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Palästina und Westsahara – zwei Länder, ein Versagen

Folgenlose UN-Resolutionen zu Dutzenden werfen die Frage nach Sinn und Zukunft der Vereinten Nationen auf

Von Gerd Schumann *

Ähnlich wie im Fall Palästina handelt die jüngere Geschichte der Westsahara vom Versagen der UNO. Seit 1966 verfaßten die Vereinten Nationen über hundert Resolutionen für eine Unabhängigkeit der Westsahara. 1975 sah sie tatenlos der Besetzung des Territoriums durch Marokko zu – ebenso wie dem Bau eines 2500 Kilometer langen, quer durch die Westsahara gezogenen Befestigungswalls. Mit diesem versuchte Marokko, das Eindringen von Kämpfern der Polisario in besetzte Gebiete zu verhindern – so die offizielle Begründung. Als »Nebeneffekt« schottete sich das Königreich von den nach Algerien geflohenen Sahrauis ab.

Seit dem Waffenstillstand von 1991 wurden fünf Termine für ein Referendum zur Unabhängigkeit des Landes angesetzt – und allesamt nicht eingehalten. Zu Beginn dieses Jahres, am 5. Februar 2007, ernannte UN-Generalsekretär Ban Ki Moon den ehemaligen UN-Sonderbeauftragten für ­Bosnien-Herzegowina, Julian Harston, zum Sonderbevollmächtigen für die Westsahara. Der 65jähriger Brite mit einschlägiger Jugoslawien-Erfahrung leitet zudem die 215köpfige UN-Truppe, die den anspruchsvollen Namen »Mission des Nations Unies pour l’organisation d’un référendum en Sahara occidental« (MINURSO) längst zu Unrecht trägt: Mission der Vereinten Nationen für ein Referendum in der Westsahara. Ein Dauerskandal, der seit 1991 halbjährlich routinemäßig verlängert wird und der immer wieder – wie in der Palästina-Frage – die westliche Dominanz in der UNO veranschaulicht.

Im Wortsinne verlassen von aller Welt blieben in den vergangenen drei Jahrzehnten nicht nur die unter entbehrungsreichen Bedingungen lebenden Flüchtlinge in der Geröllwüste bei ­Tindouf auf der Strecke, sondern auch die vielzitierten »Menschenrechte« in den marokkanisch besetzten Gebieten. Wie viele Sahrauis in den Gefängnissen der Metropole Al-Aiun und anderer Städte sitzen oder »verschwunden gelassen« wurden, ist laut Amnesty International unklar. Zuletzt 2006 hatte eine UN-Delegation schwere Menschenrechtsverletzungen durch die königliche Armee konstatiert – hilf- und folgenlos.

Die Verhandlungen zwischen Poli­sario und Rabat stecken fest, und Handfestes tut sich auch nicht vor der dritten, für Anfang Januar 2008 vereinbarten Runde in Manhasset/New York. Im April hatte Marokko einen neuen »Plan« vorgelegt, der von der Frente Polisario umgehend als Provokation bewertet wurde, da er nicht mehr auf die 1991 vorgesehene Unabhängigkeit insistierte, sondern lediglich eine begrenzte Autonomie in den Grenzen Marokkos vorsah. Polisario dagegen verlangt ein Referendum, in dem eine der zu wählenden Optionen die Unabhängigkeit sein muß.

Die USA und Frankreich, offensichtlich angespornt von einem zu erwartenden Ölreichtum der Westsahara, unterstützten massiv den marokkanischen Vorschlag. Und der UN-Sicherheitsrat drängte nunmehr »beide Seiten«, doch »stärkere Anstrengungen zu unternehmen«, eine Lösung zu finden. Polisario sagte ihre Beteiligung im Januar zwar zu, doch wird sich ihr 12. Kongreß zwangsläufig mit der Frage konfrontiert sehen, ob es Kompromisse unterhalb des Selbstbestimmungsrechts der Völker geben kann: Nichts anderes wäre ein Referendum, in dem die Unabhängigkeit ausgeklammert ist.

Wenn jüngst auf dem EU-Afrika-Gipfel von Lissabon seitens der Afrikanischen Union erneut die »unzeitgemäßen Strukturen« der UN angesprochen wurden, dann nicht nur wegen der Westsahara und deren »Demokratische Arabische Republik Sahara«. Aber auch. Hoffend auf die Reformierbarkeit eines verbürokratisierten Apparats mit einem westlich orientierten Generalsekretär an der Spitze, dessen entscheidende Aufgabe in der Durchsetzung einer vom Imperialismus diktierten Weltagenda besteht.

* Aus: junge Welt, 14. Dezember 2007


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