Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

"Bürgerschaftliches Engagement und seine Finanzierung sind eine gesellschaftliche Aufgabe"

Empfehlungen der Kommission für die weitere Entwicklung von Freiwilligendiensten und Zivildienst in Deutschland

Im Folgenden dokumentieren wir den ersten Teil der Broschüre "Perspektiven für Freiwilligendienste und Zivildienst in Deutschland", die am 15. Januar 2003 von Familienministerin Renate Schmidt der Öffentlichkeit vorgestellt wurde (vgl. die Presseerklärung: "Das Ende der Wehrpflicht als Chance betrachten...").
Die Broschüre kann kostenlos bestellt werden bei:
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
53107 Bonn
Tel.: 01 80/5 32 93 29
E-Mail: broschuerenstelle@bmfsfj.bund.de
Internet: www.bmfsfj.de



D O K U M E N T A T I O N

Empfehlungen der Kommission für die weitere Entwicklung von Freiwilligendiensten und Zivildienst in Deutschland

Allgemeine Wehrpflicht, allgemeine Dienstpflicht und Zivilgesellschaft
1. Die Kommission hatte bei ihrer Einsetzung weder Auftrag noch Anlass, die Empfehlungen der Kommission „Gemeinsame Sicherheit und Zukunft der Bundeswehr“ (Weizsäcker-Kommission) vom 23. Mai 20003 zur Beibehaltung der allgemeinen Wehrpflicht und damit zur Beibehaltung von Grundwehr- und Zivildienst nochmals zu überprüfen. Die Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht anstelle der Wehrpflicht durch Verfassungsänderung bzw. die Einbeziehung junger Frauen in die allgemeine Wehrpflicht hält die Kommission nicht nur für völkerrechtswidrig, sondern für einen grundsätzlich falschen Weg, Eigeninitiative, Mitgestaltung und Beteiligung aller Altersgruppen in der Zivilgesellschaft zu fördern.

Gleichbehandlung von Zivildienstleistenden mit Grundwehrdienstleistenden
2. Zur Gleichbehandlung von Zivildienst- mit Grundwehrdienstleistenden sollte von der nach Artikel 12a Abs. 2 Satz 2 Grundgesetz gegebenen Möglichkeit einer gleichen Dienstdauer Gebrauch gemacht werden. Soweit nachfolgend vorgeschlagene strukturelle Veränderungen Zivildienstleistende gegenüber Grundwehrdienstleistenden bevorzugen würden, ist ein Ausgleich herzustellen. Zur Lösung von Problemen, die sich aus der empfohlenen Angleichung der Zivildienstdauer an die Dauer des Grundwehrdienstes und ggf. weiteren Verkürzungen in bestimmten Einsatzbereichen, insbesondere bei der Individuellen Schwerstbehindertenbetreuung und der Individuellen Schwerstbehindertenbetreuung von Kindern ergeben können, sollte nochmals die rechtliche Möglichkeit eines freiwillig verlängerten Zivildienstes geprüft werden. Im Übrigen sollten die gesetzlichen Voraussetzungen für Vor- und Nachpraktika, geringfügige Beschäftigungsverhältnisse bzw. Freiwilligendienst in derselben Einsatzstelle vor und nach dem Zivildienst geschaffen bzw. klargestellt werden. Denn die Arbeitsgruppe „Zivildienst unter neuen Rahmenbedingungen“ hat festgestellt, dass Planungssicherheit für die anerkannten Kriegsdienstverweigerer ebenso wie für die Beschäftigungsstellen ein wesentliches und unabdingbares Element für einen erfolgreichen und sinnvollen Dienst ist und die Kontinuität in der Stellenbesetzung von existenzieller Bedeutung. Je kürzer der Dienst ist, desto schwieriger werden Organisation und Aufrechterhaltung von Tätigkeitsbereichen wie den oben genannten in seinem organisatorischen Rahmen.

Freiwilligendienste, Zivildienst und Arbeitsmarkt
3. Insbesondere im Hinblick auf die sich u. a. in Umsetzung der Empfehlungen der Kommissionen „Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ (Hartz-Kommission) und „Nachhaltigkeit in der Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme“ (Rürup-Kommission) voraussichtlich ändernden Arbeitsmarktverhältnisse, aber auch im Hinblick auf die weitere demographische Entwicklung muss der Einsatz von Freiwilligen und Zivildienstleistenden weiterhin arbeitsmarkneutral erfolgen. Insoweit sollten Einsatzbereiche regelmäßig auf ihre Arbeitsmarktneutralität hin überprüft werden.

