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Politischer Druck durch Druckerpatronen

Bombenfunde in Frachtflugzeugen – Politiker geben Rätsel auf, die Ermittler nicht lösen können / Viele Worte um Altbekanntes – doch nicht nur Al Qaida nutzen die Debatten um die neuerlichen Terrorattacken

Von René Heilig *

Ein bekanntes Puzzle-Szenario: Der wichtigste Mann der Welt – seit einiger Zeit heißt er Barack Obama – stellte sich hin und erklärt der Welt, es sei in letzter Minute gelungen, einen neuerlichen verheerenden Terroranschlag von Islamisten abzuwehren. Die Folge: Europäische Verbündete und deren Sicherheitsbehörden müssen fehlende Puzzle-Teile schnitzen.

Gewarnt wurden die USA von Muhammad Bin Nayef. Der saudische Prinz ist in seinem Geheimdienst verantwortlich. Er »kann gut« mit Obamas Sicherheitsberater John Brennan. Brennan hatte einst die CIA-Niederlassung im saudi-arabischen Einflussgebiet geleitet. Der Prinz übermittelte die Nummern von zwei (?) explosiven Pakete und informierte Brennan wohl auch darüber, dass der Sprengstoff als Toner für Patronen von HP-Laserdruckern getarnt ist. Ob er auch den Namen von Jabr al-Faifi erwähnte? Immerhin, die vermutliche Quelle der Warnungen ist den USA ohnehin bekannt.

Briten waren zu langsam

Doch kaum hatte der US-Präsident am 29. Oktober die Haus-Presse über die neue »glaubwürdigen terroristische Bedrohung« informiert und erklärt, dass man in Dubai und Großbritannien »offensichtlich« Luftfracht-Bomben entdeckt habe, ging es los mit den Problemen in Europa. Die Briten, die eine avisierte UPS-Maschine auf dem East-Midlands-Airport bei Nottingham durchsucht hatten, fanden keine Explosivstoffe an Bord. Seltsam! Dabei war das deutsche Bundeskriminalamt (BKA) doch so sicher, dass das sprengstoffgefüllte Paket an Bord dieser Maschine sein muss. Schließlich sei das Paket ja in Köln/Bonn umgeladen worden.

Wieso hat man es nicht selbst gesichert? Weil die Nachricht über die gefährliche Fracht das BKA erst erreichte, als die Maschine schon in der Luft war, hört man. Die Zeitfrage ist so interessant wie unbeantwortet. Wollte da jemand, dass die Gefahr grenzüberschreitend publik wurde? Misstraute der Tippgeber dem deutschen Innenminister, weil Thomas de Maizière und die Chefs von Bundesnachrichtendienst wie BKA gerade in den vergangenen Wochen immer wieder vor unnötigem und damit kontraproduktivem Alarmismus gewarnt hatten?

Kurzum, es dauerte ein wenig, dann hatten auch die Briten begriffen, dass Sprengstoff an Bord sein musste. Schließlich hatten die USA auf Basis der saudischen Hinweise ja auch schon den Absender der Lieferung ausgemacht: Al Qaida in Jemen. Wie einst in Afghanistan entsteht da eine Gefahr, die – so lässt man durchblicken – strenge westliche Reaktionen erfordern.

Weniger geredet wird über den Adressanten der gefährlichen Druckerpatronen. Es soll sich um eine jüdische Einrichtung in Chicago handeln. Dort habe man vermehrt Interesse an den eigenen Internetseiten bemerkt. Die »Klicks« seien aus Ägypten gekommen, wurde kolportiert. Mitte September hätten US-Dienste drei verdächtige, doch vom Inhalt harmlose Pakete »am Zielort Chicago« abgefangen.

Kolportiert und vermutet wird vieles. Auf dieser schwachen Basis entwickeln auch deutsche Politiker abenteuerliche Vorschläge. Zum Beispiel beim Thema Kontrolle der Luftfracht. Die Union will der Bundespolizei mehr Verantwortung überhelfen. Obwohl die dafür gar nicht gerüstet ist.

