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Das Zünglein an der Klimawaage

Die Haltung der USA ist entscheidend für den Erfolg der Kopenhagen-Konferenz

Von Susanne Götze, Washington *

Die USA sind vor der Weltklimakonferenz in Kopenhagen das Zünglein an der Waage: Ohne weitreichende Zugeständnisse seitens der Amerikaner werden sich auch Schwellenländer wie China nicht bewegen. Der Besuch von US-Präsident Obama dort könnte für eine Einigung entscheidend sein.

Nach den letzten Vorverhandlungen vergangene Woche in Barcelona ist die Hoffnung auf ein neues Klimaschutzabkommen bei der UN-Konferenz im Dezember in Kopenhagen rapide gesunken. Die US-Delegation hatte zuletzt von China verlangt, sich zu verpflichten, die Emissionen bis 2050 zu halbieren. Nur dann werde man sich bewegen. Nur ein radikales Umdenken der USA könne jetzt noch helfen, darüber sind sich Diplomaten und Klimaexperten weitgehend einig.

»50 Prozent der US-Klimaschutzpolitik ist China«, meint Alexander Ochs vom einflussreichen Worldwatch-Institut. Um Kopenhagen zu einem Erfolg zu machen, müsse der Wettlauf zwischen beiden Staaten von einem »Wer muss weniger tun« in ein »Wer tut am meisten« umgemünzt werden. Dies sei nur möglich, wenn sich in den Staaten endlich die Einsicht durchsetze, dass Klimapolitik nicht nur kostet, sondern vor allem Kosten verhindert, so Ochs.

Europa sei für die USA bei den Klimaverhandlungen nicht so wichtig, meint Joe Bluestein, Präsident des Beratungsdienstes »Energy and Environmental Analysis«. Wichtiger sei, dass China und Indien an Bord sind. Wegen der Volksrepublik wollen die Amerikaner auch partout nicht über finanzielle Hilfen für Klimaanpassungsmaßnahmen in Entwicklungsländer sprechen. »Das Argument ist einfach: Wir schmeißen den Chinesen doch keine Milliarden in den Rachen, wenn diese Millionen von US-Dollar horten«, so Ingenieur Bluestein.

Ein weiterer Einwand gegen Finanzhilfen ist Korruption: »Geld nach Afrika zu schicken, hat einfach keinen Sinn, da man in Afrika nie weiß, wohin das Geld fließt«, erklärt der Ökonom Gary Hufbauer, leitender Wissenschaftler am Peterson Institute for International Economics. Sinnvoll sei dagegen ein Technologietransfer.

Trotz aller Widerstände ist auch in der politischen Debatte der USA seit diesem Jahr einiges in Bewegung geraten. Größter Brocken ist ein nationales Klimaschutzgesetz, das aber noch immer nicht verabschiedet wurde. Im Juni hatte das Repräsentantenhaus das Gesetz knapp angenommen. Ein leicht veränderter Entwurf wird nun im Senat diskutiert, wo er vergangene Woche den Umweltausschuss passierte. Im Senat braucht das Gesetz allerdings anders als im Repräsentantenhaus eine Zwei-Drittel-Mehrheit. Die neue »Kerry-Boxer-Version« des Gesetzes – benannt nach den Abgeordneten John Kerry und Barbara Boxer – hat die Reduktionsziele noch verstärkt: Statt um 17 Prozent bis 2020 sollen die Treibhausgasemissionen um rund 20 Prozent reduziert werden. Allerdings ist das Basisjahr dafür nicht 1990 wie im Kyoto-Protokoll, sondern 2005. Viele Europäer kritisieren deshalb, dass es im Vergleich zu 1990 nur um eine läppische Reduzierung von vier Prozent gehe.

Trotzdem ist völlig unklar, ob das Gesetz den Senat passiert. »Von 100 Senatoren sind nur drei oder vier wirkliche Klimaschützer«, meint Umweltberater Blue-stein. Zudem wird der Senat von regionalen Interessen bestimmt. »Abgeordnete aus Detroit werden alles versuchen, ihre Autoindustrie zu schützen, und ein Senator aus West-Virginia wird kein Klimaschützer, da dieser Bundesstaat von der Kohle lebt.« Viele Senatoren versuchen deshalb, die Verabschiedung jeglicher Klimaschutzmaßnahmen hinauszuzögern.

Und sie waren erfolgreich: Längst ist klar, dass vor Kopenhagen kein Klimaschutzgesetz in den USA verabschiedet wird. Alles was die Amerikaner auf dem Gipfel zusagen, steht deshalb unter Vorbehalt. »Wir brauchen einen Patchwork-Ansatz«, meint Worldwatch-Vertreter Ochs. Es gebe beim Klimaschutz verschiedene Geschwindigkeiten. Obama könne nicht in einem Jahr aufholen, was jahrzehntelang versäumt worden sei.

* Aus: Neues Deutschland, 14. November 2009


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