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Super-GAU für Japan

Erdbeben, Tsunami, Atomkatastrophe: Mehr als zehntausend Tote. Reaktoren in Fukushima außer Kontrolle. Regierung spricht von schlimmster Krise seit Zweitem Weltkrieg

Von Josef Oberländer, Tokio *

Wenn Fernsehansager plötzlich Helme tragen und Politiker im Blaumann auftreten, ist der Untergang nicht weit. Japans Ministerpräsident Naoto Kan hat das gewaltige Erdbeben vom Freitag (11. März) sowie den dadurch ausgelösten Tsunami und die nukleare Katastrophe am Sonntag (13. März) als schwerste Krise seines Landes seit dem Zweiten Weltkrieg bezeichnet. In einer Fernsehansprache rief der Regierungschef die Japaner gestern zur Einheit auf. Die Zukunft des Landes hänge nun von den Entscheidungen jedes einzelnen ab, sagte Kan. Er forderte alle Japaner auf, sich nach dem Erdbeben und dem Tsunami am Wiederaufbau des Landes zu beteiligen. Tatsächlich droht das Inselreich ins Chaos zu stürzen. Die Bilder vom Atomkomplex Fukushima erinnern an Tschernobyl, nur daß es in diesem Fall gleich um mehrere Reaktorblöcke geht, die außer Kontrolle geraten sind. Daß der Hollywoodstreifen, in dem sich Jane Fonda und Michael Douglas Ende der siebziger Jahre an der Atomindustrie abarbeiteten, »Das China-Syndrom« heißt, wird dadurch zum Treppenwitz der Weltgeschichte. Das Japan-Syndrom wird die Region auf Jahre in Atem halten.

Zwar bemühte sich Regierungssprecher Yukio Edano, mit den Worten Optimismus zu verbreiten, eine weitere Explosion im Atomkomplex Fukushima hätte »keine signifikanten Auswirkungen auf die Gesundheit der Bevölkerung«. Gute Nachrichten hören sich allerdings anders an. Noch während die Betreibergesellschaft Tokyo Electric Power Company (Tepco) verzweifelt versucht, die Kernschmelze in Block 1 dadurch zu stoppen, daß man ihn mit Meerwasser flutet, mußte Edano eingestehen, daß sich in Block 3 eine Wasserstoffexplosion ereignen könnte. Zuvor war radioaktiver Dampf abgelassen worden. Auch Block 2 ist in Gefahr. Es drohe keine Kernschmelze, behauptete Edano, in keinem der betroffenen Reaktoren. Das ungefähre Ausmaß der Katastrophe läßt sich nicht mehr vertuschen, obwohl wichtige Informationen nur scheibchenweise an die Medien gelangen, etwa, daß bei der ersten Explosion am Samstag auch Anwohner verstrahlt wurden, nicht nur Mitarbeiter, wie ursprünglich gemeldet. Insgesamt sollen 160 Menschen betroffen sein. Drei der Beschäftigten zeigten schwere Symptome der Strahlenkrankheit. Alle sechs Reaktoren in Fukushima arbeiten nicht ordnungsgemäß. In dem AKW werden sogenannte Mox-Brennelemente eingesetzt, die Plutonium enthalten. CBS zufolge sollte Block1 in wenigen Wochen eingemottet werden. Anderen Quellen zufolge soll Tepco bis zum Schluß versucht haben, die Situation so unter Kontrolle zu bringen, daß der Reaktor bei Bedarf auch wieder angefahren werden kann.

Die Bevölkerung im Umkreis von 20 Kilometer erhielt Jodtabletten und wurde aufgefordert, ihre Wohnungen zu verlassen. Mehr als 200000 Menschen wurden bereits evakuiert, landesweit infolge des Erdbebens und des Tsunamis mehr als 600000. Das Militär ist mittlerweile mit 100000 Mann im Einsatz. Die Grundversorgung der Menschen in den von Erdbeben und Tsunami verwüsteten Küstenregionen Nordjapans ist dabei längst noch nicht wieder hergestellt. Mindestens 1,4 Millionen Haushalte müssen dort seit dem Beben ohne Wasser auskommen. Mindestens 2,5 Millionen Haushalte haben keinen Strom.

