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"Weiß nicht, ob ich abgehört oder observiert wurde"

Niedersachsens Verfassungsschutz bespitzelte Journalisten. Einige von ihnen wehren sich juristisch. Gespräch mit Carl Otto Bleichert *


Carl Otto Bleichert ist Journalist und wurde für Die Linke in den Stadtrat im Bad Gandersheim (Niedersachsen) gewählt.


Auch Sie gehören zum Kreis der sieben Journalisten, die der niedersächsische Verfassungsschutz bespitzelt hat – haben Sie erfahren, auf welche Weise und wie lange?

Leider weiß ich nichts Konkretes, – weder über den Zeitraum noch über die Form der Beobachtung. Bis heute weiß ich nicht einmal, ob ich nur observiert oder mein Telefon abgehört wurde. Schon 2004 hatte mir das Landesamt für Verfassungsschutz auf meine Nachfrage hin mitgeteilt, Kenntnis davon zu haben, daß ich für die parteieigene Landeszeitung der damaligen PDS presserechtlich verantwortlich zeichne. Weiteres könne nur einem Datenschutzbeauftragten mitgeteilt werden. Somit war klar: Es war mehr über mich gespeichert.

Aus einem Schreiben der niedersächsischen Verfassungsschutz-Präsidentin Maren Brandenburger vom 20. September habe ich jetzt erfahren, daß ich offenbar über Jahre unter Beobachtung stand. Der Brief enthielt aber keine Silbe einer Entschuldigung. Der eigentliche Skandal ist, daß die Daten einfach gelöscht wurden. Diese Vorgehensweise rief bei mir Erinnerungen an die Praxis anderer Verfassungsschutzämter wach, die in Verbindung mit dem NSU-Komplex Akten geschreddert hatten.

Werden auch Sie – wie zwei der anderen Bespitzelten, Andrea Röpke und Kai Budler – gegen den Verfassungsschutz juristisch vorgehen?

Mein Rechtsanwalt Sven Adam wird einfordern, diese Daten zu rekonstruieren – und, sobald vorhanden, mir zugänglich zu machen. Mit diesem Ziel wird er auch Klage gegen den niedersächsischen Verfassungsschutz erheben. Sven Adam ist im übrigen selber ins Fadenkreuz dieses inländischen Geheimdienstes geraten.

Haben Sie Informationen, warum der Verfassungsschutz daran interessiert war, Sie zu bespitzeln?

Da mir nicht mitgeteilt wurde, welche »Erkenntnisse« über mich gespeichert waren, kann ich nur mutmaßen: Vielleicht steht das im Zusammenhang mit weiteren Publikationen der Partei Die Linke, für die ich presserechtlich verantwortlich war. Etwa mit dem »Lageplan Neonazis in Niedersachsen« oder mit einer Recherche über den ehemaligen Nazi-Kader Heiko Ebbenga, an der ich mitgewirkt habe. Dabei kam heraus, daß er Mitglied der CDU in Holzminden geworden war – just in dem Kreisverband, in dem der ehemalige niedersächsische Innenminister Uwe Schünemann (CDU) – damals für den Verfassungsschutz zuständig – Kreisvorsitzender war. Vielleicht auch, weil ich über die extreme Rechte unter anderem im südlichen Nieder­sachsen berichtet hatte.

Haben Sie den Eindruck, daß Schünemann über das Bespitzeln informiert gewesen sein könnte? Welche Rolle spielt der jetzige Innenminister Boris Pistorius (SPD)?

Ich halte es nicht für glaubwürdig, daß Schünemann von all dem nichts gewußt haben will. Er war als Hardliner bekannt und hatte beispielsweise Hans-Werner Wargel, den Vorgänger von Frau Brandenburger, ins Amt gehoben. Der war zuvor Polizeipräsident in Göttingen und stand in dem Ruf, massiv gegen die linke Szene vorgegangen zu sein. Pistorius hat immerhin versucht, Transparenz herzustellen.

Welche Auswirkungen haben die Machenschaften des Verfassungsschutzes auf die Ausübung ihres Berufs?

Bei mir ist Mißtrauen entstanden: Wer könnte in meinem Freundeskreis Zuträger für den Verfassungsschutz gewesen sein? Selbst wenn dessen Präsidentin jetzt in den Medien erklärt, weder Observation noch Telefonüberwachung hätten stattgefunden, nur Zeitungen seien geschnipselt worden: Aus meiner Sicht ist das wenig glaubhaft, denn ich kann das Dossier nicht mehr einsehen. Zudem kann all dies zu Vertrauensverlusten bei meinen Informanten führen, die mich über extreme Rechte informiert haben. Bei einer solchen Recherche ist Vertrauen ein hohes Gut.

Welche Rolle hat ihr politisches Engagement gegen Rechts gespielt?

Als Mitglied des Rates der Stadt Bad Gandersheim hatte ich 2010 Proteste gegen einen dort geplanten NPD-Landesparteitag mitorganisiert. Grotesk finde ich, daß ich einerseits vom Bürgermeister der Stadt Bad Gandersheim dafür eine Danksagung erhalte – zugleich aber jetzt erfahren muß, daß der niedersächsische Verfassungsschutz mich bespitzelt hat.

Interview: Gitta Düperthal

* Aus: junge Welt, Dienstag, 8. Oktober 2013


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