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Wieder "Krieg gegen den Terror"

Barack Obama kehrt zur Bush-Rhetorik zurück und geißelt Pannen der USA-Geheimdienste

Von Max Böhnel, New York *

Nach dem nur knapp vereitelten Anschlag auf eine Passagiermaschine hat USA-Präsident Barack Obama die Geheimdienste des Landes in harschen Worten gerügt und rasche Reformen angekündigt. Er werde dieses Versagen »nicht dulden«, sagte er am Dienstagnachmittag (Ortszeit) nach einem Sicherheitsgipfel im Weißen Haus.


"Wir sind entschlossen, ihre Netzwerke zu behindern, zu zerschlagen und zu besiegen" / Remarks by the President on Security Reviews
US-Präsident Obama trifft die Vertreter der Geheimdienste und seines nationalen Sicherheitsteams - Die Rede im Wortlaut (deutsch und englisch)



Mit scharfen Worten trat Barack Obama nach einem über zweistündigen Treffen mit Geheimdienstchefs der USA in Washington vor die Presse. Der gescheiterte Terroranschlag auf ein mit 278 Passagieren besetztes Flugzeug auf dem Weg nach Detroit am ersten Weihnachtsfeiertag hätte im Ansatz verhindert werden können, kritisierte der Präsident, der sichtlich ungehalten war. Es hätten ausreichend Informationen vorgelegen, doch hätten es die Geheimdienste nicht geschafft, Verknüpfungen zwischen ihnen herzustellen. Nicht beim Sammeln von Informationen hätten die Geheimdienstler versagt, sondern dabei, »sie zu verstehen«. Obama nannte allerdings keine der 16 »Agenturen« beim Namen und verzichtete auch darauf, personelle Veränderungen vorzunehmen. Aber er mahnte: »Wir müssen besser werden, und zwar schnell. Das Leben von US-Bürgern steht auf dem Spiel.«

Wenn ein mutmaßlicher Terrorist zu Weihnachten mit Sprengstoff in ein Flugzeug steigen könne, dann habe »das System auf höchst desaströse Weise versagt«, erklärte der Präsident. Die Behörden wussten demnach, dass der Nigerianer Omar Faruk Abdulmutallab in Jemen Kontakte zu Extremisten geknüpft hatte. Die Dienste hätten zudem Informationen besessen, dass das Terrornetzwerk Al Qaida neue Anschläge gegen die USA plante. Man habe gewusst, dass diese Gruppe mit einer ganz bestimmten Person zusammenarbeitete - jener, die dann in der Tat an der Weihnachtsattacke beteiligt gewesen sei, so Obama. Den ganzen Nachmittag über hatte sich der Präsident von seinen Geheimdienstchefs Berichte über eine Serie von Patzern angehört. Die Vorgeschichte, die zu dem nur um Haaresbreite gescheiterten Selbstmordanschlag führte, soll bis Ende dieser Woche veröffentlicht werden.

Die Obama-Regierung will bis auf Weiteres zudem keine Guantanamo-Häftlinge aus Jemen mehr in ihre Heimat überstellen. Präsidentensprecher Robert Gibbs benutzte bei dieser Ankündigung erstmals wieder den aus Bush-Zeiten stammenden und seit der Amtsübernahme Obamas verpönten Begriff »war on terror« (Krieg gegen den Terror). Trotzdem soll an der Absicht, Guantanamo zu schließen, festgehalten werden. Im vergangenen Jahr wurden 44 von 242 Insassen freigelassen oder überstellt. Von den verbliebenen 198 stammen 92 aus Jemen. Von diesen wiederum sollten demnächst 39 in das arabische Land zurückgeschickt werden.

US-amerikanische Menschenrechtsgruppen haben diese Regierungsentscheidung kritisiert. Es sei »ungerecht und nicht weise«, die Jemeniten weiter in Haft zu lassen, »nur weil sie aus einem bestimmten Land kommen«, sagte Ben Wizner von der Bürgerrechtsvereinigung ACLU. Damit werde »ein schändliches Kapitel in der amerikanischen Geschichte« verlängert.

