Kann der UN-Sicherheitsrat bei der Wahrung des Friedens und im Kampf gegen Krieg eine produktive Rolle spielen?
Überlegungen zur Funkion, Reichweite und Zukunft des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen
Von Gregor Schirmer*
Kann der Sicherheitsrat (SR) der Vereinten Nationen (VN) bei der Wahrung von Frieden und Sicherheit und im Kampf gegen Kriege und andere Verletzungen des Gewaltverbots in Zukunft eine produktive Rolle spielen? Von der Antwort auf diese Frage hängt die Position der PDS zur Reform des SR ab. In einem durch die realen Machtverhältnisse begrenzten Maße beantworte ich diese Frage mit ja. Linke und Friedensbewegte brauchen aber einen kritischen Standpunkt zu diesem Hauptorgan der VN.
Gründungsgründe
Die Mitglieder der VN haben mit Art. 24 Abs. 1 der Charta dem SR "die Hauptverantwortung für die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit" übertragen und ihn zu diesem Zweck mit außerordentlichen Befugnissen und institutionellen Mechanismen ausgestattet. Als einziges Organ der VN kann er nach Art. 25 Beschlüsse fassen, die für alle Mitglieder verbindlich sind. Insbesondere kann er nach Kapitel VII unter bestimmten Voraussetzungen militärische Sanktionen verhängen. Das ist als Ausnahme von dem ansonsten strengen Verbot der Anwendung und Androhung von (militärischer) Gewalt nach Art. 2 Ziffer 4 der Charta äußerst weitgehend. Zur Durchführung solcher Sanktionen sollten dem SR nach Maßgabe von Sonderabkommen mit den Mitgliedern der VN Streitkräfte zur Verfügung gestellt werden. Dazu kam es im Kalten Krieg und auch danach nicht. Im SR erhielten China, Frankreich, Großbritannien, die Sowjetunion, jetzt Russland, und die USA einen ständigen Sitz, während die zuerst nur sechs, ab 1965 zehn anderen Mitglieder im Zweijahres-Rhythmus wechseln. Zudem wurden die ständigen Mitglieder mit einem Veto-Recht, also mit der Befugnis ausgestattet, jeden substanziellen Beschluss des SR durch eine Gegenstimme zu verhindern.
Diese Regeln waren eine conditio sine qua non für die Gründung der VN. Auf der Konferenz in Dumbarton Oaks (August/September 1944) waren sie umstritten und blieben offen. Großbritannien wollte - halbherzig von den USA unterstützt - das Veto-Recht eines ständigen Mitglieds des SR in denjenigen Fällen ausschließen, in denen dieses Mitglied selbst Streitpartei ist. Das wollte und konnte die Sowjetunion nicht akzeptieren. Sie befürchtete zu Recht, dass eine solche Lösung als Diktat gegen sie verwendet werden würde. Auf der Drei-Mächte-Konferenz in Jalta (Februar 1945) wurde ein Kompromiss erreicht. Stalin ließ sich die "Jalta-Formel" etwas kosten. Er verzichtete auf seine Forderung, alle 16 Unionsrepubliken als Mitglieder der VN aufzunehmen und begnügte sich mit der Mitgliedschaft der Ukraine und Weißrusslands. Er verzichtete ferner auf die Teilnahme an der Verwaltung ehemaliger Kolonien Deutschlands und Italiens. Im Gegenzug akzeptierten Churchill und Roosevelt diese Formel, die in den Art. 27 der Charta übernommen wurde und die im Original lautet:
1. Jedes Mitglied des Sicherheitsrates hat eine Stimme.
2. Beschlüsse des Sicherheitsrates über Verfahrensfragen werden durch eine Mehrheit von sieben [seit 1965 neun] Stimmen der Mitglieder gefasst.
3. Beschlüsse des Sicherheitsrates über alle anderen Fragen werden durch eine Mehrheit von sieben [seit 1965 neun] Stimmen der Mitglieder, inbegriffen die gleichlautenden Stimmen der Ständigen Mitglieder, gefasst, wobei vorausgesetzt wird, dass sich bei Beschlüssen nach ... [dem jetzigen Kapitel VI über friedliche Streitbeilegung, nicht jedoch nach dem jetzigen Kapitel VII] ... eine an einem Streitfall beteiligte Partei der Stimme enthält.[1]
Auf der Gründungskonferenz der VN in San Francisco (April-Juni 1945) wäre beinahe noch ein Rückschlag passiert, als die Sowjetunion ein Veto-Recht auch bei Verfahrensfragen beanspruchte. Das Hindernis konnte durch Rücksprache mit Stalin ausgeräumt werden. Es wurde vereinbart, dass im Zweifelsfall die Vorfrage, ob ein Beschluss eine Verfahrensfrage betrifft, dem Veto unterliegt. Später bürgerte sich gewohnheitsrechtlich ein, dass Stimmenthaltung eines ständigen Mitglieds und dessen Nichtteilnahme an der Abstimmung nicht als Veto gewertet werden.
Ich meine, dass man diese Vorgeschichte ins Kalkül ziehen muss, wenn man heute den SR beurteilt. Es gäbe keine VN und damit keine Revolution im Völkerrecht, kein Gewaltverbot, keine entsprechend ausgeformten Prinzipien des Völkerrechts, wenn es diesen Kompromiss nicht gegeben hätte. Die marxistische Völkerrechtswissenschaft sprach weniger vom Veto-Recht als vom Prinzip der Einstimmigkeit der fünf Siegermächte des II. Weltkriegs.[2] Das war so falsch nicht. Von der Übereinstimmung der fünf Mächte hing damals und hängt zu einem guten Teil noch heute die Wahrung von Frieden und Sicherheit in der Welt ab.
