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Friedensforscher: "Olympia-Idee ist bedenklich"

Postmoderne fordert Alternative zu Wettkampf zwischen Nationen

Ganz im Kontrast zum oft beschworenen Ideal des "Olympiafriedens" sind die olympischen Spiele in ihrer heutigen Form kein Friedensbringer. Zu diesem Urteil kommt Wolfgang Dietrich, Lehrstuhlinhaber für Friedensstudien der UNESCO an der Uni Innsbruck http://uibk.ac.at/peacestudies . "Aus postmoderner Sicht ist der olympische Wettbewerb bedenklich und äußerst zu hinterfragen", so der Friedensforscher im pressetext-Interview.

Kritik übt Dietrich vor allem an der Form des Wettkampfes, bei dem einzig das Gewinnen zählt. "Man führt im Sport einen symbolischen Stellvertreterkrieg zwischen Nationen und festigt im Wettbewerb die Identifikation des Athleten und der Zuseher mit diesen. Das unterhält die Menschen zwar, macht jedoch das Zusammenleben auf der Erde nicht unbedingt einfacher."

Fußball ohne Tore

Wollte Olympia den Friedensgedanken in den Vordergrund rücken, müsste es den Wortsinn des Spieles stärker verfolgen, schlägt der Forscher vor. "Nicht das Gewinnen, sondern das gemeinsame Handeln ist die wichtigste Komponente im Spiel. Ohne nominellen Sieger könnte man womöglich gezielter versuchen, Spannungen, Vorurteile und Stereotypen abzubauen. Das wäre dann wie ein Fußballspiel ohne Tore."

Dass derartige Einwände für die meisten unverständlich sind, muss Dietrich eingestehen, etwa sobald Investitionen oder Arbeitsplätze ins Zentrum rücken. Doch seien die Spiele mittlerweile nur noch auf ihren kapitalistischen Nutzen abgestimmt, wobei auch hier das Prinzip des Wettbewerbs mit Ausgrenzung und Gruppenbildung durchschlage. "Die Spiele sind bald nichts mehr als ein Riesengeschäft", urteilt der Politikwissenschaftler.

UN lassen Antike auferstehen

Dabei versucht Olympia noch heute an jene Waffenruhe anzuschließen, die bei den Spielen im antiken Griechenland galt. Die Vereinten Nationen belebten diese Tradition neu, indem sie seit Atlanta 1996 jeweils ab sieben Tage vor Beginn der Sommer- und Winterspiele bis sieben Tage nach Ende der Paralympics Friede "vorschreiben". 2012 wurde die Resolution zum ersten Mal von allen 193 UN-Mitgliedsstaaten unterzeichnet.

Die UN-Vorgehensweise ist umstritten: Der Bochumer Völkerrechtler Pierre Thielbörger fordert etwa in der "Zeit" (siehe: http://bit.ly/N6LAFD ), davon wieder abzukommen. Die "unsäglichen" Resolutionen zum Frieden während der Spiele seien "naiv". Weit eher würden sie der Glaubwürdigkeit der Vereinten Nationen schaden als dass sich Diktatoren durch Sport zum Waffenverzicht bewegen ließen.

Idealismus versus Realismus

"Es ist nicht bekannt, dass die Resolution jemals mehr Frieden gebracht hätte", berichtet auch Dietrich. Dennoch sei das UN-Dokument nicht naiv, sondern "Ausfluss eines idealistischen Friedensverständnisses": "Man geht davon aus, dass die Zukunft den Frieden schaffen soll, den es derzeit nicht gibt. Dem entgegen steht die realistische Sichtweise des Menschen als sich selbst vernichtenden Gewalttäter." Eine Antwort auf den Konflikt dieser beiden Schulen gebe es nicht, stellt Dietrich nüchtern fest. "Hinterfragen muss man aber, von welchem Frieden die Rede ist."

* Quelle: pressetext, 31. Juli 2012; www.pressetext.com


Friedensappelle verpufft - zum Schaden der UNO

Ein Kommentar von Peter Strutynski **

Weder während der letzten Winterspiele noch während der Sommerolympiade 2008 in Peking konnte von einem spürbaren Rückgang von bewaffneten Kämpfen in verschiedenen Konfliktregionen der Welt die Rede sein. Die Kriege in Afghanistan und im Irak, die Auseinandersetzungen in Somalia oder Kongo gingen unvermindert weiter.

