Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Militarisierung der UNO?

Brahimi-Kommission legt Reformvorschläge vor

Die Brahimi-Kommission, die im Auftrag des UN-Generalsekretärs Kofi Annan Reformvorschläge für den Einsatz von UN-Truppen erarbeiten sollte, hat am 23. August 2000 in Genf ihre Ergebnisse vorgelegt. Sie sind ernüchternd, was die Beschreibung der bisherigen Defizite betrifft, sie sind aber auch ernüchternd, was die zur Diskussion gestellten Optionen betrifft. "Frieden durch Gewalt", titelte die Süddeutsche Zeitung und traf den Nagel auf den Kopf. Die Frage stellt sich, ob die Vereinten Nationen tatsächlich gut beraten sind, militärisch aufzurüsten, anstatt ihre Anstrengungen im zivilen Bereich (hier gibt es so viel zu tun!) zu verstärken. Zu vermuten ist allerdings auch, dass die Großmächte, allen voran die USA, eine solche militärische Machterweiterung der VN gar nicht zulassen werden.
Wir dokumentieren im Folgenden Artikel aus der NZZ, der SZ, der FR und der taz, aus der wir auch einen ersten kurzen Kommentar von Andreas Zumach entnehmen. Andreas Zumach hat vor einiger Zeit ein Bändchen über die Vereinten Nationen vorgelegt und weiß, wovon er spricht. Als engagierter Journalist mit friedensbewegtem Hintergrund schätzt er den Brahimi-Bericht natürlich sehr kritisch ein.


Reformvorschläge für Blauhelm-Einsätze

Mehr Effizienz für friedenserhaltende Massnahmen der Uno

Eine Expertengruppe hat am Mittwoch in Genf und New York einen Bericht zur Reform der friedenserhaltenden Operationen der Vereinten Nationen zuhanden von Uno-Generalsekretär Annan präsentiert. Der Plan skizziert vor allem eine Aufwertung der friedenserhaltenden Operationen im Uno-System sowie verschiedene Massnahmen, mit welchen die Entsendung der Uno-Einheiten beschleunigt und die Stellung der Truppen gestärkt werden soll. Damit soll künftig verhindert werden, dass Uno-Missionen wie 1994 in Rwanda und 1996 in Srebrenica scheitern.

In der Einleitung zu dem Bericht betonen die Experten, zu denen auch der ehemalige Präsident des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK), Cornelio Sommaruga, gehört, dass die Vereinten Nationen in den letzten Jahrzehnten bei ihren Bemühungen zum Schutz von Zivilisten vor Krieg immer wieder gescheitert sind und vermutlich auch heute bei einer ähnlichen Aufgabenstellung scheitern würden. Es sei deshalb zu hoffen, dass der Uno künftig die Mittel zur Verfügung stehen, um die bestehenden Hoffnungen und Erwartungen erfüllen zu können. Konkret wird in dem Bericht vorgeschlagen, dass Uno- Truppen im Falle von internationalen Konflikten innerhalb von 30 Tagen im Einsatzgebiet stationiert werden müssten, um einen Waffenstillstand zu überwachen. Bei internen Konflikten sollten die Einheiten innerhalb von 90 Tagen operationell sein. Die Blauhelm-Truppen sollten zudem besser ausgerüstet werden, um sich im Notfall durchsetzen zu können. Vorgesehen ist auch, friedensfördernde Massnahmen zu verstärken. Um die öffentliche Ordnung bei Einsätzen wie in Kosovo oder in Osttimor sicherstellen zu können, schlagen die Experten die Schaffung eines interimistischen Strafrechts vor.

Um die schnelle Entsendung der Uno-Soldaten sicherstellen zu können, wird die Bildung von Bereitschaftseinheiten von je 100 Armeeangehörigen und 100 Polizisten verschiedener Nationen vorgeschlagen. Ein eigenes stehendes Heer der Uno ist nicht vorgesehen. Die je 100 Soldaten und 100 Polizisten sollen in ihren Heimatländern verbleiben und lediglich auf Abruf zur Verfügung stehen. Auf diese Weise könnten erste Einheiten innerhalb von sieben Tagen in ein Konfliktgebiet entsandt werden. Um die Einsätze der Uno attraktiver zu gestalten, wird eine Neugestaltung der Anstellungsbedingungen angeregt. Auch der Uno-Generalsekretär hätte das Recht, künftig friedenserhaltende Operationen vorbereiten zu können noch vor der Zustimmung des Uno-Sicherheitsrats. Um den friedenserhaltenden Massnahmen generell mehr Bedeutung zu verleihen, fordern die Autoren, solche Aktionen künftig in den Bereich der Kernaktivitäten der Uno aufzunehmen und nicht mehr als vorübergehende Verantwortlichkeiten zu behandeln. Damit würden friedenserhaltende Massnahmen künftig auch über das reguläre Budget finanziert.
Aus: Neue Zürcher Zeitung, 24.08.2000