Dabei ist doch schon seit Jahren klar, dass die globale Frachtbeförderung ungleich weniger kontrolliert wird als die Passagiere. Nur zehn Prozent der Luftfracht werden in Deutschland bisher untersucht. Auch die Fracht, die durch normale Passagiermaschinen befördert wird – rund 22 Prozent –, ist fast unkontrolliert. Die Luftfahrtorganisation IATA hat die fehlenden internationalen Regeln schon häufiger beklagt, denn die Regierungen interpretieren die 1974er Konvention zur Flugsicherheit unterschiedlich. Das erschwere den Gesellschaften das tägliche Geschäft und treibe die Kosten. Die Airlines wollen so viel wie möglich aus dem Frachtgeschäft herausholen und fürchten bei langen Kontrollen den Verlust der einträglichen Just-in-time-Schnelligkeit.

Lücken bei der Luftfracht

Insgesamt wurden im vergangenen Jahr laut Statistischem Bundesamt in Deutschland 3 243 083 Tonnen Luftfracht bewegt. Für dieses Jahr rechnet man mit einem Zuwachs von rund 25 Prozent. Dass die Gefahren damit gleichfalls steigen, dürfte logisch sein. Lufthansa Cargo, das größte deutsche Luftfrachtunternehmen, hat sich daher bereits 2006 mit einem Positionspapier abgesichert: »Das Wissen, dass reine Frachter weniger gesichert sind, würde das Risiko erhöhen, dass sie für terroristische Zwecke genutzt würden.«

Gut fünf Jahre nach dem Angriff vom 11. 9. 2001 wehrte die Bundesregierung gemeinsam mit der EU Forderungen der USA ab. Washington hatte verlangt, dass die gesamte Seefracht mit Ziel USA sowie alle mit Passagierflugzeugen beförderte Luftfracht in Europa zu durchleuchten ist. Die Antwort der Großen Koalition auf eine entsprechende Parlamentsanfrage lautete 2007: »Die Bundesregierung sieht in den zu erwartenden Auswirkungen des 9/11-Gesetzes eine unverhältnismäßige Belastung der exportierenden Wirtschaft ohne adäquaten Sicherheitsgewinn.« Das ist – wie man beim nun angeblich beförderten PETN-Sprengstoff sieht, der kaum erkennbar ist – nicht falsch. Doch war das Argument nicht das maßgebende.

Die EU hat ihrerseits in der Verordnung 2320 festgeschrieben: »Ladung, die auf reinen Frachtflügen befördert wird, muss nicht kontrolliert werden, wenn der Versender bekannt ist.« Entsprechend der Verordnung müssten rund 25 000 Unternehmen in Deutschland bis Anfang 2013 entsprechende Sicherheitsprogramme vorlegen, die durch lückenlose Kontrollen einen sicheren Transport von Fracht garantieren.

Mal abgesehen vom Zukunftscharakter der Maßnahme – es ist fraglich, ob so ein Zertifikat für »bekannte Versender« etwas bewirkt. Ausgestellt wird es beim Luftfahrtbundesamt. Die Behörde soll auch kontrollieren, dass alle Mitarbeiter, die mit der zu verschickenden Ware in Kontakt kommen, sicherheitsüberprüft sind und alle Sicherheitsbestimmungen eingehalten werden. Wenn man einen Vergleich bemühen möchte, dann wohl am ehesten den zum neuen Waffenrecht. Überforderte Mitarbeiter von Ordnungsämtern sollen die Einhaltung kontrollieren und so Amokläufe verhindern.

Um nicht den Eindruck aufkommen zu lassen, dass außer Al Qaida niemand vom neuen Terror-Alarm profitieren würde – die Bundesregierung wird schon Nutzen daraus ziehen können. In Deutschland laufen Ende kommenden Jahres die 2001 beschlossenen und 2006 verlängerten Terror-Gesetze aus. Als man sie vor rund fünf Jahren schon einmal auf ihre Tauglichkeit untersuchte, konnte man auf die beiden erwischten Kofferbomber verweisen. Das ist kein Grund für Verschwörungstheorien. Wohl aber interessant.

Gesetze müssen zum TÜV

Bald müssen das sogenannte Terrorismusbekämpfungsgesetz, das Gemeinsame-Daten-Gesetz und etwas später auch das BKA-Gesetz zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus zum fachlich-politischen TÜV. So steht es im Gesetz. Im schwarz-gelben Koalitionsvertrag findet man, dass das Gesetz zur Verfolgung der Vorbereitung von schweren staatsgefährdenden Gewalttaten zur Mitte der Legislaturperiode untersucht werden muss. Die Evaluierungen geschehen im Geheimen. Die Öffentlichkeit erfährt nicht einmal, wer sich an der (im Bundesanzeiger von 27. Juli 2010, Seite 2579 veröffentlichten) Ausschreibung zu diesen externen Evaluierungen beteiligt.

