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Wird Angriffskrieg ein strafbares Verbrechen?

Konferenz im Kampala überprüft Wirksamkeit des Römischen Statuts und des Haager Strafgerichtshofs

Von Norman Paech *

In der ugandischen Hauptstadt Kampala beginnt am heutigen Montag (31. Mai) die erste Konferenz zur Überprüfung des Römischen Statuts, auf dem die Rechtsprechung des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag beruht.

Gut 50 Jahre dauerte es, bis die Staaten den Auftrag der UNO erfüllt hatten, aus den Nürnberger Militärtribunalen von 1946 einen Internationalen Strafgerichtshof zu formen und ein allgemeines Völkerstrafrecht auf der Basis der Nürnberger Prinzipien zu entwickeln. 1998 wurde mit dem Römischen Statut ein Völkerstrafgesetzbuch geschaffen. 2002 wurde der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag eröffnet, dessen Rechtsprechung sich mittlerweile 108 Staaten unterworfen haben. Ein großer Erfolg, selbst wenn Staaten wie die USA, Russland, China und Israel bislang einen Beitritt verweigern.

In Kampala kommen die Unterzeichnerstaaten nun zu einer Bestandsaufnahme zusammen. Vor allem aber geht es um die Schließung einer großen Lücke in der Reihe der Straftatbestände: Zwar wird der Angriffskrieg im Römischen Statut als »Verbrechen der Aggression« genannt, es fehlt jedoch eine Definition dessen, was eine Aggression ist. Der Angriffskrieg ist also immer noch straflos.

Als der spätere Chefankläger der USA, Robert Jackson, 1945 die Strafbarkeit des Aggressionskriegs in die Nürnberger Statuten einführte, stieß er noch auf die französische Kritik, im Völkerrecht gebe es keine Strafbarkeit des Angriffskrieges, eine Bestrafung der deutschen Täter verstoße also gegen das allgemeine Rückwirkungsverbot. Heute ist die Strafbarkeit anerkannt, nur besteht keine Einigkeit darüber, wann ein Aggressionskrieg vorliegt und welche Rolle der Sicherheitsrat bei einer möglichen Anklage spielen soll.

Der Konferenz in Kampala liegt ein Entwurf vor, der sich eng an die Aggressionsdefinition der UN-Generalversammlung des Jahres 1974 anlehnt: »Das Verbrechen der Aggression meint die Planung, Vorbereitung, den Beginn oder die Ausführung ... eines Aktes der Aggression, der durch seine Schwere oder sein Ausmaß eine eindeutige Verletzung der Charta der Vereinten Nationen darstellt«.

Welche Tücken diese Definition für das Gericht enthält, machte eine Anhörung des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe im Bundestag deutlich. Mehrere Völkerrechtler vertraten die Ansicht, die Überfälle auf Jugoslawien 1999 und Irak 2003 müssten straffrei bleiben, da es sich nicht um »eindeutige« Verstöße gegen das Völkerrecht gehandelt habe.

In der Tat wird jeder Angreifer Juristen finden - und bezahlen -, die seine Aggression legitimieren und aus einem eindeutigen Angriffskrieg einen »umstrittenen« Verstoß gegen das Völkerrecht machen. Es bleibt nur zu hoffen, dass sich der Gerichtshof seine Unabhängigkeit auch gegenüber solcher Art der Juristerei bewahrt.

Politisch schwieriger wird die Rolle des Sicherheitsrats zu bestimmen sein. Darf Anklage nur erhoben werden, wenn der Sicherheitsrat eine Aggression festgestellt hat, oder ist die Anklagebehörde in ihrer Entscheidung autonom? Die ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats werden dem neuen Tatbestand wohl nur zustimmen, wenn ihr Einfluss auf die Anklagebehörde durch ihr Veto gesichert ist.

Die Bundesregierung, deren Einfluss die Errichtung des Strafgerichtshofs vorangetrieben hatte, sollte sich in diesem letzten entscheidenden Punkt nicht hinter den fünf ständigen Mitgliedern verstecken - auch das würde ihr nicht den Status eines ständigen Mitglieds einbringen. Sie sollte mit der voraussehbaren Mehrheit der Staaten für eine möglichst weitgehende Autonomie der Anklagebehörde stimmen.

Ein Problem allerdings, das die Legitimation des IStGH seit seiner Gründung trübt, findet sich nicht auf der Tagesordnung in Kampala: Derzeit führt das Gericht Untersuchungen in Kongo, Sudan, Zentralafrika und Kenia durch. Zwei laufende Verfahren betreffen Vorgänge in der DR Kongo, ein drittes wird Anfang Juli beginnen. 13 Haftbefehle wurden gegen afrikanische Verdächtige ausgestellt. Das Gericht hat sich also zum Strafgericht Afrikas entwickelt, als gäbe es Kriegsverbrechen, Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit nur dort. Kein Verfahren gegen Verdächtige in den USA, Großbritannien, Israel oder Deutschland, als wären die Kriege in Afghanistan, Irak und Gaza die saubersten Waffengänge der Gegenwart.

Das Massaker bei Kundus wird nach der Einstellung des Verfahrens durch die Bundesanwaltschaft keine juristische Klärung mehr erfahren, obwohl die unverhältnismäßig große Zahl ziviler Opfer und die bekannt gewordene Weigerung des Obersten Klein, die Zivilpersonen am Tatort durch Tiefflüge der US-amerikanischen Jets zu warnen, zumindest den Verdacht eines Kriegsverbrechens nahelegen. Die Anklagebehörde des IStGH könnte den Fall aufgreifen, wenn sie zu der Überzeugung kommen sollte, dass die Bundesrepublik nicht in der Lage oder nicht willens ist, den Fall selbst zu verfolgen. Eine solche Ansicht wird sie aber nicht wagen zu äußern, schließlich ist Deutschland nicht Kongo oder Sudan.

Jackson sagte schon 1947 während der Prozesse gegen die deutschen Kriegsverbrecher: »Wir dürfen niemals vergessen, dass nach dem gleichen Maße, mit dem wir die Angeklagten heute messen, auch wir morgen von der Geschichte gemessen werden. Diesen Angeklagten einen vergifteten Becher reichen, bedeutet, ihn an unsere eignen Lippen zu setzen.« Erst wenn die Staaten diese Sätze akzeptieren und gegen sich gelten lassen, wird sich die internationale Strafgerichtsbarkeit endgültig vom Vorwurf der »Siegerjustiz« befreien können.

* Der Autor, emeritierter Professor für Völkerrecht, war bis 2009 Außenpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion der LINKEN.

Aus: Neues Deutschland, 31. Mai 2010



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