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Die Diskussionen über die UN-Reformen übersehen die unterschiedliche Rolle von Frauen und Männern in bewaffneten Konflikten / Response to the Secretary General’s Report "In Larger Freedom"

Ein Beitrag von Heidi Meinzolt, München / Women’s International League for Peace and Freedom: Statement

Im Folgenden dokumentieren wir zwei weitere Stellungnahmen zum UN-Reform-Papier von Kofi Annan "In größerer Freiheit": Die erste Stellungnahme stammt von Heidi Meinzolt, München, die sich in ihrem Beitrag u.a. auch kritisch mit einem Artikel von Peter Strutynski auseinandersetzt (ein "Ergebnis seines männlich verengten Blickes", wie Meinzolt schreibt), der Anfang Mai in der taz erschienen war.
Im Anschluss daran dokumentieren wir eine Stellungnahme der Women’s International League for Peace and Freedom (WILPF) [Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit] in englischer Sprache.



Die Diskussionen über die UN-Reformen übersehen die unterschiedliche Rolle von Frauen und Männern in bewaffneten Konflikten

Von Heidi Meinzolt*

Die UN-Grundprinzipien schützen

Die Reform der Vereinten Nationen ist ein komplexes Projekt, das nicht nur an deutschen Sicherheitsinteressen gemessen oder an der Folie “neoliberale Globalisierung” gespiegelt werden darf, wie es jüngst Peter Strutynski an dieser Stelle getan hat. Denn in der dramatischen internationalen Situation von heute steht nichts weniger als der Erhalt der Grundprinzipien der UN-Charta auf dem Spiel. In den Vorschlägen zur UN-Reform, die das von UN-Generalsekretär Kofi Annan eingesetzte „High Panel“ und danach der Generalsekretär selbst vorgelegt haben, mischen sich eine Reihe interessanter Anregungen zu besseren Umsetzung der Charta mit schwerwiegenden Angriffen auf die Grundfesten der Charta. Als europäische Koordinatorin der ältesten Frauenfriedensorganisation der Welt, der 1915 mitten im Ersten Weltkrieg gegründeten „Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit“ (englisch abgekürzt WILPF), möchte ich an die Forderungen erinnern, die die Teilnehmerinnen zweier internationalen Frauenfriedenskongressen 1915 in Den Haag und 1919 in Zürich aufstellten: strikte Anerkennung der Völkerrechts, radikale Abrüstung, Beteilung der Frauen an politischen Entscheidungen. Diese Forderungen haben US-Präsident Woodrow Wilson damals maßgeblich beeinflusst, eine „League of Nations” zu gründen, nämlich den Völkerbund, den Vorgänger der UNO.

Wenn Peter Strutynski behauptet, die vorgelegten Reformvorschläge für die UNO sorgten bloß für „einen Schritt zurück“, dann ist das ein Ergebnis seines männlich verengten Blickes. Es gibt einige deutliche Fortschritte. Dazu gehört, dass Kofi Annan in seinem Dokument „In größerer Freiheit” einen neuen ganzheitlichen Sicherheitsbegriff aufgreift, der anerkennt, dass Entwicklung, Sicherheit und Menschenrechte - und damit auch Frauenrechte - unabdingbar miteinander verknüpft sind. Die Internationale Frauenliga setzt sich schon seit zehn Jahren dafür ein, dass das - in Abkehr von nur militärischer verstandener Sicherheit - seit 1995 auf UN-Ebene ausgearbeitete Konzept der „menschlichen Sicherheit“ auf die Prioritätenliste aller UN-Mitgliedsstaaten genommen wird. Im Hinblick auf die UN-Reformvorschläge hieße das, dass auch in der neu aufzubauenden Gremien wie der „Kommission für Friedenskonsolidierung“ an oberster Stelle stehen sollte, Sicherheit nicht mehr entlang nationaler Grenzen zu definieren, sondern für jeden einzelnen Menschen auf der Erde zu schaffen. „Menschliche Sicherheit“ schließt Geschlechtergerechtigkeit ein, gekoppelt an die Verpflichtungen, die die Regierungen mit der „Pekinger Aktionsplattform“ und der Frauenrechtskonvention CEDAW übernommen haben. Für Frauen und Mädchen bedeutet „menschliche Sicherheit“ auch, in ihren eigenen vier Wänden vor häuslicher und sexualisierter Gewalt sicher sein zu dürfen.

