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Henkel steckt im V-Mann-Sumpf

Quatschender NSU-Helfer und Spitzel Thomas S. bringt Innenbehörden in Bedrängnis

Von Martin Kröger *

Jetzt sollen eine Sonderkommission und ein Sonderermittler Licht in das Dunkel um den NSU-Unterstützer und V-Mann des Berliner Landeskriminalamts Thomas S. bringen. Er werde in Kürze einen »unabhängigen Sonderermittler« einsetzen, erklärte Berlins Innensenator Frank Henkel (CDU) gestern erneut im Innenausschuss des Abgeordnetenhauses. Bei der Polizei, so deren amtierende Präsidentin Margarete Koppers, untersuche bereits eine Sonderkommission, ob die Information des V-Mannes Thomas S. aus dem Jahr 2002 weitergeleitet worden sei.

Damals hatte S. bei einem Treffen mit dem LKA erklärt, er kenne jemanden, der Hinweise auf drei wegen »Waffen- und Sprengstoffbesitz« Gesuchte besitze. Dass er dabei selber an das Trio dachte, stritt S. am Wochenende in einem Interview öffentlich ab. Dabei war der V-Mann in den Neunziger Jahren einer der engsten Bekannten des NSU-Trios Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe. Wie er ebenfalls freizügig in dem Interview erklärte, habe er den Jenaer Neonazis, aus denen sich später der NSU bildete, in den Neunziger Jahren sogar ein Kilogramm Sprengstoff besorgt.

Dass der V-Mann, der selber gegenüber der Polizei weiter auf Vertraulichkeit pocht, in den Medien auspackt, düpiert indes auch die Berliner Innenbehörden. »Wir haben unseren Justiziar gebeten zu prüfen, die Vertraulichkeit in diesem Fall aufzuheben«, erklärte Berlins Polizeichefin Margarete Koppers. Um die Akten zur »VP 562«, wie Thomas S. beim Berliner Staatsschutz hieß, öffentlich zu machen, bedarf es laut Koppers aber auch der Zustimmung von vier weiteren Ermittlungsbehörden, die S. ebenfalls Vertraulichkeit zugesichert hätten.

Udo Wolf von der Linksfraktion hatte zuvor scharf kritisiert, dass die Berliner Behörden überhaupt auf so eine »finstere« Gestalt wie S. zurückgegriffen hätten. »Warum kann eine solche Figur angeworben werden und mit einer Reihe von Vorabsprachen versorgt werden?«, fragte Wolf. Immerhin werde an diesem System festgehalten, bei dem »vorbestrafte und kriminelle Rechtsextremisten« angeworben würden. Die LINKE hat überdies zum Umgang mit S. einen Fragenkatalog erarbeitet.

Doch neben den Vorgängen um den V-Mann ab dem Jahr 2000 sah die Opposition im Abgeordnetenhaus gestern auch weiteren Aufklärungsbedarf bezüglich des Umgangs des Innensenators mit dem Vorfall selbst. »Was haben sie seit dem 9. März gemacht, als sie davon erfuhren, das S. vom LKA als V-Mann geführt wurde?«, fragte stellvertretend der Grüne-Innenexperte Benedikt Lux.

Die Antwort auf diese Frage lieferte die Opposition gleich mit: Henkel sei seiner politischen Verantwortung, aktiv zu werden, nicht nachgekommen, so Udo Wolf von der LINKEN. Auch »die scheibchenweise Aufklärung« sei ein »absolutes Armutszeugnis der politischen Verwaltung«. Beim »Rosenkrieg« zwischen Innensenat und der Generalbundesanwaltschaft in der vergangenen Woche sei das »peinliche Niveau einer Seifenoper« erreicht, sagte Wolf.

Der Innensenator selbst reagierte auf die Kritik mit einer Erklärung, die er von einem Zettel ablas. »Hier geht es nur darum, mit konstruierten Vorwürfen Skandalisierung zu betreiben«, nuschelte Henkel. Und: Die Fragen zum V-Mann seien Gegenstand von Prüfungen. Ansonsten sei alles beantwortet - fertig. Indes: Man muss kein Prophet sein, derart einfach wird sich Henkel nicht aus dem V-Mann-Sumpf ziehen können.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 25. September 2012


Henkel im Eimer

Selbst wenn der Berliner Innensenator im Neonazi-V-Mann-Skandal gelogen haben sollte – die Koalition unter Klaus Wowereit wird auch das überstehen.