Während des Kalten Krieges war der Rat weitgehend, aber keineswegs gänzlich blockiert. Es kam auch in dieser Zeit zu historisch und aktuell bedeutsamen Beschlüssen, wie z.B. der Resolution 242 vom 22. 11. 1967 zur Palästina-Frage, in der der Rückzug Israels aus den besetzten Gebieten gefordert wurde. Im ersten Golfkrieg, dem Krieg des Irak gegen den Iran 1980 - 1988 hat der SR einen aktiven Beitrag zur Wiederherstellung des Friedens geleistet.[3] Bis Dezember 1989, also in 45 Jahren, hat der SR etwa 650 Beschlüsse gefasst.
Seit dem Epocheneinschnitt von 1990 – also in knapp 15 Jahren - wurden weitere 800, also eine wahre Inflation von Resolutionen verabschiedet. Im Januar 1992 fand zum ersten und einzigen Mal eine Tagung des SR auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs statt. Der Generalsekretär der VN (GS) wurde ersucht, eine Analyse und Empfehlungen vorzulegen wie man die Fähigkeit der VN zu vorbeugender Diplomatie, zum "peacemaking" und "peacekeeping" stärken und wirksamer machen kann.[4] Boutros Boutros-Ghali hat sich dieser Aufgabe durch seine "Agenda for peace" entledigt.[5] Unter den Empfehlungen befand sich die Idee, den Mechanismus des Kapitels VII der Charta zu beleben und Friedenserzwingungseinheiten ("peace-enforcement units") aufzubauen. Ihr Einsatz sollte unter der Autorität des SR und unter dem Kommando des GS stehen. Der Vorschlag fand kein Echo. Die VN-Mitglieder, allen voran die USA, aber auch die anderen NATO-Staaten, Russland und China, waren und sind nicht bereit, Soldaten aus ihrer eigenen Befehlsgewalt zu entlassen und sie dem SR und dem GS zur Verfügung zu stellen.
Zur Forderung, die Rolle der VN und ihres SR zu stärken, gibt es nach meiner Meinung keine vernünftige Alternative, wenn es auch wenig wahrscheinlich ist, dass angesichts des internationalen Kräfteverhältnisses in absehbarer Zeit grundlegende Änderungen möglich sind. Das Veto-Recht ist im übrigen ein zweischneidiges Schwert. Mit einem eingelegten oder angekündigtes Veto können sowohl "gute", als auch "schlechte" Ratsbeschlüsse verhindert werden. Der Rat hat in mancher Hinsicht eine positive Rolle gespielt. Ohne den SR gäbe es noch katastrophalere Zustände in dieser Welt. In manchen Krisengebieten hat er konfliktberuhigend und friedensfördernd gewirkt. So war die Mission des SR in Kambodscha im großen und ganzen erfolgreich. Sie hat allerdings auch als Einstieg in die Auslandseinsätze der Bundeswehr herhalten müssen.[6]
Man muss also ein differenziertes Urteil fällen. Aber als Hauptinstrument der VN zur Friedensbewahrung hat der Rat insgesamt gesehen seine Aufgaben nach der Charta nicht erfüllt. Das liegt daran, dass seine ständigen und zeitweiligen Mitglieder meist nicht den politischen Willen aufbrachten, ihre Pflichten zu erfüllen und dass der Rat an strukturellen Defiziten und Dilemmata leitet.
Defizite, Resultate und Dilemmata
Erstens. Alles Verständnis für die Entstehungsgeschichte des SR ändert nichts daran, dass er aus heutiger Sicht ein arges Demokratie-Defizit aufweist, auf das linke Politik kritisch hinweisen muss. Die Privilegien der USA, Russlands, Frankreichs, Englands und Chinas als ständige Ratsmitgliedschaft mit Veto-Recht widersprechen dem Art. 2 Ziffer 1 der Charta: "Die Organisation beruht auf dem Grundsatz der souveränen Gleichheit aller ihrer Mitglieder." Das für Frieden und Sicherheit wichtigste Organ der VN beruht gerade nicht auf diesem Grundsatz. Die einzige Weltmacht, vier Großmächte und zehn weitere mehr oder weniger ausgekungelte Mitglieder sollen nach Art. 24 Abs. 1 im Namen aller 191 VN-Mitglieder handeln. Kein akzeptables Prinzip für "global governance", aber immerhin besser, als stünde dieses Recht, im Namen aller zu handeln, allein der übrig gebliebenen Weltmacht zu.
Wenn diese Privilegien schon nicht abgeschafft werden können, müssen sie so verteilt werden, dass die Staaten Afrikas, Asiens und Lateinamerikas angemessen berücksichtigt werden, sodass wenigstens ein Mindestmaß an Gerechtigkeit und Repräsentanz obwaltet. Kein afrikanischer Staat, kein lateinamerikanischer und – außer China – kein asiatischer Staat sitzt ständig im SR. Das Manko ist nicht, dass Deutschland und Japan keine ständigen Sitze mit Veto-Recht haben, sondern dass die "Dritte Welt" unter den mit Veto-Recht ausgestatteten ständigen Mitglieder fehlt und auch unter den nichtständigen Mitgliedern total unterrepräsentiert ist. Ist der festgefressene Verteilungsmodus der nichtständigen Sitze noch zeitgemäß? Wahrhaftig nicht! Er entspricht nicht einmal dem Art. 21 der Charta, der nicht nur geographische Gesichtspunkte als Kriterium vorschreibt, sondern "in erster Linie" den Beitrag eines VN-Mitglieds zu Frieden und Sicherheit und zu anderen Zielen der VN. Von den 10 nichtständigen Sitzen entfallen nur vier auf die Staaten Afrikas und Asiens, die aber fast zwei Drittel der Mitglieder stellen. Die 25 Staaten der EU haben vier bis fünf Mitglieder im SR, die 50 Staaten der Afrikanischen Union zwei. Was ist mit der Vertretung der arabischen Staaten oder der 54 Mitglieder der Organisation der Islamischen Konferenz oder der 25 am wenigsten entwickelten Länder? Die PDS muss solche Fragen stellen.
