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UN-Bericht über die menschliche Entwicklung 2007/2008: Schlechtes Klima für die Armutsbekämpfung

Entwicklungsforscher befürchten dramatische Rückschläge und sehen die Hauptverantwortung im Norden

Von Martin Ling *

Ein wissenschaftlicher Bericht zum Thema Klimawandel jagt den anderen: Dem des einstigen Weltbank-Ökonomen Nicholas Stern folgten bisher vier des Klimarats der Vereinten Nationen (IPCC). Auch der diesjährige Bericht über die menschliche Entwicklung der UNO-Entwicklungsorganisation UNDP widmet sich dem Klimawandel und fordert ein schnelles Umsteuern. In Sicht ist das jedoch nicht.

Mit Schuldenkrisen hat der Süden dieser Welt seine bitteren Erfahrungen bereits gemacht – in Form von ungezählten Strukturanpassungsprogrammen, die seit Mexikos Offenbarungseid 1982 vielen Ländern Lateinamerikas, Afrikas und auch Asiens durch den Internationalen Währungsfonds im Auftrag der Gläubigerstaaten des Nordens auferlegt wurden und Bildungs- und Gesundheitswesen nicht selten zum Nischendasein verurteilten. Nun droht dem Süden eine neue Schuldenkrise, dieses Mal eine ökologische. Dies zumindest ist eine zentrale These des Berichtes über die menschliche Entwicklung (HDR) 2007/2008 mit dem Titel »Den Klimawandel bekämpfen: Menschliche Solidarität in einer geteilten Welt«. Gestern wurde er in mehreren Städten der Welt vorgestellt – so auch in Berlin.

Den Autoren des Berichts zufolge verursachen die reichen Länder eine ökologische Schuldenkrise, deren Auswirkungen die Armen der Welt am ehesten – und am heftigsten – zu spüren bekommen werden. Auch wenn die Entwicklungsländer vor allem wegen der Schwellenländer mit China und Indien an der Spitze zunehmend an den globalen Kohlendioxid-Emissionen beteiligt sind, führen die reichen Länder nach wie vor mit weitem Abstand, wenn es um diese CO2-Schulden geht. Sie zeichnen für 70 Prozent der bisher ausgestoßenen Treibhausgase verantwortlich.

Emissionen, über deren Folgen für das Klima immer weniger Zweifel bestünden, sagte Guido Schmidt-Traub bei der Vorstellung des Entwicklungs-Berichtes in Berlin. »Der Klimawandel ist eine Realität, die Verlässlichkeit der Prognosen nimmt stetig zu«, konstatiert der Leiter des Unterstützungsteams für die Millenniums-Entwicklungsziele bei der UNDP in New York. Eine der Prognosen lautet: Der Hauptverlierer des Klimawandels heißt Afrika. Über 60 Prozent der Bevölkerung leben dort auf dem Land und von der Landwirtschaft. Das wird immer schwieriger, weil Wasser und Niederschläge weniger kalkulierbar sind denn je. Dürreperioden und Überschwemmungen wirken verheerend und bedrohen die Lebensverhältnisse unmittelbar. Extreme Wetterverhältnisse werden Probleme wie Armut und Ernährungsunsicherheit verschlimmern.

Die Folgen des Klimawandels lassen sich in Afrika beispielhaft illustrieren. Hungertote infolge von Dürre oder von Überschwemmungen, die die Mais,- Reis-, Süßkartoffel- oder Bohnenernten vernichten, sind inzwischen nahezu regelmäßige Plagen und keine Jahrhundertereignisse mehr. Kein Wunder: Die sechs wärmsten Jahre auf dem Kontinent seit der Klimaaufzeichnung waren alle nach 1987. Für Schmidt-Traub ist deshalb klar: Es gibt keine Wahl zwischen Anpassung und Vermeidung, beides müsse Hand in Hand gehen, denn der Klimawandel sei bereits in vollem Gange.

Mit Schmidt-Traub einer Meinung zeigte sich Bundesentwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul in der Auffassung, dass Klimaschutz und Entwicklungszusammenarbeit zwei Seiten einer Medaille sind und keinesfalls gegeneinander aufgerechnet werden dürften. Kurzum: In beiden Bereichen müssen die Anstrengungen und die finanziellen Mittel erhöht werden. Wieczorek-Zeul teilt auch die im Bericht geäußerte Meinung, dass die entwickelten Länder eine Führungsrolle im Klimaschutz zu übernehmen hätten. Eine radikale Emissionsreduzierung, Technologietransfer in den Süden, Hilfe bei der Anpassung, beim Schutz der Wälder und eine neue Finanzarchitektur zur Generierung der notwendigen Geldmittel – das war ihr Fünf-Punkte-Plan. Rückendeckung genießt sie dafür nach eigenen Angaben sowohl im Kabinett als auch in der Weltbank unter deren neuem Chef Robert Zoellick, dem ehemaligen Handelsbeauftragten der USA.

