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Aufstandsbekämpfung

In südasiatischen Staaten beerben Antiterrorgesetze Kommunistenhatz und koloniale Repression. Alte Methoden treffen auf das neue Feindbild "Islamismus"

Von Thomas Wagner *

Singapur 1987. Eine Gruppe katholischer Sozialarbeiter, die sich öffentlich für die Rechte von ausländischen Arbeitsmigranten eingesetzt hat, wird verhaftet. Ihr Engagement macht sie in den Augen der Sicherheitsbehörden zu Mitgliedern einer marxistischen Organisation, auf die der Internal Security Act anzuwenden sei. Das Gesetz erlaubt es, Verdächtige ohne Haftbefehl und ohne öffentliche Anklage zu verhaften. So skurril das Beispiel klingen mag, es enthält im Kern bereits die wichtigsten Erkenntnisse, die die Teilnehmer der Berliner Tagung »Sicherheit kontra Menschenrechte« (siehe Kasten) über die nationale Sicherheitsgesetzgebung und den Menschenrechtsschutz in Asien und Deutschland am Wochenende in Erfahrung bringen konnten. Erstens war es in der Region nicht erst nach, sondern schon vor den Ereignissen des 11.September 2001 und des danach international geführten »Kampfs gegen den Terror« um die Menschenrechte schlecht bestellt. Zweitens gehen die heutigen Sicherheitsgesetze in den Philippinen, Malaysia, Indien und Südkorea immer noch auf Instrumentarien zurück, mit denen unter der britischen oder japanischen Kolonialherrschaft zunächst Aufstände unterdrückt wurden und später nur wenig modifiziert der Bekämpfung der meist linksgerichteten Opposition dienten. Drittens haben die Anwender der jeweiligen Notstandsgesetzgebung nach der weitgehenden Zurückdrängung kommunistischer Kräfte einen anderen Vorwand für ihre »präventive« Sicherheitspolitik gesucht und in einem als staatsfeindlich deklarierten »Islamismus« schließlich auch gefunden.

Die Referenten waren einer gemeinsamen Einladung des Asienhauses, des Südasien-Informationsnetzes, des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins sowie des Berliner Entwicklungspolitischen Ratschlags gefolgt. Die Diskussion ergab, daß die von den USA und der EU propagierte Antiterrordoktrin fatale Auswirkungen für die demokratische Entwicklung asiatischer Staaten hat. So wird der Beginn von Friedensverhandlungen zwischen Regierung und bewaffnetem Widerstand auf den Philippinen dadurch erschwert, daß eine relevante Widerstandsgruppe erst von der international geführten Terrorliste gestrichen werden will, bevor sie in den Gesprächsprozeß eintritt. Gerügt wurde insbesondere die Intransparenz der EU-Terrorliste. Wer dort aufgeführt wird, der kann auf die Hilfe bürgerlicher Rechtsmittel nicht mehr zählen. Erschreckend ist die Praxis einiger südasiatischer Regierungen, selbst bestimmte Terrorgruppen zu unterstützen und Bombenanschläge zu initiieren. Damit legitimieren sie den Ausbau ihres Repressionsapparats und die Beibehaltung von Notstandsgesetzen.

Philipp Bück referierte über »Menschenrechte zwischen Aufstands- und Terrorismusbekämpfung in den Philippinen«. Mittels einer speziellen Investment Defence Force wird dort der indigene Widerstand gegen internationale Bergbauunternehmen militärisch unterdrückt. Song Du-Yul berichtete, wie in Südkorea auch nach der Militärdiktatur das gegen Kommunisten gerichtete nationale Sicherheitsgesetz seit 60 Jahren die »Menschenrechte im Würgegriff« hält (siehe Interview). Torsten Otto zeigte, wie Indiens politisches Strafrecht und Terrorismusgesetze der Willkür im Rechtsstaat Tür und Tor geöffnet haben. Die präventive Gesetzgebung zielt nicht auf »terroristische« Gewalttäter, sondern erlaubt der Polizei, unliebsame Protestler willkürlich für eine Weile wegzuschließen, ohne daß sie eine Straftat begangen hätten und eine rechtskräftige Verurteilung auch nur angestrebt wird. Rolf Jordan stellte in seinem Vortrag »Gegen Kommunisten und Terroristen« klar, daß Singapur und Malaysia die repressiven Sicherheitsgesetze der englischen Kolonialherrschaft im Grunde nur verfeinerten.

Die von den Veranstaltern gestellte Frage, ob sich seit dem 2001 ausgerufenen Antiterrorkampf die staatlichen Sicherheitsgesetze in den diskutierten Staaten wesentlich modifiziert haben, läßt sich vorläufig so beantworten: Geändert haben sich weniger die Methoden staatlicher Repression als vielmehr ihre Legitimationsmuster. Mit Ausnahme von Südkorea steht heute nicht mehr der Kommunismus, sondern der sogenannte islamistische Terror im Fokus eines sogenannten Feindrechts, mit dessen Hilfe Regierungen soziale Bewegungen nicht nur auf nationaler, sondern gemeinsam auch auf internationaler Ebene unterdrücken können.

* Aus: junge Welt, 3. Juni 2008


Tagesseminar: Sicherheit kontra Menschenrechte?