Zivildienst, Freiwilligendienste, Schule und Ausbildung
4. An der bisherigen Einsatzplanung für Zivildienstleistende einschließlich der Einverständniserklärungen zwischen Zivildienstleistenden und Einsatzstellen sollte weiterhin festgehalten werden. Sie beinhalten ein den Zivildienst kennzeichnendes Element wechselseitigen Konsenses. Gemeinsam mit der Kultusministerkonferenz (KMK), dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und den weiteren fachlich zuständigen Stellen in Bund und Ländern sollten Möglichkeiten geprüft werden, Studien- und Ausbildungsbeginn mit den Lebensplanungen der Betroffenen noch kompatibler zu gestalten (z. B. durch frühere Entlassung aus der Schule nach erfolgreicher Abiturprüfung, erweiterte Möglichkeiten zum Studienbeginn auch im Sommersemester sowie flexiblere Möglichkeiten zum Ausbildungsbeginn).

Entwicklung einer Kultur selbstverständlicher Freiwilligkeit
5. Für den Fall einer künftigen politischen Mehrheitsentscheidung zur Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht empfiehlt die Kommission einen Strukturwandel verbunden mit der Entwicklung einer Kultur selbstverständlicher Freiwilligkeit unter gleichrangiger Einbindung des „klassischen“ Vereins- und Verbandslebens. Zur Ermöglichung des Strukturwandels rät die Kommission zur vorsorglichen nochmaligen Prüfung der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit eines übergangsweisen „Auswahl-Wehrdienstes“ sowie eines „Auswahl- Zivildienstes“ in sozial- und gesellschaftspolitisch besonders wichtigen Einsatzbereichen. Dazu gehören – dem Zivildienst bislang fremde – Bedarfsfestlegungen und -berechnungen zu den Einsatzbereichen, die bei der Vergabe der so genannten Kontingente prioritär bedacht werden sollten (z.B. die Individuelle Schwerstbehindertenbetreuung und die Individuelle Schwerstbehindertenbetreuung von Kindern). Berücksichtigt werden sollten insbesondere Einsatzbereiche, in denen Aufgaben/Aufgabenfelder nur durch Freiwilligendienste bzw. bürgerschaftliches Engagement weiterhin abgedeckt werden können, um den Charakter und die Kultur dieser Tätigkeiten zu erhalten. Die im Zivildienst- und im Wehrpflichtgesetz genannten Dienste wie der Zivil- und Katastrophenschutz und der „Andere Dienst im Ausland“ sollten in die Entwicklung einer Kultur selbstverständlicher Freiwilligkeit einbezogen werden.

Förderung der europäischen Integration
6. Junge Männer, die anerkannte Kriegsdienstverweigerer sind, sollten in gleicher Weise wie junge Frauen die Möglichkeit haben, einen europäischen Freiwilligendienst zu leisten, und zwar ohne zusätzlichen Zeitverlust durch Wehr- oder Zivildienst. Ggf. entgegenstehende europäische Förderrichtlinien bedürfen der Überprüfung.

Lerndienst
7. Die Kommission begrüßt die zu Beginn dieser Legislaturperiode von den Regierungsparteien getroffene Vereinbarung, auch den Zivildienst zukünftig stärker als qualifizierenden Lerndienst auszugestalten. Sie betont, dass Zivil- wie Wehrdienst schon bisher maßgeblich zur Ausbildung des Gemeinsinns in der Gesellschaft beigetragen haben. Die Kommission empfiehlt zu prüfen, ob ein Strukturwandel vom Pflichtdienst zum Freiwilligendienst auch durch eine Annäherung der Lerninhalte beider Arten von Diensten begleitet werden kann. Ebenso wie bei den Freiwilligendiensten sollten auch beim Zivildienst fachliche Einweisung, fachbezogene Einführung, Begleitung, Reflexion und Supervision sowie ehrenamtliches Mentoring eng mit den konkreten Tätigkeitsbereichen verbunden werden, ohne dass dies zu einer weiteren Verkürzung der eigentlichen Einsatzzeiten führt.

