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Trotz Italiens Catenaccio

Deutschland im UN-Sicherheitsrat: Einer Regierung Merkel winkt ein schönes Antrittsgeschenk

Von Uli Cremer, Hamburg*

Links wie rechts ist man sich in diesen Wochen einig: Mit dem deutschen Sitz im UN-Sicherheitsrat wird es nichts, was man schon immer gewusst habe. Die beiden Veto-Mächte USA und China seien schließlich dagegen. Aber sind sie das wirklich? Eilt Schröder tatsächlich einer außenpolitischen Niederlage entgegen?

Auf dem UN-Parkett ist momentan eine Kontroverse zwischen den G4, bestehend aus Brasilien, Deutschland, Indien und Japan, sowie der von Italien angeführten "Vereint für Konsens"-Gruppe zu erleben. Die G4 möchten sechs neue ständige Sitze und davon gleich vier selbst besetzen - die anderen zwei sollen von afrikanischen Ländern eingenommen werden. Neuerdings wird auf ein Veto-Recht verzichtet.

"Vereint für Konsens" wiederum besteht im Kern aus 13 Staaten, darunter auffällig viele regionale Rivalen der G4, und präsentiert gute Argumente dafür, keine neuen ständigen Sitze einzurichten. Ihr Vorschlag: es sollte künftig erneuerbare Vier-Jahres-Mandate geben. Das erscheint allemal demokratischer als der G4-Vorschlag und verdient Unterstützung. Doch was besser ist, muss sich nicht durchsetzen, denn international sind Italien & Co. unverkennbar in der Defensive. Fußballerisch ausgedrückt greifen die G4 um Brasilien gerade an, während Italien mit zwölf Getreuen der berühmten Catenaccio-Taktik folgt. Das derzeitige Ziel ist schlicht, den G4-Vorschlag zu verhindern, doch die benötigte Sperrminorität von 64 Stimmen hat "Vereint für Konsens" offenbar längst nicht zusammen. Dagegen behauptet der deutsche UN-Botschafter Pleuger, die Zwei-Drittel-Mehrheit für die G4-Offerte sei gesichert. Selbst römische Zeitungen gehen davon aus, dass den G4 nur noch acht Stimmen fehlen.

Insofern wären die beiden Veto-Mächte - trotz aller Vorbehalte gegen den G4-Vorstoß - nicht gut beraten, wollten sie sich ausgerechnet jetzt festlegen. Eigene Vorschläge zu unterbreiten, wäre angesichts des bekannten G4-Zeitplans ebenfalls nicht ratsam. Immerhin ist die Wahrscheinlichkeit recht groß, dass die G4 noch bis Juli eine Kampfabstimmung anzetteln und gewinnen.

Zwar hat China wiederholt für einen Konsens und gegen jeglichen Zeitdruck sowie gegen einen japanischen Sitz plädiert, doch wollte sich die Volksrepublik nie in die Italien-Gruppe einordnen, sondern im Hintergrund bleiben. Die USA warten gleichfalls ab, auch wenn sie mit ihrem Votum für eine ständige Präsenz Japans gegen Italien Position bezogen haben. Ein Bekenntnis zum deutschen Sitz hingegen wäre momentan Wahlkampfhilfe für Schröder und unterbleibt deswegen kategorisch.

Sollten nun die G4 in diesem Sommer tatsächlich eine Mehrheit für ihren Vorschlag zustande bringen, können China und die USA das Verfahren noch an zwei Stellen torpedieren: Zunächst einmal in der Generalversammlung, wenn dort nach den G4-Vorstellungen - vermutlich vor der Wahl in Deutschland - über einzelne Bewerber abgestimmt werden sollte. China könnte dabei versuchen, eine Negativkoalition gegen Japan zu formieren. Denkbar wäre auch ein US-Botschafter, der einen europäischen Gegenkandidaten zu Deutschland präsentiert.

Außerdem könnten Amerikaner und Chinesen die Ratifizierung verweigern und damit die UN-Reform an sich erledigen. Freilich dürften sich beide Veto-Mächte einen solchen Schachzug genau überlegen, da Kofi Annans Inventur und Innovation bereits erstaunlich weit gediehen ist. China und die USA wären vor aller Welt als üble Reformverhinderer diskreditiert - der Imageschaden könnte beachtlich sein. Folglich dürften sich zumindest die Amerikaner darauf besinnen, dass neue Sitze ohne Veto-Recht keine Tragödie sein müssen und mit Japan sowie Deutschland überdies die westliche Bank stärker besetzt würde. Schröder und Fischer, die den deutschen Sitz gegen das Genörgel von CDU/CSU/FDP durchgefochten hätten, wären vermutlich nicht mehr im Amt, wenn es ans Ratifizieren geht. So könnte das neue UN-Mandat zu einem Antrittsgeschenk für eine Regierung Merkel avancieren und als ein erster "außenpolitischer Erfolg" willkommen sein.

* Aus: Freitag 24, 17. Juni 2005


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