Zweitens. Die USA verfügen nicht nur – wie die anderen vier Ständigen – über ein Veto-Recht, sie dominieren im SR Kraft außerrechtlicher Faktoren, politischer, militärischer, wissenschaftlich-technischer und ökonomischer Macht. Dadurch werden Akzeptanz und Effektivität des SR wesentlich geschmälert. Die verbliebene Supermacht kann im Rat in der Regel ihren Willen durchsetzen und ihn für ihre imperialistische Politik instrumentalisieren. In der Kriegsfrage geschah das durch erzwungene und erkaufte Resolutionen zur Anwendung militärischer Gewalt in den Fällen des zweiten Golfkriegs, Somalias, Ruandas, Haitis und Osttimors, sowie Bosniens. Sie kann mit ihrem Veto ihr nicht genehme Beschlüsse verhindern. Sie kann im Falle von Widerspenstigkeit ohne den Rat und gegen die Mehrheit seiner Mitglieder handeln und sie macht das auch ohne Skrupel, wie der Aggressionskrieg gegen den Irak, der dritte Golfkrieg, zeigt. Sie kann den SR auf die traurige Rolle passiver und kritikloser Hinnahme militärischer Aggressionsschläge, nachträglicher – wenn nicht förmlich-juristischer, so doch politischer - Sanktionierung solcher Schläge und auf die marginale Mitwirkung bei der Schadensbegrenzung und beim "peace-building" reduzieren.
Aber sie kann im Rat Dank des Veto-Rechts der anderen Vier nicht nach Belieben schalten und walten und ihn ohne Widerstand zur Legitimierung militärischen Losschlagens missbrauchen. Fall 1: Der Kosovo-Krieg gegen Jugoslawien, der keine Auflassung des Rats zu militärischen Sanktionen hinter sich hatte. Fall 2: Der Krieg gegen Afghanistan, der durch den SR nicht gedeckt war, weil in den Präambeln der einschlägigen Resolutionen zwar ein allgemeiner Bezug auf das Selbstverteidigungsrecht steht, aber im eigentlichen Beschlussteil keine Auflassung zu Militärschlägen enthalten ist. Fall 3: Der Krieg gegen den Irak gegen den erklärten Willen der Mehrheit der Mitglieder des SR, darunter die ständigen Mitglieder China, Frankreich, Russland und das zeitweilige Mitglied Deutschland. In allen drei Fällen wurden völkerrechtswidrige Aggressionen vom Sicherheitsrat jedoch ohne den Versuch der Verurteilung des Aggressors geduldet oder post festum politisch zumindest in Kauf genommen. Jüngstes Beispiel sind die zwei Irak-Resolutionen 1483 vom 22. 5. 2003 und 1546 vom 8. 6. 2004. Durch sie wurde die Besetzung des Irak durch die Streitkräfte der Aggressoren unter der irreführenden Bezeichnung "authority" und "multinational forces" sanktioniert.
Drittens. Der SR soll nach Kapitel VI der Charta eine wichtige Rolle bei der friedlichen Streitbeilegung spielen.[7] Dieses Kapitel konkretisiert das völkerrechtlich verbindliche Prinzip der friedlichen Streitbeilegung und gibt dem SR das Recht, in Streitfälle empfehlend einzugreifen, die von den Streitparteien selbst nicht gelöst werden, die aber zur Gefährdung von Frieden und Sicherheit führen können. Der SR kann auf die Streitparteien durch Empfehlungen zur Regelung der Streitfragen einwirken und Untersuchungen anordnen. Die Erfolge sind bescheiden, obwohl es an einschlägigen Resolutionen nicht fehlt. Die Ursache liegt im mangelnden politischen Wille der Streitparteien oder von Mitgliedern des SR oder beider. Das Kapitel VI sollte in der internationalen Politik eine größere Rolle spielen.
Wegen des Scheiterns des Kapitels VII wurde aus Kap. VI die Rechtsgrundlage für die "Blauhelmeinsätze" entwickelt, die inzwischen bis in die vierte Kategorie typisiert werden.[8] Ich will mich auf die Kategorisierungen nicht einlassen. Wesentlich für die Beurteilung solcher Missionen sind folgende Grundsätze: a) Es muss sich um Maßnahmen auf Beschluss und unter dem Kommando des SR handeln. b) Die betroffenen Parteien stimmen den Maßnahmen freiwillig zu. c) Der SR und die an der Mission beteiligten Staaten wahren Unparteilichkeit. d) Die Maßnahmen werden nicht mit militärischer Gewalt durchgesetzt, es sei denn Selbstverteidigung gegen bewaffnete Angriffe ist nötig. Problematisch ist die Ausdehnung der Selbstverteidigung auf die "Verteidigung" des Auftrags gegen Widerstände, vor allem wenn der Auftrag vom SR nicht so genau bestimmt wurde.