Frieden durch Gewalt

Die Vereinten Nationen fordern eine schlagkräftigere UN-Truppe / Von Stefan Ulrich

Die Friedenssoldaten waren gekommen, die Kämpfer zu entwaffnen und die Menschen zu schützen. Doch dann entwand man ihnen die Waffen, und schützen konnten sie nicht einmal sich selbst. In Sierra Leone wurden im Mai rund 500 Blauhelme von Rebellen gefangen genommen. Der ganzen Mission drohte ein Desaster. Erst ein entschlossenes Eingreifen britischer Elitetruppen verhinderte, dass eine Reihe von Fehlschlägen fortgesetzt wurde. Somalia, Ruanda, Bosnien - ein weiteres Debakel hätte die vornehmste Aufgabe der Vereinten Nationen (UN) in Frage gestellt: "Künftige Geschlechter vor der Geißel des Krieges zu bewahren", wie es in der Charta heißt.

Im New Yorker Hauptquartier hat man die Gefahr erkannt. Bereits im März hat Generalsekretär Kofi Annan eine Expertengruppe beauftragt, die Friedenseinsätze zu prüfen. Die nach dem früheren algerischen Außenminister Lakhdar Brahimi benannte Kommission sollte Rat geben, "wie wir es in Zukunft besser machen können". Am Mittwoch wurden in New York die Ergebnisse vorgestellt. Die wichtigste unter den vielen Schlussfolgerungen des Brahimi-Reports lautet: UN-Truppen brauchen ein "robustes Mandat". Sie müssen abschrecken, um sich Respekt zu verschaffen. "Wir nehmen damit Abschied vom traditionellen Blauhelm", sagt der deutsche Vertreter in der Kommission, der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr, Klaus Naumann. "Er wird durch robustes peace keeping ersetzt, das den Einsatz von Gewalt gegen diejenigen erlaubt, die sich nicht an die Spielregeln halten."

Eine andere Kernforderung des Brahimi-Reports lautet: Die UN müssen sich weigern, in Schlachten zu ziehen, für die sie von den Mitgliedstaaten nicht ordentlich ausgerüstet werden. "Missions impossible", wie sie die Zeitschrift Economist nennt, soll es nicht mehr geben. "Wenn wir aus den Fehlschlägen in Bosnien und Ruanda nicht Konsequenzen ziehen, schalten wir auf Dauer die ganze UN ab", befürchtet der General.

So richtig die Empfehlungen sind, so schwer sind sie umzusetzen. Denn die UN handeln nicht im eigenen Auftrag, sie sind ein Diener vieler Herren. So brauchen sie für Friedensoperationen ein Mandat des Sicherheitsrats, in dem die fünf ständigen Mitglieder das Sagen haben. Und diese verhalten sich paradox. Einerseits schicken sie die UN in verfahrene Situationen auf dem Balkan oder in Afrika, um das Weltgewissen zu beruhigen. Andererseits geizen sie mit Geld und Truppen. Ein Beispiel? Für den riesigen, kriegswunden Kongo hat der Sicherheitsrat 5500 Blauhelme vorgesehen. Der frühere Planungschef der UN-Friedenstruppen Manfred Eisele meint: "Da zeigt sich die Mentalität von Leuten, die den Auftrag geben, den Bodensee auszuschöpfen. Und dann sagen sie: ,Jetzt probieren wir es erst mit dem Teelöffel, und wenn das nicht klappt, dann können wir immer noch zum Esslöffel greifen'."

