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Begehrter Platz an der UNO-Sonne

Das Ringen um die überfällige Reform des Weltsicherheitsrates geht in eine neue Runde

Von Olaf Standke *

Auch beim Besuch des französischen Präsidenten in London stand die Reform des Weltsicherheitsrates jetzt auf der Tagesordnung. Im Machtgerangel um die ständigen Sitze werden die Karten gerade neu gemischt.

»Hand in Hand« arbeiteten London und Paris bei der Reform der Vereinten Nationen, ließ Premierminister Gordon Brown beim gestern beendeten Besuch des französischen Präsidenten Nikolas Sarkozy auf der Insel wissen. Der fordert unter anderem eine Erweiterung des UN-Sicherheitsrates um Mitglieder aus Afrika und Südamerika. Britische Diplomaten werkelten auch im Hintergrund, als jetzt Berlin einen neuen Vorstoß zur Reform des wichtigsten Entscheidungsgremiums der Vereinten Nationen unternahm. Dieses Mal deutlich demütiger als bei früheren Versuchen und mit einer neuen Gruppe von Staaten (Niederlande, Rumänien, Malaysia), für die Zypern am UN-Sitz in New York ein als Interimslösung gedachtes »Optionen-Papier« vorgelegt hat. Seine Kernpunkte: Vergrößerung des Sicherheitsrates von 15 auf 22 Mitglieder, wobei zwei der neuen Mandate an Afrika, zwei an Asien, eines an Lateinamerika sowie zwei an Europa gehen sollen. Ziel sei es, den Weltsicherheitsrat repräsentativer zu machen, ohne seine Handlungsfähigkeit einzuschränken, heißt es in dem Text.

Das hiesige Kalkül richtet sich dabei aber vor allem auf einen der zusätzlichen europäischen Sitze - schließlich zahle man pünktlich seine hohen UN-Beiträge, beteilige sich zuverlässig an Friedenseinsätzen und habe einen guten internationale Ruf als Vermittler, heißt es in Berlin. Trotzdem arbeite wohl die Zeit beim Wettlauf um den Platz an der politischen Sonne gegen Deutschland, so die Analyse. Denn es gebe eine wachsende Neigung bei den Vereinten Nationen, den Rat nur mit bevölkerungsreichen Ländern des Südens wie Indien oder Brasilien zu vergrößern. Europa dagegen gilt mit seinen zwei Veto-Sitzen ohnehin als überrepräsentiert.

Noch immer spiegelt der Sicherheitsrat die Machtverhältnisse unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg wider. Nach Inkrafttreten der Charta der Vereinten Nationen im Jahr 1945 hatte er zunächst elf Mitglieder. Nach der ersten Phase der Dekolonialisierung, in der zahlreiche neue Staaten entstanden, wurde das Gremium 1963/65 das bisher einzige Mal um vier neue nichtständige Sitze erweitert und umfasst seitdem 15 Plätze. Die fünf permanenten Mitglieder USA, Großbritannien, Frankreich, Russland und China besitzen dabei ein Vetorecht und können so alle Resolutionsentwürfe zu Fall bringen.

Der deutsche UN-Botschafter Thomas Matussek hofft trotzdem auf einen »festen Sitz für zehn oder zwölf Jahre«. Ein Vetorecht ist in dem neuen Vorschlag nicht ausdrücklich vorgesehen - bisher hatte man dieses Machtprivileg zwar angestrebt, war aber immer gescheitert. Mit dem Kompromissmodell versucht die Bundesregierung nun die Weichen für die im Herbst geplanten neuen Verhandlungen zur überfälligen Reform der Vereinten Nationen zu stellen. Matussek will bis »zum Abschluss dieser Sitzungsperiode der Vollversammlung einen Text« haben, »über den dann abgestimmt werden kann«. Der Entwurf wurde inzwischen an den Präsidenten der Generalversammlung weitergeleitet. Der Mazedonier Srgjan Kerim hat das Thema zu einer Priorität seiner einjährigen Amtszeit erklärt, sieht aber auch die Grenzen: »Den Sicherheitsrat einfach um drei oder vier Länder zu erweitern, perpetuiert nur das alte Modell.« Vielleicht werde ja ein Rat gebraucht, in dem die Regionen miteinander sprechen.