Viertens. Der SR hat den Begriff der Friedensbedrohung nach Art. 39 der Charta in unzulässiger Weise extensiv ausgelegt und angewendet. Der SR muss, bevor er nichtmilitärische oder militärische Sanktionen verhängt, nach Art. 39 feststellen, ob eine Bedrohung oder ein Bruch des Friedens oder eine Angriffshandlung vorliegt. Die Interpretation des Begriffs "Bedrohung des Friedens" erweist sich als das Tor für das Eingreifen in innerstaatliche Situationen durch Verhängen von Sanktionen – friedlichen oder militärischen. Mehr oder weniger direkt wurden tatsächliche oder behauptete schwere Menschenrechtsverletzungen im Inneren eines Landes als Friedensbedrohung bewertet und mit Sanktionen belegt. Das übersteigt die Aufgaben und Befugnisse des Rats. Der SR soll sich um den Weltfrieden und die internationale Sicherheit, auch im regionalen Bereich, kümmern. Die Sorge um den Frieden und die Sicherheit im Inneren der Staaten, also innerhalb von deren völkerrechtlich anerkannten Grenzen, unterliegt nicht seinen Befugnissen, es sei denn, es entstehen international friedensbedrohende Auswirkungen innerstaatlicher, z. B. menschenrechtswidriger Zustände.
Der Friedensbegriff des Art. 39 meint de lege lata den internationalen Frieden, nicht den innerstaatlichen. Eine Rechtsfortbildung, die den Friedensbegriff gewohnheitsrechtlich in Richtung auf den innerstaatlichen Frieden erweitert hätte, hat (bisher) nicht stattgefunden.[9] Daran können die wenigen Resolutionen des Rats nichts ändern, in denen allein innerstaatliche Situationen ohne internationale Auswirkungen als Friedensgefährdung bezeichnet wurden. Ich halte eine solche Ausweitung auch de lege ferrenda nicht für erstrebenswert, sondern für gefährlich. Sie würde die Grundlage dafür schaffen, "diktatorische" oder sonst wie "menschenrechtsfeindliche" Regime durch militärische Gewalt von außen zu beseitigen. Das könnte zum Ende einer Friedensordnung führen, wie sie die Charta bestimmt und anstrebt.
Fünftens. Nach Art. 41 kann der SR nichtmilitärische Sanktionen verhängen. Das hat er seit 1990 häufig getan.[10] Die Charta nennt ausdrücklich "die vollständige oder teilweise Unterbrechung der Wirtschaftsbeziehungen, des Eisenbahn-, See- und Luftverkehrs, der Post-, Telegraphen- und Funkverbindungen sowie sonstiger Verkehrsmöglichkeiten und den Abbruch der diplomatischen Beziehungen". Nun sind solche nichtmilitärischen Sanktionsmaßnahmen im Prinzip militärischen Gewaltmaßnahmen vorzuziehen. Konsequent durchgesetzte Waffenembargos können wirksame Instrumente der Friedensbewahrung sein. Aber meist treffen ökonomische und verkehrstechnische Sanktionen die Zivilbevölkerung, vor allem die Armen, die Frauen und die Kinder, während die Herrschenden Mittel und Wege finden, um sich den beabsichtigten Wirkungen zu entziehen. Man denke nur an die verheerenden Folgen der Sanktionen gegen den Irak. Auch die negativen ökonomischen Folgen von Sanktionen für Drittländer – Nachbarstaaten und Handelspartner – sind zu bedenken. Eigensüchtige Interessen von Staaten, Banken und Konzernen sind bei diesen Sanktionen im Spiel.
Gleichwohl sollte man friedliche Sanktionen nicht in Bausch und Bogen verwerfen. Sie müssen gezielt gegen die Verursacher von Friedensbedrohungen verhängt und dann auch konsequent durchgesetzt werden. Sie dürfen nur zu dem Zweck durchgeführt werden, den der SR festgelegt hat und müssen eingestellt werden, sobald dieser Zweck erreicht ist. Humanitäre Güter müssen von Sanktionsmaßnahmen ausgeschlossen bleiben. Im jüngsten Fall schwerer Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Darfur, Somalia hat sich der SR in der Resolution 1586 vom 30 7. 2004 zwar auf Kapitel VII der Charta berufen, aber keine nichtmilitärischen Sanktionen nach Art. 41 gegen die Regierung Sudans verhängt sondern solche erst für später "in Betracht gezogen". Er hat aus durchsichtigen politischen und ökonomischen Interessen einiger seiner Mitglieder auf Sanktionen verzichtet.
Der SR hat seit 1990 für jeden beschlossenen Sanktionsfall ein eigenes Sanktions-Komitee gebildet. Diesen Komitees gehören alle Mitglieder des SR an, es wird im Konsens entschieden, also bei einem 15-fachen Veto. Darüber hinaus gibt es eine Working Group über allgemeine Fragen von Sanktionen. Es ist nicht gelungen, durch diese institutionellen Vorkehrungen den friedlichen Sanktionen eine klare und effektive friedensorientierte und menschenrechtskonforme Richtung zu geben.
Sechstens. Der Sicherheitsrat ist nach der Charta kein Gerichtsherr und kein Rechtsetzungsorgan. So hat er sich aber in den letzten Jahren wiederholt betätigt ohne dass das in der Öffentlichkeit groß auf Beachtung oder gar auf Kritik gestoßen ist.
Durch die Resolutionen 827 vom 25. 5. 1993 und 955 vom 8. 11.1994 wurden die ad-hoc-Strafgerichte zu Jugoslawien und zu Ruanda eingerichtet. Der SR berief sich dabei auf Kapitel VII der Charta. Nach Art. 29 kann der Rat Nebenorgane einsetzen. Aber – abgesehen von dem Einwand, dass im Falle Jugoslawiens nur die Amtspersonen des Aggressionsopfers nicht aber die Amtspersonen des Aggressors verfolgt werden, abgesehen von dieser Einseitigkeit - hat der SR nicht die Befugnis, als Sanktionen und Nebenorgane Strafgerichte einzusetzen und dafür das geltende materielle und Verfahrensrecht zu beschließen und auch noch die Richter und Ankläger zu bestimmen.[11] Ein solches Vorgehen widerspricht den Erfordernissen von Rechtsstaatlichkeit und ordentlicher Gerichtsbarkeit nach Art. 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention von 1950 und Art. 14 des Paktes über bürgerliche und politische Rechte von 1966.
