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Heute beginnen Verhandlungen zum Verbot von Streumunition: Der Vertrag liegt auf dem Tisch

Auch die Bundesregierung versucht, die vollständige Ächtung der Waffen zu unterlaufen / In Irland über 100 Staaten dabei

Von Wolfgang Kötter *

Ab heute verhandeln im Dubliner Croke Park Convention Centre Vertreter von mehr als 100 Staaten über ein Verbot von Streumunition. Wenn es zustande kommt, wäre das für die 250 in der »Cluster Munition Coalition« vereinten Nichtregierungsorganisationen aus 60 Ländern ein großer Erfolg, denn sie sind die engagierten Vorreiter einer umfassenden Ächtung.

Die bereits in Irlands Hauptstadt angereisten Minengegner zeigen sich optimistisch: »Die Vorbehalte mehrerer Staaten bröckeln, und wir sind sehr zuversichtlich«, meint Thomas Nash, Koordinator der Internationalen Koalition. In nur fünf Verhandlungsrunden und reichlich einem Jahr wäre ein völkerrechtlich verbindliches Dokument entstanden, das letztlich zur Beseitigung einer der heimtückischsten aller Waffenarten führt. Nach Informationen der humanitären Organisation Handicap International sind weltweit 400 Millionen Menschen in mindestens 30 Ländern von Streumunition betroffen, davon am schlimmsten in Irak, in Libanon und in Laos. Offiziell registriert wurden bisher etwa 14 000 Tote und Verletzte, aber Experten schätzen die wirkliche Zahl wegen der enormen Dunkelziffer auf über 100 000, die meisten von ihnen sind Zivilisten.

Angesichts der durch die Waffenlobby verschuldeten Verschleppungstaktik in den traditionellen Verhandlungsgremien begannen abrüstungswillige Staaten, angeführt von Norwegen, Neuseeland, Österreich und Mexiko, im Februar 2007 den »Oslo-Prozess«. Nach Norwegens Metropole folgten weitere Treffen in Lima, Wien und Wellington. Der nun vorliegende Vertragstext verbietet die Anwendung und den Transfer von Streumunition, verpflichtet zur Vernichtung bestehender Arsenale und schließt die Räumung minenverseuchter Gebiete ebenso ein wie Hilfe für betroffene Opfer.

Doch es gibt auch Widerstand. Noch im Februar hatte die deutsche Delegation auf der Vorgängerkonferenz im neuseeländischen Wellington den dort vorgelegten Vertragsentwurf für ein vollständiges Verbot durch fünf »technische« Ausnahmen und zwei politische Relativierungen zu unterlaufen versucht. Die Bundesregierung verlangt beispielsweise Ausnahmen für Typen mit einer Blindgängerrate von weniger als einem Prozent, für Streubomben, die vor dem Aufschlag nicht mehr als zehn eigenständig explodierende Submunitionskörper verstreuen, und für solche, die von tief fliegenden Kampfhubschraubern mit Raketen auf Ziele in Sichtnähe abgeschossen werden. Ausgenommen sein sollen auch Streubomben mit Hitzesensoren, die Fahrzeuge identifizieren können.

Die Bundeswehr hat mittelfristig zwar einen Verzicht auf Streumunition und keine Neubeschaffung derartiger Munition angekündigt. Noch befinden sich allerdings etwa 30 Millionen Stück in den Depots. In Deutschland ansässige Firmen produzieren weiterhin Streumunition, so die European Aeronautic Defence and Space Company EADS, an der auch der Daimler-Konzern beteiligt ist, die Rheinmetall AG und die Firma Diehl im saarländischen Mariahütte.

Ungeachtet der großen Erwartungen wird es in Dublin also nicht ohne Auseinandersetzungen abgehen. Nach Angaben des Ko-Präsidenten von Human-Rights-Watch, Steve Goose, verlangen mehrere Staaten eine Übergangsfrist von bis zu zehn Jahren, bis das Verbot in Kraft tritt. Ausnahmeregelungen werden ebenfalls für High-Tech-Streumunition mit Selbstzerstörungsmechanismen oder anderen technischen Raffinessen gefordert, weil diese das von Blindgängern ausgehende Risiko für Menschen angeblich minimieren.

