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Streubomben-Verbot im Visier

Jahrestagung zur Konvention über inhumane Waffen in Genf

Von Wolfgang Kötter *

Am Europäischen Sitz der Vereinten Nationen begann gestern die Jahrestagung der Konvention über inhumane Waffen. Die 103 Vertragsmitglieder bewerten die Erfüllung des aus fünf Protokollen bestehenden Rahmenabkommens, schätzen die Wirksamkeit der Bestimmungen ein und prüfen, ob diese ergänzt oder ausgeweitet werden müssen.

Bereits vor Konferenzbeginn leitete Johannes Landman aus den Niederlanden einen ersten Erfahrungsaustausch zum jüngsten Protokoll V, das vor einem Jahr in Kraft getreten ist. Es verpflichtet ehemalige Konfliktteilnehmer, die Kriegsschauplätze von explosiven Kampfmittelrückständen wie nicht explodierten Granaten, Streumunition, Bomben und Blindgängern zu räumen. Gerade sie töten oder verletzen noch lange, nachdem die Kämpfe beendet sind, unschuldige Menschen. UN-Angaben zufolge müssen weltweit über 400 000 Opfer dieses lebensgefährlichen Kriegserbes medizinisch versorgt und humanitär betreut werden. Nach der ersten Zwischenbilanz bei der Vertragserfüllung vereinbarten die bisher 35 Mitglieder zusätzliche Verfahren zur regelmäßigen Berichterstattung und die Einrichtung einer Datenbank. Sie versprachen, sich gegenseitig umfassender zu informieren und zu unterstützen.

In den nächsten Tagen geht es nun um die übrigen Teilprotokolle, so um die Frage, ob auch Anti-Fahrzeugminen in das Anwendungsverbot einbezogen werden sollen, da diese nicht zwischen einem Panzer, einem Schulbus oder einem Fahrrad unterscheiden. Gerade die mit hochsensiblen Zündern ausgerüsteten Sprengkörper fordern immer wieder auch Menschenopfer. Häufig werden sie durch Erschütterungen selbst von Fußgängern ausgelöst. Eine Mine, die auf Magnetfelder reagiert, kann sogar durch ein herabfallendes Schlüsselbund explodieren.

Es ist aber vor allem eine Entscheidung, die auch außerhalb der Konferenzräume am Lac Léman aufmerksam verfolgt wird: Die Staaten müssen nun Farbe bekennen, ob sie bereit sind, ernsthaft über ein Verbot von Streumunition zu verhandeln. Diese besteht aus mehreren Sprengsätzen in einem Container und wird von Flugzeugen abgeworfen oder mit Geschützen und Raketenwerfern verschossen. Die Behälter öffnen sich noch in der Luft und verbreiten die tödlichen Splittergeschosse. Weil aber nahezu die Hälfte beim Aufprall auf gegnerische Panzer, Fahrzeuge oder auf den Erdboden nicht explodieren, verwandelt sich Streumunition zu tickenden Zeitbomben, die riesige Landflächen verseuchen und versteckt auf ihre Opfer lauern.

Die schrecklichen Leiden des inhumanen Einsatzes von Streumunition unter der Zivilbevölkerung lassen die weltweiten Forderungen nach einer umfassenden Lösung immer dringlicher werden. Vor allem durch Streumunition betroffene Länder wie Laos, Kambodscha, Libanon, Serbien und Tschad fordern vehement ein rasches Verbot. Doch so mancher Produzent oder Anwender ignoriert dies hartnäckig, andere Regierungen lavieren, um eine radikale Lösung zu umgehen. Einige Staaten hatten bereits im vergangenen Jahr gefordert, über ein VI. Protokoll zum Verbot von Streumunition zu verhandeln, waren jedoch am Widerstand der USA, Chinas, Russlands und anderer gescheitert.

Inzwischen scheinen einige der Verweigerer taktisch raffinierter vorzugehen und Verhandlungen zwar zu akzeptieren, um dann aber auf weichgespülte Bestimmungen zu setzen. Deutschland hat in Vorbereitung der jetzigen Konferenz einen Protokollentwurf vorgelegt, dessen Dreistufenplan lediglich den Verzicht auf »gefährliche Streumunition« vorsieht, jedoch an »ungefährlicher Streumunition« mit einer Fehlerquote von unter einem Prozent festhält. Der Einsatz von Streumunition soll zumindest für eine Übergangsfrist von zehn Jahren weiterhin möglich bleiben, und weder ein Produktions- noch ein Exportverbot ist vorgesehen.

Doch allein in Kosovo, in Afghanistan, in Irak und in Libanon wurden in den vergangenen zehn Jahren über 60 Millionen Einheiten Submunition verstreut – vorwiegend Waffen mit einer extrem hohen Fehlerquote. Beim Einsatz von Munition, die von der Bundeswehr als »verlässlich« bezeichnet wird, wären in diesen Kriegen 600 000 für Zivilisten hoch gefährliche Blindgänger zurückgeblieben. Die Initiative »dient eher dem Schutz von Streumunition vor einem Verbot, denn dem der Zivilbevölkerung vor dem Einsatz dieser Waffe«, beklagt Thomas Küchenmeister vom Aktionsbündnis Landmine.de. Auch andere Staaten wie Irland, Mexiko, Neuseeland, Norwegen, Österreich und Peru bezeichnen derartige Versuche, das humanitäre Problem auf technischer Basis lösen zu wollen, als zynisch. Gemeinsam entwickelten sie einen Gegenvorschlag für ein umfassendes Verbot und die Vernichtung aller Streumunition.

Angesichts der Verschleppungstaktik der Diplomaten haben sich zahlreiche Nichtregierungsorganisationen zur »Koalition gegen Streumunition« zusammengeschlossen. Ihrem Appell zu unverzüglichen Verhandlungen über ein umfassendes Verbot folgten inzwischen mehr als 80 Regierungen. Im Rahmen des in Norwegens Hauptstadt begonnenen »Oslo-Prozesses« wollen sie bis Ende nächsten Jahres einen Vertrag erarbeiten.

* Aus: Neues Deutschland, 8. November 2007


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