Mit der Resolution 1373 vom 28. 9. 2001 hat der SR wesentliche Teile des noch nicht in Kraft getretenen Internationalen Abkommens zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus vom 7. 12. 1996 kurzer Hand für alle Staaten für verbindlich erklärt, also völkerrechtliche Normen gesetzt. Ähnliches geschah durch die Resolution 1540 vom 28. 4. 2004, durch die – ebenfalls unter Berufung auf Kapitel VII – allgemeine Maßnahmen beschlossen wurden, um den Zugang "nichtstaatlicher Akteure" zu nuklearen, chemischen und biologischen Waffen und ihren Trägersystemen zu verhindern.
Nichts gegen die Ziele dieser Resolutionen. Aber die Methode, die Regelungen per Beschluss des SR für verbindlich zu erklären und damit den mühsamen Weg des Aushandelns von Verträgen und des Erreichens der völkerrechtlich wirksamen Teilnahme an ihnen durch Unterzeichung und Ratifizierung zu umgehen, ist nicht akzeptabel. Sie widerspricht dem Prinzip der Souveränität der Staaten und dem Grundsatz, das allgemein verbindliche Normen des Völkerrechts nur durch Vertrag oder Gewohnheitsrecht zustande kommen können, nicht aber durch Entscheidungen des SR. Der SR hat sich nach Kapitel VII um einzelne Situationen zu kümmern, die Friedensgefährdungen, Friedensbrüche und Angriffshandlungen darstellen. Die Charta gibt ihm nicht die Befugnis, allgemein verbindliche Normen zu erlassen. Ich wiederhole: Der SR ist keine Weltregierung und schon gar kein Weltgesetzgeber und es ist – jedenfalls für Linke – nicht erstrebenswert, dass er sich dazu aufschwingt.
Siebentens. Der SR kann bei Vorliegen der entsprechenden völkerrechtlichen Voraussetzungen nach Art. 42 militärische Sanktionsmaßnahmen gegen einen Aggressor beschließen. Er "kann mit Luft-, See oder Landstreitkräften die zur Wahrung oder Wiederherstellung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen durchführen. Sie können Demonstrationen, Blockaden und sonstige Einsätze der Luft-, See- oder Landstreitkräfte der Vereinten Nationen einschließen." Unter die "sonstigen Einsätze" fallen Militärschläge, die nach meiner Meinung nur im äußersten Fall gegen einen Aggressor zulässig sind.
Rechtlich und politisch äußerst bedenklich ist die Praxis der Ermächtigung, Autorisierung oder Mandatierung – wie immer man das auch nennen mag - von Staaten oder Staatengruppen durch den SR zur Anwendung militärischer Gewalt. Da der Sicherheitsmechanismus des Kapitels VII und sein Instrumentarium für militärische Sanktionen niemals in Funktion getreten sind, der Rat also über keine eigenen Streitkräfte zur Durchführung militärischer Sanktionen verfügt, hat er sich darauf verlegt, VN-Mitgliedern das Mandat zur Anwendung von Waffengewalt zu erteilen. Nach Art. 48 der Charta kann der Rat Maßnahmen zur Durchführung seiner Beschlüsse in der Tat auch einzelnen VN-Mitgliedern übertragen.
In Wirklichkeit überträgt der Rat nicht nur die Durchführung seiner Entscheidungen, sondern die Entscheidung selbst an andere. Er gibt die ausschließlich ihm übertragene Verantwortung für die Leitung solcher Maßnahmen ab. Er erteilt regelmäßig ein unspezifiziertes Mandat, welches eine inhaltlich unbegrenzte Vollmacht enthält, die - wie es in den entsprechenden Resolutionen vornehm-verhüllend heißt – "zu allen erforderlichen Maßnahmen ermächtigt", also auch zum militärischen Losschlagen. Der SR ist damit nicht mehr Herr des Verfahrens. Die Entscheidung über die Anwendung militärischer Gewalt ist abgegeben und an andere delegiert. Der SR hat nach erfolgter Ermächtigung im Prinzip nichts mehr zu sagen. Die Ermächtigung anderer zum militärischen Losschlagen ist eine Art Selbstentmannung des SR – in der Regel zugunsten der USA und der NATO. Die Entscheidung über militärische Zwangsmaßnahmen wird in das Ermessen einzelner Staaten oder Staatengruppen gestellt. Ein Mandat erfordert eine klare Bestimmung, was der Mandatar darf und was er nicht darf. Art. 46 der Charta besagt zudem, dass "die Pläne für die Anwendung von Waffengewalt... vom Sicherheitsrat... aufgestellt werden", nicht von den USA oder der NATO. Eine solche Praxis der Autorisierung ist in der Charta nicht vorgesehen, sie ist chartawidrig und sollte von Linken und Friedensbewegten nicht toleriert werden.
