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Zivildienst vor dem Aus - die Auswirkungen der Wehrpflicht-Verkürzung

Ein Beitrag von Joachim Samse aus der NDR-Reihe "Streitkräfte und Strategien"

Die Wehrpflicht steht zur Disposition. Anfang des Monats ist der Wehrdienst von bisher neun auf sechs Monate verkürzt worden. Mit der Entwicklung der Wehrpflicht eng verkoppelt ist der Zivildienst. Er ist nämlich der Ersatzdienst für junge Männer, die den Wehrdienst aus Gewissensgründen verweigert haben. Mit der Wehrpflicht droht nun auch dem Zivildienst das Aus. Dabei setzt so manche Sozialeinrichtung weiterhin auf die Zivis - ungeachtet der sich abzeichnenden Entwicklung. Joachim Samse berichtet:

Manuskript Joachim Samse

Im Neubrandenburger Dietrich-Bonhoeffer-Klinikum arbeiten jedes Jahr 25 Zivildienstleistende. Sie unterstützen die Krankenschwestern, geben Essen aus oder waschen Patienten. Bislang dauerte der Zivildienst neun Monate, inzwischen ist er auf sechs Monate verkürzt worden. Doch noch läuft in dem Krankenhaus alles wie bisher, sagt Pflegedirektorin Hannelore Kreibeck:

O-Ton Kreibeck:
"Für uns in der Klinik bleibt erst einmal alles gleich. Wir halten alle Zivildienst-plätze weiter so vor wie bisher auch. Wir hoffen, dass sich nichts verändert, weil eine ganze Reihe von Zivildiensttuenden bisher auch nach ihrer offiziellen Zeit, die Zeit in unserer Einrichtung verlängert haben, als Hilfspfleger tätig waren und wir hoffen, dass sie sich nach sechs Monaten entscheiden, auf ein Jahr zu verlängern."

Doch die Hoffnung auf wenig Veränderung wird sich vermutlich nicht erfüllen. Schon jetzt steht für viele Experten fest, dass die Verkürzung von Wehr- und Zivildienst auf sechs Monate der Anfang vom Ende des Pflichtdienstes ist. Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes in Berlin:

O-TonSchneider:
"Wenn jetzt auf sechs Monate gekürzt wird, dann ist das der Einstieg in den Ausstieg. Da machen wir uns nichts vor. Und deshalb sind wir auch bemüht, jetzt schon Alternativkonzepte zu erarbeiten."

Nicht so in der Neubrandenburger Klinik. Dort herrschte bislang die Hoffnung, dass Wehr- und Zivildienst so erhalten bleiben wie bisher. Dass möglicherweise schon in diesem Jahr das Ende des Zivildienstes besiegelt werden könnte - das trifft die Klinikleitung völlig unvorbereitet. Keine Zivis mehr, das könnte in einigen Bereichen der Klinik zu erheblichen Problemen führen, befürchtet Pflegedirektorin Hannelore Kreibeck:

O-Ton Kreibeck:
"Wenn ab September gar kein Zivildiensttuender mehr kommt, dann hätten wir zum Beispiel im Patiententransport so wenig anwesende Kräfte, das könnten wir gar nicht mehr leisten. Auch in unserem OP-Bereich, wo die Zivildiensttuenden bei der Lagerung der Patienten helfen, da würden uns mit dem Schlag vier Personen fehlen. Da müssten wir uns ganz schnell überlegen, wie wir das dann aufrecht erhalten."

Für andere Einrichtungen, Institutionen und Dienste kommt die gegenwärtige Entwicklung allerdings nicht ganz überraschend. Sie haben die Entwicklung bereits kommen sehen. Die Dauer des Zivildienstes wurde in den vergangenen Jahren immer weiter reduziert. Durch die Verkürzung auf sechs Monate können nach Meinung von Ulrich Schneider vom Paritätischen Wohlfahrtsverband Zivildienstleistende kaum noch sinnvoll eingesetzt werden. Deswegen hat man die Suche nach Alternativkonzepten vorangetrieben.

O-Ton Schneider:
"Wir haben jetzt beispielsweise das freiwillige soziale und das ökologische Jahr, wir haben freiwillige Dienste im Ausland, wir haben freiwillige Dienste im Rahmen der Entwicklungshilfe - alles das ist denkbar, ist ausbaufähig - aber braucht seine Zeit. Man braucht zusätzliches Personal, das die Menschen auch tatsächlich einarbeitet. Und nicht nur das, es sind ja Bildungsjahre, das auch die Bildungsangebote vorhält. Dann man muss sicherlich im Bundeshaushalt das Geld herbeischaffen für solche Dienste, eine vernünftige Infrastruktur aufbauen. Das alles braucht seine Zeit und deshalb denke ich, wären wir zwingend auf ein bis anderthalb Jahre angewiesen für die Übergangszeit."

Die Verkürzung des Zivildienstes muss allerdings für die Wohlfahrtverbände nicht unbedingt eine Katastrophe bedeuten. So sieht es jedenfalls Peter To-biassen von der Zentralstelle für Recht und Schutz der Kriegsdienstverweige-rer. Für ihn sind die wenigen Monate sogar eine Chance:

O-Ton Tobiassen:
"Die Stellen müssen sich einfach umstellen, müssen dem Zivildienst einen anderen Inhalt, einen anderen Sinn geben und dann bringt es für beide Seiten etwas: für die jungen Leute, weil sie erkennen, was im Sozialbereich los ist, und sich ausprobieren können, ob das möglicherweise beruflich was für sie ist. Und die Einrichtungen können Nachwuchs gewinnen. Und sie können eben sensibilisieren für die Probleme in diesem Bereich."

