Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Fragen zur Ehre

NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages nahm sich kenntnisreichen MAD vor

Von René Heilig *

Auf der gestrigen Sitzung befasste sich der sogenannte NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages mit dem Wissen des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) über die rechtsextremistische Terrorzelle. Geladen war unter anderem der einstige MAD-Abteilungsleiter für Rechtsextremismus, Oberst a. D. Dieter Huth.

»Eine Frage der Ehre« sei es, in der Bundeswehr zu dienen, suggerierte ein buntes Werbeplakat in der S-Bahn, die den Berichterstatter in Richtung Bundestag beförderte. Dort kämpfte dann ein ehemaliger Oberst um diese Ehre. Auf verlorenem Posten, denn damit war es in der Truppe nicht weit her Ende der 90er und Anfang der 2000er Jahre - also in jener Zeit, in der das Jenaer Nazitrio seine Mordserie begann.

Fast untadelig aber war die Aktenordnung des MAD. Soweit vorhanden und nicht geschreddert, ist die Sammlung aussagenkräftig. »Fossil« Huth hat daran seinen Anteil, er hat beim MAD fast 25 Jahre gedient. Wann hat Huth, zuletzt als Abteilungsleiter zuständig für Rechtsextremismus, das erste Mal gehört, dass es eine »Beziehung« zwischen MAD und dem späteren NSU-Terroristen Uwe Mundlosgegeben hat?

Das war im Mai 2012, da hatte das Amt den Zeugen für die anstehende Aussage vor dem Untersuchungsausschuss »gebrieft«. Immerhin erfuhr er so Wochen vor dem Ausschuss von der Befragung des Soldaten Mundlos durch den Militärgeheimdienst. Der MAD hatte sogar versucht, das damalige Mitglied im Thüringer Heimatschutz als V-Mann zu werben. Diese Operation fand sieben Monate, nachdem die Polizei Mundlos mit verbotenem Propagandamaterial aufgegriffen hatte, statt.

Huth erklärte diesen Langmut mit Umstrukturierungen im Amt. Er war sich zunächst sicher, dass er in seiner aktiven Zeit nichts gehört habe von diesen Jenaer Bombenbastlern - und war dann offenbar selbst erstaunt, als ihm deutlich gemacht wurde, wie dicht der MAD an dem Terrortrio Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe »dran gewesen« sein muss.

Das betrifft weniger die Operation »Rennsteig«, bei der der MAD Hilfsdienste für das Bundesamt und das Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz geleistet hat. Auch jenseits des »Rennsteigs« erfüllte man bei Soldatenbefragungen mehrmals Nachfragewünsche des Verfassungsschutzes in Richtung Thüringer Heimatschutz und Terrortrio.

»Der Thüringer Heimatschutz machte uns natürlich Sorge«, bekannte Huth. Denn das war mit bis zu 300 jungen männlichen Mitgliedern eine beachtlich Truppe, aus der »jährlich 20 oder mehr junge Männer zum Wehrdienst eingezogen wurden«. Gegen die Gepflogenheit hatte man sogar einen zivilen V-Mann im Einsatz. Man wollte wissen, wen man sich in den Pelz setzt.

Befragt nach einem System »Veranda« winkte der Ex-Oberst ab. Dieses EDV-System sei nicht handhabbar gewesen. Na ja ... Immerhin finden sich darin präzise Angaben zum Trio. Von dem Neonazi Jürgen Helbig, der »jederzeit wieder als Kurier (für die drei Flüchtigen) fungieren« würde, wusste man, dass die drei Bombenbastler sich auf der Stufe »Rechtsterroristen« bewegen und sich »aufgrund des zu erwartenden Strafmaßes nicht den Behörden stellen würden«. Braucht man mehr Hinweise, um die Gefährlichkeit der Terroristen zu erfassen?! Der MAD meldete die 1999er Erkenntnis dem Verfassungsschutz - mit drei Monaten Verzug.

So sehr sich Huth und andere MADler gegen Neonazis gewehrt haben mögen, die Bundeswehr nahm sie auf, selbst wenn die ihre Gesinnung auf der Haut zur Musterung trugen. So André Eminger, einer der NSU-Gangster, seit gestern offiziell angeklagt, weil er dem Trio beim Untertauchen und mit Papieren half. Er hielt Kontakt zu den Mördern in der Illegalität und versuchte Zschäpe nach dem Tod von Mundlos und Böhnhardt zur Flucht zur verhelfen.

»Blut und Ehre«, das Motto der SS, die er als nationalsozialistische Elitetruppe verehrte, hatte sich Emminger nebst Reichskriegsflagge und »A H« tätowieren lassen. Man musterte ihn ungerührt und verpasste ihm den Tarnfleck-Ehrenrock. »Rechte wollen eben ihr Handwerk lernen«, kommentierte Huth mit grimmigem Unterton. Und ließ sich interessiert den Fall Mario Brehme schildern. Der Vizechef des »Thüringer Heimatschutzes« wurde bei der Bundeswehr sogar zum Einzelkämpfer ausgebildet. Bei der Entlassung bescheinigte man ihm, dass er seinen Dienst »zur vollsten Zufriedenheit« absolviert hat.