8. Lernziele und curriculare Ausgestaltung der Tätigkeitsfelder sollten bei beiden Arten von Diensten so aufeinander bezogen sein, dass sie eine Qualifizierung mit entsprechender Dokumentation erlauben. Auf der Grundlage der positiven Erfahrungen z.B. im Rettungsdienst sollten weitere Möglichkeiten auch einer gemeinsamen fachlichen Schulung und Begleitung von Zivildienstleistenden und Freiwilligen, die in denselben Tätigkeitsfeldern eingesetzt sind, geprüft werden. Empfohlen wird außerdem zu prüfen, ob der Dienst mit berufsqualifizierenden Elementen in den jeweiligen Tätigkeitsbereichen angereichert werden kann, die das Ausstellen eines Zertifikats/qualifizierten Dienstzeugnisses erlauben. Darüber hinaus sollte geprüft werden, ob die Ableistung des Zivildienstes oder eines Freiwilligendienstes wie im Rettungsdienst auch im Pflegebereich bei entsprechender Zertifizierung im Rahmen einschlägiger späterer Ausbildungen angemessen anerkannt werden kann.

9. Für Jugendfreiwilligendienste und Zivildienst wie Wehrdienst sollte weiterhin ein jeweils spezifisches Bildungsangebot verbindlich sein. Die Qualifizierung sollte auch eine Reflexion auf die Zivilgesellschaft und das „Nachhaltige“ des Dienstes beinhalten sowie die Rolle der Engagierten gegenüber den Hauptamtlichen. Vor allem für Jugendliche sollte die Qualifizierung auch eine lebens- und berufsorientierende Komponente enthalten. Die Anleitung in den Einsatzstellen sowie begleitende altersangemessene Bildungsmaßnahmen innerhalb und außerhalb von Seminaren der Träger/Einsatzstellen sollten auch den Gender-Aspekt berücksichtigen. Das Zertifikat/qualifizierte Dienstzeugnis sollte nicht nur der Nachweis einer ununterbrochenen Lebens- und Bildungsbiografie sein, sondern auch ein Tätigkeits- und Kompetenznachweis, der im beruflichen Rahmen eine Entscheidungsgrundlage bilden kann. Es sollte neben den persönlichen Daten Angaben zu Zeitpunkt und Dauer des Dienstes, Träger/Einsatzstelle und konkretem Tätigkeitsfeld auch Angaben zu darüber hinausgehenden selbstständig geplanten/durchgeführten Projekten, eingebrachten/erworbenen persönlichen, fachlichen und Schlüsselkompetenzen, Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen enthalten.

Schule
10. Allgemein bildende, berufliche Schulen, sonderpädagogische Einrichtungen für schwerund schwerstbehinderte Kinder, aber auch Schulungsstätten für Freiwillige und Zivildienstleistende sollten sowohl Bildungs- als ggf. auch Einsatzorte für nachhaltiges soziales Engagement sein. Zivildienstleistende sind heute schon bzw. heute noch11 im Sonderschulbereich eingesetzt. Schule sollte mehr noch als bisher als früher Lern- und Einübungsort bürgerschaftlichen Engagements, aber auch als möglicher Ort für ein Miteinander der Generationen zum wechselseitigen Nutzen begriffen werden: Ebenso wie aus der Schule heraus z.B. Einsätze und Projekte in Seniorenheimen organisiert werden können, können Seniorinnen und Senioren sowie engagierte Menschen im mittleren Lebensalter Schulen (z.B. in der Schulbibliothek), Schülerinnen und Schülern (z.B. nachmittags in Grundschulen oder in Betreuungsangeboten freier Träger der Jugendhilfe) zur Seite stehen.

Anerkennung der Dienste junger Menschen
11. Für beide Dienstarten sollte eine über den bloßen Nachteilsausgleich hinausgehende neue Anerkennungskultur entwickelt werden. Dazu gehören die Möglichkeiten der Einführung eines Bonussystems bei Studienplatz- und Ausbildungsplatzvergabe, aber auch die Anerkennung geleisteter Dienste bei Bewerbungen und beruflichem Aufstieg in der Privatwirtschaft sowie die Berücksichtigung der bei der Ableistung sozialer Dienste gewonnenen Erfahrungen und Kenntnisse bei Einstellungen und Beförderungen im öffentlichen Dienst, soweit diese für die Ausübung der Tätigkeit in dem jeweiligen Bereich von Bedeutung sind. Für Zivildienstleistende (und Grundwehrdienstleistende) gilt dies entsprechend den Empfehlungen der Kommission „Gemeinsame Sicherheit und Zukunft der Bundeswehr“12 insbesondere im Falle eines übergangsweisen „Auswahl-Wehr- oder Zivildienstes“.