* Aus: Neues Deutschland, 3. November 2010

Hintergrund: Insidertip vom Doppelagenten?

Woher kam der Hinweis auf die Ende vergangener Woche in Dubai und England gefundenen angeblichen Luftfracht-Paketbomben? Die AP-Korrespondenten Hamza Hendawi und Ahmed Al-Haj berichteten am Dienstag aus Sanaa: Jemenitischen Geheimdienstkreisen zufolge sei der Tip von einem »Al-Qaida-Insider« gekommen, der sich den saudi-arabischen Behörden gestellt hatte und heimlich aus dem Jemen herausgebracht worden war. Bei dem »Insider« soll es sich Dschabir Al-Fajfi, einen Saudi Mitte 30, handeln, bekannt unter dem Decknamen Abu Dschaafar Al-Ansari. Er hatte jahrelang im US-Militärsondergefängnis Guantánamo gesessen und war 2007 in seine Heimat, Washingtons Verbündeten Saudi-Arabien, entlassen worden. Dort nahm er an dem »Wiedereingliederungsprogramm für militante Islamisten« (AP) teil. »Wenig später setzte er sich ab und schloß sich Al-Qaida auf der arabischen Halbinsel (AQAP) im Jemen an. Ende September stellte er sich«, so die von Associated Press kolportierte offizielle Legende. Und: »Jemenitische Sicherheitsexperten glauben, daß Al-Fajfi ein von Saudi-Arabien in das Terrornetz eingeschleuster Doppelagent gewesen sein könnte. Nach seiner Heimkehr habe er den Behörden gesteckt, daß Al-Qaida Paketbomben zu verschicken plane.« Vielleicht hat Al-Fajfi die Kampfgefährten im Jemen aber auch erst auf den Paketdienst-Plot gebracht? Es wäre nicht der erste von Geheimdiensten inszenierte vermeintliche Terrorcoup.

AP berichtet über mögliche weitere Agenten aus dem US-Partnerland auf der arabischen Halbinsel: »Al Fajfi mag in groben Zügen über die neuen Anschlagspläne berichtet haben, doch hatte Saudi-Arabien anscheinend noch weitere Quellen. Nach US-Angaben war der Tip so detailliert, daß er sogar die Frachtnummern der Pakete enthielt. Diese Nummern dürfte Al-Fajfi gar nicht gekannt haben, weil er sich schon lange gestellt hatte, bevor die Pakete aufgegeben wurden.« (rg)

Aus: junge Welt, 3. November 2010



Bombenalarm im Kanzleramt

Verdächtiges Paket enthielt Sprengstoff

Berlin (dpa/ND) - Im Bundeskanzleramt ist ein an Kanzlerin Angela Merkel (CDU) adressiertes Paket mit einem Sprengsatz gefunden worden. Das Bundespresseamt teilte am Dienstag (2. Nov.) in Berlin mit, dass ein verdächtiges Päckchen gefunden worden sei. Sicherheitskreise bestätigten, dass in dem Paket tatsächlich Sprengstoff gefunden wurde. Es handle sich um eine bisher unbekannte Spreng- und Brandvorrichtung, die auch zur Explosion gekommen wäre, berichtete die "Berliner Morgenpost". Der Berliner "Tagesspiegel" schrieb von Schwarzpulver.

Das Päckchen traf nach Informationen der Nachrichtenagentur dpa gegen 13.00 Uhr im Kanzleramt ein. Als Absender war das griechische Wirtschaftsministerium angegeben. Seit Tagen halten vermutlich griechische Autonome mit einer Serie von Briefbomben Athen in Atem, unter den Empfängern soll laut Medien auch die deutsche Botschaft gewesen sein.

Die Poststelle im Kanzleramt wurde vom Bundeskriminalamt geschlossen. Merkel war zu dem Zeitpunkt in Belgien. Bei der üblichen Kontrolle der Post sei das Päckchen aufgefallen, teilte Regierungssprecher Steffen Seibert mit. Weil der Verdacht auf Sprengstoff bestanden habe, wurden Experten hinzugezogen. Verletzt wurde niemand.

