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Tödlicher Cocktail

Was Terroristen wollen - Louise Richardson weiß es

Von Mona Grosche *

Gott sei dank, es hätte genauso gut auch mich erwischen können.« So umschreibt die Harvard-Professorin Louise Richardson ihre Gefühle zum Terrorismus, schließlich trennte die Politologin nur ein schmaler Grat von dem Schritt, IRA-Kämpferin zu werden. Geprägt von ihrer irischen Herkunft entwickelte Louise Richardson einen ganz eigenen Zugang zur Terrorismusforschung, der sie von ihren Kollegen auf das Positivste unterscheidet. (Insbesondere von denen, die erst nach dem 11. September zu vermeintlichen Experten zum Thema mutierten). Richardson betrachtet Terrorismus nicht vom akademischen Elfenbeinturm aus. Sie kennt den Nährboden persönlich, war sie doch von klein auf mit dem Schema Unterdrückte -- Unterdrücker vertraut und lauschte den Erzählungen über »unsere Freiheitskämpfer«, so dem Onkel, der ein armes irisches Mädel aus den Fängen britischer Soldaten befreite.

Kein Wunder, dass ihr Weg sie als junge Idealistin auf die Treffen der IRA führte, wo sie jedoch bald eine starke Ablehnung gegen deren Gewalt entwickelte. Auf dem College lernte sie dann erstmals eine andere, britische, Version der Geschichte ihres Landes kennen, und beschloss, selbst nach der Wahrheit zu forschen. Prompt entdeckte sie nicht nur über den tapferen Onkel (der sich als Soldat der britischen Armee entpuppte) eine ganz andere, weitaus diffizilere Wirklichkeit. Was sie seitdem beschäftigt, ist die Frage nach dem »Warum« -- schließlich waren diejenigen, die damals den Griff zur Waffe vollzogen, genau solche Jugendlichen wie sie selbst. Lange vor dem 11. September hat sich Louise Richardson der Terrorismusforschung verschrieben. Ihr geht dabei vor allem darum, klarzustellen, »dass Terroristen Menschen sind, die genauso denken wie wir. Sie haben Ziele, die sie erreichen wollen und unter anderen Umständen würden sie -- wie vielleicht auch wir -- ein ganz anderes Leben führen.«

Was bei der Lektüre ihres Buches überzeugt, ist die gelungene Mischung aus Ergebnissen profunder theoretischer Auseinandersetzung, persönlicher Erfahrungen sowie aus zahlreichen Gesprächen mit Terroristen unterschiedlicher Couleur. Denn anders als die meisten ihrer Kollegen kennt Richardson Terroristen nicht nur aus Polizeiakten und Büchern -- sie spricht und diskutiert mit ihnen, um zu erfahren, was sie zu ihren Taten bewegt. So führte sie etwa mit Kollegen und »Aktivisten« einen Workshop durch, der mit dem Ergebnis überraschte, dass die Terroristen in Sachen Gewaltbereitschaft von den Akademikern weit überflügelt wurden. Ebenso Unerwartetes förderten ihre Seminare zutage, kam doch jeder ihrer Studenten zu dem Schluss, dass die Terrorgruppe, die er nach gründlicher Recherche den anderen vorstellte -- im Gegensatz zu allen anderen -- gar nicht terroristisch sei: Schließlich habe sie legitime Ziele und wende sich gegen Unterdrückung ...

Mit diesen Methoden bagatellisiert Richardson den Terrorismus nicht -- sie zeigt damit auf, wie schmal der Grat zwischen dem Kampf für ein berechtigtes Anliegen und dem Terror ist. Gerade in dieser Hinsicht ist es ein weiterer Verdienst ihres Buches, eine klare Definition des Begriffs zu wagen, der seit seiner ersten Verwendung als »Terreur « in der französischen Revolution ebenso diffus wie umstritten geblieben ist. Die Definition der Autorin ist ebenso simpel wie bestechend: »Terrorismus bedeutet einfach, für politische Zwecke planmäßig und gewaltsam gegen Zivilisten vorzugehen.« Damit, so Richardson, unterscheide sich dieser von allen anderen Formen der politischen Gewalt wie etwa der des Guerillakampfes. Während Guerilla dafür stehe, dass eine »irreguläre Armee ... gegen reguläre Truppen eines Staates kämpft«, setze der Terrorist Akte gegen die Zivilbevölkerung bewusst als Mittel zum Zweck ein.

Richardson schließt mit ihrem Buch nicht nur die bestehende Lücke einer umfassenden Aufarbeitung des Phänomens Terrorismus, sondern bietet auch konkrete Ansätze für eine Gegenstrategie. Wissenschaft und Politik können ihrer Ansicht nach aus den Erfahrungen lernen, indem sie die Muster ergründen, die den Terror hervorbringen. Denn bei aller Diversität der Ziele, sieht Richardson einen »tödlichen Cocktail mit drei Zutaten«, der allen Terroristen gemein ist: »Ein entfremdetes Individuum, eine gutheißende Gemeinschaft und eine legitimierende Ideologie.« Massive Repression trägt ihrer Ansicht nach nicht zum Ende des Terrors bei -- im Gegenteil: Umso größer die Gegengewalt, desto mehr neue Rekruten treten das Erbe der »Märtyrer« an. Dementsprechend kann sie dem »Krieg gegen den Terror« nicht Positives abgewinnen, sondern plädiert für strategisches Vorgehen statt blindem Aktionismus, der aus dem Bedürfnis nach schnellem Handeln entstehe.

Terrorismus ist kein neues Phänomen, sondern begleitet uns bereits seit den Zeloten im 1. Jahrtausend unserer Zeitrechung durch die Geschichte, mahnt sie. Deshalb müsse die richtige Reaktion darauf ebenso langfristig und komplex wie das Problem selbst sein. Sie stellt dazu »6 Regeln für den Kampf gegen den Terrorismus« auf. Einer der Hauptgrundsätze lautet: Nicht um des Kampfes willen die eigenen Prinzipien aufgeben. Oder, wie Benjamin Franklin bereits sagte: »Wer eine Grundfreiheit für eine vorübergehende Sicherheit aufgeben will, verdient weder Freiheit noch Sicherheit.«

Louise Richardson: Was Terroristen wollen. Campus, Frankfurt (Main) 2007. 382 S., geb., 22 EUR.

* Aus: Neues Deutschland, 17. Januar 2008


Louise Richardson
Louise Richardson, geb. 1958, ist Harvard-Professorin und eine weltweit anerkannte Expertin für Sicherheitspolitik. Die gebürtige Irin erlebte den Schrecken der IRA während ihres Studiums und machte es zu ihrer Lebensaufgabe, Terrorismus zu erforschen, um ihn eindämmen zu können. Richardson urteilt nicht über, sondern spricht mit Terroristen. Ihr Buch profitiert von einer einzigartigen Kombination aus akademischer Forschung und Insiderkontakten.





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