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Frieden, Völkerrecht und die UN-Charta

Die Völkerrechtsbrüche der drei Kriege (Jugoslawien, Afghanistan, Irak) hat die Rechtslage nicht geändert

Von Gregor Schirmer*

Wenn eine Welt ohne Krieg möglich ist, dann gehört zu den gesellschaftlichen Bedingungen dafür nach meiner Überzeugung die Geltung, Weiterentwicklung und Durchsetzung des Völkerrechts. Völkerrecht allein kann eine Welt ohne Krieg nicht schaffen. Aber eine solche Welt ist nicht ohne verbindliche völkerrechtliche Regelungen, ohne Herrschaft des Rechts denkbar und möglich. Die Alternative: Eine pax americana, also ein Gewaltfrieden ohne Recht kraft politischer, ökonomischer und vor allem militärischer Macht der USA mit wechselnden Verbündeten oder ein Welt-Chaos ohne rechtliche Bindungen.

Nach drei kurz aufeinander vom Zaun gebrochenen völkerrechtswidrigen Kriegen gegen Jugoslawien 1999, gegen Afghanistan 2002 und gegen den Irak 2003 (1) sowie angesichts der fast 50 Kriege und bewaffneten Konflikte, die für das Jahr 2002 gezählt wurden,(2) ist die Frage nicht von der Hand zu weisen, ob das Völkerrecht bei der Kriegsverhinderung und Friedenssicherung überhaupt noch etwas zu bewirken vermag. Die geltende Völkerrechtsordnung ist vor allem durch die imperialistische Politik der USA in eine existenzielle Krise geraten.(3) Die drei Kriege hatten aus völkerrechtlicher Sicht einige makabre Gemeinsamkeiten.

Völkerrechtsordnung in einer Krise

Erstens waren sie alle drei schwerwiegende Völkerrechtsbrüche der NATO, der USA und Großbritanniens. Sie verletzten das Verbot der Androhung und Anwendung militärischer Gewalt in den internationalen Beziehungen, die Grundnorm des Friedensvölkerrechts, die in Art. 2 Ziffer 4 der UN-Charta als kategorischer Imperativ formuliert ist. Sie waren Aggressionsverbrechen. An den Aggressionen gegen Jugoslawien und Afghanistan war Deutschland unmittelbar beteiligt. Aus dem Krieg gegen den Irak hat es sich herausgehalten. Schröder, Struck und Fischer haben peinlichst vermieden, den Krieg als Aggression zu bewerten. Sie hätten bei einer solchen Bewertung entsprechend dem Grundgesetz der BRD den USA die Nutzung des deutschen Territoriums für die Aggression verbieten müssen. Das wollten und konnten sie nicht. Sie nahmen lieber einen stillschweigenden Verfassungsbruch und eine indirekte Teilnahme an der Aggression in Kauf.(4)

Der Aggressionskrieg der USA und ihrer Verbündeten gegen den Irak 2003 war nicht nur ein schlimmer Tiefpunkt in einer Kette von Völkerrechtsbrüchen, sondern eine existenzielle Gefährdung der völkerrechtlichen Friedensordnung überhaupt und eine Absage an das kollektive Sicherheitssystem der UN.(5) Andreas Zumach hat das nach meiner Meinung gut auf den Begriff gebracht: "Seit dem Irakkrieg steht die internationale Staatenwelt vor der historischen Alternative: Rückkehr zum Völkerrecht oder Präventivkrieg als Dauerzustand."(6) Kofi Annan erklärte am 23. September 2003 vor der VN-Generalversammlung, die Logik der präemtiven Gewaltanwendung ohne Rücksicht auf den Sicherheitsrat "represents a fundamental challenge to the principles on which, however imperfectly, world peace and stability have rested for the last fifty-eight years". Die UN ständen an einer Wegscheide. "This may be a moment no less decisive than 1945 itself, when the United Nations was founded."(7)

Andererseits erwies sich gerade im Krieg gegen den Irak das Völkerrecht als ein Kampfinstrument der Friedenskräfte. Bush wurde auch mit Hilfe dieses Rechts als Kriegstreiber und Kriegsverbrecher entlarvt. Sein Krieg wurde als ein durch nichts zu entschuldigendes Aggressionsverbrechen bloßgelegt. Aber selbst ein so notorischer Rechtsbrecher wie Bush hielt es für angezeigt, seinen Krieg vor der Weltöffentlichkeit auch mit Argumenten zu rechtfertigen, die den Anschein von Völkerrecht tragen. Er behauptete, dieser Krieg sei durch Resolutionen des SR der VN zum Irak-Konflikt und durch das Selbstverteidigungsrecht gedeckt.(8) Offenbar kann es sich selbst der mächtigste Staat nicht erlauben, das Gewaltverbot öffentlich als für sein eigenes Handeln nicht gültig oder unerheblich abzutun.

Zweitens. Keine der zwei Ausnahmen vom Gewaltverbot war in einem der drei Kriege gegeben. Die erste Ausnahme, nämlich das Recht auf individuelle und kollektive Selbstverteidigung ist in Art. 51 aus gutem Grund sehr restriktiv ausgeformt. Es ist nur gegeben "im Falle eines bewaffneten Angriffs" eines Staates auf einen anderen. Und es greift nur solange, "bis der Sicherheitsrat die zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen getroffen hat". Bei der Auslegung dieses Rechts ist größte Sorgfalt am Platze, pflegten doch Aggressoren aller Couleur vor und nach Inkrafttreten de Charta ihr Verbrechen in Selbstverteidigung umzulügen und zu diesem Zweck das Selbstverteidigungsrecht zu verfälschen. In keinem der drei Kriege lag Selbstverteidigung vor. Weder Jugoslawien, noch Afghanistan, noch der Irak haben einen anderen Staat angegriffen. Diese Staaten waren selbst Opfer eines bewaffneten Angriffs und daher zur Selbstverteidigung berechtigt.

Die zweite Ausnahme, die Anwendung militärischer Gewalt durch den SR nach Kapitel VII der Charta, traf ebenfalls auf keinen der drei Kriege zu. Der SR hat seine in Art. 24 der Charta festgelegte "Hauptverantwortung für die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit" bestimmt nicht wahrgenommen. Er hat die Friedensbrüche und Angriffshandlungen der NATO und der USA nicht verurteilt und sie nachträglich als Faktum hingenommen. Im Falle Jugoslawiens geschah das durch die Resolution 1244 vom 10. Juni 1999, die die Entsendung einer "Internationale Sicherheitspräsenz" im Kosovo autorisierte, freilich mit der erzwungenen Zustimmung Jugoslawiens. Mit der Resolution 1386 vom 20. 12. 2001 wurde nach dem Krieg die Einrichtung einer "Internationalen Sicherheitsbeistandstruppe" in Afghanistan vom SR "genehmigt" und die teilnehmenden Staaten "ermächtigt", "alle zur Erfüllung ihres Mandats notwendigen Maßnahmen zu ergreifen", also auch militärische Gewalt anzuwenden. Mit der Resolution 1483 vom 22. 5. 2003 hat der SR faktisch das Besatzungsregime im Irak akzeptiert. Der SR hat vor, in und nach den drei Kriegen eine dubios-klägliche Rolle gespielt.

Aber keiner der drei Kriege war eine militärische Sanktionsmaßnahme des SR "zur Wiederherstellung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit" nach Art. 42 der Charta. Der SR hat in keinem Fall ein Mandat zur Anwendung militärischer Gewalt erteilt. Im Jugoslawien-Fall hat das Russland mit seinem Veto verhindert. Im Afghanistan-Fall kann aus dem Verweis auf das Selbstverteidigungsrecht in den Präambeln der Resolutionen 1368 vom 12. 9. 2001 und 1373 vom 28. 9. 2001 keine Billigung militärischen Losschlagens gegen Afghanistan, auf keinen Fall eine Ermächtigung dazu, durch den SR abgeleitet werden. Im Irak-Fall wurde die von den USA, England und Spanien geforderte Zustimmungsresolution zum Krieg durch die Ankündigung des Veto Chinas, Frankreichs und Russlands und der Gegenstimmen weiterer SR-Mitglieder verhindert. Die Resolution 678 vom 1. 12. 1990, durch die militärische Gewalt der USA und ihrer Verbündeten im 2. Golfkrieg genehmigt wurde, kann nicht dafür missbraucht werden, auch noch den 3. Golfkrieg zu legitimieren. Das Mandat des SR war mit der vom Irak angenommenen Waffenstillstandsresolution 687 vom 3. 4. 1991 erledigt. Der SR hat keinen der drei Kriege beschlossen.