Die Bundesregierung begründet ihre Verwässerungstaktik der Verbotsbestimmung so, dass sie ohne Einschränkungen eine Gefahr sieht für die »Interoperationalität und Kooperationsfähigkeit verbündeter Streitkräfte«, zum Beispiel in der NATO oder bei gemeinsamen Militärmissionen. Ähnlich wie Deutschland argumentierten auch Frankreich, Japan und die Schweiz. Ein Mangel ist ebenfalls, dass die wichtigsten Produzenten und Anwender von Streubomben, (die USA, Russland, China, Indien, Pakistan, Israel und Südkorea) nicht am Oslo-Prozess teilnehmen.

Dennoch erwarten die Streumunitionsgegner, dass der Vertrag eine moralische Ausstrahlungskraft ausüben wird. Selbst wenn diese Staaten nicht unterzeichnen, werden ihre Möglichkeiten, Streumunition zu nutzen, stark beschränkt, meinen sie. Moralisch gesehen, könnten auch die Verweigerer sich nicht gegen ein Verbot wenden, das 100 Staaten unterstützen. Immerhin haben selbst die USA als Nichtunterzeichner der Anti-Personenminen-Konvention keine Anti-Personenminen mehr eingesetzt. Die norwegische Regierung jedenfalls hofft auf einen Durchbruch in Dublin, damit ein Vertrag über ein umfassendes Verbot noch vor Jahresende in der norwegischen Hauptstadt Oslo unterzeichnet werden kann.

Zahlen und Fakten - Cluster Bombs

Die sogenannten Cluster Bombs bestehen aus mehreren Sprengsätzen in einer Bombe. Sie werden von Flugzeugen abgeworfen, können aber auch als Streumunition verschossen werden und kommen in der Regel gegen größere Truppenkonzentrationen und Panzerverbände zum Einsatz.

Die mit Submunition gefüllten Mantelprojektile öffnen sich noch in der Luft und verbreiten bis zu 200 »Bomblets«, die kaum die Größe von Cola-Dosen haben, deren Füllung wiederum aus Splittergeschossen oder Minen bestehen kann.

Manche explodieren beim Aufprall auf gegnerische Ziele oder auf dem Erdboden, oft jedoch bleibt dies durch eine dichte Vegetation oder weichen Untergrund zunächst aus. Bei einer Blindgängerquote von bis zu 40 Prozent verwandelt sich Cluster-Munition dann zu langlebigen Landminen, die ganze Regionen verseuchen.

Streumunition, die mittels Raketen, Haubitzen oder Mörsern eingesetzt wird, verteilt innerhalb kurzer Zeit enorme Mengen an Munition über große Flächen. So können beispielsweise die Salven von Raketenwerfern mit nahezu 8000 Geschossen Explosionsteppiche einer Größe von jeweils 50 Fußballfeldern bilden.

Viele Blindgänger bleiben am Boden liegen und explodieren oft erst Jahre nach Beendigung der Kämpfe. Wenn durch Berührung die Ummantelung der Kanister zerspringt, können Hunderte von Splittern Menschen noch in einer Entfernung von bis zu 150 Metern wie Gewehrkugeln töten.

Wolfgang Kötter

Einsätze von Streubomben

Äthiopien (in Eritrea)
Eritrea (in Äthiopien)
Frankreich (in Tschad, Irak, Kuwait)
Großbritannien (in Jugoslawien, Irak, Kuwait)
Israel (in Libanon)
Jugoslawien (in Albanien, Bosnien, Kosovo)
Niederlande (in Jugoslawien)
Russland (in Afghanistan, Tschetschenien, Tadschikistan)
Saudi-Arabien (in Saudi-Arabien)
Sudan (in Sudan)
USA (in Afghanistan, Irak, Kambodscha, Kosovo, Kuwait, Laos, Saudi-Arabien, Vietnam)

Quelle: Handicap International



* Aus: Neues Deutschland, 19. Mai 2008


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