Mit dieser Rückendeckung reist sie zur nächste Woche in Bali beginnenden Weltklimakonferenz, wo die Verhandlungen zur Gestaltung eines multilateralen Übereinkommens für die Zeit nach Ablauf des Kyoto-Protokolls 2012 stattfinden. Dabei sind »die meisten OECD-Staaten weit davon entfernt, die Kyoto-Zielvorgaben zu erreichen«, heißt es im Entwicklungsbericht, der zu dem Schluss kommt: »Eine der bittersten Lektionen, die uns der Klimawandel erteilt, ist die Erkenntnis, dass das kohlenstoffintensive Wirtschaftswachstum und der damit verbundene ungezügelte Konsum in den reichen Ländern ökologisch nicht tragbar sind.« Dennoch »raten wir nicht zum Verzweifeln, sondern rufen zum Handeln auf«, sagt der Hauptautor Kevin Watkins. Bali sei eine einmalige Gelegenheit, die Interessen der Armen dieser Welt ins Zentrum der Klimaverhandlungen zu rücken.

Zahlen und Fakten: Folgen des Klimawandels

Der Bericht der UNDP zu den Folgen des Klimawandels für die menschliche Entwicklung berücksichtigt vor allem die Folgen für die 2,6 Milliarden Menschen, die mit weniger als zwei US-Dollar am Tag auskommen müssen. Die ökologischen Auswirkungen des Klimawandels könnten die bisher mühsam erzielten Fortschritte zunächst abschwächen und schließlich sogar umkehren. Die potenziellen Kosten der Erderwärmung würden bislang untertrieben. Folgende Gefahren für die menschliche Entwicklung beschreibt der Bericht:

Zusammenbruch landwirtschaftlicher Systeme. Diese sind immer stärker Dürren, steigenden Temperaturen und unregelmäßigen Niederschlägen ausgesetzt. Für bis zu 600 Millionen Menschen zusätzlich besteht dadurch die Gefahr, sich nicht mehr ausreichend ernähren zu können. Das Afrika südlich der Sahara könnte bis 2060 etwa 26 Prozent seiner Produktivität verlieren.

Zusätzliche 1,8 Milliarden Menschen werden mit Wasserknappheit konfrontiert sein. Schmelzende Gletscher und veränderte Niederschlagsmuster werden schlimme ökologische Krisen in großen Gebieten Südasiens und Nordchinas nach sich ziehen.

Durch Überschwemmungen und Tropenstürme könnten bis zu 332 Millionen Menschen an den Küsten und in niedrig gelegenen Gebieten ihr Zuhause verlieren. Über 70 Millionen Bangladescher, 22 Millionen Vietnamesen und 6 Millionen Ägypter könnten von Überschwemmungen betroffen sein, die mit der Erderwärmung zusammenhängen.

Zunahme der Gesundheitsrisiken. Bis zu 400 Millionen Menschen mehr könnten der Malaria-Gefahr ausgesetzt sein.



* Aus: Neues Deutschland, 28. November 2007

Die Zusammenfassung des Berichts in Deutsch als pdf-Datei:
Bericht über die menschliche Entwicklung 2007/2008. Zusammenfassung

Zum UNDP-Bericht über die menschliche Entwicklung:

Island führt erstmals die Liste der am höchsten entwickelten Länder der Erde an - bezogen auf Lebenserwartung, Bildungsgrad und Einkommen. Die Schweiz nimmt den siebten Rang ein. Die letzten Plätze belegen Länder aus Afrika.

Wie aus dem am 27. November 2007 veröffentlichten Jahresbericht des UNO- Entwicklungsprogramms (UNDP) hervorgeht, wurde Norwegen, das seit sechs Jahren an der Spitze dieses «Index der menschlichen Entwicklung» stand, auf Platz zwei verdrängt. Australien folgt an dritter Stelle.

Die Schweiz kehrt auf den siebten Platz auf der Liste von 177 Ländern zurück, nachdem sie im vergangenen Jahr auf den neunten zurückgefallen war. Gegenüber den Ländern etwa aus dem Norden wie Island und Norwegen ist die Schweiz Quote der Schulbildung etwas tiefer, da die Kinder etwas später eingeschult werden. Anzeige

In Schwellenländern wie Brasilien, China und Indien ist der Entwicklungsstand in den vergangenen 30 Jahren gestiegen, 16 Ländern geht es schlechter als 1990 - Sambia, Simbabwe und Kongo- Kinshasa sogar schlechter als vor 1975.

Erstmals gehören nach diesem Bericht alle 22 Länder mit «niedrigstem Entwicklungsstand» zu Schwarzafrika. Als das am wenigsten entwickelte Land gilt Sierra Leone.

In zehn dieser Nationen werden zwei von zehn Kindern keine 40 Jahre alt, in Sambia sogar jedes zweite Kind. Im Vergleich dazu erreichen in den 20 Ländern mit dem höchsten Entwicklungsgrad neun von zehn Kindern ihren 60. Geburtstag.

Der Index vergleicht seit 1990 den Entwicklungsstand in den Mitgliedsländern der Vereinten Nationen.




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