Drittens. Keine der offiziell angegebenen Rechtsfertigungsgründe für die drei Kriege hält einer juristischen Überprüfung stand. Beim Krieg gegen Jugoslawien beriefen sich die Aggressoren auf die Zulässigkeit und Notwendigkeit einer "humanitären Intervention" zur Beendigung von Völkermord und anderen schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen durch serbische Autoritäten. Die Sicherung der Menschenrechte nimmt im Völkerrecht gewiss einen hohen Rang ein. Aber militärisches Eingreifen von außen, also Menschenrechtskriege als Mittel zur Durchsetzung der Menschenrechte sind in keiner der Menschenrechtspakte vorgesehen, auch nicht in der Konvention zur Verhütung und Bestrafung des Völkermords. Das wichtigste Mittel zur Verhütung von Völkermord ist die Einhaltung des Gewaltverbots, die Verhinderung militärischer Konflikte, denn Völkermord geschieht immer im Zusammen hang mit Kriegen. In der Charta wird die Verwirklichung der Menschenrechte ausdrücklich als Aufgabe der friedlichen Zusammenarbeit der Staaten bezeichnet. Die "humanitäre Intervention" mit militärischer Gewalt ist keine zulässige dritte Ausnahme vom Gewaltverbot. Sie ist völkerrechtswidrig. In der Praxis läuft sie auf Menschenrechtsimperialismus hinaus.(9)

Berufung auf ein verfälschtes Selbstverteidigungsrecht

Bei den Kriegen gegen Afghanistan und gegen den Irak spielte die Berufung auf ein verfälschtes Selbstverteidigungsrecht eine zentrale Rolle. Im Afghanistan-Fall mussten der Terrorismus und die Verbindung von Al-Qaida und Taliban dazu herhalten, die Aggression mit dem Schein des Selbstverteidigungsrechts zu umgeben. Die Terroranschläge des 11. September waren schwerste internationale Verbrechen einer nichtstaatlichen Organisation. Aber sie waren kein bewaffneter Angriff Afghanistans gegen die USA im Sinne des Art. 51 der Charta und konnten deshalb kein Selbstverteidigungsrecht der USA auslösen. Um diese Anschläge als Angriff Afghanistans auf die USA zu bewerten und damit als Rechtfertigung des Krieges der USA als Selbstverteidigung anzuerkennen, hätte Al Queida im Auftrag der Taliban oder mit wesentlicher Beteiligung der Taliban gehandelt haben müssen. Dafür fehlt bis heute jeglicher Nachweis. Ein Recht des Opferstaates, Terroristen in einem anderen Staat mit militärischer Gewalt zu verfolgen, gibt es nicht.(10) Die einhellige Verurteilung der Terroranschläge durch die Staatenwelt ist kein Indiz dafür, dass plötzlich ein solches Recht als weitere Ausnahme vom Gewaltverbot inauguriert wurde. Der Kanzler hat in seiner Regierungserklärung vor dem Bundestag am 19. 9. 2001 behauptet, der SR habe durch seine Resolution 1368 "eine Weiterentwicklung bisherigen Völkerrechts vorgenommen". Bislang galt als bewaffneter Angriff der Angriff eines Staates auf einen anderen. "Mit dieser Resolution - das ist das entscheidend Neue - sind die völkerrechtlichen Voraussetzungen für ein entschiedenes, auch militärisches Vorgehen gegen den Terrorismus geschaffen worden."(11) Das ist schlicht falsch, und das weiß der Jurist Schröder auch. Der SR kann durch eine Resolution kein neues Völkerrecht schaffen. Und die Resolution lässt auch keine solche Absicht erkennen.

Im Irak-Fall wurde ein präventives Selbstverteidigungsrecht(12) in Anspruch genommen, mit der Begründung, angesichts des vermuteten Besitzes von Massenvernichtungswaffen und der Bereitschaft zu ihrer Anwendung und zur Weitergabe an Terroristen müsse man rechtzeitig militärisch zuschlagen und das Regime Saddam Husseins gewaltsam beseitigen. Ein solches präventives Selbstverteidigungsrecht gibt es jedoch nicht. Selbstvereidigung ist im geltenden Völkerrecht die Antwort auf einen bewaffneten Angriff. Dabei ist es im gegebenen Fall nicht erheblich, ob die Antwort voraussetzt, dass ein bewaffneter Angriff bereits begonnen hat oder ob es genügt, dass ein solcher unmittelbar bevorsteht.(13) Ein Angriff des Irak auf einen anderen Staat stand auch nicht unmittelbar bevor. Wie sich herausstellt, hatte der Irak gar keine Massenvernichtungswaffen, mit denen er hätte angreifen können. Präventive Selbstverteidigung durch Krieg gegen einen Staat, der möglicherweise irgendwann Massenvernichtungswaffen einsetzt oder sie Terroristen zur Verfügung stellt, ist völkerrechtlich unzulässig, ist nichts anderes als verbotene Aggression. Dasselbe gilt für die Änderung eines Regimes durch militärische Gewalt von außen.

Der Caroline-Fall (1837)

Im American Journal of International Law, der wohl renommiertesten Fachzeitschrift der USA, vertritt John Yoo die Meinung, das Völkerrecht habe die Gewaltanwendung gegen den Irak in "antizipatorischer" Selbstverteidigung wegen der Bedrohung erlaubt, die ein bewaffneter Angriff durch den Irak mit Massenvernichtungswaffen und in möglicher Zusammenarbeit mit internationalen terroristischen Organisationen darstellt.(14) Er behauptet (15), Art. 51 drücke nur teilweise ein Recht aus, das unabhängig von der Charta existiert. "The customary international law right to use force in anticiparory self-defence is a well-established aspect of the ‚inherent right' of self-defence."(16) Die klassische Formulierung des Rechts auf vorweggenommene Selbstverteidigung sei aus dem Caroline-Zwischenfall hervorgegangen. Er versucht, diesen Fall als Begründung eines "antizipatorischen" gewohnheitsrechtlichen Selbstverteidigungsrechts neben oder hinter Art. 51 der Charta aufzuwärmen. Im Jahre 1837 hatte britisches Militär einen Dampfer der USA, der amerikanische Freiwillige über den Niagara-Grenzfluss nach Kanada zur Unterstützung der Aufständischen gegen die britische Kolonialherrschaft gebracht hatte, auf US-Territorium angegriffen und die Niagara-Fälle hinunter gejagt. Im Verlauf der Versuche, den Zwischenfall aus der Welt zu schaffen, ist die bekannte diplomatische Formel entstanden, wonach Selbstverteidigung zulässig ist, wenn "necessity of self-defence [was] instant, overwhelming, leaving no choice of means and no moment of deliberation".(17) Der Caroline-Fall habe sich in zwei prinzipielle Erfordernisse verdichtet. "First, the use of force must be necessary because the threat is imminent and, thus, pursuing peaceful alternatives is not an option. Second, the response must be proportionate to the threat."(18) Die Caroline-Formel kann den Irak-Krieg jedoch gerade nicht rechtfertigen, weil sie auf das unmittelbare Bevorstehen der Bedrohung abstellt, die nicht gegeben war. Deshalb wird der Begriff des unmittelbar Bevorstehens kurzerhand neu ausgelegt. Das Konzept des unmittelbaren Bevorstehens eines Angriffs müsse über die zeitliche Nähe einer Bedrohung hinausgehend die Wahrscheinlichkeit einschließen, dass sich die Bedrohung ereignet. Die Staatenpraxis seit der Entwicklung von Nuklearwaffen und der hochentwickelten Abschusssysteme zeige die Entwicklung des Konzepts des unmittelbaren Bevorstehens. Der Verfasser verweist auf die Kuba-Raketenkrise von 1962 und darauf, dass die USA in den vergangenen zwei Jahrzehnten militärische Gewalt in antizipatorischer Selbstverteidigung gegen Libyen, Panama, Irak, Afghanistan und Sudan angewandt haben. Die Bedrohung mit einem Angriff mit Massenvernichtungswaffen durch den Irak, entweder direkt oder durch Iraks Unterstützung des Terrorismus, war ‚sufficiently imminent'(19), um die Anwendung von Gewalt als notwendig zu erweisen.(20) So einfach geht das aber nicht.

Die Rechtslage hat sich nach den Kriegen nicht geändert

Ich stelle nämlich viertens fest, dass sich im Gefolge der drei Kriege und vorangegangener Völkerrechtsbrüche die Rechtslage in Sachen Krieg und Frieden nicht geändert hat. Es ist die gemeinsame Schwäche der juristischen Verteidiger der Kriege, ein von der Charta unabhängiges Völkergewohnheitsrecht erfinden müssen, das es so nicht gibt. Die Charta bleibt die einzige verbindliche Quelle des internationalen Antikriegs- und Friedensrechts. Sie hat mit der Aufnahme der Schweiz in die VN mit 191 Mitgliedstaaten vollkommene Universalität erreicht und ihre materiell-rechtlichen Bestimmungen, vor allem ihre Grundsätze, sind seit langem Völkergewohnheitsrecht geworden. Entgegenstehendes Völkergewohnheitsrecht aus der Zeit vor der Charta ist - soweit es überhaupt bestanden hat - damit aufgehoben.

