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Der Mann, der Thüringer nicht mag

Ex-Verfassungsschutzchef Roewer packt aus: Das Würstchen und der Erfurter NSU-Untersuchungsausschuss

Von René Heilig *

Am Montag und Dienstag tagt in Erfurt wieder der NSU-Untersuchungsausschuss. Nicht das düstere Herbstwetter ist schuld, dass sich im Tagungsraum kaum Erleuchtung einstellen wird.

V-Mann-Führer des Thüringer Landesamtes für Verfassungsschutz sollen gehört werden. Man erwartet Auskunft über die Spitzel Thomas Dienel, Marcel Degner und Thomas Starke. Auch nach dem V-Mann »Corelli« soll gefragt werden. Der (Stamm-)Zeuge Ex-Staatssekretär Michael Lippert hat nach dem Motto »ohne meinen Rechtsanwalt sage ich nichts« abgesagt. Die Absentierungsgründe eines anderen Zeugen sind gesundheitlicher Art und ernst.

Heiße Luft nach Art des Hauses Das alles spricht nicht für Fortschritt in den parlamentarischen Ermittlungen. Und der skurrile Ex-Verfassungsschutzchef Helmut Roewer wird auch nicht mehr für einen vollen Saal und ausführliche Presseberichte sorgen. Mit dem ist der Ausschuss in jeder Beziehung fertig. So wie jener mit den Abgeordneten. Die sind ja fast so bescheuert wie Journalisten, die nur »ihre vorfabrizierte Wahrheit an den Mann bringen wollen« - so beklagt sich Roewer in einem Buch, das er Ende vergangener Woche vorstellte. »Nur für den Dienstgebrauch« ist sein Titel, der »Als Verfassungsschutz-Chef im Osten Deutschlands« unterschrieben ist.

Der Titel deutet Geheimes an - beim Lesen merkt man rasch, dass das Buch nach Art des Verfassungsschutzes ist. Viel heiße Luft, veredelt mit mystischem Stempelaufdruck. Roewer verlässt sich nicht nur auf seine Erinnerung. Die ist - wie man spätestens seit seinen Vernehmungen vor dem NSU-Ausschuss weiß - selektiv.

Der kleine Mann mit der großen Geltungssucht hat Tagebuch geführt: »Dienstag, 28. Januar 1997. Abends in der Straßenbahn. Es ist sechs Uhr und stockfinster. Ein leerer Tag ist zu Ende. Habe mir morgens ein paar öde Zeilen für den Verfassungsschutzbericht abgenötigt ...«

Mein Gott, welch Elend! Da kommt ein enthusiastischer Geheimdienst-Aufbauhelfer in den Osten und dann haben die in den Erfurter Straßenbahnen noch nicht einmal Licht. Zum Glück, dass Roewer, dieses Kraftwerk nach Bonner Konstruktion, so weithin strahlte. Musste er ja auch, um dem allerorts im Untergrund Seile knotenden Stasi- und KGB-Gelichter heimzuleuchten.

Keinen Strom, aber Bratwürste! Also »Thüringer«. Roewer ist ja Insider. Nur Nicht-Thüringer nennen Thüringer Bratwurst Thüringer, doziert der Autor und lässt erkennen, dass er sie nicht mag. Bratwurst hat nichts mit »Brätel« zu tun, das Eingelegte mit den glasigen Zwiebeln mag er auch nicht.

Was musste der Spitzenmann, den man aus dem Bundesinnenministerium nach Thüringen geschickt hat, nicht alles erleiden. In einer einstigen SED-Parteischule hat man ihm ein Zimmer gegeben. Da klebten die alten Keime sogar am Duschvorhang. Den hat er freilich entsorgt, wie so mancherlei. Bis man ihn entsorgt hat.

»Worum also geht es? Es geht um mich«, schreibt Roewer. Da nimmt er zwar Bezug auf seine Vernehmung vor dem Erfurter Ausschuss, doch selbstverständlich gilt das generell. Meint der Autor, dessen Buch durchaus unterhaltsame Passagen hat. Immer dann, wenn er vergnatzt mit der politischen Provinzmafia hinter den Thüringer Bergen abrechnet, möchte man sich bisweilen auf die Schenkel schlagen und ausrufen: Was war doch Heinrich Manns »Untertan« für eine moralische Gestalt!

Genüsslich zieht der Autor über die thüringische Mundart, sein in Anfangszeiten verwahrlostes Büro und die angeblich allesamt unfähigen Kollegen her. Etliche, die aus dem Westen gekommen waren, »hätten lieber zu Hause bleiben sollen«, bekräftigte der Autor bei der Vorstellung seines Werkes. »Viele kamen, um die wenigen Stellen unter sich aufzuteilen«, schreibt Roewer. Wie man eine Behörde zum Laufen bringt, wussten sie nicht. »Wichtiger erschienen zunächst die Pfründe, die Vergabe von schmückenden Titulaturen.« Aber da war ja noch er, der Herr Präsident, der dem Geheimdienst auftragsgemäß »ein Gesicht« gegeben hat.

