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Klimaabkommen mit Schlupflöchern?

Germanwatch-Geschäftsführer Christoph Bals fordert ambitionierte, verbindliche Ziele *

Bei der UN-Konferenz in Kopenhagen besteht eine realistische Chance, dass sich die Staaten auf ein ambitioniertes globales Klimaschutzabkommen einigen. Der Geschäftsführer der Umwelt- und Nord-Süd-Organisation Germanwatch, Christoph Bals, ist optimistischer als mancher andere Beobachter. Allerdings könnte es ohne Druck Betroffener auch eine substanzlose Show-Veranstaltung werden. Das Interview führte für das "Neue Deutshcland" (ND) Kurt Stenger.

ND: Was sind Ihre Erwartungen an den Weltklimagipfel?

Bals: Ich erwarte, dass am Schluss auf jeden Fall ein Ergebnis präsentiert wird. Die große Frage ist aber: Gibt es ein Ergebnis mit Substanz, was uns deutlich weiter hilft, um einen gefährlichen Klimawandel abzuwenden, oder eine Show-Veranstaltung ohne Substanz? Wir haben eine realistische Chance, dass rechtlich verbindlich alle großen Eckpunkte verabschiedet werden. Und dass durch ein klares Mandat sichergestellt wird, dass innerhalb von wenigen Monaten die Details von den Staaten ratifiziert werden können. Es gibt aber auch das Risiko, dass es eine bloße Absichtserklärung gibt, hinter der kein Umsetzungsapparat, keine Verbindlichkeit steht und das von Schlupflöchern nur so wimmelt.

Welche Schlupflöcher meinen Sie?

In erster Linie geht es um »Hot Air« (»heiße Luft«). Durch den Zusammenbruch der Wirtschaft sind die Emissionen der osteuropäischen Staaten ohne zusätzlichen Klimaschutz weit stärker gesunken, als im Kyoto-Protokoll gefordert wurde. Die nicht aufgebrauchten Emissionsrechte können sie, wenn das in Kopenhagen nicht verboten wird, nach 2012 für sich anrechnen lassen oder an andere Staaten verkaufen. Dies würde die Klimaschutzziele der Industrieländer deutlich reduzieren. Das andere große Schlupfloch: Im Wälderbereich bahnt sich eine Regelung an, wonach jedes Land Aufforstungen von seinen Emissionen abziehen darf, aber Abholzungen nicht entsprechend hinzugerechnet werden. Schließlich waren die CDM-Projekte im Rahmen des Emissionshandels, mit denen Industrieländer ihre Reduktionsverpflichtungen reduzieren können, nur ungefähr zur Hälfte zusätzliche Klimaschutzmaßnahmen. Sie sehen, angesichts solcher Schlupflöcher würde kaum mehr was an ernsthaften Zielen übrig bleiben.

Wäre in Sachen »Hot Air« vor allem die EU gefragt? Dort gibt es ja einen offenen Streit u.a. mit Polen.

Das große Potenzial liegt in Russland und der Ukraine. Aber auch in Polen gibt es ein bedeutendes Schlupfloch. Die EU hat bei ihren letzten Ratssitzungen versucht, dies zu unterbinden. Es kam aber nur ein halbseidener Kompromiss heraus, der lautet: Wir wollen uns dafür einsetzen, dass es international nicht genutzt wird. Dann, und nur dann, nutzen wir es auch nicht. Die EU hat damit ihre Vorreiterrolle verspielt.

Welche Kernpunkte müsste aus Ihrer Sicht ein ambitioniertes Abkommen umfassen?

Es müsste an einer Temperaturerhöhung von 1,5 bis 2 Grad seit der industriellen Revolution als Maximum orientiert sein. Das würde eine weltweite Reduktion der Treibhausgasemissionen um 80 Prozent bis zum Jahr 2050 bedeuten, für die Industrieländer bis 2020 um mindestens 40 Prozent und bis 2050 um 95 Prozent. Auch die Schwellenländer müssten mit sehr ernsthaftem Klimaschutz beginnen, damit der globale Höhepunkt der Emissionen vor 2017, am Besten vor 2015, erreicht wird. Was die Staaten bisher auf den Tisch gelegt haben, würde sich aber nur zu einer Minderung um 12 bis 19 Prozent bis 2020 addieren. Und die genannten Schlupflöcher könnten dazu führen, dass diese Ziele nur die Hälfte von dem wert sind, was auf dem Papier steht.