In dem renommierten Lehrbuch "Völkerrecht" von Knut Ipsen heißt es: "Der Rahmen der Charta wird dann verlassen, wenn die Ausübung militärischer Gewalt auf einen Staat oder eine Staatengruppe so übertragen wird, dass der Sicherheitsrat seiner Kontrollfunktion nicht mehr gerecht werden kann. Ein solcher Fall liegt z.B. in einer zeitlich nicht begrenzten Ermächtigung."[12] Noch deutlicher schreibt Michael Bothe im Lehrbuch von Graf Vitzthum: "Dieses Konzept ist politisch und rechtlich zweifelhaft, da es einseitiger Großmachtregie Tür und Tor öffnet und die Konzentration der Entscheidungsbefugnisse über Gewaltanwendung, die Sinn und Zweck der UN-Satzung darstellen, infrage stellt."[13]
Achtens registriere ich den Mangel an "rule of law". Im Deutschen würde man von fehlender Rechtsstaatlichkeit sprechen. Dem SR wurden durch die Charta ein breiter politischer Handlungsspielraum und weitreichende Befugnisse eingeräumt. Für seine Tätigkeit gilt aber keineswegs, dass alles rechtens und zulässig ist, was er mit den erforderlichen neun Ja-Stimmen ohne eine Veto-Stimme beschließt.[14] Es kann sein und kommt nicht selten vor, dass Beschlüsse des Rats völkerrechtswidrig sind.
Der Rat ist an das Völkerrecht, an die Charta und an das einschlägige Völkergewohnheitsrecht gebunden. In Art. 24 Abs. 2 der Charta wird ausdrücklich bestimmt: "Bei der Erfüllung dieser Pflichten [zur Wahrnehmung seiner Verantwortung für den Weltfrieden und die internationale Sicherheit – G. S.] handelt der Sicherheitsrat im Einklang mit den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen." Der Rat darf diese Ziele und Grundsätze nicht durch willkürliche Entscheidungen aushebeln. Er hat sich vielmehr daran zu orientieren. Das Problem ist, dass es keine Instanz gibt, die die Rechtmäßigkeit der Beschlüsse des Rates überprüfen könnte.
Die Generalversammlung (GV) hat nicht das Recht dazu. Sie soll nach Art. 12 zu einer Streitigkeit oder einer Situation keine Empfehlungen abgeben solange der SR seine Aufgaben wahrnimmt. Diese Beschränkung wurde allerdings durch die nicht unproblematische, aber inzwischen wohl allgemein akzeptierte Resolution 377 (V) der GV "Uniting for Peace" vom 3. November 1950 und die nachfolgende Praxis gemildert. Dort heißt es: "Falls der Sicherheitsrat mangels Einstimmigkeit seiner ständigen Mitglieder es in einem Fall offenbarer Bedrohung des Friedens, eines Friedensbruchs oder einer Angriffshandlung unterlässt, seine primäre Verantwortung für die Aufrechterhaltung des internationalen Friedens und der Sicherheit auszuüben, [soll] die Generalversammlung unverzüglich die Angelegenheit beraten..., um den Mitgliedern geeignete Empfehlungen für Kollektivmaßnahmen zu geben, im Falle des Friedensbruchs oder einer Angriffshandlung auch für den Gebrauch bewaffneter Kräfte, wenn das nötig ist, um den internationalen Frieden und die internationale Sicherheit aufrechtzuerhalten oder wiederherzustellen." Aber die GV hütet sich, zur Tätigkeit oder zu Resolutionen des SR kritisch Stellung zu nehmen oder gar deren Rechtmäßigkeit anzuzweifeln.
Auch der Internationale Gerichtshof, das Hauptrechtsprechungsorgan der UNO, hat nach seinem Statut keine Befugnis, Beschlüsse des SR hinsichtlich ihrer Rechtsgültigkeit zu überprüfen. Eine solche Überprüfung könnte nur auf indirektem Weg erfolgen, wenn nämlich die GV nach Art. 96 der Charta ein Gutachten über eine Rechtsfrage anfordert, in die der SR mit seinen Beschlüssen involviert ist.
Reform des Sicherheitsrats
In bezug auf eine Reform des SR ist Skepsis angebracht. Am ehesten wird es wohl in den nächsten Jahren beim gegenwärtigen Zustand bleiben.
Eine Reform der Zusammensetzung und Funktionsweise des SR ist schwer zu bewerkstelligen. Sie müsste nämlich nach Art.108 von der GV mit Zweidrittelmehrheit beschlossen und dann von zwei Dritteln der VN-Mitglieder, einschließlich aller fünf ständigen Mitglieder des SR ratifiziert werden. Immerhin ist der erste Schritt zu einer Reform, nämlich der Beschluss der GV möglich, ohne dass ein Veto dies verhindern könnte. Die fünf Ständigen kommen erst im Ratifikationsprozess zum Zuge. Stimmenthaltung oder Nichtteilnahme an der Abstimmung scheiden als Optionen aus. Aber es reicht die Nicht-Ratifizierung, also bloße Untätigkeit aus, um die Änderung der Charta zu verhindern.
Seit 1992 befasst sich die GV mit dem Thema der Reform des SR. Bei allgemeiner Anerkennung, dass eine Reform um der Akzeptanz und Legitimation der Rats willen notwendig ist, scheitert eine Lösung bisher an den Machtinteressen der fünf Ständigen, aber auch anderer Staaten und Staatengruppen. Es gibt einen Vorschlag, den SR um fünf ständige und vier nichtständige auf 24 Mitglieder zu erweitern. Das ist eine Zahl, die dem Erfordernis des Art. 24 Abs. 1, nämlich "ein schnelles und wirksames Handeln der Vereinten Nationen zu gewährleisten", gerade noch gerecht wird. Die Streitfrage ist, welche Staaten aufgenommen werden sollen und was aus dem Veto-Recht wird.
