Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Letzter Versuch

"Die Vergrößerung des UN-Sicherheitsrats ist ein zweischneidiges Schwert"

Von Norman Paech*

Manche Pflanzen treiben nach einem unauffälligen Leben plötzlich eine mächtige Blüte hervor, um danach in sich zusammenzufallen und zu verdorren. Vielleicht haben Schröder/Fischer diesen biomorphen Abgang im Sinn, wenn sie unbedingt noch in diesem Sommer die Entscheidung für einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat durchsetzen wollen. Die Verbindung mit einem Veto haben sie realistischerweise bereits aufgegeben. Dafür haben sie sich die Unterstützung weiterer Kandidaten für einen ständigen Sitz gesichert: Japan, Brasilien, Indien - Länder, die aus Gründen der Repräsentation ihrer Kontinente zweifellos eine höhere Legitimation für ihre Forderung vorweisen können als ein drittes westeuropäisches Land.

Die Vergrößerung des UN-Sicherheitsrats ist ein zweischneidiges Schwert. Unter demokratischen Gesichtpunkten der Vertretung bisher nicht repräsentierter Regionen ist sie zu begrüßen. Allerdings wird sie die ohnehin begrenzte Handlungsfähigkeit des Sicherheitsrats weiter schwächen. Entscheidungen mit 25 statt 15 Staaten zu erreichen, ist ungleich komplizierter. Diese Klagen kennen wir von der EU-Erweiterung. Für die USA wird alles schwieriger, wenn sie sich das Abstimmungsverhalten Brasiliens, Indiens und Chinas bei den WTO-Konferenzen vor Augen hält – und die Aussicht auf eine weitere Vasallenregierung nach den Herbstwahlen in Deutschland wird ihre Vorbehalte nicht verringern, denn solche politischen Konstellationen können sich wieder ändern. Sie werden am besten die Entscheidung bis nach den Wahlen verzögern, denn die Union hat nie ein besonderes Interesse an dieser erstmals von Außenminister Kinkel aufgebrachten Idee gezeigt.

Was hinter dieser Prestigefrage vollkommen verschwindet, ist die wirkliche Reform der UNO, für die es nur einen engen Rahmen gibt. Aber was ist das für ein Verständnis von Reform, welches sie mit der ständigen Mitgliedschaft Deutschlands im Sicherheitsrat identifiziert? Es muss kein Vaterlandsverräter sein, wer die Zweifel vieler Länder an der Unabhängigkeit deutscher Regierungen in Fragen der Weltwirtschaft und Weltordnung teilt. Und die Abneigung gegen die Aufnahme des sechsten und siebten Staates der G-8 in den nicht minder exklusiven Kreis der ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats ist ebenfalls verständlich.

Man muss nicht ständiges Mitglied sein, um die USA zur Einhaltung des Kyoto-Protokolls und des NPT-Vertrages sowie zum Beitritt zum Internationalen Strafgerichtshof zu bewegen, sie von der Entwicklung weiterer Atomwaffen abzuhalten, sie zu drängen, den Skandal von Guantánamo zu beenden und ihr Bekenntnis zu einem palästinensischen Staat endlich in die Tat umzusetzen, ehe die Regierung Sharon durch weitere Siedlungen das Ziel endgültig vereiteln kann. Die Regierung wird uns sagen, dass sie an all diesen Problemen seit langem intensiv wenn auch ohne den gewünschten Erfolg arbeite. Man könnte ihr empfehlen, die ganze diplomatische Kraft, die ein nutzloses Prestigeobjekt verbraucht, zusätzlich in die Rückbindung der USA an jene Institution zu investieren, die sie vor genau 60 Jahren selbst mit gegründet haben. Die Fortführung alter Projekte aus der Kohl-Ära hat der rot-grünen Regierung – soviel ist jetzt an ihrem Ende sicher – in keinem Fall Segen gebracht.

Prof. Dr. Norman Paech, Hamburg, Völkerrechtler

Dieser Beitrag erschien als Kolumne im "Neuen Deutschland" am 18. Juni 2005



Weitere Berichte zur Reform der Vereinten Nationen

Zurück zur Seite "Vereinte Nationen"

Zurück zur Homepage