Nun gehen auch in der Hauptstadtregion die Lichter aus. Am Montag (14. März) werde der Strom für mehrere Stunden abgestellt, hieß es zuletzt. Tepco hatte die Bevölkerung in Tokio zuvor aufgefordert, den Verbrauch einzuschränken. Auch andere Städte werden stundenweise ohne Elektrizität sein. Auch aus dem weiter im Norden gelegenen AKW Onagawa werden erhöhte Strahlungswerte gemeldet. Das Stromversorgungsunternehmen hat Handelsminister Banri Kaieda zufolge ein Viertel seiner Kapazität verloren. Die Menschen im Großraum Tokio decken sich bereits mit Wasser und Lebensmitteln ein.

Kommt es auch nur in einem der Reaktoren zur kompletten Kernschmelze, dürften sich durch den radioaktiven Fallout weite Teile Nordjapans in eine radioaktive Wüste verwandeln. Daß bislang keine Massenpanik ausgebrochen ist, liegt nicht zuletzt daran, daß es in Japan nie eine große Debatte über die Gefahren der Atomenergie gegeben hat. 54 Reaktoren sind im Reich der aufgehenden Sonne in Betrieb. Geplant und gebaut wurden sie in unterentwickelten Regionen, weit entfernt von den wirtschaftlichen und politischen Zentren des Landes, um mögliche Schäden einer Havarie in Grenzen zu halten. Den Menschen dort sind die Risiken einfach nicht bewußt. Noch versuchen sie nicht, sich in sichere Gebiete abzusetzen.

Damit nicht genug, Wissenschaftler rechnen mit einem weiteren schweren Beben in Nordjapan in den nächsten Tagen. Am Freitag (11. März) kamen nach offiziellen Angaben mehr als zehntausend Menschen ums Leben. Die Opferzahlen dürften noch dramatisch ansteigen. Beim großen Erdbeben von Kobe im Januar 1995 wurden mehr als 6400 Menschen getötet. Das Tohoku-Erdbeben vergangene Woche war etwa 700mal stärker. Vor 16 Jahren dauerten die Erdstöße gerade einmal 15 Sekunden, am Freitag waren es fünf Minuten, die Japan erschütterten.

* Aus: junge Welt, 14. März 2011


Nach Beben und Tsunami in Japan:

Mehr als 10.000 Todesopfer - Akute Gefahr in drei AKW **

Mit einer Stärke von 9,0 ist das Beben vom Freitag (11. März) das bisher schwerste in Japan. Das Epizentrum lag 130 Kilometer östlich der Stadt Sendai und 400 Kilometer nordöstlich von Tokio. Die Flutwelle, die die Ostküste der Hauptinsel Honshu überspülte, war bis zehn Meter hoch. 50 Länder lösten Tsunami-Warnungen aus. Mehr als 175 Nachbeben wurden gezählt. Um 2,4 Meter hat das Beben die Hauptinsel Honshu verrückt. Die Achse der Erdrotation wurde um rund 10 Zentimeter verschoben.

Inzwischen wird mit mehr als 10 000 Todesopfern gerechnet. Genaue Zahlen gibt es weiter nicht.

Ministerpräsident Naoto Kan bezeichnete die Katastrophe als Japans schlimmste Krise seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs.

Im Atomkraftwerk Fukushima 1 drohte am Sonntag nach dem Ausfall des Kühlsystems in einem zweiten Meiler eine Explosion. In dem AKW rund 250 Kilometer nördlich von Tokio gab es bereits am Sonnabend eine Explosion, die das Gebäude rund um den Reaktorblock 1 zerstörte. Es sei sehr wahrscheinlich, dass es in dem Reaktor eine teilweise Kernschmelze gegeben habe, sagte Regierungssprecher Yukio Edano.

In einem weiteren Atomkraftwerk fiel unterdessen am Sonntag das Kühlsystem aus: im AKW Tokai an der Ostküste südlich von Fukushima. Zuvor hatten Japans Behörden den nuklearen Notstand auch für das AKW Onagawa im Nordosten ausgerufen – wegen überhöhter Werte von Radioaktivität.

In der Stadt Fukushima, die 80 Kilometer von dem AKW entfernt liegt, deckten sich Bewohner bei Hamsterkäufen mit Wasser und Lebensmitteln ein. Einigen Tankstellen ging der Treibstoff aus.

Wie der Deutsche Wetterdienst am Sonntag mitteilte, zieht der Wind weiterhin auf den Pazifik hinaus und treibt die radioaktiv verseuchte Luft weg von den Menschen.

Wegen der Naturkatastrophe sowie wegen des dadurch ausgelösten Atomunfalls sind rund 600 000 Menschen evakuiert worden.