Zu den Kandidaten für die ständige Mitgliedschaft gehören Japan und Deutschland. Ich will nicht darüber rechten, ob Japan neben China zweites ständiges Mitglied aus Ostasien werden soll. Das vereinte Deutschland ließ zunächst wissen, man drängele nicht. In der rot-grünen Koalitionsvereinbarung wurde ein ständiger EU-Sitz bevorzugt. Inzwischen sind die deutschen Begierden sehr deutlich geworden. Gegenwärtig läuft offenbar eine diplomatische Offensive der rot-grünen Regierung, um einen Beschluss auf der nächsten oder übernächsten Tagung der GV der VN zu erreichen. Sie stoßen allerdings nicht überall auf Gegenliebe. Die Angst vor deutschen Großmachtallüren sitzt tief. In der Vergangenheit war vor allem Italien Anführer der Verhinderungs-Fronde. Die PDS sollte die Bundesregierung auffordern, auf einen ständigen Sitz zu verzichten und dafür einzutreten, dass die EU anstelle von England und Frankreich einen ständigen Sitz einnimmt. Japan ist offenbar ziemlich unumstritten. Aber weder Deutschland noch Japan werden wahrscheinlich die nötige Mehrheit erhalten, wenn nicht zugleich die Entscheidung über die ständige Mitgliedschaft von je einem Staat Afrikas, Asiens und Lateinamerikas fällt. Es erheben nach wie vor konkurrierende Ansprüche in Afrika: Ägypten, Nigeria und Südafrika, in Asien: Indien, Pakistan teils auch Indonesien und in Lateinamerika: Argentinien, Brasilien und Mexiko.
Anstelle des Veto-Rechts einzelner Staaten wäre ein Abstimmungsmodus durchaus vorstellbar, der gewährleistet, dass keine Staatengruppe überstimmt werden kann. Aber die jetzigen Veto-Staaten werden nicht auf ihr Privileg verzichten. oder dessen Beschränkung zustimmen. Warum sollten sie das in einer Welt der Machtpolitik auch tun? Sie sind eher dafür, neuen ständigen Mitgliedern ein Veto-Recht zu versagen. Warum sollten sie von ihren Machtinteressen aus gesehen Staaten wie Indien Brasilien oder Ägypten ein Veto-Recht zubilligen, wenn sie nicht dazu gezwungen sind? Ob Deutschland und Japan auch als Veto-Mächte die Zustimmung jedes der fünf Ständigen finden werden bleibt zweifelhaft. Andererseits werden die Neuen sich aber nicht mit dem Status ständiger Mitglieder ohne Veto-Recht, also zweiter Ordnung abfinden wollen. So werden Zusammensetzung und Abstimmungsmodus des SR wohl noch eine Weile umstritten bleiben.
Die Reform des SR muss mit einer Weiterentwicklung des kollektiven Sicherheitssystems der VN verbunden werden. Dazu gibt es die Vorschläge im sogenannten Brahimi-Bericht vom 21. 8. 2000. Sie sehen u.a. vor: "robuste" Blauhelmeinsätze, die den VN-Soldaten die Anwendung von Waffengewalt nicht nur zur Selbstverteidigung sondern auch zur Durchsetzung ihres Auftrags ermöglichen und die Bereitstellung von Personal (Soldaten, Polizisten und zivile Kräfte) sowie Material durch Mitglieder der VN, die der SR und der GS für schnelle und effektive Einsätze abrufen kann. Das Erfordernis der Zustimmung der Konfliktparteien zu VN-Einsätzen soll gewahrt bleiben. Immerhin sind die Brahimi-Vorschläge darauf gerichtet, den SR und den GS in den Stand zu setzen, ihrer Verantwortung für Frieden und Sicherheit selber und nicht per Autorisierung nachzukommen. Deshalb sind sie aus meiner Sicht diskutabel.
Die Praxis der Autorisierung von Militärmächten und Militärbündnissen zum bewaffneten Losschlagen zu legalisieren, wäre dagegen eine Reform in die falsche Richtung. Ihre Verdichtung zu Völkergewohnheitsrecht sollte verhindert werden. Ich halte es auch für verhängnisvoll, wenn der Begriff der Friedensbedrohung völkergewohnheitsrechtlich auf innerstaatliche Situationen ausgedehnt wird, die keine Auswirkungen auf Frieden und Sicherheit zwischen den Staaten haben. Kriterien aufzustellen, deren Einhaltung die "humanitäre Intervention" mit militärischer Gewalt von außen als letztes Mittel legalisiert, halte ich für ein aussichtsloses Unterfangen.[15]
Ich würde es für fatal halten, wenn im Zusammenhang mit der Positionierung der PDS zu den VN die Debatte über die "Anerkennung" und über das "Gewaltmonopol" des SR wiederbelebt würde. Die Kompromissformel im Parteiprogramm zu dieser Frage ist ausreichend. Mit Bezug auf den SR sind dort zwei Kernsätze festgeschrieben: "Der Weltsicherheitsrat darf das allein ihm übertragene Recht, auch militärische Mittel, wenn alle zivilen ausgeschöpft sind, zur Abwendung der Gefährdung des Weltfriedens einzusetzen, nicht unter dem Druck und im Interesse der Großmächte missbrauchen." Und: "Die PDS lehnt in konsequenter Anerkennung des Artikels 26 Grundgesetz weiterhin eine Beteiligung der Bundeswehr an UN-mandatierten Militärinterventionen unter Berufung auf des Kapitels VII der Charta ab, unabhängig von der jeweiligen Haltung der im UN-Sicherheitsrat vertretenen Staaten."[16]
Meine Position zum Problem der Anwendung von Waffengewalt nach Kapitel VII habe ich mehrmals öffentlich geäußert [17]: 1. Der SR kann gegen einen Aggressorstaat militärische Gewalt einsetzen, wenn die Voraussetzungen der Charta und des allgemeinen Völkerrechts vorliegen und nichtmilitärische Sanktionen nicht ausreichen. 2. Der SR hat nicht das Recht, mit militärischer Gewalt innerstaatliche, menschenrechtswidrige Zustände, "diktatorische", den Terrorismus angeblich oder tatsächlich unterstützende und abrüstungsfeindliche Regime zu ändern. Dagegen müssen und können nichtmilitärische Mittel, darunter "Blauhelme" eingesetzt werden. Die Alternative ist nicht – wie häufig argumentiert wird [18] – dem Völkermord tatenlos zuzuschauen oder militärisch zu intervenieren. Es gibt genügend nichtmilitärische Mittel, um wirksam gegen schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen und Terrorismus vorzugehen. Zwischen dem Gewaltverbot und dem Schutz vor gravierenden Verletzungen von Menschenrechte besteht zweifellos ein widerspruchsvolles Spannungsverhältnis. Das darf aber nicht auf Kosten des Gewaltverbots "aufgelöst" werden. Das ist jedoch ein anderes Thema.