ND, 3. November 2010

Das weiße Pulver aus der Al-Qaida-Küche

Man nehme: 20 Milliliter rauchende HNO3 (hochkonzentriert, mindestens 93 Prozent). Das gebe man in ein Becherglas, welches man in eine Schüssel stellt, die mit Eiswürfeln gefüllt ist. Es wird solange gerührt, bis die Temperatur unter 10°C gefallen ist. Dann braucht man fünf Gramm feines ...

Das Rezept für Nitropenta, das im medizinischen Bereich ähnlich wie Glycerintrinitrat als gefäßerweiterndes Medikament bei Angina Pectoralis eingesetzt werden kann, ist im Internet nachzulesen. Doch warum sollte man sich das Zeug so aufwendig selbst zusammenrühren?

Die Antwort ist simpel. Nitropenta oder Pentrit wird auch PETN genannt. Und das ist ein leistungsstarker, hochbrisanter und zugleich relativ unempfindlicher Sprengstoff, der chemisch sehr stabil ist. Das weiße Pulver, das man in den präparierten Toner-Patronen von HP-Laserdruckern des Typs P2055 gefunden haben will, soll PETN sein. Das Zeug, so wird kolportiert, sei ein spezielles Produkt aus den Al-Qaida-Küchen. Gleichsam ein Marker für den Urheber solcher Anschläge. Doch das ist Unsinn.

PETN wurde bereits um 1900 in Deutschland entwickelt. Die farblosen Kristalle gehören zur selben chemischen Familie wie Nitroglyzerin. Mit Ölen oder Wachs gemischt, entsteht Plastiksprengstoff. Der bekannteste und seit vielen Jahren in der Industrie, bei Streitkräften und von Terrorgruppen genutzte wird C4 genannt.

Wird der Explosivstoff industriell eingesetzt, muss er laut Montreal-Abkommen mit Markierungsstoffen versetzt werden, die das Auffinden durch Hunde und Sprengstoffdetektoren ermöglichen. Genau das wollen Terroristen natürlich vermeiden. Also müssen sie Sprengstoff selbst brauen. Chefkoch bei Al Qaida soll der 28-jährige Ibrahim Hassan al-Asiri sein, der in seiner Heimat Saudi-Arabien auf der Fahndungsliste steht und in Jemen auch jene »Unterhosen« gefüllt haben soll, die der angeblich in Jemen trainierte Nigerianer Umar Farouk Abdulmuttalab vergangenes Weihnachten vergeblich auf einem Flug von Amsterdam nach Detroit zu zünden versuchte.

Attentäter setzen darauf, dass man entsprechend verarbeiteten PETN auch nicht durch Röntgen von anderen Stoffen unterscheiden kann. Nur eine Untersuchung mit ionisierender Strahlung würde zur Entdeckung führen. Doch diese Methode ist per Gesetz für medizinische Behandlungen reserviert.

Umso mehr müsste man bei der Suche nach als Luftfracht deklarierten Sprengkörpern auf Zünder achten. Es gibt verschiedenste Arten – beginnend bei traditionellen Zündkapseln bis hin zum Einsatz von Funk-Empfängern.

Doch wie soll man in all der Luftfracht so ein kleines Teil finden? Köln/Bonn, wo eines der beiden gefundenen Pakete weitergeleitet wurde, ist Deutschlands zweitgrößter Umschlagplatz und rangiert in Europa auf Rang sechs. Gerade hat die Frachtfirma FedEx ihr Verteilerzentrum vom Frankfurter Airport nach Köln-Wahn verlegt. Die dortige automatische Verteilanlage kann 18 000 Pakete pro Stunde auf Tour schicken. Auch der Frachtdienst UPS hat in der Wahner Heide sein Europa-Drehkreuz. Die Umschlagmenge in Köln verdoppelte sich von 2000 bis zur Krise 2008 fast – von 423 000 auf 704 000 Tonnen.

Das in Dubai gefundene Paket war von FedEx, das in Großbritannien entdeckte von UPS transportiert worden. R.H.

Aus: Neues Deutschland, 3. November 2010




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