Die Regierung in Tokio hat inzwischen 100 000 Soldaten für den Hilfseinsatz mobilisiert.

Umweltschutzorganisationen fordern jetzt die sofortige weltweite Abschaltung von Kernkraftwerken. Der Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz ruft für diesen Montag 18 Uhr zu Mahnwachen in Deutschland auf


GAU in Fukushima

Schwere Havarien in fünf von zehn Blöcken der zwei japanischen Atomkraftwerkkomplexe

Von Reimar Paul


Reaktorexplosion, Kernschmelze, unkontrollierter Druckanstieg – es ist wohl der schwerste Unfall in einem Atomkraftwerk seit der Katastrophe von Tschernobyl. Experten befürchten, dass die Ereignisse im japanischen AKW Fukushima diese noch in den Schatten stellen könnten.

Der Kernkraftwerkspark bei Fukushima rund 250 Kilometer nördlich von Tokio zählt zu den Museumsstücken der japanischen Nuklearindustrie. Die ältesten der zehn Reaktorblöcke, die auf zwei Komplexe an der Küste verteilt sind, gingen vor rund 40 Jahren ans Netz und sollten spätestens 2013 oder 2014 abgeschaltet werden.

Dann kamen am Wochenende das verheerende Erdbeben und in seinem Gefolge der Tsunami, wodurch die Stromversorgung für die Kühlsysteme in den Siedewasserreaktoren ausfiel. Zwar sprangen zunächst Dieselgeneratoren an, doch auch diese fielen nach Kurzem aus – wahrscheinlich durch den Tsunami, der in der Umgebung schwere Überschwemmungen verursachte. Am Samstag explodierte im AKW-Komplex Fukushima 1 das Reaktorgebäude von Block 1. In zwei Reaktorblöcken kam es höchstwahrscheinlich zu Kernschmelzen. In einem dritten Block stieg der Druck am Sonntagnachmittag unkontrolliert an, auch dort drohte eine Kernschmelze. Im Kraftwerk Fukushima 2, zehn Kilometer entfernt, waren drei Reaktoren stark überhitzt. Insgesamt wurden fünf Reaktoren des Atomkomplexes schwer beschädigt. Wie viel radioaktive Strahlung freigesetzt wurde, war zunächst noch nicht einmal ansatzweise abzusehen. Die japanische Regierung korrigierte die Zahl der verstrahlten und evakuierten Personen fast stündlich nach oben. Bis gestern Nachmittag waren aus einem Gebiet von 20 Kilometern um das Kernkraftwerk rund 210 000 Menschen in Sicherheit gebracht.

Ein Schmelzen des Reaktorkerns gilt als der größte anzunehmende Unfall in einem Atomkraftwerk, als GAU. Weil sie nicht mehr ausreichend gekühlt werden können, erhitzen sich die aus Uran oder Plutonium und ihren Spaltprodukten bestehenden Brennstäbe so sehr, dass sie schmelzen und miteinander »verbacken«. Die hochradioaktive geschmolzene Masse kann sich durch den Boden oder die Wände des Reaktors fressen und an die Umwelt gelangen. Weil das im Reaktorkern verbliebene Wasser in Folge der Hitze zu Dampf verkocht, besteht gleichzeitig erhöhte Explosionsgefahr.

Die Folgen wären in jedem Fall verheerend: Der Reaktorinhalt besteht unter anderem aus hochradioaktivem Uran sowie dem extrem strahlenden, hochgiftigen Plutonium – einem der gefährlichsten bekannten Stoffe. Hinzu kommen weitere radioaktive Isotope wie Cäsium 137, das sich während des Reaktorbetriebs in Inneren der Meiler bildet. Verschiedene Schutzvorrichtungen sollen solch ein extremes Szenario verhindern. Der Reaktor selbst ist in ein metallenes Druckgefäß eingebettet. Die zweite Barriere ist das Containment aus Stahlbeton, die dritte Barriere besteht aus einer dicken Betonwand. Experten von Greenpeace und der atomkraftkritischen Ärzteorganisation IPPNW bezweifeln, dass diese Barrieren einen 1000 Grad heißen Klumpen wirksam zurückhalten können.