Kofi Annans Empfehlung, die Prinzipien zur Anwendung von Gewalt neu zu definieren, könnte ein positiver Schritt in Richtung Gewaltverzicht sein. Trotzdem ist Vorsicht geboten, denn dieser Schritt muss mit Artikel 33 der Charta in Übereinstimmung stehen, damit alle Versuche friedlicher Konfliktlösung voll ausgeschöpft werden, bevor Gewalt angewendet wird. Hier wäre daran zu erinnern, dass die weltweite Abrüstungsverpflichtung, die in § 23 der UN-Charta formuliert wurde, niemals umgesetzt wurde. Gewaltverzicht setzt voraus, dass die Mechanismen der Charta zur friedlichen Konfliktlösung verstärkt werden müssen. Das heißt unter anderem politische Verhandlungen zu führen, in denen die Frauen und die Zivilgesellschaften der jeweiligen Länder in allen Konfliktphasen beteiligt sind.

Die von Kofi Annan vorgeschlagene Bildung einer neuen „Kommission zur Friedenskonsolidierung“ ist ein weiterer Fortschritt. Jedenfalls dann, wenn sie keine der bisherigen Ressourcen für friedensunterstützende Maßnahmen abzieht. Diese Kommission wird nur dann erfolgreich arbeiten können, wenn bereits in ihrem Mandat verankert wird, dass die Zivilgesellschaften sie beraten sollen, und wenn sie die Verwirklichung von Resolution 1325 des UN-Sicherheitsrats - die volle Partizipation von Frauen auf allen Ebenen von Friedensprozessen - als Teil ihrer Arbeit sieht. Die Kommission könnte auch Konflikte aufgreifen, die (noch) nicht auf der Tagesordnung des Sicherheitsrates stehen. Dazu gehören: Anhörungen von Akteuren, die Konfliktursachen mitproduzieren, also zum Beispiel Waffenlieferanten, Rüstungsproduzenten und Ausbeuter lokaler Rohstoffe.

Kofi Annan hat weiterhin vorgeschlagenen, die UN-Menschenrechtskommission auf „Menschenrechtsrat“ zu verkleinern, um ihrem Glaubwürdigkeitsverlust durch zu viele Menschenrechtsverletzer in ihren Reihen entgegenzuwirken. Dieser Glaubwürdigkeitsverlust aber ist nicht in der Struktur der Menschenrechtskommission begründet, sondern im fehlenden politische Willen bestimmter Mitgliedsstaaten, Menschenrechte in ihrer nationalen Gesetzgebung zu verankern. Ein verkleinerter Menschenrechtsrat birgt die Gefahr, ein Club der reichen weißen Staaten zu werden, der lautstark die Verwirklichung der politischen Menschenrechte einfordert und wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte hintanstellt.

Seit ihrer Gründung hat die Frauenliga die totale und universelle Abrüstung eingefordert und gegen Atomwaffen gekämpft. Es wäre ein großer Fortschritt, wenn die Staatengemeinschaft anerkennen würde, dass die wachsende Bedrohung durch nukleare Proliferation eindeutig unter die von Kofi Annan vorgeschlagene Terrorismusdefinition fällt, weil Nuklearwaffen dazu angelegt sind, „Bevölkerung einzuschüchtern und von Regierungen zu erzwingen, irgendetwas zu tun oder zu lassen“. Hier muss die internationale Zivilgesellschaft ihren Druck verstärken, damit alle UN-Mitgliedsstaaten baldmöglichst einen Vertrag zum Ausstieg aus der Nutzung spaltbaren Materials beschließen und ihren Verpflichtungen im Rahmen des Nichtweiterverbreiterungsvertrags nachkommen.