Unterdessen schränkte ein Berufungsgericht in Washington die Rechte von Menschen, die nur als »terrorverdächtig« gelten, massiv ein. Danach können auch Personen, denen »Hilfsdienste« für Terroristen nachgewiesen werden, ohne zeitliche Beschränkung eingesperrt werden. Das Urteil, das am Dienstag verkündet wurde, bezieht sich auf Ghaleb Al-Bihani aus Jemen, der für eine Kampfbrigade der Taliban in Afghanistan als Koch fungierte.

* Aus: Neues Deutschland, 7. Januar 2010


Obamas Spiegelgefecht

»Sicherheitsgipfel« im Weißen Haus: US-Präsident kann nach Geheimdienstschelte »Krieg gegen den Terror« verschärfen. Er muß keine Kritik fürchten

Von Rainer Rupp **


Wir sind der Kugel entkommen, aber nur knapp«, soll US-Präsident Barack ­Obama am Dienstag beim Treffen mit den Spitzen des ausufernden Sicherheits- und Terrorapparats im sogenannten Situation Room des Weißen Hauses gebrüllt haben. Als er später vor die Presse trat, sei - so wird es in den Medien kolportiert - »sein Blick kalt und nüchtern« gewesen. Es habe nicht die üblichen Scherze mit den Journalisten gegeben. Statt dessen hätten seine Worte »wie Peitschenhiebe« geklungen, als er sagte: »Wenn ein mutmaßlicher Terrorist imstande ist, am Weihnachtstag mit Sprengstoff an Bord eines Flugzeugs zu gelangen, hat das System auf potentiell desaströse Weise versagt.« Die Sicherheitslücken müßten schnell geschlossen, Reformen »sofort« umgesetzt werden.

Obamas Schauspiel vor der Presse brachte jedoch nichts, was die Hintergründe des versuchten Attentats des 23 Jahre alten Nigerianers Umar Farouk Abdulmutallab auf dem NorthWest-Flug Nr. 253 von Amsterdam nach Detroit am 25.Dezember erhellen würde. Die Aktion trägt alle Züge einer Geheimdienstoperation unter falscher Flagge (siehe junge Welt vom 29. Dezember 2009). Offensichtlich wird die Öffentlichkeit für die neuen »Reformen« zur Terrorbekämpfung vorbereitet. Sie sollen mit noch mehr Überwachung, Kontrolle und Abbau der Bürgerrechte - die letzten Hindernisse auf dem Weg in die totalitäre »Demokratie« aus dem Weg räumen. Zugleich soll damit dem »globalen Krieg gegen den Terror«, der zur Legitimierung weltweiter militärischer Interventionen zugunsten der imperialen Interessen Washingtons dient, neues Leben eingehaucht werden.

Nach den Rückschlägen in der zweiten Amtsperiode von George W. Bush und der zunehmenden Kritik an dessen Politik, sowohl im In- als auch im Ausland, hatten sich die Obama-Anhänger bei der Präsidentenwahl gegen die US-Kriege und weitere militärische Interventionen entschieden. Die sollen nun wieder für das ungezügelte amerikanische Strebens nach globaler Dominanz »gewonnen« werden. Diese Bemühungen waren schon einige Zeit im Gang. Aber Abdulmutallabs fehlgeschlagener Anschlag und die ungewöhnliche und schnelle Übernahme der Verantwortung dafür durch eine obskure, angebliche Al-Qaida-Filiale im Jemen haben die Metamorphose des Friedensnobelpreisträgers Barack Obama zum obersten globalen »Antiterrorkämpfer« perfekt gemacht. Unmittelbar nach dem mißglückten Versuch hat er bereits »eine aggressive Antwort auf den Terrorangriff« versprochen.

Für die Inszenierung dieser Verwandlung hätte das Regime in Wa­shington keine bessere Kulisse als die Geheimdienstschelte im Situation Room finden können. Nichts ist überzeugender, als wenn sich ein Mann des Friedens unter dem Druck der hinterhältigen und gemeinen Angriffe der Bösen schließlich dazu durchringt, selbst Gewalt anzuwenden. Ein Thema, das in zahllosen Hollywood-Filmen als »typisch amerikanisch« verherrlicht wird. Und genau das hat Oba­ma in Washington Dienstag abend zur besten Sendezeit der amerikanischen Bevölkerung vorgespielt. Der Präsident, der bisher den menschenverachtenden und mörderischen Aktionen der US-Geheimdienste kritisch gegenüberstand, bremst nun die Dienste nicht mehr, sondern er feuert sie unter dem Eindruck des jüngsten Anschlags auf Amerika an, mehr zu tun.