Nationale Sicherheitsgesetzgebung und Menschenrechtsschutz im Namen der Terrorismusbekämpfung in Asien und Deutschland

Philippinen, Malaysia, Singapur, Indien und Südkorea im Vergleich mit Deutschland

Insbesondere seit den Anschlägen vom 11. September 2001 zeichnet sich im globalen Maßstab die Tendenz ab, im Rahmen des sogenannten "War on Terror" systematisch Menschen- und Bürgerrechte einzuschränken. Insbesondere in Staaten, in denen demokratische Standards, Institutionen und Verfahrensweisen (noch) nicht sehr gefestigt sind, besteht die Gefahr, dass dieser "Kampf gegen den Terror" gravierende negative Auswirkungen auf demokratische Entwicklungen und die Lage der Menschenrechte hat.
So werden unter Zuhilfenahme des Etiketts "Terrorist" die Sicherheitsgesetze oftmals auch gegen legitime kritische und oppositionelle Kräfte eingesetzt.

Das Seminar will...
  • auf diese Entwicklungen aufmerksam machen und die hiesigen Debatten über die Anti-Terrorismus-Gesetzgebung um die ost- und südostasiatische Dimension erweitern.
  • exemplarisch die Auswirkungen der Gesetze zur Terrorismusbekämpfung auf die Menschenrechtslage in fünf asiatischen Ländern (Südkorea, Philippinen, Indien, Singapur und Malaysia) und in Deutschland untersuchen.


»In Südkorea wirkt eine kollektive Selbsthypnose«

Das Nationale Sicherheitsgesetz resultiert aus Kolonialherrschaft, Militärdiktatur und CIA-Machenschaften. Ein Gespräch mit Song Du-Yul

Von Thomas Wagner **

Im Unterschied zu anderen asiatischen Staaten gibt es in Südkorea keine aktualisierte Sicherheitsgesetzgebung. Woran liegt das?

»Kommunisten« sind für die Südkoreaner ein Begriff, »Islamisten« dagegen nicht. Anders als in Indonesien, den Philippinen, Singapur oder Malaysia hat es deshalb keine gesetzgeberische Aktion in diese Richtung gegeben.

Das Nationale Sicherheitsgesetz (NSG) Südkoreas ist bereits 60 Jahre alt. Womit haben wir es da zu tun?

Das NSG ist ein Amalgam aus Elementen der japanischen Kolonialherrschaft, der militärischen Alltagssozialisation unter der Diktatur und der gegen die Kommunisten gerichteten Methoden der CIA. Laut Verfassung hat einzig und allein Südkorea die staatliche Souveränität über die gesamte koreanische Halbinsel inne. Nordkorea gilt als antistaatliche Organisation. Schon als ich das Gelände der Botschaft Nordkoreas betrat, um ein Visum zu beantragen, verstieß ich nach dem Territorialprinzip der Staatsgründung gegen das südkoreanische Gesetz.

2004 sind Sie in Südkorea festgenommen worden und auf der Grundlage des NSG zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden, die nach internationalen Protesten in eine Bewährungsstrafe umgewandelt wurde. Gibt es neue Entwicklungen in Ihrem Verfahren?

Ja. 2004 befand das Gericht, ich hätte mich allein durch meine Nordkoreareisen, egal ob mit südkoreanischem oder deutschem Paß, strafbar gemacht. Am 17. April 2008 hat nun das Oberste Gericht entschieden, meine Nordkorea-Reise mit deutschem Paß sei kein Gegenstand der Strafverfolgung, meine Reise mit dem südkoreanischen Paß dagegen schon. Immerhin haben von 13 Obersten Richtern vier ein Minderheitsvotum abgegeben, wonach auch meine Reise mit dem südkoreanischen Paß nicht strafbar gewesen sei, weil ich sie von dem Drittstaat Deutschland und nicht von Südkorea aus unternahm.

Südkorea ist eine parlamentarische Demokratie mit einer liberalen Regierung. Warum schafft die das Gesetz nicht ab?

Drei Generationen von Südkoreanern wurden unter dem NSG erzogen. Sie denken, ohne das Gesetz wäre ihr Land verloren. Seit 1948 wirkt die kollektive Selbsthypnose von Kindesbeinen an. Die Menschen denken, es ginge ausschließlich um Spione. Dabei untergräbt das Gesetz die demokratischen Regeln.

Sie haben vor Ihrer Verhaftung regelmäßig Treffen von Intellektuellen aus Nord- und Südkorea organisiert. Führen Sie das heute fort?

Zunächst mußte ich mich erholen. Infolge meiner Haft in der ungeheizten, nur drei Quadratmeter großen Zelle hat sich mein Asthma verstärkt. Ich bin nicht mehr derselbe Mensch wie vorher. Wenn man politisch kämpft, verletzt man sich selbst. Für die Heilung muß man sich Zeit nehmen. Ich überlege, was ich heute machen kann. Ich bin kein Politiker, sondern ein Wissenschaftler im Ausland. Trotzdem will ich, wenn nächstes Jahr mein Ruhestand beginnt, in einem zweiten Anlauf versuchen, die abgebrochene Kommunikation auf beiden Seiten zu reaktivieren.

Was ist Ihr Resümee der Tagung »Sicherheit kontra Menschenrechte« in Berlin?

Die ganze Terrorismusbekämpfung ist mehr oder weniger eine Fortsetzung der Geschichte der alten Kolonialzeit. Erst wurden die Kommunisten bekämpft, heute die Islamisten. Im Unterschied zu Singapur, Malaysia, Indonesien und den Philippinen hat Südkorea keine Islamisten, daher geht es immer noch gegen die Kommunisten.

** Song Du-yul ist Professor für Soziologie an der Universität Münster. Er setzt sich für eine Verständigung und Annäherung zwischen Nord- und Südkorea ein.

Aus: junge Welt, 3. Juni 2008


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