Unterstützenswert ist auch die von Kofi Annan erneut vorgelegte Forderung nach einer Erhöhung der Entwicklungshilfe der reichen Staaten auf 0,7 Prozent ihres Bruttosozialproduktes. Die Frauenliga hat seit ihrer Gründung die Ausbeutung nationaler Rohstoffe durch multinationale Konzerne kritisiert. Nur ein gerechtes Welthandelssystem, das alle Menschen in Würde leben lässt und ihnen gleichberechtigt Zugang zu lebensnotwendigen Ressourcen garantiert, könnte hier Abhilfe schaffen. Die UN-Unterorganisation UNCTAD sollte dieses neue System vorantreiben.

Einige der Reformvorschläge laufen allerdings Gefahr, der angestrebten Demokratisierung der Vereinten Nationen zuwider zu laufen. In diesem Punkt bin ich mit Peter Strutynski einig: Eine Erweiterung des Sicherheitsrates durch neue Vetomächte wäre alles andere als ein Fortschritt. Wichtiger wäre es hier, die Arbeit des Männerclubs Sicherheitsrat transparenter zu gestalten. Er sollte sich viel stärker als bisher bemühen, das große Wissen der Frauen und der Zivilgesellschaften über Konfliktdeeskalation stärker einzubeziehen, etwa durch informelle Treffen (“Arria Formula”).

* Heidi Meinzolt, von Beruf Lehrerin in München, ist europäische Koordinatorin der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit, die bei der UNO akkreditiert ist. Nähere Informationen unter www.peacewomen.org oder auf deutsch unter www.internationalefrauenliga.de


Response to the Secretary General’s Report "In Larger Freedom"

Women’s International League for Peace and Freedom
30 April 2005

The Women’s International League for Peace and Freedom (WILPF), a ninety-year-old NGO with ECOSOC consultative status, welcomes the opportunity to comment on the recommendations made by UN Secretary-General (SG), Mr. Kofi Annan, in his report to the General Assembly, In Larger Freedom: towards development, security and human rights for all (A/59/2005).

WILPF has supported the United Nations since it’s inception. We continue to support the basic principles enshrined in the UN Charter and seek greater effectiveness of the UN, and the full and rapid implementation of all of its multilateral agreements and treaties. The SG’s recommendations are far-reaching and deserve serious consideration by all UN Member States as well as by, and with, civil society as a whole. We therefore believe that time must be allocated to study the proposed recommendations, and in particular those that will affect the structure of the UN and consequently its Charter, which remains the fundamental document that binds us.

We welcome the recognition in In Larger Freedom of the need for significant governmental commitment to “a new security consensus based on the recognition that threats are interlinked, that development, security and human rights are mutually interdependent.” Since its foundation in 1915, WILPF has used a similar comprehensive approach in its work toward the peaceful settlement of conflict, the eradication of the causes of armed conflict, and for the building of the foundations on which a permanent peace can be constructed. This includes respect for all human rights for all - gender equality, equality among and within nations, the right to development - all in greater freedom. We urge Member States to use a comprehensive human security approach as they formulate their priorities, including the conceptualization of the Peacebuilding Commission, Human Rights Council, the definition of terrorism and the use of force and reform of the principal organs of the UN.

Human Security and Gender Equality
Integral to a human security approach is the use of a gender perspective when considering issues of development, security and human rights. WILPF urges Member States to formulate all their priorities in light of the governmental commitments to the achievement of gender equality and women’s empowerment in the Beijing Platform for Action and the Convention on the Elimination of all forms of Discrimination Against Women (CEDAW).

Civil Society Participation in the September Summit
We are also exceptionally concerned about the lack of civil society input at the national and international level into the outcomes of this report. . At the World Leaders’ Summit in September 2005 there needs to be a segment for civil society participation and involvement, as well as mechanisms to feed into any outcome document. Achievement of the Millennium Development Goals (MDGs), and the goals and principles of the UN more generally, is not possible without the full engagement of civil society.