Eine Änderung dieser Rechtslage könnte nach Lage der Dinge nur im Wege der Schaffung neuen Völkergewohnheitsrechts durchgreifen. Das würde voraussetzen, dass die Mehrheit der Staaten dieser Welt die Aufweichung des Gewaltverbots durch weitere Ausnahmen als allgemeine Übung praktizieren und diese Übung als Recht akzeptieren würde. So weit ist es jedoch (noch) nicht. Humanitäre Intervention mit militärischen Mitteln, Kampf gegen Terrorismus durch Angriffe gegen angebliche oder tatsächliche Unterstützerstaaten, präventive Selbstverteidigung als Recht zum militärischen Losschlagen gegen Staaten, die über Massenvernichtungswaffen und Trägerraketen verfügen und sie möglicherweise einsetzen werden oder Terroristen zur Verfügung stellen könnten, sind keine allgemeine Übung, sondern einseitige imperialistische Praxis. Angesichts des Widerstandes vieler Staaten gegen diese Praxis kann von allgemeiner Anerkennung dieser Praxis als neues Recht nicht die Rede sein. Durch Aggressionshandlungen wie die drei Kriege und durch deren stillschweigende Duldung, durch einseitige Erklärungen, wie die neue Sicherheitsdoktrin der USA, nicht die erste, aber die bislang weitgehendste und folgenreichste Verfälschung dieses Rechts, und durch dubiose Beschlüsse des SR kann kein neues Völkergewohnheitsrecht geschaffen werden.

Es gilt zwar der Grundsatz "Ex iniuria ius non oritur". Aber es besteht die Gefahr, dass weitere Ausnahmen vom Gewaltverbot gewohnheitsrechtlich akzeptiert werden, wenn die Mehrheit der Staaten und der SR dem aggressiven Kurs der USA und der NATO folgt. Insofern kann aus ständig praktizierten Völkerrechtsbrüchen neues Recht entstehen. Das wäre allerdings ein Rückfall in den Völkerrechtszustand vor Lenins Dekret über den Frieden von 1917 und Wilsons 14 Punkte von 1918.

Deshalb muss fünftens um die Bewahrung und Festigung des Friedensrechts der Charta gekämpft werden. Eine Änderung der Rechtslage ist rechtspolitisch nicht erstrebenswert. Um alten und neuen Bedrohungen des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit zu begegnen, ist keine rechtliche Auflassung zu Kriegen für Menschenrechte und gegen Terroristen und "Verbrecherstaaten" erforderlich, sondern die strikte Einhaltung des Gewaltverbots der Charta und der anderen Prinzipien des Völkerrechts. Andernfalls würde die Menschheit im Zustand der Barbarei enden. Es wäre fatal, wenn der Unterschied nicht mehr erkennbar wäre zwischen dem, was die Staaten dürfen und dem, was sie wirklich tun.

In Deutschland setzen sich vor allem die CDU (21) und Wolfgang Schäuble für eine - wie es beschönigend heißt - "behutsame" Weiterentwicklung des Völkerrechts ein. Schäuble vertrat in einer Rede vor der Adenauer-Stiftung im November 2003 (22) die Auffassung, "dass der rechtliche Rahmen und das Instrumentarium der Internationalen Gemeinschaft nicht mehr ausreichen, um den Herausforderungen der Gegenwart und der absehbaren Zukunft zu begegnen." Er forderte eine "neue Art von Abschreckung". "Staatliche Souveränität und Interventionsverbot reichen als Grundlage für die Ordnung des Völkerrechts nicht mehr aus". Wir brauchten deshalb das Institut der humanitären Intervention. Und müssten verlangen, das Völkerrecht "so weit zu entwickeln", dass die UN Staaten, die die Menschenrechte nicht einhalten, "die Souveränität zu entziehen oder einzuschränken". Schäuble sympathisiert im weiteren unverhohlen mit Bushs präventiver Selbstverteidigung.

Alternativen zum Krieg sind möglich

Die drei Kriege und die Situation danach in den eroberten und besetzten Ländern zeigen nach Meinung eindeutig und eindringlich: Die ganze Logik der Zuflucht zu militärischer Gewalt, zum Krieg und zu anschließender militärischer Besetzung als Mittel der Politik führt in die Irre, endet in Gesetzlosigkeit und Willkür und gibt dem Terrorismus neuen Aufschwung. Es muss nach Mitteln und Wegen gesucht werden, um den Frieden mit nichtmilitärischen, zivilen Mitteln zu sichern. Das Völkerrecht bietet dafür schon jetzt Möglichkeiten und in diese Richtung muss es weiter entwickelt werden. Ich wiederhole: Es handelt sich nicht um vom Recht gewährleistete Garantien für Frieden, sondern um Möglichkeiten, die genutzt oder verspielt werden können, um deren Nutzung gekämpft werden muss. Auf einige dieser Möglichkeiten will ich im folgenden eingehen.

Instrumentarien der friedlichen Streitbeilegung:
Zu diesen Möglichkeiten gehören das Prinzip und die Instrumentarien der friedlichen Streitbeilegung.(23) Streitigkeiten zwischen Staaten werden wohl solange vorkommen, wie es Staaten gibt. Das Völkerrecht verpflichtet die Staaten gewohnheitsrechtlich und nach Art. 2 Ziffer 3 der Charta, diese Streitigkeiten mit friedlichen Mitteln beizulegen und zwar so, dass der Weltfrieden, die internationale Sicherheit und die Gerechtigkeit nicht gefährdet werden. Das ist nicht einfach ein politischer Leitsatz, sondern ein verbindliches Völkerrechtsprinzip, ein ius cogens, von dem durch anderweitiges Verhalten nicht abgewichen werden darf. Es sollte diskutiert werden, ob und unter welchen Bedingungen dieses Prinzip auch auf innerstaatliche Streitfragen, die Gefahr laufen, in militärische Auseinandersetzungen auszuufern, angewendet werden kann. Ein völkerrechtliches Verbot gewaltsamer Revolution gegen die herrschenden Verhältnisse kann daraus allerdings nicht abgeleitet werden. Die Gestaltung innerstaatlicher gesellschaftlicher Verhältnisse - auch deren revolutionäre Umwälzung - gehört nach Art. 2 Ziffer 7 der Charta "ihrem Wesen nach zur inneren Zuständigkeit eines Staates", in die sich andere Staaten oder die VN nicht einzumischen haben und unterliegt nach Art. 1 Ziffer 2 der selbstbestimmtem Entscheidung des betreffenden Volkes.

Instrumentarien nach Art. 33 der UN-Charta:
Das Völkerrecht stellt für die Lösung oder Eindämmung von Konflikten traditionelle Instrumentarien zur Verfügung, die von den Staaten aus eigensüchtigen Interessen nicht konsequent genutzt werden. Sie sind in Art. 33 der UN-Charta genannt: "Zunächst" sollen sich die Streitparteien auf "Verhandlung, Untersuchung, Vermittlung, Vergleich, Schiedsspruch, gerichtliche Entscheidung" einlassen. Die Wahl dieser Mittel ist ihnen überlassen, aber eines der Mittel müssen sie wählen. Wenn eine Lösung der Streitfragen auf diesem Wege nicht gelingt, kann der SR sich der Angelegenheit annehmen. Die Einzelheiten sind in Kapitel VI der Charta geregelt. Der SR kann Empfehlungen beschließen. Darunter fallen nach gewohnheitsrechtlicher Praxis auch Blauhelmeinsätze mit Zustimmung der Streitparteien. Daneben stehen den Staaten als Gegenmaßnahmen gegen Völkerrechtsverletzungen die Mittel der Repression und der Repressalie zur Verfügung. Diese Instrumentarien sind nicht unbedingt erfolgversprechend, aber friedensdienlich - wenn sie nicht als Vorhang missbraucht werden, hinter dem Aggressionsschläge vorbereitet werden. Ohne starken Friedensdruck von unten werden sie nicht funktionieren.

Internationaler Gerichtshof:
Einen größeren Beitrag zur Lösung internationaler Streitfälle könnte der Internationale Gerichtshof, das Hauptrechtsprechungsorgan der VN leisten. Aber die Staaten, voran die mächtigen, wollen das nicht. Sie wollen das Heft in der eigenen Hand behalten und es nicht an eine dritte, unabhängige Instanz abgeben. Deshalb werden gewöhnlich nur wenige, in der Regel nachrangige Rechtsstreitigkeiten dem IGH unterbreitet, in den 57 Jahren seiner Existenz nur 212 Fälle. Alle VN-Mitglieder sind zwar zugleich Partner des Statuts des IGH. Der Pferdefuß besteht aber darin, dass die Streitparteien zusätzlich zu ihrer Partnerschaft im Statut die Zuständigkeit des Gerichts akzeptieren müssen, damit der IGH tätig werden kann. Das kann ad hoc für den Einzelfall geschehen oder durch eine Unterwerfungserklärung, durch die ein Staat die Zuständigkeit des IGH in allen Streitfällen mit einem anderen Staat anerkennt, der dieselbe Erklärung abgegeben hat. Solche Unterwerfungserklärungen wurden bisher nur von einer Minderheit der Staaten abgegeben und zudem mit Vorbehalten versehen, die die Zuständigkeit wiederum einschränken. Deutschland hat sich nicht zu einer Unterwerfungserklärung aufgerafft. Die USA haben ihre Erklärung zurückgezogen, nachdem sie 1986 vom IGH in dem von Nikaragua angestrengten Verfahren wegen Verstoßes gegen das Nichteinmischungsprinzip, gegen das Gewaltverbot und wegen Verletzung der Souveränität Nikaraguas verurteilt worden war. Die Entscheidungen des IGH sind entgültig und verbindlich.