Neues Freiwilligendienstemodell
12. Die Empfehlungen unter Ziffern 12 bis 18 sind ein Versuch der Skizzierung eines neuen generationsübergreifenden Freiwilligendienstemodells, welches vor seiner eventuellen gesetzlichen Regelung noch der Differenzierung und Erprobung in der Praxis bedarf. In Anbetracht der demographischen Entwicklung, der Lebenserfahrung und der besonderen Potenziale der älteren Generation wird empfohlen, bei den neuen Freiwilligendiensten auch der Zielgruppe der älteren Menschen besondere Beachtung zu schenken. Es wird angeregt zu prüfen, ob ein freiwilliges Engagement von und für Seniorinnen und Senioren auch außerhalb ihrer Familien besonders gefördert werden sollte.

Unter Einbindung des klassischen Vereins- und Verbandslebens in die Entwicklung des neuen Modells sollten Freiwilligendienste generell künftig für alle Altersgruppen, für Frauen und Männer in der Erwerbs- wie in der Familienphase sowie generationsübergreifend angeboten werden, nicht zuletzt zur Ermöglichung eines neuen Miteinanders der Generationen.

Flexibilisierung der Freiwilligendienste und Einsätze
13. Die so definierten neuen generationsübergreifenden Freiwilligendienste müssen zeitlich wie inhaltlich flexibel für engagementbereite Menschen in ihren unterschiedlichen Lebensphasen gestaltet sein und zugleich die Interessen der Organisationen und Einrichtungen hinsichtlich Planbarkeit und Verbindlichkeit der Einsätze berücksichtigen. Um dem spezifischen Bildungsanspruch der Träger wie der Freiwilligen gerecht zu werden, erscheint eine Mindestdauer erforderlich, aus arbeitsmarktpolitischen Erwägungen kann auch eine Höchstdauer sinnvoll sein. (Unabhängig davon sind Gesamtumfang und Dauer ihrer finanziellen Förderung.) Generationsübergreifende Freiwilligendienste sollten länger dauern können als ein Jahr, in Vollzeit ausgeübt werden oder mit wenigen Stunden Zeiteinsatz in der Woche Beruf und Familie begleitend. In der Regel sollte eine Mindestdauer von drei zusammenhängenden Monaten mit mindestens 20 Wochenstunden und eine Höchstdauer von bis zu 24 Monaten bei Diensten im In- und Ausland eingehalten werden. Bei berufsbegleitenden Formen sollte jedenfalls eine entsprechende zeitliche Mindestanforderung festgelegt werden.

Aufgabenfelder
14. Die Aufgabenfelder sollten grundsätzlich nicht begrenzt, die Tätigkeiten selbst aber immer komplementär sein. Sie können weder Erwerbsarbeit noch schulische oder berufliche Bildung ersetzen. Neben den „klassischen“ Bereichen des Sozialen, des Umweltschutzes, der Friedens- und Versöhnungsarbeit, des Zivil- und Katastrophenschutzes, der Jugendarbeit in Kultur und Sport sowie der Entwicklungszusammenarbeit sollten prioritäre Aufgabenfelder Familien in lokalen Netzen, Kinderbetreuung, Schule, Migration, Selbsthilfe, Pflege und die Betreuung Behinderter, aber auch Projekte, Initiativen und Netzwerke der Engagementförderung sein. Diese Aufgabenfelder bieten spezifische Lebens- und Erfahrungskontexte. Familie und Schulen führen frühzeitig an bürgerschaftliches Engagement heran.