Peacebuilding Commission
A Peacebuilding Commission would best serve the cause of peace if it had a focus on prevention of conflict and serve as an early warning of emerging conflicts. There will only be success in this if broad consultation and cooperation with civil society, in particular women peacemakers, is built into the mandate of such a Commission. Furthermore, gender must be mainstreamed through the peace and security work of the Commission, as required in ECOSOC Resolution 1997/2 and 2004/4, and called for in UN SCR 1325 on women, peace and security. WILPF envisions the Commission as a forum for the consideration of conflicts that are not on the Security Council’s agenda. The Commission could also provide a venue for long-term peace strategies to be built through hearings with all actors involved in the provocation and maintenance of conflicts, including state actors, International Financial Institutions, the private sector, arms suppliers and manufacturers, and those who are involved in the extraction and selling of local natural resources.. Lastly, any Peacebuilding Commission that is created must be resourced, and not impinge, or detract resources from the entities within the Secretariat already devoted to peace support operations.

Human Rights Council
WILPF is of the opinion that the erosion of credibility of the Commission on Human Rights lies in the absence of political will of the Member States to integrate a human rights framework into national level legislation and law, not in the structure and architecture of the institution. Further, we are concerned that due to current political realities, the proposed Human Rights Council would focus on civil and political rights while potentially ignoring economic, social and cultural rights. Finally, WILPF supports the recommendation to provide the Office of the High Commissioner for Human Rights the necessary resources in order to perform its mandate to the fullest, and suggests that instead of creating a new mechanism, Member States instead work to fully implement the goals and objectives of the Economic and Social Council, which includes encouraging universal respect for human rights and fundamental freedoms.

Nuclear Disarmament
Since it’s inception, WILPF has called on governments to totally and universally disarm. While we welcome the recent convention on nuclear terrorism, we also recognize that this does not deal with the growing reliance on nuclear weapons in national security strategies. The growing threat of vertical and horizontal nuclear proliferation clearly falls under the Secretary-Generals proposed definition of terrorism, because nuclear weapons by their very nature are designed to “intimidate a population or to compel a Government… to do or to abstain from doing any act”. WILPF continues to urge member states to come to an early conclusion on a verifiable fissile materials cut-off treaty. WILPF also urges Member States to strive for universality and fully implement their commitments under the nuclear Non Proliferation Treaty. WILPF also supports the provisional entry into force of the Comprehensive Test Ban Treaty, and urges Member States to ratify this treaty as soon as possible.

Development
WILPF fully supports Member States reaching their target of 0.7 per cent for official development assistance, and urges them to shift their national budgeting priorities away from military expenditures towards development assistance. Beyond development assistance, WILPF urges full debt cancellation, and in particular, for HIPC countries. With regard to trade, WILPF, for 90 years, has expressed concern about systems of economic exploitation In recent years WILPF has opposed any extension of negotiations leading to further trade liberalization; we have called for an international trading system that will enable all to live in dignity with access to essential resources. We believe that UNCTAD is the body that should be authorized to construct such an international trading system. WILPF is also concerned about the open invitation to corporations to become more involved in development, and recommends that this only move forward if there are transparency and accountability measures fully in place. Lastly, WILPF does not support the Global Compact with corporations.

UN Reform
WILPF is concerned that some of the specific reform proposals run contrary to the democratization of the UN. While we support the expansion of the Security Council we urge Member States not to create new divisions by creating new categories of membership. WILPF does not support the veto power of the five recognized nuclear weapons states, and urges the General Assembly to investigate how this veto power prevents substantive action on the part of the Security Council. WILPF also encourages the Security Council to be more transparent and to increase the number of Arria Formula meetings with civil society, and find creative ways to work in collaboration with both state and non-state actors in preventing conflict.

We are concerned that some of the structural reforms and recommendations advanced in the annex of In Larger Freedom might lead to more military interventions and detract attention from attempts to eliminate the root causes of armed conflict. All commitments made on UN reform at the World Leaders’ Summit in September 2005 and in the coming years must be based on existing commitments and international law.

WILPF will continue to support the United Nations and the full implementation of its Charter. We look forward to opportunities for further dialogue on these wide-reaching proposals.


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