Der IGH kann auf Anforderung der GV oder des SR auch Gutachten zu Rechtsfragen abgeben. Dieses Recht sollte auch dem Generalsekretär der VN zuerkannt werden. Eine Anforderung der GV kann mit einfacher oder Zweidrittelmehrheit beschlossen und zum Vorteil demokratischer Gleichberechtigung der Staaten von keiner Veto-Macht verhindert werden. Das Verfahren unterliegt nicht den Zuständigkeitsbeschränkungen wie bei Streitverfahren, also auch nicht der Zustimmung der betroffenen Staaten. Die Bestimmung, dass Gegenstand des Gutachtens Rechtsfragen sind, schließt nicht aus, dass politische Fragen begutachtet werden. Zwischen beiden ist schwerlich ein Trennstrich zu ziehen. Gutachten des IGH sind im Unterschied zu Urteilen nicht verbindlich. Aber sie haben schon eine hohe politische und juristische Autorität. Der jüngste Gutachten-Fall ist der anhängige Antrag der GV (24), ein Gutachten zur Frage abzugeben: Was sind die rechtlichen Konsequenzen, die aus dem Bau der Mauer auf besetzten palästinensischem Territorium durch die Besatzungsmacht Israel entstehen?

Ich hege keine Illusionen über die realen Möglichkeiten internationaler Gerichte und die Unabhängigkeit der Richter. Aber die gerichtliche Entscheidung nach Völkerrecht ist zweifellos eine zivilisierte Form der Regelung von Streitfragen zwischen Staaten und die stärkere Nutzung dieses Instruments sollte eine Forderung der Friedensbewegungen sein.

Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH):
Einen gewissen Beitrag zur Friedenssicherung könnte der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) leisten.(25) Nach Art. 5 des Statuts ist die Gerichtsbarkeit "auf die schwersten Verbrechen beschränkt, welche die internationale Gemeinschaft als Ganzes berühren", nämlich das Verbrechen des Völkermords, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und das Verbrechen der Aggression. Die Erwartungen dürfen aber nicht sehr hoch gehängt werden. Der IStGH ist von vornherein nur für Fälle zuständig, wo die betreffenden Staaten nicht selbst die Strafverfolgung aufnehmen können oder wollen. Er wird wenig Fälle zu behandeln haben. Seine abschreckende Wirkung wird gering sein. Aber er könnte Maßstäbe setzen für das, was die Menschheit als schwere und zu verfolgende Verbrechen betrachtet, und zwar unabhängig von der amtlichen Eigenschaft des Täters. Dazu muss das Statut des IStGH universale Verbindlichkeit erreichen. 92 Staaten (26), also nur die knappe Hälfte der VN-Mitglieder haben das Statut bisher ratifiziert. Es fehlen die Veto-Mächte China, Russland und die USA, Israel und die meisten arabischen Staaten, Indien und Pakistan.

Vor allem muss der Amoklauf der USA gegen den IStGH gestoppt werden. Nachdem Clinton im letzten Moment das Statut hat unterzeichnen lassen, zog Bush die Unterschrift wieder zurück - eine Obstruktion, die dem Art. 18 der Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge vom 23. 5. 69 (27) widerspricht, wonach Staaten, die einen Vertrag unterzeichnet haben, verpflichtet sind, "sich aller Handlungen zu enthalten, die Ziel und Zweck eines Vertrags vereiteln würden". Im Juli 2002 drückten die USA im SR eine Resolution durch, mit der Staatsangehörige von Nichtmitgliedern des Statuts, darunter der USA, die an VN-Missionen teilnehmen, für 12 Monate von der Gerichtsbarkeit des IStGH ausgenommen sind.(28). Ein Jahr später beschloss der SR willfährig eine Resolution gleichen Inhalts für die nächsten 12 Monate.(29) Diese offenbar für jährliche Wiederholung vorgesehene Praxis ist ein Missbrauch des Art. 15 des Statuts.

Dann folgte die Kampagne Bushs zum Abschluss bilateraler Abkommen, durch die sich die Partner verpflichten, Staatsangehörige der USA und weitere Personen nicht an den IStGH zu überstellen. Die von den USA bekannt gegebenen 38 Partnerländer lesen sich wie eine Liste der am meisten von den USA abhängigen und ihnen hörigen Länder: Israel, Ost-Timor, die Marshall-Inseln, eine Reihe afrikanischer Länder gehören dazu; es fehlen nicht die ehemaligen Sowjetrepubliken Tadschikistan, Usbekistan, Georgien, Aserbaidschan. Verschiedene Länder wollten sich vorsichtshalber nicht als Partner outen.(30) Diese Abkommen sind völkerrechtswidrig, weil sie vorsehen, dass Partner des Statuts ihre Verpflichtungen nicht erfüllen, um den USA einen Gefallen zu erweisen. Der Gipfel rechtsverachtender Unverfrorenheit war erreicht, als Bush ein Gesetz unterschrieb, das die Zusammenarbeit der USA mit dem IStGH verbietet, andere Staaten mit Sanktionen, wie dem Entzug von Militärhilfe, bedroht, wenn sie mit dem IStGH kooperieren und den Präsidenten ermächtigt, "die zur Befreiung von US-Bürgern aus dem Gewahrsam des IStGH notwendigen Maßnahmen zu ergreifen"(31), also in den Haag gewaltsam zu intervenieren. Der amerikanische Amoklauf kann das Statut nicht mehr aus der Welt schaffen. Aber wenn sich diese Haltung der USA nicht ändert, wird sich der IStGH als eine völkerrechtliche Totgeburt erweisen.

Das Statut enthält in Sachen Krieg und Frieden arge Defizite. Die Aggression wird zwar in Art. 5 als Verbrechen bewertet. Der IStGH kann aber die Gerichtsbarkeit über dieses Verbrechen erst dann ausüben, wenn der Tatbestand der Aggression definiert ist und wenn die Bedingungen für die Ausübung der Gerichtsbarkeit festgelegt sind. Das soll erst sieben Jahre nach Inkrafttreten des Statuts bewerkstelligt werden können. Was den Tatbestand betrifft, so besteht bekanntlich die im Konsens von der GV der VN angenommene Definition der Aggression von 1974 (32), an die angeknüpft werden könnte, zumal sie völkergewohnheitsrechtliche Geltung beanspruchen kann. Was die Bedingungen für die Ausübung der Gerichtsbarkeit über das Aggressionsverbrechen betrifft, so sollen entsprechende Strafverfahren von einer Zustimmung des SR abhängig gemacht werden und damit von jeder Veto-Macht verhindert werden können. Das widerspricht jedoch rechtsstaatlichen Prinzipien und tastet die Souveränität des IStGH an. Die Verfolgung des Aggressionsverbrechen kann keinen anderen Bedingungen unterliegen, wie die Verfolgung des Völkermords, der Kriegsverbrechen und der Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Es gibt keinen juristischen Grund, das Aggressionsverbrechen noch sieben Jahre lang straffrei zu lassen.

Die Strafbarkeit der Anwendung biologischer und chemischer Waffen kann man aus Art. 8 des Statuts über Kriegsverbrechen herauslesen, wenn auch ein ausdrücklicher Bezug auf das Verbot dieser Waffen fehlt. Der Artikel enthält aber eine gewundene Umschreibung dafür, dass der Einsatz von Atomwaffen und anderer Waffen, "die geeignet sind, überflüssige Verletzungen oder unnötige Leiden zu verursachen, oder die unter Verstoß gegen das internationale Recht des bewaffneten Konflikts ihrer Natur nach unterschiedslos wirken", nur dann als Kriegsverbrechen gelten, wenn sie "Gegenstand eines umfassenden Verbots" sind und in eine Anlage zum Statut aufgenommen wurden - wiederum nach sieben Jahren. Auf gut deutsch: Der Einsatz von Atomwaffen oder Minen ist vorläufig nicht strafbar. Der internationale Terrorismus ist sicherlich unter die Verbrechen gegen die Menschlichkeit subsumierbar. Ein eigener Verbrechenstatbestand des Terrorismus fehlt aber im Statut. Es bleibt noch viel zu tun, um die Anti-Kriegs-Potenzen des IStGH zur Wirkung zu bringen.

Völkerrechtliche Instrumente gegen den Terrorismus:
Der Terrorismus wächst sich immer mehr zu einem ungeheuerlichen Verbrechen gegen die Menschheit und gegen das Leben und zu einer äußerst gefährlichen Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit aus. Zugleich erweisen sich die militärische Gewalt und der Krieg gegen den Terrorismus, sowie die nachfolgende fremdländische Besetzung - abgesehen von deren Rechtswidrigkeit - als untauglich und kontraproduktiv, um der terroristischen Gefahren Herr zu werden. Es gibt viele zivile völkerrechtliche Instrumente gegen den Terrorismus (33), deren gemeinsamer Nenner die Verpflichtung der Staaten ist, Maßnahmen zu ergreifen, um terroristische Akte zu verhindern und Terroristen Schutz zu versagen, sie strafrechtlich zu verfolgen oder an einen betroffenen Staat auszuliefern.