Damit soll nicht grundsätzlich jeder Versuch desavouiert werden, kämpfende Parteien aus Anlass von besonderen Festen oder Feiertagen zu einer Kampfpause aufzurufen. Es kommt tatsächlich hin und wieder vor, dass Waffenruhen an hohen Feiertagen vereinbart und auch eingehalten werden. Beispiele gibt es dafür sogar aus dem Ersten Weltkrieg: Vom 24. Dezember 1914 an schwiegen an einigen Frontabschnitten sowohl zwischen Deutschen und Briten (in Flandern) als auch an der Ostfront für ein paar Tage die Waffen. Diese Waffenstillstände waren damals von Bereichsbefehlshabern ohne Genehmigung durch die Heeresleitungen vereinbart worden. Ein Jahr später gab es eine weihnachtliche Waffenruhe zwischen deutschen und französischen Soldaten in den Vogesen. Aus dem Zweiten Weltkrieg sind solche Berichte nicht überliefert.

Teilweise werden große Feste wie Weihnachten oder Ramadan auch genutzt, um größere Kriegsoperationen durchzuführen. Ein bekanntes Beispiel hierfür ist der Beginn einer Großoffensive des iranischen Militärs im irakisch-iranischen Krieg: Teheran plante im Juli 1982 eine Invasion, die die Zerstörung der irakischen Artillerie, die Vernichtung des 3. irakischen Korps und die Eroberung des Schatt al-Arabs umfassen sollte. Da der erste Tag der Operation mit dem heiligen Monat Ramadan zusammenfiel, nannten die Iraner die Offensive "Operation Ramadan".

Angesichts solch unterschiedlicher Erfahrungen mit hohen religiösen Festtagen wird es zunehmend schwieriger, plakativen Appellen der UNO oder anderer hochrangiger politischer Institutionen vertrauen zu können. Ganz verzichtbar scheinen sie mir indessen nicht. Denn natürlich braucht man Utopien und Visionen. Auch die Vereinten Nationen haben hohe Ziele, die sie z.B. in der UN-Charta formuliert haben (Gewaltverbot, Ächtung des Krieges). Auch scheint mir ein Zurückdrehen der Politisierung des Sports heute nur schwer möglich zu sein. Die Ausladung des weißrussischen Präsidenten Lukaschenko von der Eröffnungsfeier in London hat wieder deutlich gemacht, dass die austragenden Länder immer auch ihr politisches Süppchen kochen. So gesehen, war es auch eher schädlich, dass bei der Eröffnungsfeier in London sich der UN-Generalsekretär unter die Fahnenträger gemischt hat. Denn wenn man mit solch einem demonstrativen Akt seine ganze Autorität für den Olympischen Frieden in die Waagschale wirft, wohl wissend, dass die Geste wirkungslos verpufft, dann hat man weder den Vereinten Nationen noch dem Sport einen guten Dienst erwiesen.

Was die UN-Resolutionen betrifft, so sollte man schließlich darauf achten, dass sie sich nicht abnutzen. Wenn man jahrelang in immer wieder erneuerten Resolutionen zum Olympischen Frieden auffordert und niemand hält sich daran, dann ist dieses Mittel offensichtlich stumpf geworden. Es ist absurd zu glauben, erbitterte Feinde in Konfliktregionen würden für die Dauer der Spiele ihre Kämpfe einstellen. Syrien führt uns vor, dass der Appell der UNO wirkungslos verhallt.

Nun muss man natürlich auch in Rechnung stellen, dass die Routine-Aufrufe von der Generalversammlung verabschiedet werden. Das sind wohlfeile Absichtserklärungen, hinter denen keine wirkliche Politik steht. Etwas anderes wäre es, wenn der UN-Sicherheitsrat sich aktiv um einen Waffenstillstand bemühen würde und den Konfliktparteien entsprechende positive Angebote oder Anreize bieten könnte. Dann könnte ein Waffenstillstand mit realen politischen Schritten unterfüttert werden.

** Der Autor ist Politikwissenschaftler, Friedensforscher und Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag; www.ag-friedensforschung.de


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