Die rund 50 UN-Botschafter, die das neue Papier auf informeller Ebene in New York schon diskutierten, sollen viel Unterstützung signalisiert haben. Allerdings ist aus diplomatischen Kreisen auch zu hören, dass etwa Italien die Initiative als einseitig kritisiert. Rom lehnt seit langem einen ständigen deutschen Sitz im Sicherheitsrat ab. Auch die USA und Russland hätten Vorbehalte. Aber das geht anderen Bewerbern um die begehrten Ratsplätze nicht anders. Pakistan zum Beispiel, mit Italien und Argentinien Initiator eines eigenen Reformvorschlags, hat vor allem etwas gegen indische Pläne für eine ständige Mitgliedschaft, Buenos Aires wiederum sind die Ambitionen des regionalen Konkurrenten Brasilien ein Dorn im Auge. Japan kann zwar im Unterschied zu Deutschland bei seinen Bemühungen um einen Sitz auf die explizite Unterstützung Washingtons bauen - weiß aber China gegen sich. Letztlich aber gehört ein vergrößerter Weltsicherheitsrat auch nicht zu den ersten Wünschen der Bush-Regierung, die die UNO ohnehin gern marginalisieren würde. Auch da hoffen viele auf frischen Wind im Herbst.

* Aus: Neues Deutschland, 28. März 2008

Zum Hintergrund


Die Bundesregierung meldete spätestens seit 2005, also auch schon unter der rot-grünen Regierung, ihren Anspruch auf einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat an. Zusammen mit einer Reihe anderer Staaten brachte sie sogar einen Resolutionsentwurf in der Generalversammlung ein (siehe: "Frage der ausgewogenen Vertretung ..."). Dieser Vorschlag scheiterte - u.a. auch am Widerstand Italiens, das mit anderen Staaten zusammen einen eigenen Vorschlag einbrachte (siehe: Resolution A59-L.68).

Doch die Bundesregierung ließ nicht locker. Zur Eröffnung der 62. Generalversammlung der Vereinten Nationen sprach sich Bundeskanzlerin Angela Merkel am 25. Septermber 2007 erneut für eine umfassende UN-Reform ausgesprochen. Der Sicherheitrat widerspiegele nicht mehr die Welt von heute. "Deutschland ist bereit, auch mit der Übernahme eines ständigen Sicherheitsratssitzes mehr Verantwortung zu übernehmen", sagte Merkel. (Hier geht es zur ganzen Rede.)

Und nun, 2008, also ein erneuter Vorstoß, über den der oben dokumentierte Artikel informiert. [Ein ihm zu Grunde liegendes Dokument (das im Artikel "Optionen-Papier" genannt wird) konnte weder auf der Website des Auswärtigen Amts noch der Vereinten Nationen gefunden werden.]

Im Folgenden dokumentieren wir stattdessen die wichtigsten Argumente, welche die Bundesregierung für einen Ständigen Sitz ins Feld führt.


O r i g i n a l t o n A u s w ä r t i g e s A m t

Reform des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen

Die Reform des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen bleibt ein Kernanliegen der Bundesregierung. Eine Reform der Vereinten Nationen ohne eine Anpassung des Rates an die geopolitischen Realitäten des 21. Jahrhundert bliebe unvollständig. Solange wesentliche Regionen und Beitragsleister zum System der Vereinten Nationen nicht adäquat vertreten sind, läuft der Sicherheitsrat Gefahr, an Legitimität und Autorität zu verlieren.

Auch für die Generalversammlung (GV) der Vereinten Nationen bleibt die Reform des Sicherheitsrates auf der Tagesordnung. Die Debatte der aktuellen, 62. GV zur Reform des Sicherheitsrats vom 12.-14. November unterstrich mit 87 Rednern erneut die weiterhin bestehende Dynamik der Reformfrage. Der Präsident der GV, Kerim, kündigte zum Abschluss der Debatte die baldige Einberufung der „Open-Ended Working Group“ (OEWG) an. Diese soll die Modalitäten für künftige zwischenstaatliche Verhandlungen diskutieren.

Die aktuellen Diskussionen sind Resultat der Verhandlungen der letzten Generalversammlung. Die Präsidentin der 61. Generalversammlung (GV) hatte in der ersten Jahreshälfte 2007 in Anbetracht einer sich verstärkenden Diskussion über sogenannte Zwischenlösungen oder Interimsmodelle (temporäre Erweiterung des SR bis zu einer endgültigen Reformentscheidung durch eine Überprüfungskonferenz) zwei Fazilitatorenberichte in Auftrag gegeben.

Beide Berichte identifizierten den neuen Ansatz als möglichen weiterführenden Beitrag zur Lösung der bisher inkonklusiven Debatte über eine Reform des Sicherheitsrats (GV-Dokument A61/47). In den beiden GV-Debatten über die Berichte sprach sich auch eine Mehrheit der Mitgliedstaaten dafür aus, diesen Weg weiter auszuloten. Vor diesem Hintergrund nahm die GV am 17. September 2007 eine Entscheidung an, die Diskussion über die Reform des Sicherheitsrats auf ihrer 62. Tagung (seit 18. September 2007) mit dem Ziel fortzusetzen, konkrete Ergebnisse u.a. durch zwischenstaatliche Verhandlungen zu erzielen.