Eisele und die Brahimi-Gruppe fordern, in Krisensituationen sofort mit einer schlagkräftigen Truppe aufzutreten. "In keinem Fall, wo UN-Soldaten mit einem robusten Mandat ausgestattet waren, mussten sie tatsächlich losschlagen", sagt Eisele. "Das Vorzeigen der Folterinstrumente reichte." Zaghaftes Auftreten ermuntere dagegen die Warlords zur Gewalt. Im Bericht heißt es dazu: "Wenn die Vereinten Nationen ihre Truppen entsenden, um den Frieden zu erhalten, müssen sie auch bereit sein, sich den Kräften des Krieges und der Gewalt zu stellen und sie müssen entschlossen sein, diese Kräfte zu besiegen." Naumann meint ergänzend, die Industriestaaten müssten mehr ihrer gut ausgebildeten Soldaten bereitstellen, statt "Billigsoldaten" aus Dritte-Welt-Ländern vorzuschicken. Auch deutsche Soldaten müssten bei gefährlichen Krisen eingesetzt werden, auch außerhalb des Nato-Gebiets, fordert er. Denn wenn man nicht einschreite, dann "werden die Krisen zu uns kommen."

Bei aller Kritik an den Staaten verhehlt die Brahimi-Gruppe nicht, dass auch bei den UN einiges im Argen liegt. So müsse in New York endlich eine echte Kommando- und Führungszentrale für Militär-Einsätze aufgebaut werden. Das Personal müsse aufgestockt, die Abstimmung verbessert werden. Zudem solle der Generalsekretär öfters Erkundungstrupps losschicken, um Konflikte schon im Entstehen zu bekämpfen. Die Staaten werden aufgefordert, gemeinsam Brigaden aufzustellen, die für UN-Einsätze auf Abruf bereitstehen.

Kofi Annan hat mit dem Brahimi-Bericht zwei Ziele erreicht. Er hat die UN etwas aus der Schusslinie genommen, da die Hauptverantwortung der Staaten für den Erfolg von Friedensmissionen klargestellt wird. Und er hat der UN-Millenniumsversammlung Anfang September - dem "größten Gipfeltreffen aller Zeiten" - ein Top-Thema gegeben. General Naumann meint dazu: "Ich hoffe, die Staats- und Regierungschefs begreifen, dass die Vereinten Nationen insgesamt auf dem Spiel stehen."
Aus: Süddeutsche Zeitung, 24.08.2000

Mehr Kampfkraft für UN verlangt

Experten: Militärmissionen müssen schlagkräftiger werden
Von Pierre Simonitsch

UN-Generalsekretär Kofi Annan hat eindringlich an die Regierungen der Welt appelliert, tief greifenden Reformen bei friedenserhaltenden und friedensschaffenden Militäreinsätzen der Vereinten Nationen zuzustimmen. Sie sollen die Missionen schlagkräftiger machen. Entsprechende Vorschläge einer Expertenkommission wurden am Mittwoch veröffentlicht.

GENF, 23. August. Annan betonte, rasche Entscheidungen seien nötig, um die UN zu einer glaubhaften Friedenskraft zu machen. Anlass der Reformvorschläge war die von ihm eingestandene Unfähigkeit der Blauhelme, 1994 den Völkermord in Ruanda zu verhindern und 1995 die Moslems in Srebrenica vor den serbischen Truppen zu schützen. Der zehnköpfigen Expertengruppe unter Leitung des algerischen Ex-Außenministers Lakhdar Brahimi gehörte auch der pensionierte deutsche General Klaus Naumann an. Er war bis 1999 Chef des Nato-Militärausschusses.

"Die Blauhelme müssen fähig sein, ihren Auftrag professionell und wirksam zu erfüllen", heißt es in dem Bericht der Experten. "Das bedeutet, dass die Militäreinheiten der UN in der Lage sein müssen, sich selbst, die übrigen Teilnehmer ihrer Mission sowie ihr Mandat zu verteidigen. Die Einsatzregeln müssen genügend Kampfbereitschaft erlauben, damit die Kontingente der UN nicht gezwungen sind, die Initiative den Angreifern zu überlassen." Bei der Planung von Friedensmissionen müsse die Möglichkeit in Betracht gezogen werden, dass die Blauhelme auf feindselige lokale Akteure stoßen. Ihr Mandat müsse daher präzise Regeln für den Einsatz von Gewalt enthalten. Auch wenn die UN-Soldaten oder -Polizisten Zeugen von Gewaltanwendung gegen Zivilisten werden, müssten sie ausdrücklich die Erlaubnis zum Einschreiten im Rahmen der Grundprinzipien der UN haben. Um einen Abschreckungseffekt zu erzielen, sei die Entsendung von mehr, besser ausgerüsteten und damit teureren Friedenstruppen unerlässlich.

