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Volksvertreter (un)heimlich bespitzelt

Von Aydin bis Zimmermann - Verfassungsschutz hat Sachakte über alle Abgeordneten der LINKEN

Von René Heilig *

Das Bundesamt für Verfassungsschutz überwacht alle 53 Abgeordneten der Bundestags-Linksfraktion sowie eine ungenannte Anzahl von Mitarbeitern. Die Ergebnisse dieser - wie es heißt - »ohne den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel« durchgeführten Bespitzelung sind in einer »Sachakte« festgehalten.

Die Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion bestätigt eine seltsame Sonderbehandlung der von Gysi und Lafontaine geführten Truppe. Von Aydin, Hüseyin bis Zimmermann, Sabine - alle Abgeordneten der Fraktion werden vom deutschen Inlandsgeheimdienst ausgeforscht. Über keine andere Fraktion des 16. Deutschen Bundestages hat das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) so eine Sachakte angelegt.

Laut Bundesregierung enthält die Akte unter anderem biografische Daten der Abgeordneten, deren Funktionen innerhalb der Partei, »Mitgliedschaften in extremistischen Zusammenschlüssen der Partei« sowie »Kontakte zu extremistischen Gruppierungen«. Wenn sie den Verfassungsschutz gezielt auf Abgeordnete der LINKEN, deren Mitarbeiter sowie Beschäftigte in Wahlkreisbüros ansetzt, missbrauche die Regierung ihre Machtposition, empört sich die innenpolitische Sprecherin der Fraktion, Ulla Jelpke. Andere Abgeordnete vermuten, Schwarz-Rot könnte sich so gerade im Wahlkampf Vorteile gegen eine ungeliebte Opposition verschaffen. Rechtsexperten sehen die Unabhängigkeit von Abgeordneten und des Parlaments gefährdet.

»Nach dem gegenwärtigen Stand der Recherche liegen über 27 Abgeordnete ... in der Sachakte Informationen vor, die über die Angaben aus dem Amtlichen Handbuch des Bundestages hinausgehen.« Auch wenn die Regierung betont, dass sie fleißig Internetauftritte und Tageszeitungen wie »Neues Deutschland« auswertet, muss man an der ausschließlichen Nutzung öffentlicher Quellen zweifeln. Es sei nämlich nicht ausgeschlossen, so die Regierung, »dass sich in der Sachakte des BfV auch im Einzelfall mit nachrichtendienstlichen Mitteln gewonnene Informationen befinden, die im Rahmen einer auf andere Beobachtungsobjekte abzielenden Informationsbeschaffung des BfV oder im Rahmen der Beobachtungstätigkeit der Länder angefallen sind«. Beschatten, abhören, Post- und Mailkontrolle?

Deutlich wird, dass die Sammlungen nicht in einem Archiv verstauben. Man gebe in der Akte enthaltene Informationen an das Bundesinnenministerium und an Landesverfassungsschutzbehörden weiter. »Welche weiteren Behörden bzw. Stellen im einzelnen Empfänger von Übermittlungen waren, ließ sich wegen des erheblichen Rechercheaufwandes in der Kürze der für die Beantwortung einer Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht beantworten.«

Mangelt es etwa am übersichtlichen Nachweis? Das widerspräche dem Bundesverfassungsschutzgesetz. Übermittlungen sind »aktenkundig« zu machen. Oder wäre die Liste der mit Informationen Versorgten zu lang? Auch im Gesetz ist unklar, was »Stellen« sind. Zu lesen ist jedoch, dass personenbezogene Daten nicht nur an »inländische öffentliche Stellen«, sondern auch an »Stationierungsstreitkräfte«, an »ausländische öffentliche« sowie an »über- und zwischenstaatliche Stellen« übermittelt werden dürfen.

Innerhalb der Linksfraktion ist die Existenzberechtigung von Geheimdiensten und der Umgang mit ihnen umstritten. Dennoch gibt es ein umfangreiches Betätigungsfeld für Verfassungsschützer im parlamentarischen Umfeld. Der Regierung ist nämlich bekannt, »dass mehrere ausländische Nachrichtendienste im Rahmen ihrer nachrichtendienstlichen Aufklärung ... auch Fraktionen und Abgeordnete des Deutschen Bundestages beobachten«.

Über die Erfolge bei der Abwehr solcher Angriffe wird nichts gesagt.