»Samstag, 19. Juli 1997: Nachmittags auf dem Küchenbalkon. Weiß manchmal nicht mehr, wie ich meine Müdigkeit und Abgespanntheit in den Griff kriegen soll.« 1997? Das war jenes Jahr, in dem er den Tipp erhalten hatte, dass Uwe Böhnhardt mit Sprengstoff hantiere und bevorzugt mit zwei Personen seines Alters zusammen sei. Uwe Mundlos und Beate Zschäpe waren das wohl und zu dritt ergaben sie die spätere »Zwickauer Zelle«, die mörderische Speerspitze des »Nationalsozialistischen Untergrundes« (NSU).

Unbenutzte Präservative Das »kuriose Kürzel« habe er ursprünglich gar nicht erwähnt in seinem Manuskript, dessen Vorwort im Mai 2012, also ein halbes Jahr nach dem Auffliegen des NSU, datiert. Ein Lektor hat ihn darauf aufmerksam gemacht. Doch NSU sei ihm »wie allen anderen, die heute wohltönend darüber sprechen und schreiben«, damals vollkommen unbekannt gewesen. Es handelt sich ja auch nicht um einen Gruppennamen »im landläufigen Sinne«, klärt »007« mit den roten Schuhen auf. Denn »ein Name ist in der Lebenswirklichkeit nur dann existent, wenn jemand ihn kennt und benutzt. Das war bis zu der ominösen Öffentlichmachung nicht der Fall. Die mutmaßlichen Gangster aus Jena handelten ... gänzlich atypisch, wenn man sie mit den Terrorgruppen der letzten 150 Jahre vergleicht.«

Vielleicht, weil sie nicht einfach »Gangster« waren? Es wäre ja hilfreich, wenn sich der Spezialist Roewer wenigstens im Nachhinein mit der Nazi-Strategie vom »Combat 18« und anderen befasst hätte. Um selbstkritisch herauszufinden, warum man den Mördern nicht Einhalt geboten hat.

Doch das wäre wohl eine Überforderung des Autors. Er habe ja erst Anfang 1998 erfahren, dass die drei Rechtsextremisten in den Untergrund gegangen und der Polizeizugriff fehlgeschlagen seien. Das »Einfangen dieser jungen Leute« wäre eigentlich »Polizeiroutine«, schreibt Roewer. Doch weil alles so gründlich schief gelaufen sei, habe er überlegt, ob bei der Polizei »alles mit rechten Dingen abgelaufen ist, ob nicht nur Dummheit, sondern auch Absicht im Spiel war«.

Roewer wurde eindeutig missbraucht. Beispielsweise als Devotionaliensammler. Immer wieder trugen um ihn herum Lebende DDR-Alltagsdinge an ihn heran: »vom Knäckebrot bis zur Präservativ-Packung, vor deren Verwendung die Schenkerinnen allerdings warnen«. So unversehrt, wie die im Buch abgebildete »mondos«-Packung ausschaut, hat der Chefagent sich daran gehalten.

Das Tagebuch gibt »Auskünfte über mein alltägliches Tun«: »Guter Umtrunk, dennoch seltsam distanzierte Gespräche, vielleicht frage ich einfach zu wenig.« Fragen? Roewer hat nur Antworten. Die beliebteste lautet: Schuld sind immer die anderen. Beispielsweise die Eltern der mutmaßlichen Rechtsterroristen Mundlos und Böhnhardt. Die hätten nach Abtauchen des Trios Kontakt zu ihm gesucht »mit der absurden Vorstellung, dass die Herren Söhne mit Hilfe meiner Behörde aus der Sache rauskommen«.

Nach seinem Rausschmiss im Jahr 2000 habe sich niemand mehr für den Rechtsextremismus in Thüringen und die drei illegalen Bombenbastler interessiert, behauptet Roewer. Die Damen und Herren diverser Untersuchungsausschüsse, die das Versagen der Behörden im Kampf gegen rechtsextremistischen Terror aufhellen sollen, werden den Wert von Roewers Auslassungen sicher nicht zu hoch bewerten. Zu groß sind die Auslassungen. Allenfalls seine Andeutung, dass man quasi einen Aktionsplan zum Verbot des Thüringer Heimatschutzes - aus dem der NSU entstand - im Schubfach hatte, und einige Hinweise auf das Mitmischen des Bundesamtes für Verfassungsschutz verdienen Nachfragen.

Deutschnationaler Hauch Nachfrage verdient auch Roewers Entscheidung, im Ares Verlag zu publizieren. Zu viele von dessen Publikationen könnte man zumindest als deutschnational mit einem Hauch Antisemitismus bewerten - wären da nicht der Verlagssitz Graz (Österreich) und der vehemente Widerspruch des Verlegers mit Einstecktuch und »Schmäh« in der Stimme. Wer sich das Verlagsprogramm anschaut, wird von Titeln zur SS über die okkulten Wurzeln des Nationalsozialismus zum jungen Hitler und 150 Jahren Burschenschaften in Österreich weitergeleitet. Zwischendrin findet sich ein älteres Buch des Autoren Helmut Roewer über die »Rote Kapelle und andere Geheimdienstmythen«.

* Aus: neues deutschland, Montag, 08. Oktober 2012


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