Der Bericht fordert das UN-Sekretariat auf, bei der Formulierung von Empfehlungen dem für die Friedenserhaltung zuständigen Weltsicherheitsrat "zu sagen, was dieser wissen muss, und nicht, was er gerne hören möchte". Insbesondere habe das UN-Sekretariat die für eine Friedensmission nötigen Truppenstärken und anderen Mittel auf Grund realistischer Szenarien anzugeben. Einige homogene multinationale Streitkräfte in Bataillonsstärke sollten auf Abruf bereitstehen. Die Expertengruppe schlägt die Schaffung einer Abteilung für Informations-Auswertung und strategische Analyse vor, die den UN-Generalsekretär und die Mitglieder des Sicherheitsrats unterrichten soll. Ohne eine solche Einheit seien die UN nicht in der Lage, Entwicklungen vorauszusehen und darauf rechtzeitig zu reagieren.
Aus: Frankfurter Rundschau, 24.08.2000

Annan stellt Blauhelm-Reform vor

Eine Expertengruppe zieht kritische Bilanz und unterbreitet Änderungsvorschläge. Das zentrale Problem der mangelnden personellen und materiellen Ausstattung von UN-Missionen durch die Mitgliedsstaaten wird dabei nicht gelöst
aus Genf ANDREAS ZUMACH

UNO-Generalsekretär Kofi Annan hat den Mitgliedsstaaten eine schonungslose Analyse der tiefen Krise bei den militärischen und zivilen Peacekeeping-Maßnahmen der Weltorganisation vorgelegt und weitreichende Reformvorschläge unterbreitet. Ein von Annan im März berufener internationaler Expertenausschuss stellte das 60-seitige Dokument gestern in Genf und New York der Öffentlichkeit vor. Auf das zentrale Problem fast sämtlicher Peacekeeping-Missionen der letzten zehn Jahre - die mangelnde Ausstattung der UNO durch ihre Mitgliedsstaaten mit einer ausreichenden Anzahl von Soldaten, Polizisten und anderen Zivilkräften für vom Sicherheitsrat beschlossene Einsätze - bleibt der Ausschuss die Antwort schuldig.

Der Ausschuss nennt drei Ursachen für die Krise: Der Auftrag an die UNO-Blauhelme wandelte sich von dem 45 Jahre lang gängigen Muster der Friedenssicherung zwischen zwei Staaten nach einem Waffenstillstand hin zu Einsätzen in innerstaatlichen bewaffneten Auseinandersetzungen. Diese erschwerten Rahmenbedingungen behinderten den Einsatz von Zivilkräften oft erheblich und verlangten größere Kontingente von Blauhelmsoldaten mit robusteren Einsatzrichtlinien und Ausrüstungen.

Die Mitglieder des Sicherheitsrates trugen dieser neuen Herausforderung in den ab 1990 erteilten Mandaten zu wenig Rechnung. Unter dem Druck der neuen Anforderungen wirkten sich im letzten Jahrzehnt Fehler und Defizite der bis 1996 von Annan geführten New Yorker UNO-Peacekeeping-Abteilung immer schärfer aus. Insbesondere die unzureichenden Kapazitäten zur rechtzeitigen Konfliktdiagnose und -prävention sowie die fehlenden Möglichkeiten zur Vorbereitung von Soldaten und Zivilisten aus verschiedenen Ländern mit unterschiedlichen Standards auf einen gemeinsamen Einsatz im Rahmen der UNO.

Als dritten zentralen Grund für die Krise des Peacekeeping benennt der Ausschuss den mangelnden Willen der Mitgliedsstaaten, für vom Sicherheitsrat beschlossene Missionen rechtzeitig Soldaten und Zivilkräfte bereitzustellen. In den konkreten Bedarfsfällen der letzten fünf Jahre machte die große Mehrheit der 87 Staaten von ihrem Vorbehaltsrecht Gebrauch und verweigerte Bereitstellung von Personal und Ausbildung.

