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Streit um Trennschärfe

Zwischen Dimitroff und moralischem Werturteil: Linke debattieren, ob der Islamismus als faschistisch bezeichnet werden kann

Von Florian Osuch *

Ein Debattenbeitrag in der aktuellen Winterausgabe des Antifa Infoblatts befasst sich mit der Frage, ob Islamismus oder die Miliz »Islamischer Staat« (IS) als faschistisch bezeichnet werden können. Nach Auffassung des Autors Volker Weiß weisen Islamismus und Faschismus »historisch, ideologisch und strukturell deutliche Parallelen auf«. Beide Bewegungen seien zeitlich nah beieinanderliegend entstanden, zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Sowohl Faschismus als auch Islamismus stellen demnach einen krisenhaft gewordenen Radikalkonservatismus dar, der sich mit den Mitteln der Moderne gegen die Moderne stellt. Beide ähnelten sich in Politikstil, Massenagitation, Führerkult und Gewaltfetisch. Dem Islamismus sei der Dschihad, was dem Faschismus der permanente Ausnahmezustand sei. Auf den IS lasse sich »der Begriff Faschismus durchaus anwenden«.

Bisher waren es im deutschsprachigen Raum eher Autoren der neuen Rechten, etwa beim Politblog Pi-News (»Politically incorrect«) oder auch sogenannte Antideutsche, die Islamismus oder Organisationen wie Hamas, die libanesische Hisbollah oder die Muslimbruderschaft als faschistisch bezeichneten. Faschistoides Gedankengut liege bereits »in der Urgeschichte des Islam begründet«, schreibt der 1972 geborene Autor und Islamwissenschaftler Hamad Abdel-Samad, dessen Buch »Der islamische Faschismus« 2014 erschien.

Nach Auffassung von Murat Cakir, Autor türkischsprachiger linker Zeitungen und Mitarbeiter der Rosa-Luxemburg-Stiftung Hessen, ist dieser Sprachgebrauch »eine Erfindung von Neokonservativen«, die damit imperialistische Politik rechtfertigen wollten. Der IS, so Cakir im Gespräch mit dieser Zeitung, sei »eine private militärische Unternehmung, die auf Plünderung und Selbstbereicherung ausgerichtet ist«.

Seit Mitte letzten Jahres sind es aber auch zunehmend kurdische und türkische Linke, die Islamisten als faschistisch bezeichnen. Der kurdische Dachverband NAV-DEM war Mitorganisator einer Demonstration für die belagerte syrisch-kurdische Stadt Kobani am 11. Oktober 2014 in Düsseldorf. Motto: »Gemeinsam gegen den faschistischen Terror des Islamischen Staates«. Die türkische Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei (MLKP) berichtete kürzlich, Kämpfer ihrer Organisation hätten sich am Widerstand gegen die »Besetzung der faschistischen Banden des ›Islamischen Staates‹« beteiligt. In der aktuellen Ausgabe des Kurdistan Reports schrieb Ferda Cetin, der IS repräsentiere die »mittelöstliche Variante des Faschismus«. Das Erstarken der Miliz zeige »deutliche Parallelen zum Faschismus in Italien zwischen 1922 und 1943, in Spanien zwischen 1936 und 1939 sowie in Deutschland zwischen 1933 und 1945«.

Die Meinungen unter Linken gehen auch deshalb auseinander, weil ein Teil von ihnen den Faschismusbegriff überwiegend ethisch und moralisch verwendet, um schwerste systematische Menschenrechtsverletzungen im Namen einer reaktionären Ideologie zu verurteilen, wie sie der IS zweifellos praktiziert. Letzteres wollen andere Linke aber nicht zwangsläufig verharmlosen, wenn sie sich an Georgi Dimitroffs Analyse von Faschismus als »offene, terroristische Diktatur der reaktionärsten, chauvinistischsten, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals« orientieren.

Volkhard Mosler nennt im aktuellen Heft von Marx21 den »Aufbau eines auf einer mittelalterlichen Auslegung des Korans basierenden Gottesstaates« als erklärtes Kriegsziel des IS. Das sei zwar reaktionär, habe aber »mit Faschismus nichts zu tun«. Die historische Mission des Faschismus bestehe darin, »die Arbeiterbewegung vollständig zu zerschlagen, um so die durch Weltkrieg, Revolution und Weltwirtschaftskrise gefährdeten Akkumulationsbedingungen für das Kapital wiederherzustellen«. Der IS sei ein Machtbündnis verschiedener unabhängiger Zentren, die durch eine fundamentalistische Religionsideologie zusammengehalten würden. Er müsse keine mächtige proletarische Bewegung niederschlagen, um sein Ziel zu erreichen, ihm genügten militärische Erfolge. Die Charakterisierung des Islamismus als faschistisch sei für Linke gefährlich, weil sie eine Brücke zur Annäherung an den westlichen Imperialismus als »kleineres Übel« darstellen könne.

Rahel Jansen, Sprecherin der Antifaschistischen Linken International, sagte im Gespräch mit junge Welt, durch das Überstülpen eines derart mit der europäischen Geschichte verknüpften Begriffs würden »sowohl die heutigen Verbrechen des IS als auch der historische Faschismus entkontextualisiert und entpolitisiert«. Dies würde die Faschismusanalyse der Göttinger Gruppe »aushöhlen und unseren bisherigen Antifaschismus unglaubwürdig machen«, so Jansen.

»So autoritär, gewaltorientiert und antisemitisch sich der IS auch darstellt, ist er doch weder ideologisch noch funktional faschistisch«, sagt Thomas Willms, Bundesgeschäftsführer der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten (VVN-BdA). Für Mischa Aschmoneit, Sprecher der Interventionistischen Linken Düsseldorf, sind der »IS und Organisationen wie al-Qaida oder auch die christliche Lord’s Resistance Army ideologisch reaktionär und hemmungslos gewalttätig«, der Begriff Faschismus aber unzutreffend. Nils Bornstedt, Sprecher der Antifaschistischen Linken Freiburg, sagte gegenüber jW, der antifaschistischen Bewegung sei nicht damit gedient, »die analytische Trennschärfe von Begriffen schwammig werden zu lassen«. Mit Blick auf den Faschismus könne »nach wie vor viel über das Wesen des Kapitalismus und der bürgerlichen Gesellschaft« gelernt werden.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 18. Februar 2015


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