Auf der globalen Ebene sind bisher zwölf völkerrechtliche Verträge zur Bekämpfung des Terrorismus abgeschlossen worden und in Kraft getreten:
  • Abkommen über strafbare und bestimmte andere an Bord von Luftfahrzeugen begangene Handlungen vom 14. 9. 1963,
  • Übereinkommen zur Bekämpfung der widerrechtlichen Inbesitznahme von Luftfahrzeugen vom 16. 12. 1970,
  • Übereinkommen zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit der Zivilluftfahrt vom 23. 9. 1973,
  • Übereinkommen über die Verhütung, Verfolgung und Bestrafung von Straftaten gegen völkerrechtlich geschützte Personen,
  • Übereinkommen über den physischen Schutz von Kernmaterial vom 26. 10 1979,
  • Internationales Übereinkommen gegen Geiselnahme vom 17. 12. 1979,
  • Protokoll zur Bekämpfung widerrechtlicher gewalttätiger Handlungen auf Flughäfen, die der internationalen Zivilluftfahrt dienen, vom 24. 2. 1988,
  • Übereinkommen zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit der Seeschifffahrt vom 10 3. 1988,
  • Protokoll zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit fester Plattformen, die sich auf dem Festlandsockel befinden, vom 10. 3. 1988,
  • Übereinkommen über die Markierung von Plastiksprengstoffen zum Zwecke des Aufspürens vom 1. 3. 1991,
  • Internationales Übereinkommen zur Bekämpfung terroristischer Bombenanschläge vom 15. 12. 1997 und
  • Internatnationales Übereinkommen zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus vom 9. 12 1999.
Unter den zahlreichen Dokumenten der VN ist die Deklaration über Maßnahmen zur Beseitigung des Internationalen Terrorismus vom 9. 12. 1994 (34) und deren Ergänzung durch die Deklaration vom 17. 12. 1996 (35) hervorzuheben.

Das Problem besteht nicht darin, dass es keine völkerrechtlichen Instrumente gibt, sondern dass viele Staaten den Verträgen nicht beigetreten sind, sie nicht oder nicht exakt befolgen können oder wollen und die Resolutionen der GV und des SR missachten. Es ist sowohl politischer Druck auf die säumigen Staaten als auch Verhandlungsbereitschaft nötig, um schon bestehende Verträge und Resolutionen durchzusetzen. Das Finanzierungsübereinkommen haben mehr als 80 Staaten bisher nicht ratifiziert, darunter China, Ägypten, Deutschland, Indonesien, Iran, Irak, Jemen, Kuwait, Libanon, Pakistan, Oman, Saudi-Arabien, Syrien, die Vereinigten Arabischen Emirate. Terrorismus kostet bekanntlich Geld. Die Finanzquellen müssen verstopft werden. Das Abkommen muss weltweit ratifiziert und realisiert werden. Viele Staaten haben Vorbehalte erklärt, insbesondere zur Ablehnung des vorgesehenen Schiedsverfahrens und der Zuständigkeit des IGH.

Die Liste weist zwei Fehlposten auf. Das schon lange vor den Verbrechen vom 11. September unter den Auspizien der VN geplante Umfassende Übereinkommen über den Internationalen Terrorismus ist immer noch nicht zustande gekommen. Der Streitpunkt ist nach wie vor eine juristisch exakte und praktisch handhabbare Definition des Terrorismus, genauer gesagt, die Unterscheidung zwischen Terrorismus einerseits und legitimem Kampf der Völker gegen fremde Besetzung und Vorherrschaft andererseits, sowie die Einbeziehung von Staatsterrorismus in diese Definition. Möglicherweise bahnt sich ein Kompromiss an. Es liegt ein Definitionsentwurf vor, der den Staatsterrorismus nicht ausschließt.(36) Über den Grundsatz, dass Terrorakte "unter keinen Umständen durch Erwägungen politischer, philosophischer, ideologischer, rassischer, ethnischer, religiöser oder ähnlicher Natur zu rechtfertigen sind"(37), ist man sich offenbar einig.

Weitere Resolutionen der UN-Generalversammlung:
Es bleibt der Streit darüber, ob - wie von der Organisation der Islamischen Konferenz vorgeschlagen - klargestellt werden soll, dass die Aktivitäten der Parteien in einem bewaffneten Konflikt, "einschließlich in Situationen fremder Besetzung", dem humanitären Kriegsrecht und nicht dem Übereinkommen gegen den Terrorismus unterliegen.(38) Dahinter verbirgt sich der berechtigte Anspruch, dass bewaffneter Kampf gegen fremde Besetzung nicht mit Terrorismus gleichgesetzt werden darf. Ebenso klar muss sein, dass Handlungen, die von der Terrorismusdefinition erfasst sind, also Terror und Gegenterror, wie wir es in Israel und Palästina erleben, kein bewaffneter Konflikt im Sinne des Genfer Kriegsrechts sind. Der diplomatische Streit wird wohl noch eine Weile andauern. Auch die letzte, die 57. GV der VN hat noch keine Lösung erreicht. Vorläufig hat sich die GV Im Januar 2004 nur zu einer weiteren Resolution "Maßnahmen zur Beseitigung des internationalen Terrorismus"(39) aufgerafft, in der sie den Terrorismus nachdrücklich verurteilt und die Arbeit am Entwurf des Übereinkommens fortzusetzen beschließt.

Gemessen an der ständigen Beschwörung der Gefahr, dass Terroristen Massenvernichtungswaffen erwerben und einsetzen könnten, ist der lahme Umgang der VN mit diesem Problem sträflicher Leichtsinn. Die einschlägigen Resolutionen der GV fordern die VN-Mitglieder nachdrücklich auf, einzelstaatliche Maßnahmen zu ergreifen und gegebenenfalls zu verstärken, um Terroristen daran zu hindern, Massenvernichtungswaffen, ihre Trägersysteme sowie Materialien und Technologien, die mit ihrer Herstellung zusammenhängen, zu erwerben"(40). Schritte zu völkerrechtlich verpflichtenden Maßnahmen werden nicht ins Auge gefasst. Ein bereits fünf Jahre alter Entwurf einer Übereinkunft zur Verhinderung von Akten des nuklearen Terrorismus(41) wird in den Gremien der VN hin und her geschoben, ohne dass ein Fortschritt zu verzeichnen ist. Der Entwurf definiert das Verbrechen des nuklearen Terrorismus im einzelnen und regelt dessen Verfolgung. Der Streit geht darum, dass die nuklearen Aktivitäten der Streitkräfte von Staaten und die Frage der Legalität der Anwendung nuklearer Waffen durch Staaten und der Drohung damit, aus dem Geltungsbereich des Übereinkommens ausgeklammert werden. "Staatliche" Atomschläge sind in ihrer Wirkung nicht weniger verbrecherisch, als Atomschläge durch Terroristen. Die 58. GV hat die Fortsetzung der Verhandlungen beschlossen. Hoffentlich führen sie zu einem wirksamen Ergebnis bevor Schläge mit "kleinen" Atomwaffen zur Normalität von Politik werden.

Die friedensbewegten Kräfte sollten fordern, dass die Arbeit an den Entwürfen des Umfassenden Übereinkommens gegen den Terrorismus und der Übereinkunft gegen den nuklearen Terrorismus, so schnell wie möglich abgeschlossen werden.

Festigung des Gewaltverbots der UN-Charta

Im Folgenden werfe ich Streiflichter auf drei Bereiche völkerrechtlicher Regelung, die mit dem Gewaltverbot der Charta eng verbunden sind und ohne deren Festigung und Ausgestaltung nach meiner Meinung eine dauerhafte und gerechte Friedensordnung nicht möglich ist.

Abrüstung und Rüstungskontrolle

Zum Ersten: Den sogenannten Abrüstungskriegen muss die Durchsetzung und Weiterentwicklung des völkerrechtlichen Regimes von Abrüstung und Rüstungskontrolle entgegengestellt werden. Eine Welt ohne Krieg kann wohl in weiter Perspektive nur als eine Welt ohne Waffen vorhalten. Es sei daran erinnert, dass ein "Vertrag über die allgemeine und vollständige Abrüstung unter strenger und wirksamer internationaler Kontrolle"(42) - ich zitiere aus dem Übereinkommen gegen biologische Waffen - das in den Präambeln mehrerer Verträge vereinbarte Ziel war. Die Gemeinsame Erklärung der UdSSR und der USA über die vereinbarten Prinzipien für Abrüstungsverhandlungen vom 20. 9. 1961 (43) liest sich wie eine große Vision: "Auflösung der Streitkräfte", "Liquidierung aller Vorräte an atomaren, chemischen, bakteriologischen Waffen", "Liquidierung der militärischen Organisationen und Institutionen", "Einstellung der Rüstungsausgaben" usw. Solche weitreichenden Ziele verschwanden nach dem Ende des sozialistischen Systems aus der praktischen Politik der Staaten. Möglicher Weise waren sie nie ernst gemeint. Das ändert nichts daran, dass sie richtig sind und dass Frieden auf Dauer nicht anders zu sichern ist.