Der Ausschuss schlägt eine Verstärkung der Konfliktdiagnose-und Präventionskapazitäten der Peacekeeping-Zentrale vor, ihre deutlich erhöhte personelle und finanzielle Ausstattung sowie eine Koordination mit anderen für Peacekeeping-Missionen relevanten Bereichen der UNO, insbesonders dem Menschenrechts-Hochkommissariat in Genf. Der Sicherheitsrat solle künftig nur noch Missionen formal beschließen, wenn vorab durch verbindliche Zusagen der Mitgliedsstaaten auch das Erreichen des geplanten Personalumfangs garantiert ist. Die Einsatzrichtlinien müssten den Blauhelmen künftig "robuste" Durchsetzung gegen Widerstand ermöglichen sowie einen verbesserten Selbstschutz gewährleisten. Die 188 Mitgliedsstaaten sollen insgesamt 100 führende Offiziere benennen, die der UNO im Bedarfsfall innerhalb von wenigen Tagen zwecks Vorbereitung künftiger Missionen zur Verfügung gestellt werden.

Auf den Vorschlag einer ständigen UNO-Peacekeeping-Truppe verzichtet der Ausschuss ausdrücklich, aber ohne weitere Begründung. Stattdessen regt er an, dass Gruppen von Mitgliedsstaaten gemeinsam aus dem Reservoir ihrer nationalen Streitkräfte Kontingente in Brigadegröße (ca 5.000 Soldaten) für UNO-Einsätze ausbilden und dann im konkreten Bedarfsfall zur Verfügung stellen.
Aus: taz, 24.08.2000

Klare Diagnose, schwache Therapie

Die von Kofi Annan eingesetzte internationale Kommission zu den Peacekeeping-Missionen der UNO hat gesprochen. Ihr Bericht knüpft in der Benennung der Missstände und der Analyse ihrer Ursachen an die klare, wo nötig auch selbstkritische Sprache an, die der Generalsekretär in seinen eigenen Äußerungen zu diesem Thema vorgegeben hat. Fehler, Defizite und Versäumnisse der zuständigen New Yorker UNO-Abteilung, des Sicherheitsrates sowie der 188 Mitgliedsstaaten werden ohne Beschönigung und diplomatische Rücksicht benannt. Eine präzise Diagnose und nützliche Bilanz der zahlreichen Peacekeeping-Missionen im ersten Jahrzehnt nach Ende des Ost-West-Konflikts.

Kommentar von ANDREAS ZUMACH

Bei ihren Reformempfehlungen war die Kommission weniger mutig. Sicher, alle Vorschläge, die auf eine größere Handlungsfähigkeit der New Yorker Zentrale abzielen, auf realistischere Beschlüsse des Sicherheitsrates sowie auf eine bessere Koordination künftiger Peacekeeping-Maßnahmen, sind richtig und notwendig. Die möglichst schnelle Umsetzung dieser Vorschläge - nicht nur der kostenneutralen, sondern auch der mit Mehrkosten verbundenen - wäre ein Fortschritt. Doch selbst wenn dies geschehen sollte, das zentrale Problem bliebe weiterhin ungelöst: die mangelnde Bereitschaft der Mitgliedsstaaten, der UNO qualifiziertes und ausgerüstetes Personal für Peacekeeping-Operationen zur Verfügung zu stellen.

Hinsichtlich der Polizisten und anderen Zivilkräfte steckt dahinter vor allem der fehlende Wille der meisten Regierungen, die Rekrutierung, Ausbildung und soziale Absicherung derartigen Personals für UNO-Einsätze zu finanzieren. Doch mit Blick auf die Soldaten spielt dieser Grund kaum eine Rolle. Denn von ihnen gibt es viele Millionen in den nationalen Streikräften der 188 UNO-Staaten. Die übergroße Mehrheit dieser Soldaten sind - zum Glück - nicht mit Krieg beschäftigt. Doch nach wie vor sind Streitkräfte in den meisten Staaten das zentrale Symbol nationaler Souveränität. Das ist der tiefere Grund hinter der mangelnden Bereitschaft der meisten Staaten, der UNO ausreichende militärische Kontingente zur Verfügung zu stellen oder gar Ja zu sagen zur Etablierung einer ständigen UNO-Peacekeeping-Truppe. Die Kommission ist dieser Frage ausgewichen. Deshalb sind ihre Vorschläge zu diesem Kapitel nicht mehr als ein Herumdoktern an Symptomen.
Aus: taz, 24.08.2000

Zurück zur Seite "Vereinte Nationen"

Zur Themen-Seite

Zurück zur Homepage