Die USA gelten auch in Kopenhagen als Zünglein an der Waage. Doch das nationale Klimaschutzgesetz von Präsident Obama steckt im Kongress fest. Ist Washington überhaupt verhandlungsfähig?

Die USA werden das im Gesetzentwurf vorgesehene Reduktionsziel nach Kopenhagen mitbringen, aber quasi unter dem Vorbehalt, und auch ambitioniertere Ziele für 2025 und 2030. Dies alles ist aber nicht ausreichend. Von daher wird es großen Druck auf die USA geben, diese Ziele zu erhöhen oder größere Finanzzusagen für Klimaschutz in Entwicklungs- und Schwellenländern auf den Tisch zu legen.

Druck vor allem in den Regierungsverhandlungen oder von außen von der Klimabewegung?

Wir brauchen beides. Innerhalb der Konferenz können natürlich die Hauptakteure China, EU und USA den größten Druck aufeinander entfalten. Aber auch die kleinen Inselstaaten und die mehr als 100 ärmsten Staaten, deren Existenz wegen des Klimawandels noch in diesem Jahrhundert auf dem Spiel stehen, müssen am Schluss mit unterzeichnen, sonst gibt es bei der UNO kein Abkommen. Auf der anderen Seite brauchen wir auch den großen Druck der Zivilgesellschaft, die vor dem Konferenzgebäude deutlich machen wird, dass sie nicht will, dass die Politik ihre Zukunft verheizt.

COP15

Bei der 15. Konferenz der Vertragsstaaten der UN-Klimarahmenkonvention (COP15) ist Klimapolitik Chefsache. Waren bei früheren Weltklimagipfeln die Umweltminister Verhandlungsleiter, wollen diesmal über 100 Staats- und Regierungschefs der Einladung der dänischen Gastgeber folgen.

Der Grund für das größere politische Gewicht: Diesmal geht es sozusagen um die Wurst. Ende 2007 in Bali hatten sich die Regierungsvertreter auf einen Aktionsplan verständigt, der die Festlegung auf ein neues Klimaabkommen binnen zwei Jahren vorsieht. Das Kyoto-Protokoll, das eher laue Reduktionen und nur für einige Industrieländer vorsieht -- Großemittent USA setzte dies nie in Kraft --, läuft 2012 aus. Ohne Einigung in Kopenhagen zumindest auf Kernpunkte eines »Kyoto II« droht eine zeitliche Lücke beim Klimaschutz.

Dies kann sich die Welt aber nicht leisten, wie Wissenschaftler u.a. vom UN-Klimarat eindrücklich nachgewiesen haben. Sie halten allerhöchstens eine Erderwärmung um zwei Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Stand für einigermaßen managebar. Angesichts der historischen Treibhausgasemissionen vor allem der Industrieländer und des weiterhin fast ungebremsten Anstiegs kann nur massives internationales Gegensteuern dramatische Zustände verhindern: die Überflutung von Großstädten sowie die Gefährdung der Nahrungsmittel- und Wasserversorgung ganzer Regionen durch sich häufende Extremwetterereignisse. Nicht ausreichend wäre das beim G8-Gipfel von Heiligendamm formulierte Ziel, die weltweiten Treibhausgasemissionen bis 2050 um 50 Prozent zu senken.

Ein weiteres Hauptthema in Kopenhagen sind Finanzhilfen von Nord nach Süd. Entwicklungs- und Schwellenländer fordern, quasi als Kompensation für die hauptsächlich von den Industrieländern bei ihnen verursachten Klimaschäden, hohe Milliardenbeträge für Anpassungsmaßnahmen sowie einen Transfer emissionssenkender Technologie. KSt



* Aus: Neues Deutschland, 7. Dezember 2009


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