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Eine "allgemeine Dienstpf1icht"? Warum wir NEIN dazu sagen!

Stellungnahme der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft zur Betreuung der Kriegsdienstverweigerer (EAK)

Im Nachgang zu dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 20. Februar 2002, mit dem die Vorlage des Landgerichts Potsdam zur Verfassungsmäßigkeit der allgemeinen Wehrpflicht für "unzulässig" erklärt wurde, ist die Frage einer "allgemeinen Dienstpflicht" für junge Männer und Frauen neu aufgeworfen und in etlichen Pres-sekommentaren befürwortet worden. Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts hat die Wahlmöglichkeit des Gesetzgebers unterstrichen, die grundlegende politische Entscheidung zwischen einer Wehrpflicht- und einer Freiwilligenarmee zu treffen. Weil ein Wegfall der Wehrpflicht auch zum Fortfall des Zivildienstes der anerkannten Kriegsdienstverweigerer führen würde, schafft allein diese Möglichkeit Verunsicherung vor allem bei Ein-richtungen im sozialen Bereich, die Zivildienstleistende beschäftigen. In der öffentlichen Diskussion über das Für und Wider der Wehrpflicht sind - wie bereits in früheren Jahren, aus anderen Anlässen - auch Stimmen aus den Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und SPD geäußert worden, die über eine allgemeine Dienstpflicht für alle jungen Erwachsenen "laut nachdenken". Diese wird neben ihrer Zubringerfunktion für militärische Zwecke als "Pflichtübung in Solidarität" oder als "Pflichtjahr zur Erziehung" junger Menschen gesehen, zivile Tätigkeiten in sozialen, ökologischen oder kulturellen Arbeitsfeldern auszuüben. Nach einer grundlegenden Überarbeitung unserer Verlautbarung von 1993 nehmen wir jetzt erneut Stellung mit einer aktualisierten Erklärung, die der EAK-Bundesvorstand in seiner Sitzung vom 13. Juni 2002 in Kassel beraten und verabschiedet hat.

Die Evangelische Arbeitsgemeinschaft zur Betreuung der Kriegsdienstverweigerer (EAK) lehnt einen allgemeinen Pflichtdienst eindeutig ab, weil er mit unseren Vorstellungen von einer freiheitlichen Demokratie unvereinbar ist. Ein erzwungener Pflichtdienst "für alle jungen Menschen" stößt auf friedensethische, politische, rechtliche, volkswirtschaftliche, historische und pädagogische Bedenken. Unsere Beteiligung an der Diskussion darüber begründen wir mit den jahrzehntelangen Erfahrungen, die die von den Gliedkirchen der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD) und den evangelischen Freikirchen beauftragten Seelsorger bei ihrer Begleitung von Kriegsdienstverweigerern und Zivildienstleistenden gesammelt haben.
Unsere Ablehnung fassen wir zunächst in acht kurzen Thesen zusammen. Daran schließt eine ausführliche Auseinandersetzung mit den Gründen an, die so oder ähnlich begründet von den BefürworterInnen eines solchen Dienstes wiederholt vorgetragen werden.

8 Punkte gegen eine allgemeine Dienstpflicht
  1. Pflichtdienste verhindern tendenziell die Qualifizierung und Anerkennung professionell in der Pflege tätiger Personen.
  2. Pflichtdienste sind ungeeignet, junge (wie ältere!) Menschen zu solidarischem Handeln anzuleiten, sie begün-stigen demgegenüber oft den Abschied von verantwortlichem Engagement.
  3. Pflichtdienste verschärfen das Problem der Dienstgerechtigkeit.
  4. Grundgesetz (Artikel 12) und Europäische Menschenrechtskonvention (Artikel 4) verbieten Zwangs- oder Pflichtarbeit. Die Idee einer allgemeinen Dienstpflicht wurde - außer im "Reichsarbeitsdienst" NS-Deutsch-lands - historisch nie aufgegriffen oder jemals zu praktizieren versucht.
  5. Pflichtdienste sind teuer; zurzeit werden nicht einmal für den Einsatz aller dienstpflichtigen Kriegsdienstverweigerer genügend Mittel bereitgestellt.
  6. Soziales Lernen erfordert pädagogisch begleitete Lernprozesse, die zu Eigenständigem, freiheitlichem Den-ken anregen: Pflichtdienste können das nicht leisten.
  7. Etwa ein Fünftel der Dienstpflichtigen (Wehr- und Zivildienstleistenden) braucht selbst intensive Betreuung, da sie mit erheblichen sozialen Problemen in den Pflichtdienst kommen.
  8. Pflichtdienste für Jugendliche mit deutschem Pass verstärken Vorurteile gegenüber Jugendlichen mit ausländischem Pass, die nicht zu einem Pflichtdienst gezwungen werden können.
Gedanken zur ausführlicheren Auseinandersetzung

Die BefürworterInnen sagen:
Eine allgemeine Dienstpflicht leistet im Blick auf den Pflegenotstand und die Umwelt einen Beitrag zur Deckung eines drängenden gesellschaftlichen Bedarfs, der anders nicht gedeckt werden kann.

