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Griechenland auf Bombensuche

Fahndung nach Mitgliedern der "Verschwörung der Feuerzellen"

Von Anke Stefan, Athen *

Griechenland hat seinen Luftfrachtverkehr ins Ausland für 48 Stunden eingestellt, um alle in Arbeit befindliche Fracht zu prüfen. Auch Italiens Premier war mit einem Päckchen bedacht worden, das Schwarzpulver enthielt, aber schon am Flughafen von Bologna unschädlich gemacht wurde.

»Internationaler Alarm wegen Briefbomben«, titelte die linksliberale griechische Tageszeitung »Eleftherotypia« (Pressefreiheit) am Mittwoch. Etwa ein Dutzend Päckchenbomben an die Athener Botschaften verschiedener Staaten sowie an Bundeskanzlerin Angela Merkel, den französischen Präsidenten Nikolas Sarkozy und den italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi waren von Montagmittag bis Dienstagnacht entdeckt und unschädlich gemacht worden. Die Behörden vermuten die griechische Organisation »Verschwörung der Feuerzellen« hinter der Anschlagserie. Zwei junge Männer im Alter von 22 und 24 Jahren waren am Montag mit zwei Briefbomben im Gepäck festgenommen worden, nach einem war bereits seit längerem wegen mutmaßlicher Mitgliedschaft in den »Feuerzellen« gefahndet worden. Zahlreiche Zeitungen veröffentlichten am Mittwoch auf ihren Titelseiten die Fotos fünf weiterer junger Männer, die von der Polizei unter dem Verdacht auf Mitgliedschaft in den »Feuerzellen« zur Fahndung ausgeschrieben wurden.

Um eventuell weiteren bereits verschickten Päckchenbomben auf die Spur zu kommen, hatte die griechische Polizei am Montag alle Botschaften in der Landeshauptstadt gewarnt. Auf ihr Anraten wurde am Dienstagabend der Luftfrachtverkehr für 48 Stunden eingestellt, um die in Arbeit befindliche Fracht auf weitere Päckchenbomben zu untersuchen.

Die Auswahl der Ziele ist denkbar konfus. Was sich die Täter mit der Anschlagserie gedacht haben, wird wohl erst dem noch ausstehenden Bekennerschreiben zu entnehmen sein. Der geringe Wirkungsgrad der Schwarzpulver-Bomben legt die Vermutung nahe, dass es sich um symbolische Anschläge handelt, bei denen niemand ernsthaft verletzt oder gar getötet werden sollte.

Im In- und Ausland wurden die Anschläge durchgängig verurteilt. »Durch solche erbärmlichen Taten lassen sich weder Parlamentarier noch Parlament einschüchtern«; hatte der griechische Parlamentspräsident Filippos Pestalnikos bereits unmittelbar nach Entdeckung der ersten Briefbomben erklärt. »Niemand kann unsere Demokratie und diejenigen, die sie repräsentieren, terrorisieren«, lautete der Kommentar des griechischen Ministerpäsidenten. Wer immer versuche, »den gesellschaftlichen Frieden zu stören und dem Bild des Landes im Ausland zu schaden«, würde »erbarmungslos« verfolgt, erklärte Giorgos Papandreou.

Nach Ansicht der Kommunistischen Partei Griechenlands (KKE) »wirft die in den letzten Tagen vor den Kommunalwahlen inszenierte Terrorszenerie viele Fragen auf«. Die KKE rief dazu auf, den Veröffentlichungen der Medien misstrauisch zu begegnen und »die Ereignisse anhand der Frage, wem die provokatorischen Aktionen und das von ihnen geschaffene Klima der Terrorhysterie nützen, zu beurteilen«. Einen Zusammenhang mit den am Sonntag stattfindenden Kommunalwahlen sieht auch die Linkspartei Synaspismos. »Die Bombenserie versucht ein Klima der Desorientierung und der Einschüchterung wenige Tage vor den Wahlen zu schaffen«, hieß es in ihrer Presseerklärung.

Deutsche Antiterrorspezialisten wurden mit der Einschätzung zitiert, bei den Anschlägen handele es sich um die Versuche von Amateuren. Jemand habe schlicht und einfach versucht, ein Signal zu setzen. Es kursierten am Mittwoch Berichte, eine kurzfristig anberaumte Sitzung des Kabinetts im Bundeskanzleramt solle der Beratung über Möglichkeiten für eine bessere internationale Abstimmung bei der Luftfrachtkontrolle dienen.

Der französische Präsident wollte zunächst gar keine Stellungnahme zu der an ihn gerichteten Briefbombe abgeben. Auf einer gemeinsam mit dem britischen Premierminister David Cameron in London veranstalteten Pressekonferenz beschränkte er sich auf die Aussage, die griechischen und französischen Behörden würden hervorragend zusammenarbeiten. Regierungssprecher Luc Chatel erklärte, man solle »derartigen böswilligen Aktionen marginaler Gruppen keine große Bedeutung beimessen«. »Die Untersuchungen laufen und die ersten Indizien deuten darauf hin, dass es sich um eine Aktion von Anarchisten und nicht um ein Terrornetzwerk handelt«, erklärte er am Dienstag im französischen Fernsehen.

* Aus: Neues Deutschland, 4. November 2010


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