Warum will Deutschland einen ständigen Sitz?
  • Deutschland setzt sich – wie eine Vielzahl von Ländern – für eine Stärkung des Multilateralismus unter dem Dach der Vereinten Nationen ein. Diese ist nur durch eine umfassende und durchgreifende Reform zu erreichen. Die Bundesregierung strebt eine Reform des Sicherheitsrats mit einem ständigen Sitz für Deutschland als Teil einer solchen umfassenden Reform an. Sie engagiert sich auch für andere Reformschritte.
  • Die Rolle Deutschlands hat sich gegenüber 1945 grundlegend geändert. Aus dem "Feindstaat" von 1945 und dem Beitrittsland von 1973 ist – insbesondere seit der Vereinigung – einer der engagiertesten Vertreter eines effektiven Multilateralismus unter dem Dach der Vereinten Nationen geworden. Diese Rolle Deutschlands gehört zu den neuen Realitäten zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Daher wird Deutschland auch seit dem Beginn der Reformdiskussion von anderen Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen immer wieder als natürlicher Kandidat für einen ständigen Sitz genannt.
  • Deutschland leistet wichtige Beiträge zur Arbeit der Vereinten Nationen. Es ist nicht nur drittgrößter Beitragszahler, sondern trägt auch auf andere Weise vielfältig zur Verwirklichung der grundlegenden Ziele der Vereinten Nationen bei - durch die Entsendung von Truppen für internationale Friedensmissionen, durch die Mittel, die es für die internationale Entwicklungszusammenarbeit, nachhaltige Entwicklung und humanitäre Hilfe zur Verfügung stellt und durch sein Eintreten für den Schutz der Menschenrechte in allen Staaten der Welt.
Wäre Europa mit einem weiteren ständigen Sitz nicht überrepräsentiert?
  • Die Charta der Vereinten Nationen sieht im Artikel 23 vor, dass vor allem solche Staaten dem Sicherheitsrat angehören sollen, die erhebliche Beiträge zur Arbeit der Vereinten Nationen leisten. Erst an zweiter Stelle folgt das Kriterium der geographisch ausgewogenen Verteilung der Sitze.
  • Europa, insbesondere die Mitgliedstaaten der EU, gehören zu den stärksten Stützen der Vereinten Nationen: Die Staaten der EU finanzieren fast 37% des Haushalts der Vereinten Nationen, sie stellen derzeit seit mehreren Jahren durchgängig etwa 50.000 Mann Truppen für internationale Friedensmissionen und sie geben ca. 50% der Mittel für die weltweite Entwicklungszusammenarbeit.
  • Eine Reform, wie sie der G4-Vorschlag vorsieht, würde den relativen Sitzanteil der EU-Mitgliedstaaten aber noch nicht einmal erhöhen: Bisher können drei bis fünf EU-Mitgliedstaaten gleichzeitig Mitglieder des Sicherheitsrats sein – neben den beiden ständigen Mitgliedern Frankreich und Großbritannien ein bis drei nichtständige Mitgliedern, die die westliche und/oder die Osteuropagruppe im Rat vertreten. Nach der Reform nähmen sie wahrscheinlich bis zu sechs oder sieben von dann 24 oder 25 Sitzen ein. Das wäre keine Zu-, sondern sogar eine leichte Abnahme auf weniger als ein Drittel der Sitze.
Warum fordert die Bundesregierung nicht einen ständigen Sitz für die EU?
  • Die Bundesregierung strebt in der Perspektive einen EU-Sitz an. Gegenwärtig ist die EU aber noch nicht in der Lage, einen solchen Sitz zu übernehmen: Zum einen ist die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU noch nicht so weit entwickelt, dass die Mitgliedstaaten in allen Fragen mit einer Stimme sprechen; zum anderen sind Großbritannien und Frankreich derzeit nicht bereit, auf ihre ständigen Sitze zugunsten eines EU-Sitzes zu verzichten.
  • Außerdem können bisher nur Staaten, nicht aber internationale Organisationen wie die EU Mitglieder der Vereinten Nationen werden. Wollte man die Charta der Vereinten Nationen in diesem Punkt ändern, so würde sich die fast unlösbare Frage stellen, welche der zahlreichen anderen internationalen Organisationen sonst noch Sitz und Mitgliedschaft erwerben können.
Quelle: Website des Auswärtigen Amtes; www.auswaertiges-amt.de; abgerufen am 28. März 2008




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