Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

"Gefahr für die Demokratie"

VVN-Bundesvorsitzender fordert Auflösung der Inlandsgeheimdienste. Ein Gespräch mit Heinrich Fink


Professor Dr. Heinrich Fink ist ehemaliger Rektor der Berliner Humboldt-Universität und Bundesvorsitzender der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten (VVN-BdA)

Seit Jahren wird die VVN-BdA von den Inlandsgeheimdiensten als »linksextremistisch beeinflußt« diffamiert und die Verfassungstreue Ihres Verbandes in Frage gestellt. Warum?

Das müssen Sie die Inlandsgeheimdienste selbst fragen. Im Gegensatz zu denen stehen wir auf dem Boden des Grundgesetzes. Tatsächlich sind wir es, die die Demokratie tagtäglich gegen ihre Gegner verteidigen. So liegen die politischen Schwerpunkte der VVN-BdA im Kampf gegen den zunehmenden Abbau von Grund- und Freiheitsrechten, Rassismus und Antisemitismus, aber selbstredend zu aller erst im Engagement gegen Neofaschisten und Krieg.

Das Landesamt für Verfassungsschutz in Baden-Württemberg wirft der VVN-BdA dagegen vor, »immer wieder eine vermeintliche Kontinuität ›faschistischer‹ Strukturen in der Bundesrepublik Deutschland« auszumachen.

Besagte Kontinuität liegt leider auch auf der Hand. Es ist ein nicht zu widerlegendes Faktum, daß sich hochrangige Funktionäre des Naziregimes in der Bundesrepublik wieder in Amt und Würden fanden. Die Bundesregierung mußte in ihrer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage der Linksfraktion eingestehen, daß neben dem früheren Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger (CDU) auch insgesamt 26 ehemalige Bundesminister der NSDAP bzw. anderen faschistischen Organisationen wie der SA angehörten. Auch der Bundesnachrichtendienst (BND), der aus der »Organisation Gehlen« entstand, setzte auf personelle Kontinuitäten. Ebenso das Bundesamt für Verfassungsschutz, sowie das Bundeskriminalamt (BKA). Forscher der Universität Halle haben dargelegt, daß die Leitungsebenen des BKA im Jahr 1959 zu 56 Prozent aus ehemaligen SS-Mitgliedern bestand.

Wozu braucht es in der BRD insgesamt 18 Inlandsgeheimdienste?

Ich halte es für einen unerträglichen Zustand, daß in der BRD so viele Inlandsgeheimste bestehen. Zum Schutz der Verfassung haben sie jedenfalls bisher überhaupt nichts beigetragen. Vielmehr sind die Verfassungsschutzämter der Länder und des Bundes sowie der Militärische Abschirmdienst (MAD) der Bundeswehr selbst eine Gefahr für Verfassung und Demokratie. Das wurde durch die Enthüllungen bezüglich der Verstrickungen der Inlandsgeheimdienste mit dem neofaschistischen Terrornetzwerk »Nationalsozialistischer Untergrund« (NSU) mehr als deutlich.

Man muß in diesem Zusammenhang übrigens auch immer auf die Kriminalisierungsstrategie dieser Behörden gegen die politische Linke hinweisen. Es hat dieser Republik alles andere als gut getan, daß Zehntausende Menschen in Westdeutschland in den 1970er und 1980er Jahren Opfer von Berufsverboten wurden und bis heute nicht rehabilitiert worden sind. Man muß sich das immer wieder vor Augen führen: Menschen durften nicht Briefträger, Lokführer oder Lehrer werden, etwa weil sie Pazifisten waren und sich gegen die Wiederbewaffnung Deutschlands positionierten.

Perfiderweise standen Kommunisten in Folge des Verbotes der KPD wieder vor Staatsanwälten und Richtern, die sie bereits in der Nazizeit verurteilt hatten.

Interview: Markus Bernhardt

* Aus: junge Welt, Donnerstag 14. März 2013


Zurück zur Verfassungsschutz-Seite

Zurück zur Homepage