Von Sebastian Carlens **


Frank Henkel (CDU) wird zum Stammgast im Innenausschuß des Abgeordnetenhauses und zum Sorgenkind der Berliner SPD-CDU-Regierung: Bereits in der vergangenen Woche mußte der Innensenator Rede und Antwort zu einem vom Hauptstadt-Landeskriminalamt (LKA) gedungenen Neonazi stehen. Am gestrigen Montag nahm ihn das Gremium erneut ins Verhör. Henkel wird vorgeworfen, entscheidende Informationen nicht an den zuständigen Bundestagsausschuß zur Aufklärung des Behördenversagens im Falle des »Nationalsozialistischen Untergrundes« (NSU) weitergeleitet zu haben. Der ganze Fall ist ein Paradebeispiel für jene strukturellen Defizite im deutschen Behördendschungel, die ihrerseits den Terrorfeldzug des NSU erst möglich machten.

LKA-»Vertrauensmann« Thomas Starke war ein NSU-Helfer der ersten Stunde, er beschaffte Sprengstoff und konspirative Quartiere, war zeitweise mit einem mutmaßlichen Mitglied der terroristischen Vereinigung, Beate Zschäpe, liiert. Und Starke verpfiff seine »Kameraden« ungeniert – selbst einen Tip zum Verbleib der abgetauchten NSU-Gruppierung lieferte er seinem V-Mann-Führer im Jahr 2002. Davon erfuhr allerdings niemand etwas; die Berliner Behörde hortete ihr Wissen, obwohl die NSU-Gründer zu dieser Zeit noch steckbrieflich gesucht wurden. Das allein hat die Dimensionen eines ausgewachsenen Behördenskandals. Doch Henkel erhielt bereits im März diesen Jahres Kenntnis von der düsteren Altlast in den Aktenschränken seines LKA, und hier beginnt die eigentliche Affäre: Ein vom Bundestag eingesetztes Aufklärungsorgan, ein parlamentarischer Untersuchungsausschuß, wird als potentiell »undichte Stelle«, als Sicherheitsrisiko eingeschätzt – und deshalb nicht informiert. Er fühlte sich, so Henkel, an eine Verschwiegenheitserklärung gebunden, die gegenüber dem Neonazi abgegeben worden war. Erst im Juli erfuhr der Ausschuß von Starke – wiederum nicht von Henkel, sondern direkt vom Generalbundesanwalt (GBA). Der Innensenator argumentierte, der GBA habe darum gebeten, den Ausschuß nicht zu informieren. Dieser dementierte prompt und scharf; es habe zu keiner Zeit irgendwelche Absprachen über Aktenweitergabe gegeben. Auch die Innenausschußsitzung am Montag konnte keine weitere Klarheit bringen; es steht weiterhin Wort gegen Wort: Entweder hat Henkel gelogen, oder aber die Bundesanwaltschaft.

Im Dickicht aus Verschlußsachen und Verschwiegenheitsklauseln scheiterte nicht nur die strafrechtliche Verfolgung der NSU-Terroristen zu einem Zeitpunkt, als mehrere Morde noch hätten verhindert werden können. Der Geheimhaltungswahn einer Exekutive, die keinen Begriff mehr davon hat, wem sie eigentlich rechenschaftspflichtig ist, torpediert nun auch die Aufklärung des Behördenversagens selbst. Die Neonazis, die sich als »Vertrauensleute« verdingen, bleiben Neonazis, doch sie genießen Narrenfreiheit, wenn sie sich erst mit den Ämtern eingelassen haben. V-Mann Starke gab der Welt am Sonntag zwar gerade ein langes Interview, doch die Verschwiegenheitserklärung für ihn gilt weiter – und jeder Abgeordnete, der im öffentlichen Teil des Berliner Innenausschusses Zeitungswissen über ihn äußert, könnte sich schon damit strafbar machen. Diese zahnlosen Aufklärer, die vor jeder Wortmeldung eine juristische Expertise einholen müssen, können dem abstrusen Schattendasein der Behörden nicht gefährlich werden. Hinter vorgehaltener Hand ist im Abgeordnetenhaus sowieso klar: Tritt Henkel zurück, ist die angeschlagene SPD-CDU-Koalition am Ende. Schon deshalb muß sich der Innensenator keine Sorgen machen. Ihn rettet die Staatsraison.

** Aus: junge Welt, Dienstag, 25. September 2012


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