Wenn man Brehmes Reisen nach Südafrika folgt, gelangt man zu Claus Nordbruch. Der flog nach rechtsextremen Exzessen zwar von der Münchner Bundeswehr-Uni, doch Leutnant wurde er dennoch. Seit Jahren knüpft er von seiner Farm in Südafrika ein internationales Nazinetz, propagiert Rassenwahn und hat Brehme und weitere Rechtsradikale aus dem Thüringer Heimatschutz zum bewaffneten Training empfangen.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 09. November 2012


Militärgeheimdienst als "Headhunter"

Bundestagsuntersuchungsausschuß befragte Ex-MAD-Mitarbeiter zu Kontakt zu späterem Rechtsterroristen Mundlos

Von Claudia Wangerin **


Der Militärische Abschirmdienst (MAD) wollte bei der Befragung des späteren NSU-Terroristen Uwe Mundlos im Jahr 1995 angeblich nur testen, ob dieser bereit wäre, als Informant zu arbeiten. Der Militärgeheimdienst habe Mundlos aber nicht selbst als Quelle nutzen wollen, betonte der frühere Leiter der Abteilung Rechtsextremismus des MAD Oberst a.D. Dieter Huth. Einerseits habe die Frage dazu gedient, die Gesinnung des Wehrpflichtigen zu beurteilen. Zweitens habe der MAD die Möglichkeit ausloten wollen, Mundlos als V-Person für andere Sicherheitsbehörden zu gewinnen. MAD-Präsident Ulrich Birkenheier hatte genau dies im September bestritten und versichert, die Frage habe nur den Zweck gehabt, festzustellen, ob Mundlos sich aus der rechtsextremen Szene gelöst habe.

Mundlos war am 13. August 1994 fernab der Kaserne von der Polizei kontrolliert worden. Die Beamten fanden bei ihm Visitenkarten mit dem Bild Adolf Hitlers, ein Bild des Hitler-Stellvertreters Rudolf Heß und später in seiner Wohnung Kassetten mit Neonazimusik sowie Flugblätter der NPD. Zwischen der Meldung eines Vorgesetzten an den MAD, daß der Soldat in diesem Zusammenhang aufgefallen sei, und seiner Befragung durch den Militärgeheimdienst im März 1995 vergingen rund sieben Monate. Auf Nachfrage der Abgeordneten Eva Högl (SPD), warum dies so lange gedauert habe, erklärte MAD-Abteilungsleiter Huth, in solchen Fällen würden erst einmal Informationen von anderen Sicherheitsbehörden eingeholt. Das könne sich hinziehen, so viele Monate seien aber unüblich. Der spätere Neonaziterrorist hatte zum Zeitpunkt der Befragung nur noch drei Wochen Wehrdienst abzuleisten. Der MAD sei wohl eine Art »Headhunter« für zivile Geheimdienste gewesen, kommentierte Högl die Praxis, Soldaten unter Extremismusverdacht gleich als potentielle Informanten für andere Behörden anzusprechen.

Mundlos soll 1995 die Frage des MAD, ob er sich vorstellen könne, »ihm bekanntgewordene Termine für Anschläge auf Asylantenheime« zu melden, mit Nein beantwortet haben. Der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses, Sebastian Edathy (SPD), hob am Donnerstag hervor, daß diese Frage anderen Wehrpflichtigen mit Neonazikontakten vom MAD gar nicht gestellt wurde. Er selbst habe rund 20 solcher Vernehmungsprotokolle gelesen, sagte Edathy.

Etwa 20 Soldaten waren laut Huth dem MAD als Mitglieder oder Sympathisanten der NSU-Brutstätte »Thüringer Heimatschutz« (THS) aufgefallen. Das habe einfach an der Altersstruktur gelegen, weil der THS überwiegend aus jungen Männern zwischen 18 und 22 Jahren bestanden habe. Huth räumte ein, die Bundeswehr sei in den 1990er Jahren ein »attraktiver Laden« für Rechtsextremisten gewesen. Frauen hätten damals nur im Sanitätsdienst und bei der Militärmusik eine Rolle gespielt. Außerdem habe es kaum Bürger mit Migrationshintergrund in der Truppe gegeben. »Der wehrpflichtige Rechtsextremist hat ja selten in der Truppe wirklich Propaganda gemacht. Der wollte sein Handwerk lernen«, erklärte Huth. Deshalb sei es für den MAD in solchen Fällen schwer gewesen, die Vorgesetzten in den Kasernen zu überzeugen, daß so einer kein guter Soldat sei, denn »handwerklich war das ein guter Soldat«. Rechtsextreme Wehrpflichtige seien in der Regel nicht aus der Truppe entfernt worden. Man habe nur verhindern wollen, daß sie Zeitsoldaten werden und sie von bestimmten Lehrgängen – etwa der Sprengausbildung – ausgeschlossen. Mundlos war am Ende seines Wehrdienstes noch zum Obergefreiten der Reserve befördert worden

** Aus: junge Welt, Freitag, 09. November 2012


Zurück zur Verfassungsschutz-Seite

Zur Geheimdienst-Seite

Zurück zur Homepage