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"Sie darf nicht zum Staat im Staate werden"

Menschenrechtsverletzungen der deutschen Polizei: BRD braucht unabhängige Instanz zur Überwachung. Ein Gespräch mit Rolf Gössner *


Dr. Rolf Gössner ist Rechtsanwalt und Vizepräsident der Internationalen Liga für Menschenrechte.


Mehrere Menschenrechtsorganisationen haben am gestrigen Dienstag (29. Mai) gefordert, unabhängige Kommissionen zur Überwachung der Polizei einzurichten. Warum halten Sie das für nötig?

Die Ahndung illegaler Polizeigewalt funktioniert in der Bundesrepublik sehr schlecht. Amnesty International sowie europäische und UN-Menschenrechtsgremien haben mehrfach festgestellt, daß es hierfür keine unabhängige Instanz gibt und auf Abhilfe gedrängt. Unsere Initiative soll das Problem wieder ins öffentliche Bewusstsein bringen. Rechtswidrige Polizeigewalt, Überwachungsaktionen, Misshandlungen und Todesschüsse werden nur unzureichend aufgeklärt und geahndet, und zwar trotz aller gesetzlichen Kontrollmechanismen.

Haben Sie einen konkreten Anlass?

Anlässe gibt es leider sehr oft, und das seit Jahrzehnten. Schon lange fordern Bürgerrechtsorganisationen, daß die »Immunität« der Polizei vor Strafsanktionen endlich ein Ende haben muss. Die Kontrolldefizite haben sowohl individuelle, als auch strukturelle Ursachen. Neben Überforderung, Stress und Unfähigkeit auf Seiten einzelner Beamter gibt es eben auch Korpsgeist, fremdenfeindliches Klima und institutionellen Rassismus. Die Polizei als Trägerin des staatlichen Gewaltmonopols hat weitreichende exekutive Vollmachten und Befugnisse, die im Namen der Sicherheit und des staatlichen Antiterrorkampfs zunehmend ausgeweitet wurden. Diese Aufrüstung hat die Probleme nur noch verschärft.

Wie gehen die Behörden denn heute mit polizeilichem Fehlverhalten um?

Es gibt in einzelnen Bundesländern Abteilungen, die in bestimmten Fällen interne Ermittlungen führen. Diese sind aber nicht unabhängig, sondern in den Polizeiapparat integriert. Auch Ermittlungen von Staatsanwälten sind hier wegen ihrer engen Beziehungen zur Polizei problematisch. Schließlich sind Polizisten im Bereich der Strafverfolgung staatsanwaltschaftliche »Hilfsbeamte« .

Welche Rolle spielen denn Gerichte in solchen Verfahren?

Opfer staatlicher Gewalt müssen häufig mit Gegenanzeigen von Polizisten rechnen, etwa wegen falscher Beschuldigung oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte. Die Beweislage ist für die Opfer in aller Regel äußerst schlecht. So haben sie keine eigenen Zeugen oder sind mit Gegenzeugen der Polizei konfrontiert und ziehen dann im Verfahren den Kürzeren. Die Identifizierung von Beamten in Kampfuniform ist meist unmöglich. Endlich hat sich das zumindest in Berlin geändert, seit dort die Kennzeichnungspflicht eingeführt wurde. Leider neigen aber viele Richter immer noch dazu, Polizisten mehr Glauben zu schenken als Normalbürgern oder gar sozialen und politischen Außenseitern.

Welche Gefahren erwachsen daraus für die Gesellschaft?

In einem demokratischen Rechtsstaat ist eine intensive und strenge öffentliche Kontrolle der Polizei unerlässlich, damit sie nicht zum Staat im Staate wird. Diese Tendenz wohnt allen mächtigen und abgeschotteten Institutionen inne. Wie stark die gesetzliche Kontrolle versagt, zeigt das Beispiel des Asylbewerbers Oury Jalloh, der Anfang 2005 in Polizeigewahrsam verbrannt ist, und dessen Verbrennungstod bis heute nicht gerichtlich aufgeklärt ist. Vertuschungen, Manipulationen und Geheimhaltung innerhalb der Polizei führen immer wieder zu einer Mauer des Schweigens. Daran perlt jede Ermittlung ab. Eben weil die heutigen Instrumente nicht ausreichen, brauchen wir neue gesetzliche Möglichkeiten unabhängiger Kontrolle.

Wie sollen die unabhängigen Kontrollinstanzen nach Ihrem Vorschlag arbeiten?

In Hamburg gab es zeitweise eine Polizeikommission, die gute Arbeit geleistet hat, aber personell und finanziell viel zu schlecht ausgestattet war – so waren die Mitglieder ehrenamtlich tätig. Künftig müsste es einen gut ausgestatteten Arbeitsstab geben, alle Gremienmitglieder müssen von den Parlamenten gewählt werden und dürfen nicht der Exekutive angehören. Gesellschaftliche Gruppen müssen repräsentiert sein, nach Geschlecht und ethnischer Herkunft, auch unter Einschluss von Randgruppen. Die Kommissionen brauchen gesetzliche Untersuchungsbefugnisse, müssen Zeugen verhören und Akten einsehen sowie unangemeldet Polizeiwachen aufsuchen können. Schließlich müssen die Mitglieder ein Zeugnisverweigerungsrecht haben, um die Anzeigenden zu schützen – seien es Bürger oder Polizeibeamte, die sich dem Korpgeist verweigern.

Interview: Mirko Knoche

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 30. Mai 2012

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