Trägerstrukturen neuer generationsübergreifender Freiwilligendienste
15. Anbieter von Freiwilligendiensten sollten öffentliche und freie Träger sowie gemeinwesenbezogene Unternehmen sein. Oberhalb des zweiseitigen Verhältnisses zwischen der Einsatzstelle und ihren Freiwilligen, das den konkreten Dienstalltag bestimmt, bilden die Träger eine dritte Ebene, auf der Aufgaben wie die nachfolgenden wahrgenommen werden, die die Einsatzstellen selbst je nach Größe und sonstigen Rahmenbedingungen regelmäßig überfordern dürften: Information und Beratung, Auswahl von Projekten und geeigneten Einsatzstellen, Gewinnung von Freiwilligen und neuen Zielgruppen, Unterstützung beim Konfliktmanagement, Setzung/Kontrolle von Mindeststandards, Qualitätssicherung und Zertifizierung, Bildungs-, Fortbildungs- und Begleitungsangebote, angemessene Absicherung der Freiwilligen, Vernetzung von Trägern und Einsatzstellen, Öffnung der Organisation für andere gesellschaftliche Bereiche, Aufbau von Partizipationsstrukturen, Förderung des intergenerationellen Austauschs und des internationalen, insbesondere des europäischen Dialogs, Schaffung von Übergängen zwischen generationsübergreifenden Freiwilligendiensten und anderen Formen bürgerschaftlichen Engagements. Alle oder einzelne der beschriebenen Aufgaben können auch von anderen übergeordneten Organisationsformen, z.B. Trägerverbünden, im zu definierenden Ausnahmefall von besonders geeigneten Einsatzstellen selbst wahrgenommen werden. Neben bundesweit etablierten Trägern/Einsatzstellen sollten vermehrt Organisationen auf der regionalen und lokalen Ebene für die Durchführung generationsübergreifender Freiwilligendienste gewonnen werden. Dies können auch lokale „klassische“ Vereine sein, deren Vereinsarbeit durch die Einbindung in das neue Freiwilligenmodell ggf. neu belebt werden könnte. Die anzuerkennenden Träger/Einsatzstellen sollten gemeinnützig sein, eine klare Organisations- und Rechtsform haben und im gesellschaftlichen Raum verankert sein. Sie müssen an Informations- und Austauschnetze angeschlossen und wirtschaftlich stabil sowie zuverlässig sein. Unter den Gesichtspunkten von Subsidiarität und Bürokratieabbau wird empfohlen zu prüfen, ob die Anerkennung in selbst organisierter Form erfolgen kann.

Schutz und soziale Sicherung bei neuen Freiwilligendiensten
16. Auch in neuen generationsübergreifenden Diensten dürfen Freiwillige durch ihr soziales Engagement nicht selbst in sozialer Hinsicht schlechter gestellt werden, als sie ohne ihr Engagement stünden (kein Verlust von Anwartschaften oder Schlechterstellungen beim Kindergeld, Erziehungsgeld, Arbeitslosengeld, der Waisen- oder Hinterbliebenenrente). Der Schutz vor Krankheit, Unfall und Invalidität und der Schutz vor Haftpflichtschäden (z.B. Schadenersatzverpflichtungen gegenüber betreuten Personen) ist je nach Lebens-, Berufs- und Familienphase unterschiedlich zu gestalten. Auch für die neuen generationsübergreifenden Freiwilligendienste sollte, soweit erforderlich und rechtlich möglich, Versicherungsschutz über die gesetzliche Sozialversicherung gewährt werden, subisidiär über Rahmenverträge der Bundesländer – was im Einzelfall zu prüfen ist – und der Träger der Dienste oder der Einsatzstellen. Für berufsbegleitende neue Freiwilligendienste sollte geprüft werden, inwieweit Elemente der gesetzlichen Schutzregelungen für bereits geregelte berufsbegleitende Dienste übernommen werden könnten.

Qualitätssicherung
17. Für die neuen generationsübergreifenden Freiwilligendienste sollen Träger und Einsatzstellen Qualitätsstandards und Verfahren zur Qualitätssicherung und kontinuierlichen Qualitätsverbesserung entwickeln. Zur Qualifizierung der Freiwilligen gilt das unter Ziffer 7 bis 9 Empfohlene auch für die Freiwilligendienste von Menschen im mittleren Lebensalter und älteren Menschen in dienst-, alters- und der Lebens- und Berufserfahrung angemessener Form.