Aktuell geht es darum, Stillstand und Rückschritt auf dem Gebiet der Abrüstung und Rüstungsbegrenzung zu überwinden, bestehende Verträge durchzusetzen und Lücken in den Regelungen zu schließen.

Der Vertrag über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen vom 24. 9. 1996 (44) muss endlich in Kraft gesetzt werden. Dazu fehlen die Ratifikationsurkunden Ägyptens, Chinas, Indiens, Indonesiens, Irans, Israels, Kolumbiens, Kongos, Nordkoreas, Pakistans, der USA und Vietnams. Der Vertrag über die Nichtweiterverbreitung von Kernwaffen vom 1. 7. 1968 (45) muss nicht nur gegenüber Iran, Libyen und Nordkorea, sondern auch gegenüber Israel, Indien und Pakistan durchgesetzt werden und zwar mit friedlichen Mitteln. Die Atommächte müssen ihrer Pflicht aus Art. VI des Vertrags nachkommen, "in redlicher Absicht Verhandlungen zu führen über wirksame Maßnahmen zur Beendigung des nuklearen Wettrüstens in naher Zukunft und zur nuklearen Abrüstung". Das Kontrollregime der IAEA muss gestärkt werden. Es muss zu einem klaren Verbot der Anwendung nuklearer Waffen kommen.(46)

Das Implementierungs- und Verifikationsregime zur Konvention über die Entwicklung, Herstellung und Lagerung bakteriologischer (biologischer) und toxischer Waffen sowie über die Vernichtung solcher Waffen vom 10. 4. 1972 (47) und zum Vertrag über das Verbot der Entwicklung, Herstellung, Lagerung und des Einsatzes chemischer Waffen und über die Vernichtung solcher Waffen vom 13. 1. 1993 (48) muss gestärkt werden. Die Biowaffen-Konvention ist mit 142 Teilnehmern noch nicht universal verbindlich. Sie enthält Schwachstellen (49) und keine wasserdichten Verifikationsbestimmungen. Ein seit 1995 in Arbeit befindliches Zusatzprotokoll, ohne welches die Einhaltung der Konvention nicht überwacht werden kann, ist vor allem durch die Schuld der USA noch nicht zustande gekommen. Das Chemiewaffen-Übereinkommen ist ebenfalls noch nicht universal gültig (161 Teilnehmer). Die aufwändige Vernichtung chemischer Waffen kam in Verzug. Wiederum sind es vor allem die USA, die die Kontrollen durch die Organisation für das Verbot chemischer Waffen behindern.

Ein gravierendes Problem sind die Landminen und Kleinwaffen. Durch die Ottawa-Konvention vom 18. 9. 1997 (50) verboten und geächtet sind die Antipersonenminen. Es muss darum gekämpft werden, dass der stattliche Teilnehmerkreis von 164 Staaten durch die Länder erweitert wird, die sich als Hersteller oder Käufer von Minen hervorgetan haben, wie Ägypten, Belarus, China, Indien, Irak, Iran, Israel, Libyen, Pakistan, Russland, Singapur und Syrien und dass das Verbot auf Antifahrzeugminen ausgedehnt wird. Was die Kleinwaffen betrifft, so muss man in Rechnung stellen, dass nach Aussage Kofi Annans täglich 100 Menschen, hauptsächlich Frauen und Kinder durch solche Waffen getötet werden. Die VN haben sich auf einer Konferenz 2001 diesem Problem zugewandt. Es wurde ein Aktionsprogramm beschlossen, dessen Durchführung unter die Kontrolle der Gesellschaft muss. Es sind völkerrechtlich verbindliche und einer strengen Kontrolle unterliegende Maßnahmen notwendig.

In diesem Zusammenhang eine Anmerkung aus völkerrechtlicher Sicht zu den Kindersoldaten, die ja vor allem mit Kleinwaffen hantieren.(51) Nach Art. 8 des Statuts des Internationalen Strafgerichtshofes ist "die Zwangsverpflichtung oder Eingliederung von Kindern unter fünfzehn Jahren in Streitkräfte oder bewaffnete Gruppen oder ihre Verwendung zur aktiven Teilnahme an Feindseligkeiten" in einem nicht internationalen Konflikt ein Kriegsverbrechen. Im Fakultativprotokoll zu dem Übereinkommen über die Rechte des Kindes betreffend die Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten vom 25. Mai 2000 (52) wurde die unmittelbare Teilnahme von unter 18-Jährigen an Kampfhandlungen verboten. Aber das Protokoll wurde bisher nur von 40 Staaten ratifiziert. Die meisten afrikanischen Staaten, darunter die DR Kongo, Liberia, Ruanda, Sierra Leone und Somalia sind keine Partner. China, Deutschland, Großbritannien und Russland lassen sich Zeit mit der Ratifikation.

Menschenrechte

Zum Zweiten ist der Zusammenhang von Friedensrecht und Menschenrechten hervorzuheben. Frieden ist Menschenrecht, sollte es auf jeden Fall sein. In der Deklaration der GV der VN über die Vorbereitung von Gesellschaften auf ein Leben in Frieden aus dem Jahre 1978 (53) wird postuliert: "Jede Nation und jedes menschliche Wesen hat, unabhängig von Rasse, Überzeugung, Sprache oder Geschlecht, das naturgegebene Recht auf Leben in Frieden. Die Achtung vor diesem Recht, ebenso wie vor den anderen Menschenrechten, liegt im allgemeinen Interesse der gesamten Menschheit und ist eine unveräußerliche Bedingung für den Fortschritt der Nationen auf allen Gebieten." Das Konzept eines individuellen Rechts auf Frieden konnte sich bisher nicht als rechtsverbindlich durchsetzen.

Aber es ist allgemein anerkannt, dass die Achtung der Menschenrechte ein wesentlicher Baustein für eine friedliche Welt ist. Hier spannt sich der Bogen von der Charta der VN bis zur Wiener Menschenrechtsdeklaration von 1993, in der es im Anschluss an Art. 55 der Charta heißt: "Die Anstrengungen des VN-Systems für die allgemeine Achtung und Verwirklichung der Menschenrechte und Grundfreiheiten für alle tragen zur Stabilität und Wohlfahrt bei, die notwendig sind für friedliche und freundschaftliche Beziehungen zwischen den Nationen und für verbesserte Bedingungen für Frieden und Sicherheit ebenso wie für soziale und ökonomische Entwicklung in Übereinstimmung mit der Charta.". Die Menschenrechte werden diesem auf Frieden orientierten Anspruch nur genügen,
  • wenn die Universalität ihrer Geltung verwirklicht ist,
  • wenn die Einheit und Unteilbarkeit der politischen und der sozialen Menschenrechte gewährleistet wird,
  • wenn die zivilen Mittel und Instrumentarien der Durchsetzung der Menschenrechte ausgebaut werden.
Von diesen Zielen sind wir noch weit entfernt. Universalität ist nicht erreicht. Unter den Teilnehmern des Paktes über bürgerliche und politische Rechte fehlt China, unter denen des Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte fehlen die USA. Die sozialen Rechte sind nach wie vor unterentwickelt. Es besteht keine Möglichkeit, auf der internationalen Ebene Menschenrechte gerichtlich einzuklagen. Die Menschenrechte werden Schauplatz erbitterten Friedenskampfes bleiben.

Entwicklungs- und Umweltrecht, gerechte Weltwirtschaftsordnung

Der dritte Bereich, der mit dem Friedensrecht eng verbunden ist, ist das Entwicklungs- und Umweltrecht. Hervorzuheben ist das Übereinkommen über das Verbot der militärischen oder einer sonstigen feindseligen Nutzung umweltverändernder Techniken vom 18. 5. 1977 (54). Ansonsten diagnostiziere ich in diesem Bereich die auf Dauer gesehen schlimmsten und gefährlichsten völkerrechtlichen Defizite.

Solange keine völkerrechtlich gesicherte gerechte Weltwirtschaftsordnung gibt, wird es keinen dauerhaften Frieden geben. Die völkerrechtliche Entwicklung tendiert eher ins Gegenteil. Die Ansätze in den VN für eine neue Weltwirtschaftsordnung, die in der Charta der wirtschaftlichen Rechte und Pflichten vom 12. 12. 1974 (55) und in Resolutionen der GV der VN über das Recht auf Entwicklung von 1979, 1982 und 1986 ihren Ausdruck gefunden hatten, wurden unter dem Druck der Industrieländer zum Stillstand gebracht. Heute dominiert der neoliberale, in mancher Hinsicht neokolonialistische Kurs der WTO, des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank. Im völkerrechtlichen Umweltrecht ist ein gefährlicher Stillstand eingetreten. Das Rahmenübereinkommen über Klimaänderungen vom 9. 5. 1992 (56) kann zwar mit 182 Staaten eine beinahe universale Teilnahme verzeichnen. Das Protokoll von Kyoto vom 11. 12. 1997 (57), das für die effektive Durchführung unerlässlich ist, konnte wegen der Obstruktionspolitik der USA bis heute nicht in Kraft treten. Dabei sind Umweltkriege in den Bereich des Möglichen getreten! An dieser negativen Bilanz kann auch die herausragende Deklaration von Rio über Umwelt und Entwicklung vom 14. 6. 1992 (58) nichts ändern. Aber das Prinzip 25 dieser Deklaration bleibt richtig: "Frieden, Entwicklung und Umweltschutz sind voneinander abhängig und unteilbar."

