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Wird aus Guantanamo bald Bagram?

USA-Regierung will Terrorverdächtige aus aller Welt künftig am Hindukusch internieren

Von Olaf Standke *

Wie die »Los Angeles Times« am Sonntagabend unter Berufung auf US-amerikanische Regierungsvertreter berichtete, erwägt die Obama-Administration nach der geplanten Schließung des massiv kritisierten Gefangenenlagers in Guantanamo, Terrorverdächtige aus aller Welt auf dem Militärstützpunkt im afghanischen Bagram zu internieren.

Tausende Friedensaktivisten haben am Wochenende vor dem Weißen Haus in Washington an den Beginn des Irak-Krieges erinnert und ihrem Unmut über Präsident Barack Obama Luft gemacht. Auch Ralph Nader, Verbraucherschutzanwalt und selbst dreimaliger Präsidentschaftskandidat, zeigte sich tief enttäuscht. Er sieht nur einen Unterschied zum Amtsvorgänger Bush: »Obamas Reden sind besser.« Vor allem warf Nader dem einstigen Hoffnungsträger der Bürgerrechtsbewegung vor, das Gefangenenlager Guantanamo nicht, wie im Wahlkampf und zum Amtsantritt versprochen, längst zu den Akten gelegt zu haben.

Wie die Zeitung »Wall Street Journal« jetzt berichtete, soll die Obama-Regierung inzwischen aber zumindest in abschließenden Verhandlungen mit einer parteiübergreifenden Senatorengruppe stehen, um die überfällige Schließung zu organisieren. Unter anderem sind in Guantanamo die mutmaßlichen Drahtzieher der Terroranschläge vom 11. September 2001 inhaftiert. Ursprünglich hatte die Regierung dafür plädiert, den Prozess gegen sie vor einem Zivilgericht in New York abzuhalten. Doch Bürgermeister Michael Bloomberg und einflussreiche Republikanern machten starken Druck gegen dieses Vorhaben, weil es mit dramatischen Kosten und Sicherheitsrisiken für die Stadt verbunden sei. Nun zeichnet sich ab, dass das Verfahren gegen Khalid Scheich Mohammed und seine vier mutmaßlichen Komplizen doch vor einem Militärtribunal eröffnet wird, obwohl Menschenrechtsorganisationen mit Verweis auf die mangelnde Legitimität dieser unter Busch installierten Sondergerichte davor warnen.

48 als gefährlich geltende Guantanamo-Insassen sollen laut »Wall Street Journal« sogar für immer hinter Gittern verschwinden, obwohl für ihre Verurteilung vor einem Zivilgericht keine ausreichenden Beweise vorliegen. Obamas Stabschef Rahm Emanuel versucht derzeit, einflussreiche Demokraten wie den Senator von Illinois, Richard Durbin, für diesen Plan zu gewinnen, sollten doch die meisten verbliebenen Insassen in einen Hochsicherheitstrakt in seinem Bundesstaat verlegt werden.

Inzwischen kursiert eine weitere Variante für die künftigen Umgang mit Terrorverdächtigen. Wie die »Los Angeles Times« unter Berufung auf Regierungsvertreter berichtet, könnten sie auf dem Militärstützpunkt im afghanischen Bagram interniert werden. Das Gefangenenlager nördlich von Kabul wurde in der Vergangenheit von Menschenrechtlern immer wieder scharf kritisiert. So haben die Insassen bislang auch kein Recht auf einen Militäranwalt. Als dort vor einigen Jahren Gefangene ums Leben kamen, war von natürlichen Todesfällen die Rede; spätere Untersuchungen ergaben jedoch, dass die Häftlinge geschlagen, angekettet und permanent am Schlaf gehindert worden waren. Ende Februar übergaben die USA offiziell die Kontrolle über das berüchtigte Militärgefängnis und die vor wenigen Monaten neu eröffnete benachbarte Haftanstalt Parwanan an die afghanischen Behörden.

Allerdings stoßen die Pläne der Obama-Regierung auch innerhalb der Administration auf Widerstand. General Stanley McCrystal etwa, der Oberbefehlshaber der NATO-Truppen am Hindukusch, befürchtet, dass eine Erweiterung des Gefängnisses in Bagram die Bemühungen um eine Stabilisierung Afghanistans erschweren werde.

Wie die »Los Angeles Times« schreibt, habe Washington jedoch nur wenige weitere Standorte zur Auswahl, um Ausländer ohne Zugang zu US-amerikanischen Gerichten zu inhaftieren und zu verhören. Als Alternative bliebe sonst nur noch, die Verdächtigen an oft unwillige andere Länder auszuliefern - oder sie zu ermorden. Schon im Vorjahr, so die Zeitung, hätten Sondereinheiten einen mutmaßlichen Al-Qaida-Mann in Somalia bei einem Hubschrauberangriff getötet und nicht gefangen genommen, weil sie nicht wussten, wo sie ihn internieren sollten.

* Aus: Neues Deutschland, 23. März 2010


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