Doch so manche Einrichtung verdrängt weiterhin, dass es den Zivildienst schon bald nicht mehr geben könnte. Stattdessen setzt man auf eine Neuerung, die im Zusammenhang mit der Zivildienstverkürzung beschlossen worden ist: Zivildienstleistende können ihren Dienst freiwillig verlängern. Bis zu 12 Monate können die jungen Männer dann insgesamt in der Einrichtung bleiben. Doch frühestens nach zwei Monaten dürfen sie sich entscheiden, ob sie verlängern oder nicht. Damit soll verhindert werden, dass für Zivis nur noch Plätze für 12 Monate angeboten werden. Eine praxisferne Lösung, meint Ulrich Schneider vom Paritätischen Wohlfahrtsverband:

O-Ton Schneider:
"Stellen Sie sich vor, Sie sind mit einer alten Frau, einem alten Mann beschäf-tigt, betreuen diese. Der will wissen wie lange Sie bleiben und Sie sagen: das verrate ich nicht. Das gleiche in der Behindertenwohngemeinschaft, wo man den Menschen nicht erzählt, wie lange man bleibt - das ist derartig wirklich-keitsfremd."

Die freiwillige Verlängerung halten Kritiker allerdings für kontraproduktiv und wenig sinnvoll. Sie befürchten, dass die Zivildienstleistenden dadurch zu Dumpinglöhnen weiterbeschäftigt werden und somit den tariflich vereinbarten Mindestlohn in der Branche untergraben. Im Prinzip stellt sich mittlerweile die überwiegende Zahl der Beteiligten auf ein Ende des Zivildienstes ein. Die Planspiele über eine mögliche freiwillige Verlängerung könnten in der Tat schon in wenigen Monaten wieder beendet sein. Dann nämlich, wenn eine Aussetzung der Wehrpflicht verkündet wird.

Die Befürchtung, dass dann die sozialen Dienste ohne Zivildienstleistende nicht mehr funktionieren würden, teilt Peter Tobiassen von der Zentralstelle für Kriegsdienstverweigerer nicht.

O-Ton Tobiassen:
"Typisches Beispiel: Zivildienstleistende in der individuellen Schwerstbehin-dertenbetreuung. Alle denken, wenn Zivildienstleistende dort nicht mehr tätig sind, dann würde da vieles zusammenbrechen. Wir haben etwa 20.000 schwerstbehinderte Kinder, die einen Anspruch auf eine Begleitung hätten. Und in diesem Bereich sind 400 Zivildienstleistende tätig. Das heißt, dieser Be¬reich ist nicht auf den Zivildienst angewiesen. Das ist ein hochattraktiver Be¬reich und dort wird man mit Sicherheit sehr schnell junge Menschen im Freiwil¬ligen Sozialen Jahr finden, die das machen würden. Da gibt es sowieso mehr Bewerbungen als Plätze. Das heißt, in dem Bereich wird man das überhaupt nicht merken. Der Zivildienst fällt weg, FSJler übernehmen das und dann geht es dort so weiter."

Auch in anderen sozialen Bereichen werde die Bedeutung des Zivildienstes deutlich überschätzt, meint Tobiassen. 1999 habe es in Deutschland 145.000 Zivildienstleistende gegeben, im Juli darauf nur noch 97.000. Damals habe die Umstellung kaum Probleme mit sich gebracht, sagt Tobiassen. Zurzeit leisten rund 40.000 junge Männer Zivildienst. Wenn jetzt die Entscheidung käme, den Zivildienst abzuschaffen, dann würden Wohlfahrtsverbände und andere Ein¬richtungen in der Lage sein, diesen Verlust durch andere Lösungen aufzufan¬gen. Zum Beispiel durch Freiwilligendienste. Außerdem: Nur jeder hundertste Mitarbeiter im sozialen Bereich ist derzeit ein Zivildienstleistender.

Mag sein, dass es bei der einen oder anderen Einrichtung Probleme geben würde. Der Grund liegt dann aber in erster Linie an einer vernachlässigten Vo¬rausschau und Langzeitplanung. Falls das Aus für den Zivildienst kommt, haben aber auch diese Stellen noch die Möglichkeit, sich umzustellen. Denn nicht nur der Paritätische Wohlfahrtsverband setzt auf eine Übergangsphase. Hauptgeschäftsführer Ulrich Schneider:

O-Ton Schneider:
"Ich vermute aber auch, dass die Bundeswehr solche Übergangszeiten braucht. Das heißt, wenn wir ein, anderthalb Jahre Zeit hätten, hier Freiwilli-gendienste aufzubauen - dann könnten wir auch mit dieser Situation gut um-gehen. Dann hätten wir Möglichkeiten, hier jungen Menschen andere Lernfelder zu bieten als den Zivildienst. Sollte es von heute auf morgen passieren, zum 1.1., dann hätten wir in der Tat keine Alternativen. Dann würde der Zivildienst ersatzlos wegbrechen."

Im September wird voraussichtlich die Entscheidung über die Wehrpflicht und damit auch über den Zivildienst fallen. Pflegeheime, Krankenhäuser und andere Einrichtungen, die sich bereits jetzt darauf eingestellt haben, werden einer Aussetzung der Wehrpflicht gelassen entgegensehen können. Denn der Zivildienst ist ein Ersatzdienst - gekoppelt an die Wehrpflicht. Auch wenn das jetzt viele nicht mehr wahrhaben wollen: Mit dem Ende der Wehrpflicht verliert auch der Zivildienst seine Berechtigung.

* Aus: NDR-Sendereihe Streitkräfte und Strategien, 17. Juli 2010; www.ndrinfo.de


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