Ich wollte zeigen, dass es völkerrechtliche Möglichkeiten gibt, den Frieden auf zivile Weise, ohne militärische Gewalt zu sichern. Die Durchsetzung und Weiterentwicklung der entsprechenden Ansätze ist eine Kampfaufgabe der Völker und nicht nur ein Geschäft von Diplomaten. Gerade in Fragen des Krieges und Friedens, die so sehr die politischen, ökonomischen und ideologischen Interessen von Völkern und Staaten, von Klassen und anderen Menschengruppen betreffen, setzt sich das Völkerrecht nicht im Selbstlauf durch, nur weil es Recht ist. Völkerrecht und seine Weiterentwicklung muss von den Staaten vereinbart und muss von ihnen verwirklicht werden. Dabei spielen die wirtschaftlich, politisch und militärisch mächtigen Staaten eine entscheidende Rolle. Es gibt keine über den Staaten stehende Instanz, die über Krieg oder Frieden entscheiden und entsprechende Völkerrechtsnormen gegen den Willen der Staaten durchsetzen könnte. Deshalb ist es von erheblicher Bedeutung, unterschiedliche oder entgegengesetzte Interessen von Staaten als Faktor im Kampf um die Wahrung, Verwirklichung und Weiterentwicklung der völkerrechtlichen Friedensordnung ins Kalkül zu ziehen. Der bislang nur schwach sich regende Widerstand Chinas, Russlands, der EU und der Staaten der Dritten Welt gegen die Weltmachtpolitik der USA kann sich verstärken.

Einhaltung der Friedensnormen des Völkerrechts erzwingen!

Es liegt im Bereich des Möglichen, mithilfe der VN - wie es in der Charta heißt - "Bedingungen zu schaffen, unter denen Gerechtigkeit und die Achtung vor den Verpflichtungen aus Verträgen und anderen Quellen des Völkerrechts gewahrt werden können" Ich sehe zur Stärkung einer demokratisierten VN, ihrer GV, ihres SR und ihres GS keine vernünftige Alternative. Der Generalsekretär der VN hat ein "Panal" von Persönlichkeiten berufen, welches "die hauptsächlichen Bedrohungen und Herausforderungen untersuchen soll, denen die Welt in dem breiten Feld von Frieden und Sicherheit, einschließlich ökonomischer und sozialer Streitfragen, sofern sie mit Frieden und Sicherheit in Beziehung stehen, konfrontiert ist, und Empfehlungen geben soll für Faktoren einer kollektiven Antwort".(59) Man wird abwarten müssen, ob dabei mehr heraus kommt, als weise Worte, die zu nichts verpflichten.

Letzten Endes muss die Einhaltung der Friedensnormen des Völkerrechts und deren Weiterentwicklung durch die Völker und deren Friedens- und sozialen Bewegungen, durch NGO's und gesellschaftliche Kräfte und Persönlichkeiten im Kampf gegen die aggressive imperialistische Politik der USA und anderer Mächte erzwungen werden. Das Wort "erzwingen" wähle ich mit Bedacht. Es enthält ein Element von Gewalt, allerdings kein militärisches, kriegerisches, sondern die sanfte Gewalt von Massenbewegungen. Das Völkerrecht muss herausgeholt werden aus der Enge eines Diskurses unter Wissenschaftlern und aus den Akten der Rechtsabteilungen der Außenministerien. Friedenskampf ist immer auch ein Kampf um das Recht. Recht muss vor Macht gehen. Ob das gelingt, ist keine Rechtsfrage, sondern eine Frage der realen Kräfteverhältnisse in dieser Welt.

