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"Eine andere Vision für Syrien"

Barack Obama spricht vor der UN-Generalversammlung - Hillary Clinton verspricht 45 Mio. US-Dollar für die syrische Opposition

Von Karin Leukefeld

Im Plenum und am Rande der 67. Vollversammlung der Vereinten Nationen in New York wurde viel über Syrien gesprochen. Bei seiner Rede beschuldigte US-Präsident Barack Obama seinen syrischen Amtskollegen Bashar al-Assad, sein Volk zu „massakrieren“ und forderte weitere „Sanktionen und Konsequenzen“ gegen Syrien. Wenn es einen aktuellen Grund für Proteste in der Welt gäbe, dann gegen „ein Regime, das Kinder foltert und Raketen in Wohngebäude schießt“, sagte Obama. Wer eine „andere Vision für Syrien“ habe, könne mit der Unterstützung der USA rechnen. US-Außenministerin Hillary Clinton konkretisierte das mit der Ankündigung, weitere 45 Millionen US-Dollar an die „syrische Opposition“ zu überweisen. Bei einem Treffen der „Freunde Syriens“, das am Rande der UN-Vollversammlung tagte, sagte Clinton, 15 Millionen würden für „nicht-tödliche und humanitäre Unterstützung" ausgegeben werden. Der US-Nachrichtensender CBS berichete, dass in diesem Rahmen bereits 1100 Kommunikationssets – Satellitengestützte Computer, Telefone, Kameras – geliefert und mehr als 1000 Aktivisten, Studierende und „unabhängige Journalisten“ ausgebildet wurden. Weitere 30 Millionen US-Dollar seien für „humanitäre Hilfe“ vorgesehen, die über die US-Hilfsagentur USAID abgewickelt werden soll. Damit haben die USA bisher mehr als 130 Mio. US-Dollar in den Aufstand gegen den syrischen Präsidenten investiert.

Wenn Russland und China den UN-Sicherheitsrat blockierten, müsse der Rest der Welt die „syrische Opposition“ unterstützen, so Clinton. Sie warnte den Iran, seine Unterstützung für Syrien fortzusetzen. Die „Freunde Syriens“ trafen mit Vertretern des Syrischen Nationalrates zusammen, die ebenfalls nach New York gereist waren. Der Generalsekretär der Arabischen Liga, Nabil Al-Arabi, der mit Clinton das Treffen leitete, schlug vor, eine UN-Friedenstruppe in Syrien zu stationieren. Um die Vereinbarung von Genf (30. Juni 2012, Bildung einer syrischen Übergangsregierung) umzusetzen, müsse denjenigen mit Sanktionen gedroht werden, die sich weigerten, den Plan umzusetzen. Die USA und westliche UN-Sicherheitsratsstaaten hatten sich geweigert, die Genfer Vereinbarung offiziell als UNSR-Resolution zu verabschieden.

Der russische Außenminister Sergej Lavrov erinnerte daran, dass Russland die internationale Gemeinschaft und eine vom Sicherheitsrat eingerichtete „Syrien Aktionsgruppe“ mehrfach aufgefordert habe, den vereinbarten Sechs-Punkte-Plan sowie das Abkommen von Genf umzusetzen. „Das ist der direkteste Weg, das Blutvergießen zu beenden“, sagte Lavrov. Das heiße, die syrische Führung sowie die Opposition zur Einstellung der Gewalt und an einen Verhandlungstisch zu bringen, um eine Übergangsregierung zu bilden. Hilfsorganisation und internationalen Medien müsse freier Zugang zu Syrien gewährt, Gefangene freigelassen und ein politischer Dialog begonnen werden. Allen genannten Punkten hat die syrische Führung zugestimmt und mit der Umsetzung begonnen.

UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon forderte derweil ein Stopp von Waffenlieferungen sowohl für die Regierung als auch für die Aufständischen. Der französische Präsident Francois Hollande forderte die Opposition auf, sich zu vereinen und eine Exilregierung zu bilden. Die werde Frankreich „sofort anerkennen“. Bundesaußenminister Guido Westerwelle sicherte dem UN-Sonderbeauftragten für Syrien, Lakhdar Brahimi, Unterstützung für seine „Suche nach einem politischen Ansatz“ zu. Man dürfe „nicht aufhören, an einer politischen Lösung zu arbeiten“.

