Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Ahmadinedschads Predigt

Irans Präsident beklagt in UN-Rede Verfall moralischer Prinzipien. Kritik an USA aus Südamerika und Afrika

Von Knut Mellenthin *

Mahmud Ahmadinedschad sprach vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen, und keiner verließ den Saal. Beim vermutlich letzten UNO-Auftritt des iranischen Präsidenten, dessen Amtszeit im nächsten Jahr endet, verzichteten die Vertreter der westlichen Staaten auf ihr mittlerweile schon zur Routine erstarrtes Empörungstheater. Zwar hatten viele von ihnen, darunter auch Deutschland, nur ihre zweite Mannschaft auf den Platz geschickt, aber die hielten tapfer bis zum Schluß von Ahmadinedschads mehr theologischer als politischer Rede durch. Gar nicht erst erschienen waren die Israelis, die wegen des jüdischen Feiertags Jom Kippur arbeitsfrei hatten. Auch die USA blieben der Rede fern, mit der ausdrücklichen Begründung, daß der Auftritt Ahmadinedschads an diesem Tag »unglücklich« sei. Indessen kam man den iranischen Präsidenten ganz sicher nicht für den Terminplan der UNO verantwortlich machen. Und immerhin kamen am Mittwoch auch 36 weitere Redner zu Wort.

Journalisten mit einem ganz feinen Gehör, wie die von Spiegel online, bemerkten, daß Ahmadinedschad auch diesmal wieder »gegen Israel gewettert« habe, und machten damit ihre Meldungen auf. Tatsächlich handelte es sich nur um einen einzigen Satz, in dem der Präsident über die ständigen – von der UNO übrigens noch niemals kritisierten – israelischen Kriegsdrohungen gegen sein Land klagte. Gleich zu Beginn hatte der Iraner, der seinen achten Auftritt vor diesem Gremium hatte, angekündigt, daß er die Weltlage diesmal »aus einer anderen Perspektive« als in den vorangegangenen Jahren betrachten wolle. Was er dann über das heutige Elend »moralischer Prinzipien« wie »Reinheit, Ehrlichkeit, Integrität, Mitleid und Selbstaufopferung«, über die Schwächung der Familie »als edelste Institution der Gesellschaften und Ursprung von Liebe und Humanität«, über »Materialismus ohne moralische Werte«, »Selbstsucht« und die ungerechte Verteilung der Güter auf Erden sagte, hätte auch in eine Osteransprache des Papstes gepaßt. US-Medien kommentierten, die Rede des iranischen Präsidenten sei »entschieden weniger provokativ«, aber auch »weniger bemerkenswert« gewesen als man es bisher von ihm gewohnt war.

Für scharfe politische Töne und ganz konkrete Kritik am Verhalten der USA sorgte hingegen Boliviens Präsident Evo Morales. Während die Regierung in Washington ständig von Demokratie spreche, sei sie nicht bereit, Resolutionen und Entscheidungen der Vereinten Nationen zu respektieren. Das gelte besonders für die »illegale« Blockade gegen Kuba, deren Aufhebung die UN-Vollversammlung schon seit vielen Jahren nahezu einstimmig – gegen das Votum der USA, Israels und einer Handvoll südpazifischer Inselstaaten – fordert. Die USA seien im Grunde die ersten gewesen, die »Staatsterrorismus« praktiziert hätten. Als jüngstes Beispiel erwähnte Morales »die Invasion Libyens im Kostüm einer humanitären Intervention«. In Wirklichkeit habe der erzwungene Machtwechsel in Tripolis nur dazu gedient, »die Kontrolle über Libyens Öl und andere Bodenschätze zu übernehmen«.

Die Intervention der NATO-Staaten in dem nordafrikanischen Land verurteilte in seiner Ansprache auch Robert Mugabe, der Präsident von Simbabwe. Er erinnerte daran, daß dieses Eingreifen gegen den erklärten Willen der in der Afrikanischen Union zusammengeschlossenen 54 Staaten des Kontinents erfolgt sei. Über das vom Westen in Anspruch genommene Konzept der »«Responsibility to protect«», das Recht zu Militärinterventionen, gebe es keine internationale Vereinbarung, die Voraussetzungen und Anwendungen dieses Prinzips regelt. Statt dessen werde es »schwer mißbraucht«, wodurch das in der UN-Charta verankerte Prinzip der Nicht-Einmischung in innere Angelegenheiten der Mitgliedstaaten untergraben werde.

Mohamed Mursi wies in seiner Rede darauf hin, daß er der erste demokratisch gewählte Präsident Ägyptens sei, der vor diesem Gremium spricht. Als »Hauptthema, zu dessen Lösung die Welt all ihre Bemühungen einsetzen muß«, nannte er die Verwirklichung des Rechts der Palästinenser auf einen unabhängigen Staat »mit Jerusalem als Hauptstadt«. Es sei »schändlich«, daß die »freie Welt« die fortgesetzte Mißachtung der palästinensischen Rechte »durch ein Mitglied der internationalen Gemeinschaft« ignoriere. Mursi widmete diesem Thema den größten Teil seiner Rede. Daneben forderte er die Schaffung einer atomwaffenfreien Zone im Nahen Osten und sprach sich gegen jedes militärische Eingreifen in Syrien aus.

* Aus: junge Welt, Freitag, 28. September 2012


Zurück zur UNO-Seite

Zur Iran-Seite

Zurück zur Homepage