Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Tödlicher Kriegsmüll muss entsorgt werden

Überprüfungskonferenz zur Konvention über inhumane Waffen in Genf

Von Wolfgang Kötter *

Heute (07.11.) beginnt in Genf die dritte Überprüfungskonferenz zur Konvention über inhumane Waffen (siehe Infokasten). Die Rahmenübereinkunft ist inzwischen auf fünf Protokolle angewachsen, denn am kommenden Sonntag tritt eine Verpflichtung zur Räumung ehemaliger Kriegsschauplätze von explosiven Kampfmittelrückständen in Kraft. Nachdem im Frühjahr die erforderliche Zahl von 23 Staaten ratifiziert hatte, wird das bereits 2003 vereinbarte Abkommen nun endlich rechtswirksam. Es trifft auf eine dramatische Situation, denn verlegte Minen, nicht explodierte Granaten, Streumunition, Bomben und Blindgänger töten noch lange nachdem die Kämpfe beendet sind Hunderttausende Menschen, zumeist Zivilisten.

In 11 Artikeln werden die ehemaligen Kampfparteien verpflichtet, sich gegenseitig über Einsatz- und Lagerorte von Restmunition zu informieren und das Territorium von den Überbleibseln des Krieges zu säubern. Dabei ist der Verursacher angehalten, nach dem Ende der Kampfhandlungen auch bei der Räumung des ehemaligen Feindeslandes und bei der Zerstörung aufgefundener Sprengkörper finanzielle, materielle und personelle Unterstützung zu leisten. Die Vertragsteilnehmer werden zu höchstmöglichen Schutzmaßnahmen gegenüber Unbeteiligten aufgefordert, die Tätigkeit humanitärer Organisationen soll geschützt und gefördert werden. Zu den empfohlenen prophylaktischen Maßnahmen gehören die Aufklärung und Risikoschulung der in den Gebieten ansässigen Zivilbevölkerung. Lebensbedrohliche "No-go-Areas" sollen deutlich markiert, eingezäunt und überwacht werden. Betroffene Länder haben Anspruch auf Hilfe z.B. bei der Rehabilitation und sozialen Wiedereingliederung der Opfer. Vorgesehen ist weiterhin ein umfassender Austausch von Ausrüstungen, Material und wissenschaftlich-technischen Informationen zwischen den Vertragsteilnehmern. Mehrheitlich richten sich die Verpflichtungen auf Maßnahmen nach dem Ende der Kampfhandlungen. Einige Bestimmungen fordern jedoch auch dazu auf, präventiv die Funktionssicherheit der verwendeten Munition durch Produktionskontrollen und umfassende Tests zu erhöhen, oder die Waffenlager und -transporte zuverlässig gegen Diebstahl zu schützen.

Der Konferenz liegen die Berichte von zwei Arbeitsgruppen vor. Unter Leitung des Brasilianers Carlos da Rocha Paranhos wird darüber verhandelt, in die Einsatzbeschränkungen von Landminen auch Anti-Fahrzeugminen einzubeziehen, die keinen Unterschied zwischen militärischen und zivilen Fahrzeugen machen. Eine zweite Arbeitsgruppe unter Leitung von Edvardas Borisovas aus Litauen bemüht sich darum, den Wirkungsradius des Minenprotokolls auszuweiten. Bisher beschränken sich die Erörterungen der Diplomaten jedoch vor allem auf technische Verbesserungen für ein zuverlässigeres Funktionieren von Munitionskörpern. Obwohl einige Staaten wie Irland, Mexiko, Neuseeland, Österreich und Schweden ein Verbot von Streumunition fordern, wird darüber nach wie vor nicht verhandelt. Zu dieser Kategorie von Waffen gehören die sogenannten "Cluster Bombs", die aus mehreren Sprengsätzen in einer Bombe bestehen. Sie werden von Flugzeugen abgeworfen, können aber auch als Streumunition verschossen werden. Die Behälter öffnen sich noch in der Luft und verbreiten bis zu 200 "Bomblets", die kaum die Größe von Taschenlampenbatterien haben. Deren Füllung wiederum kann aus Splittergeschossen oder Minen bestehen. Manche explodieren beim Aufprall auf gegnerische Panzer, Fahrzeuge oder auf den Erdboden, oft jedoch bleibt dies durch eine dichte Vegetation oder weichen Untergrund zunächst aus. Bei einer Blindgängerquote von bis zu 40 Prozent verwandeln sich "Cluster Bombs" dann buchstäblich zu Landminen mit langer Lebenszeit. Wenn durch Berührung die Ummantelung der Kanister zerspringt, können Hunderte von Splittern Menschen noch in einer Entfernung von bis zu 150 Metern wie Gewehrkugeln töten. Wird Streumunition mittels Artillerieraketen, Haubitzen oder Mörsern eingesetzt, werden innerhalb kurzer Zeit enorme Mengen an Munition über ein großes Gebiet verschossen.