Der Emir von Katar, Scheich Hamad bin Khalife al-Thani, erklärte dagegen, angesichts des Versagens des UN-Sicherheitsrates sollten Arabische Staaten in Syrien eingreifen. Das sei eine „nationale, humanitäre, politische und militärisch Pflicht“. Eine solche Initiative unter Umgehung des UN-Sicherheitsrates könnte einen „friedlichen Machtwechsel in Syrien“ erzwingen. Katar unterstützt – ebenso wie Saudi Arabien und die Türkei - die Aufständischen in Syrien finanziell und militärisch. Alle Staaten gehören zu der vom UN-Sicherheitsrat eingerichteten „Syrien Aktionsgruppe“ und zu der von den USA eingerichteten Gruppe „Freunde Syriens“.

Der ägyptische Präsident Mohamed Mursi lehnte im Interview mit dem Nachrichtensender Al Jazeera (Englisch) eine militärische Intervention arabischer Staaten in Syrien ab. Mursi brachte mit den Außenministern der Türkei, Irans, Saudi Arabiens und Ägyptens kürzlich erstmals ein regionales Staaten-Quartett in Kairo zusammen, die in einen Stellvertreterkrieg in Syrien verwickelt sind. Der iranische Präsiden Mahmud Ahmadineschad schlug in einem Interview mit der Nachrichtenagentur AP seinerseits eine Vermittlungsgruppe aus 10 oder 11 Staaten vor, um den Konflikt in Syrien zu beenden. Er hoffe auf ein entsprechendes Treffen in New York in „naher Zukunft“, sagte er in New York am Dienstag. Der algerische Außenminister Murad Madlasi betonte vor der Generalversammlung, sein Land unterstütze die UN-Mission und einen politischen Dialog. Es gebe keine Alternative, als Kriege und Konflikte durch unermüdliche diplomatische Anstrengungen zu verhindern, sagte Madlasi.

Der neuseeländische Außenminister Murray McCully schlug vor, dass die Veto-Staaten im UN-Sicherheitsrat (USA, England, Frankreich, Russland, China) im Falle von massenhaften Gewalttaten auf ihr Veto-Recht verzichten sollten. Ihre Unfähigkeit sich in Sachen Syrien zu einigen, mache sich in den Augen der Völker unglaubwürdig.

Der syrische Außenminister Walid Mou’allem traf sich am Rande der UN-Vollversammlung mit einer Reihe politischer Vertreter, um die Position Syriens zu erläutern. Neben Gesprächen mit seinen Amtskollegen aus dem Libanon, Iran, Russland, Kuba und Togo, das derzeit einen nicht-ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat hat, sprach Mou’allem mit dem Sonderbeauftragten für Syrien, Lakhdar Brahimi. Dabei betonte Mou’allem, der Erfolg der UN-Mission in Syrien hänge wesentlich davon ab, dass die Geld- und Waffenlieferungen an die Aufständischen in Syrien eingestellt werden müssten, um einen Dialog zwischen Regierung und Opposition zu beginnen. Gegenüber dem stellvertretenden UN-Generalsekretär für Politische Angelegenheiten, Jeffrey Feltman, erläuterte der syrische Außenminister die Angriffe bewaffneter Gruppen auf die syrische Infrastruktur, auf privates und öffentliches Eigentum. Die Wirtschaftssanktionen, die die USA und Europäische Staaten gegen Syrien verhängt hätten, verschlechterten die Lebenslage der syrischen Bevölkerung.

Der langjährige US-Diplomat Feltman gilt zusammen mit dem saudischen Geheimdienstchef Bandar Bin Sultan als einer der Architekten der militärischen Destabilisierung und internationalen Isolation Syriens. Bereits im März 2011 hatte Feltman – damals noch stellvertretender US-Außenminister für den Mittleren Osten - prophezeit, Syrien werde das „Nordkorea des Mittleren Ostens“ werden.


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