiden Ländern und auf der ganzen Welt. Wir trauern mit den Hinterbliebenen. Unser Mitgefühl gilt all denen, die an den Folgen terroristischer Akte leiden. Wir wissen um unsere Pflicht alles zu tun, um Menschenleben vor der Geißel des Terrorismus zu schützen. Unsere Bürger haben einen Anspruch auf Sicherheit, Freiheit und Schutz vor Terrorismus. Dabei sind wir uns der grundlegenden Bedeutung bewusst, auch bei der Antwort auf den Terrorismus und die Furcht vor dem Terrorismus, alle Menschenrechte und Grundfreiheiten und die Herrschaft des Rechts zu beachten.

Terrorismus gefährdet den internationalen Frieden und die Sicherheit. Er ist ein Angriff auf Demokratie und Freiheit, auf Offenheit und Toleranz. Heute ist der internationale Terrorismus, zusammen mit der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, regionalen Konflikten und organisiertem Verbrechen, die gefährlichste Bedrohung für die Sicherheit unserer beiden Länder. Deutschland und Russland werden alles in ihrer Macht Stehende tun, um im Einklang mit der Charta der Vereinten Nationen und den Verpflichtungen aus der Resolution 1373 (2001) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen alle Formen des Terrorismus zu bekämpfen. Beide Länder betonen die zentrale und koordinierende Rolle der Vereinten Nationen bei dem weltweiten Kampf gegen den Terrorismus und bekräftigen, dass jede Maßnahme zur Bekämpfung des Terrorismus mit ihren völkerrechtlichen Verpflichtungen, insbesondere den internationalen Menschenrechten, dem Flüchtlings- und dem humanitären Recht übereinstimmen muss.

Deutschland und Russland verurteilen alle Akte und Formen des Terrorismus, ungeachtet der zugrundeliegenden Motivation, als kriminell und nicht zu rechtfertigen. Beide Länder werden verstärkt zusammenarbeiten, um der globalen Herausforderung durch den Terrorismus und seinen Ursachen noch wirksamer entgegentreten zu können. Sie sind aktiver Teil der globalen Koalition gegen den Terrorismus. Die Bedrohung durch den Terrorismus betrifft alle Länder dieser Erde. Akte des internationalen Terrorismus bedrohen die internationale Gemeinschaft insgesamt.

Wir werden die Zusammenarbeit unserer Länder bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus verstärken. Insbesondere werden wir
  • gemeinsam die weltweiten Anstrengungen im Kampf gegen den Terrorismus stärken, vor allem in den Vereinten Nationen, der G 8, dem NATO-Russland-Rat, der OSZE und dem Europarat.
  • die Finanzierung des Terrorismus unnachgiebig bekämpfen und die Empfehlungen der "Financial Action Task Force on Money Laundering" umsetzen.
  • noch enger zusammenarbeiten, um terroristische Akte zu verhindern und Terroristen frühzeitig zu entdecken, gegen sie zu ermitteln und sie vor Gericht zu bringen.
  • unsere Anstrengungen koordinieren und verstärken, um zu verhindern, dass Terroristen atomare, chemische, radiologische und biologische Waffen, Trägermittel sowie damit verbundene Materialien, Ausrüstungen und Technologien erwerben oder entwickeln.
  • den Informationsaustausch über terroristische Bedrohungen und über die Bewertung der Bedrohungslage verstärken.
  • die Sicherheit des internationalen Verkehrs schützen und wirkungsvolle Grenzkontrollen sicherstellen.
  • zusammenarbeiten bei der Bekämpfung des Cyber-Terrorismus und bei der Verhütung des Missbrauchs der elektronischen Kommunikation und der Freiheiten des Cyberspace zum Zwecke der Bedrohung der öffentlichen Sicherheit.
  • eng zusammenarbeiten, um unsere Fähigkeiten zur Verhütung und Minderung der Folgen terroristischer Anschläge, auch gegen unsere Missionen im Ausland, zu stärken.
  • darauf hinwirken, die Faktoren, die die Rekrutierung von Terroristen, insbesondere von Selbstmord-Attentätern, erleichtern, zu erkennen und zu verringern.
  • gemeinsam Länder, die in den Vereinten Nationen Hilfe im Kampf gegen den internationalen Terrorismus erbitten, unterstützen.
Wir beauftragen die deutsch-russische Hohe Arbeitsgruppe Sicherheitspolitik, uns ein konkretes Arbeitsprogramm zur Erreichung dieser Ziele vorzulegen.

Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, Berlin 10. September 2004


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