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Die Krise kommen gesehen

Rudolf Hickel, der die Ökonomie aus dem Elfenbeinturm führte, wird heute 70

Von Hermannus Pfeiffer *

Jahrelang strahlte mich Rudolf Hickel an, wenn ich unser örtliches Kaufhaus betrat. »Wenn Qualität besteuert würde, wäre ›Frapin‹ unerschwinglich«, wies er mich milde lächelnd auf die Vorzüge des »Premier cru du cognac« hin, auf einem Werbeplakat. Vermutlich ist der linke Finanzwissenschaftler der einzige bundesdeutsche Ökonom, der populär genug wurde, um von der Werbebranche umworben zu werden.

Hickel wuchs im Schwarzwald-Kurort Bad Wildbad auf. Wie viele Generationen vorher trieb es ihn aus der Enge der Täler in die weite Welt hinaus. Als Stipendiat der Bischöflichen Studienstiftung Cusanuswerk studierte er Wirtschaftswissenschaften in Tübingen; als Diplom-Volkswirt wurde er in den rebellischen 60er Jahren Assistent in Konstanz und wechselte nach Abschluss seiner marxistisch inspirierten Doktorarbeit »Ein neuer Typ der Akkumulation« 1971 an die im Aufbau befindliche neue Universität Bremen. Dort machte er sich als Professor für Politische Ökonomie zusammen mit seinem kongenialen Kollegen Jörg Huffschmid an die Reform des wirtschaftswissenschaftlichen Studiengangs. Die »Nationalökonomie« sollte raus aus dem Elfenbeinturm, Forschung und Lehre sollten zu einer Einheit der Aufklärung verschmelzen, und linke Klassiker wie Karl Marx zogen in westdeutsche Hörsäle ein. Aus dem Elfenbeinturm zu entweichen, hieß auch, nach außen zu wirken, politische Ökonomie zum Thema in der Politik zu machen. Hickel gehörte 1975 zu den Mitbegründern der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik, die seither jährlich ein Gegengutachten zum Sachverständigenrat der »Fünf Weisen« herausgibt: das »Memorandum«.

Langweilige Wissenschaften? Bei Hickel nicht. Der Dynamiker reißt prallvolle Säle mit, weil er im besten Sinne ein bodenständiger Gelehrter ist, mit breit gestreuten Interessen: Er war als Gewerkschafter mehr als zehn Jahre lang Aufsichtsrat des Versicherers Allianz, er kontrolliert heute die Werft HDW in Kiel und die Bremer Wohnungsgesellschaft GEWOBA. Hickel schlichtete Tarifkonflikte, berät die Globalisierungskritiker von Attac und peppt lahme Talkshows auf. Dabei gehört er zu den »profiliertesten Kritikern« (Munzinger) der herrschenden neoliberalen Wirtschaftspolitik. Die unsägliche »Agenda 2010« von SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder kritisierte er, der selber als Bundeswirtschaftsminister im Gespräch war, nicht allein wegen der sozialen Schieflage, sondern ebenso wegen der volkswirtschaftlichen Sackgasse, in die sie führte: Die Exportorientierung kostete und kostet Nachfrage im eigenen Land und macht die deutsche Wirtschaft unnötig anfällig für Krisen.

Wie dicht der Opernfreund am Zeitgeschehen dran blieb, belegen seine, so ein Journalist halb scherzhaft, »schon fast prophetischen Aussagen«: Vor genau einem Jahrzehnt beklagte er in seiner ersten monatlichen nd-Wirtschaftskolumne den Geburtsfehler der neuen Währung Euro. Eine gemeinsame Währungspolitik verpuffe ohne gemeinsame Finanz- und Steuerpolitik: Binnenmarkt und Eurowährung müssten durch eine »EU-Wirtschaftsregierung« ergänzt werden, um ökologisch angemessenes Wirtschaftswachstum und maximale Beschäftigung zu erreichen. »Die Euro-Währung«, schrieb Hickel damals und die aktuelle Krise gibt ihm recht, »hat ihre Bewährungsprobe noch vor sich.«

Weiterhin ist Hickel aktiv als Forschungsleiter am Institut Arbeit und Wirtschaft der Uni Bremen. Im Februar erscheint sein neues Werk »Zerschlagt die Banken - Zivilisiert die Finanzmärkte«; und er arbeitet an einem Buch über Karl Marx.

Sein 2009 verstorbener Freund Huffschmid war ihm »Ansporn bei der Arbeit für soziale Gerechtigkeit in dieser Welt«, sagte mir Hickel einmal. Diesen Ansporn gab und gibt auch Rudolf Hickel vielen seiner Schüler und Kollegen. Heute feiert er seinen 70. Geburtstag. Ein guter Cognac dürfte dazu gehören. Er hat ihn sich redlich verdient.

* Aus: neues deutschland, 17. Januar 2012


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