* Aus: Neues Deutschland, 16. September 2009


Abgeordnete bespitzelt

Bundesregierung gibt geheime Überwachungsmaßnahmen gegen Linksfraktion zu. Auch parteilose Mitarbeiter und Beschäftigte in Wahlkreisbüros betroffen

Von Frank Brendle **

Der Verfassungsschutz setzt bei der Überwachung der Linksfraktion im Bundestag auch geheime Ermittlungsmethoden ein. Das hat die Regierung jetzt eingeräumt. Betroffen sind auch parteilose Mitarbeiter und Beschäftigte in Wahlkreisbüros. Die dabei gewonnenen Daten werden möglicherweise an eine Vielzahl in- und ausländischer Stellen weitergegeben.

Bisher hatte es stets geheißen, das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) lege in einer »Sachakte« ausschließlich Informationen aus öffentlich zugänglichen Quellen wie Zeitungen und Homepages der Abgeordneten ab. In einer Antwort auf eine kleine Anfrage der Linken-Abgeordneten Ulla Jelpke präzisiert die Regierung nun: »Dies schließt jedoch nicht aus, daß sich in der Sachakte des BfV auch im Einzelfall mit nachrichtendienstlichen Mitteln gewonnene Informationen befinden.« Diese könnten entweder »im Rahmen einer auf andere Beobachtungsobjekte abzielenden Informationsbeschaffung des BfV oder im Rahmen der Beobachtungstätigkeit der Länder angefallen sein«. Soll heißen: Wenn eine Abgeordnete mit Menschen spricht, die ihrerseits heimlich abgehört werden, landen auch diese Informationen in der Akte. Dabei scheinen weder das Telekommunikationsgeheimnis noch der Status der Abgeordneten eine Rolle zu spielen. Inwiefern die Dienste der Bundesländer geheime Überwachungsmethoden einsetzen, will das Bundeskabinett nicht offenlegen.

Die Regierungsinformationen gehen über die bisherige Praxis weit hinaus. Früher wurden entsprechende Fragen stets mit pauschalen Floskeln zurückgewiesen. Diese Praxis hatte das Bundesverfassungsgericht Anfang Juli als grundgesetzwidrig verworfen, woraufhin die Linksfraktion ihre Fragen erneut einbrachte.

Ausdrücklich bestätigt wurde nun, daß sämtliche Linken-Abgeordneten in der Sachakte erfaßt sind. In 27 Fällen - rund die Hälfte der Fraktion - gehen die gespeicherten Angaben über rein biographische Daten hinaus. Überwacht werden auch Mitarbeiter von Abgeordneten sowie die Tätigkeit der Wahlkreisbüros - »im Einzelfall«, wie es heißt. Ob die Mitarbeiter selbst in der Partei sind, spiele dabei keine Rolle. Abgeordnete anderer Fraktionen werden nicht überwacht.

Kryptisch ist die Antwort der Regierung auf die Frage, welchen weiteren Behörden oder Dienststellen der Verfassungsschutz bislang Informationen aus seiner Überwachungstätigkeit übermittelt hat: Dies habe sich »wegen des erheblichen Rechercheaufwandes« in der Zwei-Wochen-Frist, die für kleine Anfragen gilt, nicht beantworten lassen. Das Verfassungsschutzgesetz erlaubt die Datenweitergabe an eine Vielzahl nicht näher bezeichneter »in- und ausländischer Stellen«.

Der Einsatz geheimer Überwachungsmethoden ist sicherlich die brisanteste Information. Gegenüber jW bezeichnete Jelpke die Maßnahmen als verfassungsfeindlich: »Wenn gewählte Abgeordnete damit rechnen müssen, daß der Geheimdienst ihre Telefonate abhört oder E-Mails mitliest, unterminiert das sowohl ihre Unabhängigkeit als auch die Glaubwürdigkeit des ganzen Parlaments.« Der Verfassungsschutz müsse endlich »zurückgepfiffen« werden. Übrigens: Die Bundesregierung informierte auch, »daß mehrere ausländische Nachrichtendienste im Rahmen ihrer Aufklärung in Deutschland auch Fraktionen und Abgeordnete des Deutschen Bundestages beobachten«. Da wüßte man gerne, ob hierzu auch »befreundete Dienste« gehören, so Jelpke.

** Aus: junge Welt, 16. September 2009


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