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Kriegführung mit Samthandschuhen?

Angeblich nicht-tödliche Waffen senken Hemmschwelle für Gewaltanwendung. Ein Tagungsbericht von Dr. Wolfgang Kötter*


In Ettlingen bei Karlsruhe tagt seit gestern das 3. Europäische Symposium über Nicht-tödliche Waffen. Zum dritten Mal organisiert das Fraunhofer-Institut für Chemische Technologie eine Veranstaltung über die so genannten NLW (Non-Lethal Weapons).

Experten, Führungskräfte von Polizei und Armee wie auch Vertreter interessierter Rüstungsfirmen diskutieren jetzt in Ettlingen, wie Menschen mit Elektroschockgeräten, Mikrowellen, akustischen Störsendern, Laserpistolen oder Bio- und Chemiewaffen gezielt handlungsunfähig gemacht werden können. Die Ohnmacht technologisch überlegener Armeen wie in Afghanistan und Irak, aber auch das Vorgehen gegen massenhaften Bevölkerungswiderstand oder die asymmetrische Bekämpfung terroristischer Gruppen haben das Interesse der Militärs deutlich wachsen lassen. Darüber hinaus gewinnen sie im Bereich der inneren Sicherheit und Verbrechensbekämpfung ebenfalls an Bedeutung. Die Veranstalter des Symposiums preisen NLW als Instrumente, um Konflikte mit einer »proportionalen, rechtmäßigen, angemessenen und notwendigen Anwendung von Gewalt zu lösen«. Durch ihren Einsatz gebe es ein geringeres Risiko von »Menschenopfern und Kollateralschäden«.

Nichtregierungsorganisationen befürchten jedoch, dass NLW wegen ihrer im Gegensatz zu tödlichen Waffen geringeren Hemmschwelle häufiger eingesetzt werden könnten, beispielsweise in Gefängnissen oder bei Demonstrationen. Anlässlich einer Demonstration gegen die Welthandelsorganisation WTO setzte die Genfer Polizei im März vergangenen Jahres beispielsweise das »Markierungssystem« FN 303 ein. Dabei wurde eine Teilnehmerin von einem Projektil im Gesicht schwer verletzt. Im Oktober forderte der Einsatz der gleichen Waffe in den USA sogar ein erstes Todesopfer. Ärzte warnen deshalb vor immer neuen NLW-Technologien, über deren mögliche bleibende Schäden kaum Informationen vorhanden sind.

Neben seit langem verwendeten Tränengas und Gummigeschossen kommen seit kurzem verstärkt neuartige Waffen zum Einsatz. Zu ihnen gehört die auch von der deutschen Polizei verwendete Elektroschockpistole »Taser«, bei der ein Stromschlag von 50000 Volt in die Zielperson geleitet wird, der sie bewegungsunfähig machen soll. Laut Amnesty International nutzen einige Regierungen Taser für die Folter und um Geständnisse aus politischen Gefangenen herauszupressen. Mikrowellen-Waffen verursachen aus der Ferne ein schmerzhaftes, aber angeblich harmloses brennendes Gefühl auf der Haut. Akustische Geräte mit langer Reichweite richten Störsignale auf ein einzelnes Ziel. Der Ton kann Einzelpersonen oder Gruppen verwirren und ihnen die Orientierung nehmen. Die Befürworter der Waffen behaupten, diese führten zu einem schnellen Ende illegaler Demonstration. Kritiker hingegen befürchten eine Zunahme der Gewalt.

Vor allem bei den Chemiewaffen vollziehen sich beunruhigende Entwicklungen. Die USA entwickeln Drogen, die im Kriegsfall eingesetzt werden sollen, um gegnerische Soldaten, aber auch Zivilisten handlungsunfähig zu machen. Das Direktorat für nicht-tödliche Waffen des Pentagon erfreut sich eines rasant wachsenden Forschungsetats von über 36 Millionen Dollar. Damit vergibt es lukrative Forschungsprojekte unter anderem über ruhig stellende Mittel (»calmatives«) und Antidepressiva sowie betäubende oder Krämpfe auslösende Chemikalien. Nach Experteneinschätzung verstößt Washington mit derartigen Projekten gegen die Chemiewaffenkonvention, denn diese verbietet solche Waffen.

Eine ähnliche Entwicklung ist auch für die biologischen Waffen festzustellen. Nicht-tödliche Biowaffen – wie Pilze gegen Drogenpflanzen und Mikroben zur Materialzerstörung – befinden sich bereits im fortgeschrittenen Entwicklungsstadium. So werden genetisch veränderte Mikroorganismen entwickelt, die Stoffe wie Asphalt, Zement, Farbe und Öl zersetzen und dadurch gegnerische Gebäude, Rollbahnen, Tarnanstriche und Waffensysteme zerstören.

Jede Anwendung von nicht-tödlichen Waffen birgt aber eine unkontrollierbare Eskalationsgefahr, denn für den angegriffenen Gegner ist der Unterschied zu tödlichen Waffen nicht sofort erkennbar und er könnte mit massiver Gegenwehr antworten. Außerdem eignen sich solche Waffenprogramme vorzüglich, um die Entwicklung verbotener Vernichtungswaffen zu kaschieren und damit weitere Rüstungswettläufe zu provozieren.

Zur Rechtfertigung dieses Waffentrends dient häufig das Argument, es sei doch besser, den Gegner nur vorübergehend kampfunfähig zu machen, als ihn zu erschießen. Doch sind nicht-tödliche Waffen keineswegs so harmlos wie der Name vorgibt. Kritiker halten den Begriff sogar für einen Etikettenschwindel, denn selbst wenn bis zu 25 Prozent der Zielpersonen an ihrer Wirkung sterben, gilt eine Waffe noch als nicht-tödlich. »Wirklich nicht-tödliche Waffen existieren sowieso nicht«, meint Physikprofessor Richard A. Muller von der University of California in Berkeley. Die Tarnbezeichnung verbrämt das unermessliche Leid bewaffneter Konflikte und soll den Anschein erwecken, es gebe den humanen Krieg. Daran ändert auch die Einführung des Begriffs »weniger tödlich« (less lethal) nichts.

* Dieser Bericht erschien auch am 11. Mai 2005 im "Neuen Deutschland"


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