Neue Anerkennungskultur für generationsübergreifende Freiwilligendienste
18. Generationsübergreifende Freiwilligendienste sollten sowohl in immateriellen Formen (z.B. durch Auszeichnungen und Ehrungen, Ehrenmitgliedschaften, Danksagungen, Gratulationen zu persönlichen Anlässen, Ehemaligenarbeit, Akzeptanz und Unterstützung durch Hauptamtliche, Mitbestimmungs- und Mitgestaltungsmöglichkeiten) als auch durch geldwerte und monetäre Formen (z.B. kostenlose Nutzung öffentlicher Einrichtungen und Verkehrsmittel, Freistellungen, Fort- und Weiterbildungsangebote, Aufwandsentschädigungen, Beitragszahlungen zur Haftpflicht- und Unfallversicherung, Gratifikationen etc.) durch Träger und Einsatzstellen besondere Anerkennung erfahren. Zur besonderen Anerkennung sozialer Dienste junger Menschen siehe oben Ziffer 11.

Umsetzung der Empfehlungen und Finanzierung
19. Gesetzliche Regelungen:
Ein Teil der oben vorgeschlagenen Maßnahmen zu den Pflicht- und Freiwilligendiensten für die jüngere Generation (z.B. die Angleichung der Dauer des Zivildienstes an die Dauer des Wehrdienstes, Nichtheranziehung von Freiwilligen, die einen Europäischen Freiwilligendienst leisten, Zulässigkeit von Vorpraktika/geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen in der späteren Einsatzstelle, Anerkennung und Zertifizierung) erfordern ergänzende oder klarstellende gesetzliche Regelungen. Änderungen des Zivildienstgesetzes und notwendige Folgeänderungen sollten nach Möglichkeit noch in dieser Legislaturperiode erfolgen. Für eventuelle Anpassungen der Gesetze zum freiwilligen sozialen und ökologischen Jahr sollten die Ergebnisse der Evaluierung der letzten Änderungen abgewartet werden. Soweit möglich sollte die Evaluierung auch die Empfehlungen dieser Kommission zu den neuen generationsübergreifenden Freiwilligendiensten in den Blick nehmen. Welcher Rahmen für die neuen generationsübergreifenden Freiwilligendienste angemessen und erforderlich ist, sollte in einem oder mehreren Modellvorhaben unter finanzieller Beteiligung aller Interessierten geprüft werden.

20. Finanzierung:
Bürgerschaftliches Engagement und seine Finanzierung sind eine gesellschaftliche Aufgabe. Bund, Länder und Gemeinden wie auch der 2. und 3. Sektor sind in der gesellschaftlichen Verantwortung, förderliche Rahmenbedingungen zur Stärkung der Bürgergesellschaft zu schaffen. Auf Bundesebene haben sich die Regierungsparteien im Koalitionsvertrag vom 16. Oktober 2002 ausdrücklich verpflichtet, auf der Grundlage der Handlungsempfehlungen der Enquete-Kommission „Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“ der letzten Legislaturperiode den Rahmen für Freiwilligendienste ggf. weiter zu entwickeln und weitere Initiativen zur Verbesserung des gesellschaftlichen Engagements zu starten.14 Die (Ko-) Finanzierung solcher Initiativen kann wie bisher über Förderpläne/Förderrichtlinien erfolgen. Als Finanzierungsgrundlage sollten auch Möglichkeiten von Schwerpunktsetzungen in geeigneten laufenden Programmen mit Bezügen zur Zivilgesellschaft, Freiwilligendiensten und Freiwilligenkorps geprüft werden. Eine von breiten gesellschaftlichen Kräften getragene „Stiftung für Freiwilligendienste“ könnte Bürgerinnen und Bürgern, die nicht selbst in Freiwilligendiensten mitwirken können oder wollen, die Möglichkeit eines zumindest finanziellen Engagements eröffnen.

Aus: Perspektiven für Freiwilligendienste und Zivildienst in Deutschland. Bericht der Kommission Impulse für die Zivilgesellschaft, Berlin, den 15. Januar 2004; (S. 7-13); auf die Wiedergabe der Fußnoten haben wir verzichtet.

Der Bericht kann hier direkt heruntergeladen werden:
http://www.bmfsfj.de/RedaktionBMFSFJ/GruppeZivildienst/Pdf-Anlagen/perspektiven-zivildienst-deutschland,property=pdf.pdf


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