Regelmäßige Kühlwasserzufuhr verhindert im Normalbetrieb, dass sich die Brennstäbe über das zur Kernspaltung gewünschte Maß hinaus erwärmen. Erdbeben und Tsunami haben aber in mehreren Fukushima-Reaktoren die Kühlung unterbrochen. »Der Stromausfall führte zu einer der gefährlichsten Situationen, die ein Atomkraftwerk treffen kann«, bewerten die Wissenschaftler der US-Organisation »Union of Concerned Scientists« die Vorgänge. Schnell herbeigeschaffte Batterien waren zu schwach oder versagten ganz. Die Temperatur des Kühlwassers im Block 1 stieg auf über 100 Grad Celsius, im Gebäude ereigneten sich Explosionen, Wände und Dächer stürzten ein.

Am Samstagabend (12. März) räumte ein Regierungsvertreter in Tokio erstmals die Möglichkeit einer Kernschmelze ein. Gleichzeitig begannen Techniker in einem weltweit bislang unerprobten Verfahren, mit Bor versetztes Meerwasser zu den Reaktoren zu leiten, um die Erhitzung der Brennstäbe zu verlangsamen. Am Sonntag waren die Techniker fieberhaft damit beschäftigt, eine drohende Kernschmelze in Block 3 zu verhindern. Berichten zufolge war unklar, wie viel Wasser sich noch in diesem Druckgefäß befand. Die Brennstäbe seien eine Zeitlang nicht von Wasser bedeckt gewesen, räumte ein Regierungssprecher ein. »Es kann sein, dass es eine geringe Kernschmelze gab.« Später revidierte er diese Aussage allerdings. In dem Gebäude von Block 3 habe sich, wie zuvor in Block 1, Wasserstoff angesammelt. »Wir können nicht ausschließen, dass sich im Bereich des Reaktors 3 wegen einer möglichen Ansammlung von Wasserstoff eine Explosion ereignen könnte«, sagte der Sprecher.

Gleichzeitig öffneten Experten im Kraftwerk Fukushima 2 Sicherheitsventile und ließen Dampf ab, um den Druck in drei überhitzten Reaktoren zu senken. Ein Mitarbeiter der Atomaufsichtsbehörde sagte, die Vorbereitungen für die Entlastungsaktion seien im Gange. Die Temperatur und der Druck in den Reaktoren seien »etwas hoch«.

Am Sonntagmorgen (13. März) hatte die Strahlung am Reaktor 3 laut Regierung 1200 Mikrosievert erreicht; der Grenzwert liegt bei 500 Mikrosievert. Am 150 Kilometer entfernten Atomkraftwerk Onagawa in der Provinz Miyagi maßen Experten eine 400 Mal höhere Radioaktivität als normal und führten dies auf die Explosion in Fukushima vom Samstag zurück. Nach Angaben der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA haben die japanischen Behörden daher am Sonntag auch für dieses AKW den nuklearen Notfall ausgerufen. Der Betreiber erklärte, man habe die drei Reaktoren unter Kontrolle.

** Aus: Neues Deutschland, 14. März 2011


Sendai erwacht langsam aus dem Albtraum

Die dem Epizentrum nächstgelegene japanische Stadt ist stark zerstört / Premier Kan: Historische Notlage

Von Sebastian Maslow, Sendai ***


Nach dem verheerenden Erdbeben und der Tsunamiwelle sieht Japans Ministerpräsident Naoto Kan sein Land vor einer historischen Notlage. Er bezeichnete die Katastrophe – auch im Blick auf die Atomkraftwerke – als schlimmste Krise seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs, wie die japanische Nachrichtenagentur Kyodo am Sonntag meldete. Die Regierung genehmigte Sondermittel für Soforthilfemaßnahmen.

Wenigstens ist am dritten Tag nach dem Erdbeben und dem Tsunami der Himmel über Sendai strahlend blau. In der Innenstadt kehrt langsam so etwas wie Alltag zurück, nachdem die Versorgung mit Strom wieder aufgenommen wurde. Zuvor sah man im Zentrum nur spärliche Notbeleuchtungen in den Häusern. Mit einer für Westeuropäer unglaublichen Disziplin und Gelassenheit versuchen die Menschen, wieder Ordnung in die Stadt zu bringen.

Unfassbare Verwüstungen

In Sendai, wo das Erdbeben am heftigsten zu spüren war und die dann nachfolgende Riesenwelle schlimmste Zerstörungen anrichtete, ist das ganze Ausmaß der Verwüstungen für die Überlebenden der Katastrophe noch gar nicht richtig fassbar. Für einen Überblick ist man auf die Bilder angewiesen, die das japanische Fernsehen ausstrahlt. Wo das Wasser abzog, zeigen sie an der Küste nur die Wracks von an Land gespülten Fischerbooten. Von Wohngebieten kann man oft nur noch spärliche Reste erkennen. Im Norden Sendais brennen auch am Sonntag die Ölraffinerien. Der Flughafen steht teilweise noch unter Wasser. Roll- und Landebahnen sind von Schlamm bedeckt, Hangars weggerissen, die aus dem Flughafen wie Finger herausragenden Gangways verbogen.

