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Linke kritisiert Pläne für Anti-Terror-Einheit

Jelpke: Innenministerium muss Parlament tatsächlichen Handlungsbedarf darlegen / Auch Gewerkschaft dagegen / Politiker von CDU und SPD unterstützen Idee von de Maizière *

Berlin. Während Bundesinnenminister Thomas de Maizière für seinen Vorstoß zum Aufbau einer neuen Anti-Terror-Einheit bei der Bundespolizei weiter Rückendeckung von Union und SPD erhält, kommt Kritik aus der Opposition. Die Linkenpolitikerin Ulla Jelpke sagte, »der Plan, bis an die Zähne bewaffnete Einsatzhundertschaften einzuführen, ist eine Reaktion der Bundesregierung auf ein allgemeines Gefühl von Unsicherheit und Angst. Wie man eine solche Truppe dauerhaft beschäftigen will, bleibt unklar«.

Die Bundestagsabgeordnete verwies darauf, dass Bund und Länder »bereits über ein breites Netz an Sondereinheiten, Sondereinsatzkommandos und Mobilen Einsatzkommandos« verfügten. »Bevor eine weitere Einheit geschaffen wird, sollten erst einmal die bestehenden geprüft werden. Wo real Lücken in der Reaktionsfähigkeit der Polizei bestehen, ist bislang noch nicht dargelegt worden. Ich erwarte, dass das Bundesinnenministerium dem Parlament den tatsächlichen Handlungsbedarf und konkrete Planungen vorlegt. Das habe ich für die kommende Sitzung des Innenausschusses beantragt«, erklärte Jelpke.

Auch der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Oliver Malchow, sprach sich gegen den Aufbau einer neuen Anti-Terror-Einheit aus. Es gebe mit der GSG 9 und den Spezialeinsatzkommandos bereits Kräfte für besondere Einsätze, sagte er am Samstag im Deutschlandfunk. Stattdessen müsse es mehr Geld und eine bessere Ausstattung geben.

Der CDU-Politiker de Maizière hatte zuvor erklärt, es gebe »verschiedene« Überlegungen, dazu gehöre auch der Aufbau einer Anti-Terror-Einheit. Die Erwägungen seien aber noch nicht abgeschlossen. »Wenn man die jüngsten Anschlagsszenarien auf Deutschland übertragen würde, hätten auch wir gewisse Defizite«, sagte der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Stephan Mayer (CSU), der »Mitteldeutschen Zeitung«. Ähnlich äußerte sich der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag, Burkhard Lischka. Nach den Anschlägen in Paris und Kopenhagen könne niemand ausschließen, dass es auch in Deutschland einen solchen Terroranschlag gebe, sagte Lischka dem Blatt. Ein normaler Schutzpolizist könne sich mit seiner Ausrüstung nicht erfolgreich Extremisten in den Weg stellen. Überdies sei die bereits bestehende Spezialeinheit GSG9 nicht für Fahndung und Verfolgung da, sondern für den unmittelbaren Zugriff.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 21. März 2015


Bereit zum Bürgerkrieg

Gegen den »Terror« – aber gegen welchen? Innenministerium will kasernierte Einsatzkommandos aufstellen. Sicherer wird die BRD dadurch nicht

Von Sebastian Carlens **


Das passt beinahe zu gut, um Zufall sein zu können: Nur zwei Tage, nachdem in Frankfurt am Main während der Blockupy-Proteste gegen die Europäische Zentralbank eine Reihe von Polizeiautos in Flammen aufging, verkündet Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) am Freitag in Berlin, eine neue »Anti-Terror-Einheit« aufstellen zu wollen. Diese solle Teil der Bundespolizei werden und die Lücke zwischen Bereitschaftspolizei und der sogenannten Eliteeinheit GSG9 schließen, berichtete am Freitag das rbb-Inforadio unter Berufung auf Regierungskreise. Im Unterschied zur GSG9 solle die neue Einheit auch für normale Polizeidienste herangezogen werden.

Eine Sprecherin des Innenministeriums bestätigte am Freitag gegenüber der Nachrichtenagentur dpa, es gebe »verschiedene Überlegungen« zur Umstrukturierung der Sicherheitsbehörden. Die Idee einer neuen Anti-Terror-Einheit sei Teil dieser Überlegungen. Die Beratungen seien aber noch nicht abgeschlossen, betonte sie.

Spiegel Online berichtete, dass die neue Truppe, die intern angeblich »scherzhaft als ›GSG viereinhalb‹ bezeichnet« werde, schrittweise auf mehrere Hundertschaften ausgebaut werden soll. Die weitere Darstellung erinnert an kasernierte Einsatzkommandos: So soll die Einheit laut Spiegel Online-Bericht »neben Kurz- auch Langwaffen und gepanzerte Fahrzeuge« erhalten. Sie solle sich gezielt auf »terrorbedingte Ausnahmesituationen« vorbereiten. Ob auch Ereignisse wie die unter fragwürdigen Umständen eskalierte Gewalt in Frankfurt am Mittwoch zu diesen »Ausnahmesituationen« zählen, wird sich in der Praxis zeigen. Auch aus dem Ruder gelaufene polizeiliche Großeinsätze wie der gegen angebliche Islamisten in Bremen am 28. Februar, der vom SPD-Innensenator Ulrich Mäurer mit »Staatsgefährdung« begründet worden war, lassen Vermutungen über künftige Einsatzziele zu. Ergebnisse der Bremer Razzia gibt es übrigens bis heute nicht.

Linke und Grüne forderten das Ministerium auf, im Innenausschuss des Bundestages sachbezogene Konzepte darzulegen. »Der Plan, bis an die Zähne bewaffnete Einsatzhundertschaften einzuführen, ist eine Reaktion der Bundesregierung auf ein allgemeines Gefühl von Unsicherheit und Angst«, kommentierte die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Ulla Jelpke. »Bund und Länder verfügen bereits über ein breites Netz an Sondereinheiten, Sondereinsatzkommandos und Mobilen Einsatzkommandos. Wo real Lücken in der Reaktionsfähigkeit der Polizei bestehen, ist bislang noch nicht dargelegt worden.«

Die Grünen-Innenexpertin Irene Mihalic bemängelte die Pläne de Maizières gegenüber der Nachrichtenagentur AFP am Freitag als »neue Episode aus der Reihe symbolpolitischer Vorschläge des Innenministers«. Sie will mehr – das Innenministerium solle nun »belastbare Konzepte zu einer besseren Personalausstattung vor allem der Bundespolizei« liefern, forderte Mihalic.

Auch darüber hat sich der Minister schon Gedanken gemacht. De Maizière hatte bereits vor wenigen Tagen angekündigt, er wolle Personal und Ausrüstung bei den Sicherheitsbehörden im Bund verstärken. Bundespolizei, Bundeskriminalamt und das Bundesamt für Verfassungsschutz sollen demnach von 2016 bis 2019 insgesamt 750 neue Stellen und 328 Millionen Euro zusätzlich bekommen. Das Ministerium hat bislang keine Angaben dazu gemacht, wie das Geld und die Stellen auf die Behörden verteilt werden sollen. Doch eins ist klar: Dieses Land bleibt, nicht zuletzt aufgrund solcher Bürgerkriegsplanungen, unsicher.

** Aus: junge Welt, Samstag, 21. März 2015


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