Inzwischen hat der GS ein "Panel" von Persönlichkeiten berufen, welches "die hauptsächlichen Bedrohungen und Herausforderungen untersuchen soll, denen die Welt in dem breiten Feld von Frieden und Sicherheit, einschließlich ökonomischer und sozialer Streitfragen, sofern sie mit Frieden und Sicherheit in Beziehung stehen, konfrontiert ist, und Empfehlungen geben soll für Faktoren einer kollektiven Antwort".[19] Man wird abwarten müssen, ob dabei mehr heraus kommt, als weise Worte, die zu nichts verpflichten.
Fußnoten-
Zit nach: Die Sowjetunion auf internationalen Konferenzen während des Großen Vaterländischen Krieges 1941 bis 1945, Band 4, Die Krim(Jalta)konferenz, Moskau/Berlin 1986, S.230
- Vgl. Wolfgang Spröte/Harry Wünsche, Die UNO und ihre Spezialorganisationen, Berlin 1983, S. 63 und 80 ff.
- Vgl. Gerhard Eibach in: Rüdiger Wolfrum (Hrsg.), Handbuch Vereinte Nationen, Konflikte, Iran/Irak, München 1991, S. 444 ff.
- Vgl. die Erklärung des Präsidenten des SR S/23500
- Vgl. A/47/277-S/24111
- Die Bundeswehr hat sich mit Sanitätseinheiten an der vom SR beschlossenen Mission beteiligt.
- Vgl. Hanspeter Neuhold in: Franz Cede/Lilly Sucharia-Behrmann (Hrsg.), Die Vereinten Nationen. Recht und Praxis, Wien-Mainz 1999, S. 63 ff.
- Vgl. Günther Unser, Die UNO, München 2004, S. 124 ff.
- Zum Thema der "humanitären Intervention" des Sicherheitsrates liegt eine akribische Untersuchung von Andreas Stein, Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen und die Rule of Law: Auslegung und Rechtsfortbildung des Begriffs der Friedensbedrohung bei humanitären Interventionen auf der Grundlage des Kapitels VII der Charta der Vereinten Nationen, Baden-Baden 1990 vor. Sie mündet in ein vorsichtig formuliertes, aber eindeutiges Urteil: "Die Untersuchung hat ergeben, dass der Gebrauch des Kapitels VII durch den SR zur Gewährleistung des humanitären Mindeststandards in innerstaatlichen Konflikten ohne unmittelbare Rückwirkung auf den negativen zwischenstaatlichen Frieden nur über eine die Grundstruktur der VN und das Kräfteverhältnis zwischen dem SR und den anderen VN-Organen sowie den Mitgliedstaaten massiv veränderte Rechtsfortbildung des Friedensbegriffs in Art. 39 möglich ist." Eine solche Rechtsfortbildung hat nach der Erkenntnis Steins (bisher) nicht stattgefunden.
- Vgl. Helmut Freudenschuß, Fn. vii, S. 76 ff. Der Verfasser spricht von einer wahren Orgie an Sanktionsbeschlüssen, die eher Placebos als Allheilmittel sind.
- Anders gelagert ist der Fall des Sondergerichtshofes für Sierra Leone. Zu dessen Einrichtung hat der SR ebenfalls einen Beschluss gefasst, vgl. Res. 1315 vom 14. 8. 2000. Der Sondergerichtshof ist ein innerstaatliches Gericht, dessen Einrichtung und Funktionieren mit Zustimmung Sierra Leones vom SR und vom GS unterstützt wird.
- Knut Ipsen, Völkerrecht, München 2004, S. 1115
- Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht Berlin-New York 1997, S. 615. Vgl. auch S. 600 f.
- Nach Karl Doehring, Völkerrecht, Heidelberg 1999 , S. 241 können durch Sicherheitsratsentscheidungen nicht zwingende Normen des Gewohnheitsrechts ausgeblendet werden. "... der Sicherheitsrat kann nicht sagen, das Völkerrecht ist das was er als solches bezeichnet, denn er hat keine Befugnis zur Rechtssetzung."
- Einen solchen Versuch hat die sogenannte Axworthy-Kommission zu Intervention und Staatensouveränität unternommen, vgl. Ian Williams, Nur das letzte Mittel, Vereinte Nationen 1/2002, S.10 ff.
- Partei des Demokratischen Sozialismus, Programm, Berlin 2003, S. 26 f.
- Vgl. zuletzt: Ein Monopol, das keines ist, Neues Deutschland vom 24. 10. 2003
- Vgl. jüngst Reinhard Müller in Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 27. 7. 2004
- UN Press Release SG/A7857 vom 4. 11. 2003
* Vortrag auf der Sitzung der AG Friedens- und internationale Politik beim Parteivorstand der PDS am 27. 7. 2004.
Quelle: Homepage des Verbands für Internationale Politik und Völkerrecht e.V.: www.vip-ev.de
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