Nur wenige Kilometer westlich der Innenstadt von Sendai, in Küstennähe, entdeckte man die Leichen von 200 Menschen, die von den Fluten überrollt wurden. Fernsehbilder von Menschen auf der Suche nach Angehörigen bewegen die Zuschauer in ganz Japan, so wie die Bilder der riesigen schwarzen Welle, die den Küstenstreifen unter sich begrub.

Obwohl der Schock den Menschen hier im Gesicht steht, lassen sie sich ihren Mut nicht nehmen. Disziplin und Ordnung in der Katastrophe sind beeindruckend. Die Einwohner organisieren sich selbst, bereiten an einigen Orten warme Mahlzeiten aus dem zu, was in den Restaurants noch vorhanden und brauchbar ist. Trinkwasser wird mit Tankwagen in viele Stadtteile gebracht. 1,4 Millionen Haushalte in und um Sendai sind ohne Wasser. Millionen Haushalte in der Region hatten bis Samstagabend auch keinen Strom. Der kommt nun langsam wieder. Die Regierung in Tokio kündigt an, dass es »Blackouts« geben werde, zeitweise Abschaltungen, um Energie zu sparen. Viele Industriebetriebe machen aus diesem Grund für einen oder mehrere Tage dicht, darunter Toyota und Honda.

Unglaublich gefasste Menschen

Vor den Geschäften in Sendai bilden sich am Sonntag lange Schlangen. Die Menschen warten unfassbar geduldig, in der Hoffnung, Lebensmittel zu ergattern. Denn die Versorgung bleibt kritisch. Erst am Sonntag wurden die Fernstraßen für Hilfstransporte geräumt. Erste Lieferungen treffen noch am selben Tag ein.

Auf der Suche nach Freunden erlebe ich in den Notlagern in den vielen Grundschulen der Stadt vor allem Gelassenheit, gegenseitige Aufmunterung. Decken und blaue Planen sind hier das Zuhause von mehr als 30 000 Einwohnern Sendais geworden. Menschen versammeln sich um die Fernsehgeräte, teilen die Lebensmittel. Viele bevorzugen diese Orte sogar wegen der Angst vor Nachbeben. Und die gibt es immer wieder. Bisher mindestens 150 wurden registriert, manche Experten sprechen sogar von 190. Viele dieser Beben erreichen die Stärke 7 auf der Richterskala.

Am dritten Tag nach dem bisher schwersten Erdbeben in der Geschichte Japans beginnt man zu ahnen, welche Ausmaße die Katastrophe hat. Am Sonntagmittag wurde die Stärke des Bebens offiziell auf 9,0 heraufgestuft. Fernsehbilder, die viele hier in Sendai wegen des Stromausfalls zum ersten Mal sehen, zeigen komplett zerstörte Dörfer und Städte in den Küstengebieten von Miyagi, Fukushima und Iwate. An Orten wie Minamisanrikucho im Norden Miyagis hat man den Kontakt zu 10 000 Menschen verloren – die Hälfte der Stadtbevölkerung. Stündlich steigen die offiziellen Angaben über die Zahl der Opfer. Am Sonntagnachmittag hieß es dann amtlich, das Beben und der Tsunami hätten 2100 Opfer gefordert. Mindestens. Nach UNO-Angaben sind bereits rund 600 000 Menschen evakuiert worden

Hoffnung geben da die Bilder von Geretteten, die von ihren Familien unter Tränen in die Arme genommen werden. An vielen Orten sind die Helfer jedoch noch gar nicht eingetroffen. Hunderte Menschen warten vielerorts auf Dächern weiter auf ihre Rettung. Inzwischen hat Japans Militär im vollem Umfang mit den Rettungs- und Bergungsarbeiten im Krisengebiet begonnen. Die Regierung hat am Sonntag die Zahl der Einsatzkräfte verdoppelt, auf nunmehr 100 000 Soldaten. Im Haushalt sind ohnehin 200 Milliarden Yen (1,7 Mrd. Euro) für Katastrophenschäden vorgesehen. Dabei wird es nicht bleiben.

* Aus: Neues Deutschland, 14. März 2011


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