Derweil liefern die US-amerikanischen wie die deutschen Medien die Begleitmusik zu diesem Schmierenstück. Mit Meldungen, daß den Chefs der US-Dienste »nichts anderes übriggeblieben« sei, »als Obamas Schelte kleinlaut hinzunehmen«. Oder mit der Mitteilung, Geheimdienstkoordinator Dennis Blair habe dazu gehorsam erklärt, daß die Dienste »die Botschaft verstanden haben und sie versprechen, noch mehr Fortschritte zu machen, um uns den neuen Herausforderungen zu stellen«.

Personelle Konsequenzen für das »Versagen« ihrer Behörden brauchen die Geheimdienstchefs nicht zu fürchten. Nicht einmal zwischen den Zeilen hat Obama derlei Strafmaßnahmen angedeutet. Auch dabei folgt er seinem Vorgänger George W. Bush. Der hatte CIA-Chef George Tenet mit der höchsten amerikanischen Ehrung ausgezeichnet. Offensichtlich, weil sein Dienst und auch er persönlich gleich zwei Mal entscheidend versagt hatten: Trotz aller Hinweise und Warnungen und sogar eigener Planspiele zu Terroranschlägen mit Flugzeugen auf Hochhäuser traf der 11. September 2001 die USA angeblich vollkommen unvorbereitet. Auch bei der Suche nach den irakischen Massenvernichtungswaffen hatte sich die CIA total blamiert und angeblich jede Menge der nicht vorhandenen Waffen gefunden. Dennoch wurde Tenet hoch dekoriert, denn im ersten Fall lieferte er durch Wegsehen die Legitimation für den globalen »Krieg gegen den Terror« und im zweiten die für die Irak-Invasion. Daher haben auch die derzeitigen US-Geheimdienstoberen wegen ihres »Versagens« von Obama nichts zu befürchten.

** Aus: junge Welt, 7. Januar 2010


Desaströs

Von Olaf Standke ***

Der Präsident zeigte sich sichtbar verärgert, seine Strafpredigt für die US-amerikanischen Geheimdienste klang markig, doch Köpfe rollten trotz einer »höchst desaströsen« Pannenserie der Schlapphüte nicht. Und wie die angekündigte nächste Reform der viel kritisierten Dienste aussehen soll, bleibt auch nach dem Washingtoner Sicherheitsgipfel nebulös. So wie das weitere Vorgehen gegen die neueste Terroristen-Hochburg Jemen. Allerdings lässt eine Worthülse aus Bushs Zeiten nichts Gutes ahnen. Vom »Krieg gegen den Terror« sprachen jetzt auch die Nachfolger. Nicht zuletzt der wachsende Druck der Republikaner zeigt da wohl Wirkung.

Ein Symbol dieser verheerenden Strategie ist Guantanamo. Zum Jahrestag seiner Amtseinführung wollte Barack Obama das berüchtigte Lager zu den Akten gelegt haben, so eines der wichtigsten Wahlkampfversprechen. Der Beschluss, keine Häftlinge aus Jemen mehr in ihre Heimat zu überstellen, dürfte nun die ohnehin schon verschobene Schließung zusätzlich erschweren. Ihnen wie anderen droht im juristischen Niemandsland weiter die Gefangenschaft ohne rechtsstaatlichen Prozess. Und es bleibt verboten, strafrechtlich nicht zu belangende Guantanamo-Gefangene in die USA freizulassen. Das alles findet wie die jetzt verfügten diskriminierenden Kontrollverschärfungen nach nationaler Herkunft harsche Kritik bei Bürgerrechtlern. Ein Rückfall in die Bush-Ära könnte auch für Obama desaströse Folgen haben.

*** Aus: Neues Deutschland, 7. Januar 2010 (Kommentar)


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