Die bitteren Erfahrungen auf zahlreichen Konfliktschauplätzen besagen, dass nicht-detonierte Munition für Kriegsflüchtlinge auf der Nahrungssuche, für Rückkehrer, die nach dem Krieg ihre Felder bestellen wollen, aber auch für Hilfsorganisationen und internationale Friedenstruppen eine tödliche Gefahr darstellen. Angewendet wurden "Cluster-Bomben" bereits in rund 25 Ländern, darunter in Afghanistan, im Kosovo, in Tschetschenien und im Irak. Pünktlich zu Konferenzbeginn veröffentlicht die Hilfsorganisation Handicap International den Bericht „Fatal Footprint - Tödliche Spur“ über die weltweiten Auswirkungen von Streumunition auf die Zivilbevölkerung. Während des jüngsten Libanon-Krieges setzten sowohl die israelische Armee als auch die Hisbollah-Miliz massenhaft Streumunition gegen Wohngebiete ein. Sie haben den Boden im Südlibanon mit rund einer Million nicht explodierter Sprengkörper übersät, denen täglich mindestens drei Menschen zum Opfer fallen. "Streubomben haben ein großes Gebiet betroffen, viele Häuser, viel Ackerland, viele Unternehmen und Geschäfte und sie werden uns viele, viele Monate, vielleicht Jahre begleiten", fürchtet der scheidende UNO-Koordinator für humanitäre Hilfe Jan Egeland. Dass der Einsatz derart inakkurater und unzuverlässiger Munition fast zwangsläufig mit einem Verstoß gegen geltendes Völkerrecht verbunden ist, meint auch Thomas Küchenmeister vom Aktionsbündnis Landmine.de und fordert ein umfassendes Verbot auch in Deutschland. Der Bundestag beriet zwar Ende September über Streumunition, forderte jedoch mit der Mehrheit der Koalitionsparteien CDU/CSU und SPD statt eines Totalverbots lediglich, die Blindgängerrate auf ein Prozent zu reduzieren.


Das Rahmenabkommen über "Verbote und Einsatzbeschränkungen für bestimmte konventionelle Waffen, die unnötige Leiden verursachen oder unterschiedslos wirken" besteht aus fünf Protokollen:
  • Protokoll I verbietet den Einsatz von Splitterwaffen, die mit Röntgenstrahlen nicht entdeckt werden können;
  • Protokoll II schränkt die Anwendung von Landminen ein und ächtet den Einsatz aller als Spielzeug oder Gebrauchsgegenstand getarnten Sprengkörper;
  • Protokoll III untersagt die Verwendung von Brandwaffen wie Flammenwerfern und Napalm;
  • Protokoll IV verbietet Blendlaserwaffen, die die Netzhaut des menschlichen Auges zerstören;
  • Protokoll V verpflichtet zur Räumung von explosiven Kampfmittelrückständen.

Mitgliedstaaten von Protokoll V:
Albanien, Bulgarien, Dänemark, Deutschland, El Salvador, Finnland, Frankreich, Heiliger Stuhl/Vatikan, Indien, Kroatien, Liberia, Liechtenstein, Litauen, Luxemburg, Malta, Nicaragua, Niederlande, Norwegen, Schweden, Schweiz, Sierra Leone, Slowakei, Tadschikistan, Tschechische Republik, Ukraine.



* Der Artikel erschien leicht gekürzt in: Neues Deutschland, 7. November 2006


Zurück zur "Waffen"-Seite

Zurück zur Homepage