Fußnoten
  1. Vgl. zu den drei Kriegen und ihren völkerrechtlichen Implikationen: Gerd Seidel, Quo vadis Völkerrecht, Archiv des Völkerrechts 41 (2003), S. 449 ff. und die dort angegebenen Literaturhinweise
  2. Vgl. Wolfgang Schreiber (Hrsg.), Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung, Das Kriegsgeschehen 2002, Opladen 2003
  3. Vgl. Gregor Schirmer, Völkerrecht und Durchsetzung der Menschenrechte, in: Menschenrecht, Napoli 2003, Topos Heft 21, S. 77 ff. und ders., Zukunft der Völkerrechtsordnung?, Marxistische Blätter 40/41, Juli 2002, S. 44 ff. Nach Georg Nolte, Die USA und das Völkerrecht, Die Friedens-Warte 78 (2003) H. 2-3, S. 119 "ist eine Krise des Völkerrechts zu diagnostizieren, und im Zentrum dieser Krise stehen die USA".
  4. Vgl. dazu Gregor Schirmer, Deutschland - ein Aufmarschgebiet der USA im Krieg gegen den Irak?, in: Dieter S. Lutz/Hans J. Gießmann (Hrsg.), Die Stärke des Rechts gegen das Recht des Stärkeren, Baden-Baden 2003, S. 204 ff.
  5. Zur Völkerrechtswidrigkeit des Krieges gegen den Irak und zu seinen Folgen vgl. die Aufsätze in Fn. 4 und in Kai Ambos/Jörg Arnold (Hrsg.), Der Irak-Krieg und das Völkerrecht, Berlin 2004
  6. Andreas Zumach, Ein Jahr Irakkrieg, Bilanz des Scheiterns, Blätter für deutsche und internationale Politik 3' 04, S. 296
  7. Die Ansprache des Generalsekretärs ist im Internet abrufbar unter www.uni-kassel.de/fb10/frieden/themen/UNO/gv2003-annan.html oder www.un.org/apps/sg/sgstats.asp?nid=517
  8. Der USA-Jurist John Yoo nennt zwei voneinander unabhängige Gründe dafür, dass das Völkerrecht die Anwendung von Gewalt gegen den Irak angeblich erlaubt: Erstens Bruch der Waffenstillstandsresolution des Sicherheitsrats 687 vom 3. April 1991 und : "Second, international law permitted the use of force against Iraq in anticipatory self-defence because of the threat posed by an Iraq armed attack with WMD and in potential cooperation with international terrorist organisations." American Journal of International Law 97 (2003) Nr. 3, S.557
  9. Näheres zu meiner Position dazu: Uwe-Jens Heuer/Gregor Schirmer, Menschenrechte und Großmachtpolitik, Z. Zeitschrift Marxistische Erneuerung 9/1998, S. 179 ff.
  10. Markus Krajewski, Selbstverteidigung gegen bewaffnete Angriffe nicht-staatlicher Organisationen - Der 11. September und seine Folgen, Archiv des Völkerrechts 40 (2002) S. 184 ff. plädiert für eine Auffassung vom Selbstverteidigungsrecht, wonach auch nichtstaatliche (terroristische) Organisationen bewaffnete Angriffe durchführen können und der Opferstaat diese Organisationen auf dem Territorium des Aufenthaltsstaates mit militärischen Mitteln als Selbstverteidigung bekämpfen kann, wenn der Aufenthaltsstaat selbst nichts gegen die Terroristen unternimmt. "Bezogen auf den Krieg gegen Afghanistan bedeutet dies: Die USA durften Lager und Stellungen der al-Qaida angreifen und gegen einzelne Mitglieder dieser Gruppe mit Spezialeinsätzen vorgehen. Die Taliban mussten derartige Maßnahmen hinnehmen." (S. 207) Krajewski kommt dann allerdings zum Ergebnis, dass die USA dieses Recht überzogen haben.
  11. Verhandlungen des Deutschen Buntestages 14/187 vom 19. 9. 2001, S. 18302A
  12. Es werden in der Literatur die Begriffe "Präventive", "antizipatorische" und "präemtive" Selbstverteidigung verwendet. Im Prinzip geht es um die Unterscheidung zwischen einem Angriff, der unmittelbar bevorsteht und einem Angriff, der irgendwann möglich ist.
  13. Randelzhofer, Article 51 in Bruno Simma (Ed.), The Charter of the United Nations, vol. I (2d edition 2002). Randelzhofer hält eine streng restriktive Auslegung des Selbstverteidigungsrechts für notwendig. Ein präventives Selbstverteidigungsrecht würde die Möglichkeit des Ermessensmissbrauchs eröffnen. Dieser Auffassung schließe ich mich an.
  14. John Yoo, American Journal of International Law 97 (2003) Nr. 3, S. 557 ff. Yoo kommt zur Schlussfolgerung, die Anwendung von Gewalt in antizipatorischer Selbstverteidigung gegen terroristische Gruppen, die mit Massenvernichtungswaffen ausgerüstet sind oder gegen Schurkenstaaten, die sie unterstützen, hänge von drei Faktoren ab, die über das bloß zeitliche unmittelbare Bevorstehen hinaus gehen: Erstens, "hat ein Staat Massenvernichtungswaffen und die Neigung, sie anzuwenden?" Zweitens, Staaten werden Gewalt anwenden, indem sie das verfügbare "Fenster der Gelegenheit" in Betracht ziehen. "If a state waits until a terrorist attack is on the verge of being launched it likely will be unable to protect the civilians…". Drittens, Staaten müssten berücksichtigen, dass das Ausmaß des Schadens durch einen Angriff mit Massenvernichtungswaffen katastrophal wäre.
  15. John Yoo, Fn. 14, S. 571 ff.
  16. "Das völkergewohnheitsrechtliche Recht, Gewalt in vorweggenommener Selbstverteidigung anzuwenden, ist ein wohlbegründeter Aspekt des ‚naturgegebenen Rechts' der Selbstverteidigung."
  17. Wenn "die Notwendigkeit der Selbstverteidigung dringend, überwältigend war und keine Wahl der Mittel und keinen Augenblick der Überlegung zugelassen hat".
  18. "Erstens, die Anwendung von Gewalt muss notwendig sein, weil die Drohung unmittelbar bevorstehend ist und deshalb die Verfolgung friedlicher Alternativen keine Option darstellt. Zweitens, die Antwort muss im Verhältnis zur Bedrohung stehen."
  19. "war ‚ausreichend nahe bevorstehend'."
  20. Im Ergebnis ähnlich argumentiert Abraham D. Sofaer, On the necessity of pre-emption, European Journal of International Law 14 (2003), Nr. 2, S.209 ff. Von Yoo unterscheidet er sich dadurch, dass er die Caroline-Formel vom "unmittelbaren Bevorstehen" eines Angriffs für ungesund, künstlich und nutzlos hält. "Vielmehr muss die Notwendigkeit präemtiver Gewaltanwendung bewiesen werden auf der Basis von Faktoren und Umständen, die mit der Begründung der Legitimität der Gewaltanwendung nach den Prinzipien des Völkerrechtsund den Werten der UN-Charta zusammenhängen, darunter: (1) die Natur und Größe der betreffenden Bedrohung; (2) die Wahrscheinlichkeit, dass die Bedrohung verwirklicht wird, es sei denn, eine präemptive Aktion wird unternommen; (3) die Verfügbarkeit und das Erschöpftsein von Alternativen zur Anwendung von Gewalt; und (4) ob die Anwendung präemptiver Gewalt mit den Bedingungen und Zielen der UN-Charta und anderer anwendbarer internationaler Übereinkommen vereinbar ist."
  21. Vgl. Beschluss des Bundesvorstandes der CDU vom 28. April 2003 "Die außenpolitischen Interessen Deutschlands. Stabilität durch Partnerschaft und Vertrauen" Ziffer 7, Frankfurter Allgemeine vom 6. 5. 2003.
  22. Zitiert nach der Veröffentlichung auf der Web-Site der Stiftung
  23. Vgl. zum Folgenden Anne Peters, International Dispute Settlement: A Network of Cooperational Duties, European Journal of International Law 14 (2003) Nr. 1, S. 1 ff.
  24. A/Res/ES-10/14 vom 8. Dezember 2003
  25. Vgl. zum Folgenden Hans-Peter Kaul, Der Internationale Strafgerichtshof: Eine Bestandsaufnahme im Frühjahr 2003, Die Friedens-Warte 78 (2003) 1, S. 11 und die dort angegebene Literatur, zu meiner Position: Gregor Schirmer, Die nächsten Kriege sollen straffrei bleiben, junge Welt vom 6. 9. 2002
  26. Stand vom 28. 11. 2003 nach der Homepage des IStGH
  27. BGBl 1984 II, S. 927
  28. S/Res/1422 (2002) vom 12. 7. 2002
  29. S/Res/1487 (2003) vom 12. 6. 2003
  30. Die Liste und das Abkommen mit Ost-Timor ist abgedruckt in: Friedens-Warte 78 (2003) 1, S. 103 ff.
  31. Hans-Peter Kaul, Fn. 25, S. 23
  32. A/Res/3314 (XXIX9 vom 14. 12. 1974
  33. Vgl. dazu auch Jasper Finke/ Christiane Wandscher, Terrorismusbekämpfung jenseits militärischer Gewalt, Vereinte Nationen 5/2001, S.168 und den Bericht des GS der VN "Measures to eliminate international terrorism", A/58/116 vom 2. 7. 2003
  34. A/Res/49/60 vom 9. 12. 1994, Annex
  35. A/Res/51/210 vom 17. 12. 1996, Annex
  36. Vgl. Den Bericht des mit dieser Frage befassten Ad Hoc-Kommittees über seine sechste Sitzung (28. 1. - 1. 2. 2002), General Assembly, Official Records, Fifty-seventh Session, Supplement No. 37 (A/57/37), S. 6, Entwurf für Art. 2
  37. Ebenda S. 8, Entwurf für Art. 5
  38. Ebenda S. 17, die beiden Entwürfe für Art. 18, die nur in diesem Punkt voneinander abweichen.
  39. A/Res/58/81 vom 8. 8. 2004
  40. Ziffer 2 von A/Res/58/48 vom 8. 12. 2003. Vgl. auch den wenig aussagekräftigen Bericht des GS der VN über Maßnahmen zur Verhinderung des Erwerbs von Massenvernichtungswaffen durch Terroristen, A/56/208 vom 1. 8. 2003
  41. Der Entwurf ist abgedruckt im Bericht der Working Group des Sechstens Komitees der GV "Measures to eliminate international terrorism", A/C.6/ 53/L.4
  42. Übereinkommen über das Verbot der Entwicklung, Herstellung und Lagerung bakteriologischer (biologischer) Waffen und von Toxinwaffen sowie über die Vernichtung solcher Waffen vom 10 4. 1972, GBl 1983 II S. 132
  43. Völkerrecht, Dokumente, Teil 2, Berlin 1980, S. 496
  44. BGBl 1998 II S. 1210
  45. BGBl 1974 II S. 786
  46. Der IGH konnte sich in seinem Rechtsgutachten vom 8. 6. 1996 nicht zu einer eindeutigen Aussage über das Atomwaffenverbot durchringen. Er stellte fest, dass es weder im Völkergewohnheitsrecht noch im Völkervertragsrecht eine spezielle Erlaubnis oder ein umfassendes und generelles Verbot der Bedrohung mit oder Anwendung von Atomwaffen gibt. Mit sieben zu sieben Stimmen, mit der ausschlaggebenden Stimme des Präsidenten erklärte der IGH, "dass die Bedrohung durch oder Anwendung von Atomwaffen generell im Widerspruch zu den in einem bewaffneten Konflikt verbindlichen Regeln des internationalen Rechts und insbesondere den Prinzipien und Regeln des Völkerrechts stehen würde". Der IGH könne jedoch "nicht definitiv entscheiden, ob die Bedrohung durch und die Anwendung von Atomwaffen in einer extremen Notsituation, in der das reine Überleben eines Staates auf dem Spiel stehen würde, rechtmäßig oder unrechtmäßig sein würde". Das Rechtsgutachten ist in deutscher Übersetzung abgedruckt in: Frieden und Abrüstung Nr. 58 April 1997, Zitate S. 46 f.
  47. BGBl 1983 II S. 132
  48. BGBl 1994 II S. 806
  49. Die Konvention verbietet nicht die Beschaffung, Produktion und Lagerung von Bio- und Toxin-Kampfmitteln zu "defensiven und sonstigen friedlichen Zwecken".
  50. Übereinkommen vom 18 . 9. 1997 über das Verbot des Einsatzes, der Lagerung, der Herstellung und der Weitergabe von Antipersonenminen und über deren Vernichtung, BGBl 1998 II S. 778
  51. Nach Angaben der UNICEF waren im August 2003 weltweit 300.000 Kindersoldaten im Einsatz, vor allem in Afrika, allein bis zu 30.000 in der DR Kongo
  52. Anlage zu A/RES/54/263
  53. A/Res/33/73 vom 15. 12. 1978
  54. BGBl 1983 II S. 125
  55. A/Res/3282 (XXIX)
  56. BGBl 1993 II S. 1783
  57. BGBl 2002 II S.966
  58. Christian Tomuschat (Hrsg.), Völkerrecht, Baden-Baden 2001, S. 357
  59. UN Press Release SG/A7857 vom 4. 11. 2003
* Vortrag auf der IV. Rosa-Luxemburg-Konferenz "Welt ohne Krieg?" am 16. und 17. April 2004 in Dresden. Es handelt sich um das unkorrigierte Manuskript. Evtl. vorkommende Tipp- und andere Fehler bitten wir also zu entschuldigen. Zwischenüberschriften wurden von uns nachträglich eingefügt.


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