Wir halten dagegen:
Schon jetzt hat die Ausweitung des Zivildienstes auf über 190.000 Zivildienstplätze, auf denen pro Jahr rd. 130.000 Zivildienstleistende einen 10-monatigen Dienst ableisten, negative Auswirkungen auf die sozialen und pflegerischen Berufe. Denn der stetig gewachsene Einsatz von Zivildienstleistenden (ZDL), von denen die meisten betreuerische und pflegerische Hilfstätigkeiten verrichten, hat seit über vier Jahrzehnten eine Entprofessionalisierung im Gesundheitswesen begünstigt. Lt. Angaben des Statistischen Bundesamts waren im Jahr 2001 in ganz Deutschland rd. eine Million Menschen als Personal (ohne Ärzte und Apotheker) in Krankenhäusern, Vorsorge- oder Rehabilitierungs-Einrichtungen tätig, davon rd. 450 000 als ausgebildetes Pflegepersonal. Zusätzlich befanden sich ca. 81.000 Schülerinnen und Schüler in Ausbildungsberufen zur Kranken-pflege.

Diese Angaben zeigen, dass bereits bisher sehr viele Dienstverpflichtete als unausgebildete Hilfskräfte im pflegerischen Bereich tätig sind. Wir befürchten, dass dies einer der Gründe dafür ist, dass in Pflegeberufen professionelle Arbeitskräfte bei der allgemeinen Einkommensentwicklung nicht mitgehalten haben und dass diese Berufe nicht die gewünschte Attraktivität besitzen. Dies würde noch erheblich verstärkt werden, wenn ganze Jahrgänge von rd. 800.000 jungen Männern und Frauen vorwiegend in diesem Sektor - für andere Bereiche würde dies ent-sprechend gelten - unausgebildet zu Pflichtdiensten eingesetzt würden. Demgegenüber fehlen im Freiwilligen Sozialen Jahr (FSJ) oder im Freiwilligen Ökologischen Jahr (FÖJ) Stellen, weil Zivildienstplätze bis heute staat-lich viel stärker gefördert werden und entsprechend billiger sind als Dienstplätze für freiwillige Helfer/innen. Wir sprechen uns für die Vermehrung freiwilliger Dienste anstelle von erzwungenen Diensten aus.

Die BefürworterInnen sagen:
Eine allgemeine Dienstpflicht führt zu einer höheren Mithilfebereitschaft junger Bürger und zu solidarischer Mit-verantwortung für das Gemeinwohl.

Wir entgegnen:
Bereitschaft zur Mitverantwortung zu fördern, ist ganz wichtig, aber der Weg über einen Zwangsdienst ist falsch. Zur Mitverantwortung muss durch Sinnstiftung und Überzeugung angeregt werden. Nicht die Zwangsdienste müssen erweitert werden, sondern die Möglichkeiten des freiwilligen sozialen Engagements. Dies kann durch den Ausbau des Freiwilligen Sozialen Jahres, des Freiwilligen Ökologischen Jahres und anderer freiwilliger Dienste in den Bereichen Soziales, Umwelt, Frieden, Menschen- und Bürgerrechte, Kultur und Sport geschehen. Diese Dienste können viel attraktiver gemacht werden als sie bisher sind, wenn sie aus dem Staatshaushalt auch nur annähernd finanziell so gefördert werden, wie bisher die militärischen und zivilen Zwangsdienste.
In diesem Zusammenhang fragen wir, warum die meistens lebensälteren Befürworter eines Pflichtdienstes stets nur ‚junge Menschen' in Pflicht nehmen wollen? Warum sollen ausgerechnet 18 bis 25 jährige Erwachsene zur vermeintlichen Lösung gesellschaftlicher Probleme verpflichtet werden, die zuvor in der Lebenszeit älterer Men-schen aufgekommen sind? Die solidarische Mitverantwortung von Seniorinnen und Senioren für das Allgemeinwohl darf nicht tabuisiert, sondern die soziale Erfahrung der Lebensälteren muss bei der Lösung gesellschaftlicher Probleme einen bedeutenden Stellenwert haben.

Die BefürworterInnen sagen:
Eine allgemeine Dienstpflicht kann das Problem mangelnder Dienstgerechtigkeit lösen.

Wir erwidern:
Eine allgemeine Dienstpflicht kann nur vorhandene Dienstungerechtigkeit verstärken und neue Probleme mit der Dienstgerechtigkeit schaffen. Schon bei rd. 400.000 Wehrpflichtigen sind heute große Probleme mit Tauglichkeit, Dienstbefreiungen, gesetzlichen und verwaltungsbedingten Dienstausnahmen sowie Zurückstellungen u. v. a. m. vorhanden. Sie sind Quelle ständiger Ungerechtigkeiten. Wie soll dies für rd. 800.000 Männer und Frauen, die pro Geburtsjahrgang anstehen, gerecht geregelt werden? Welcher neue, zusätzliche Behördenaufwand wäre nötig, um auch nur den Anschein des Bemühens um Dienstgerechtigkeit zu erwecken?

Die BefürworterInnen sagen:
Die allgemeine Dienstpflicht ist notwendig, weil Dienstleistende für soziale Dienstleistungen gebraucht werden.

Wir wenden ein:
Dienstpflichten, die mit erheblichen Einschränkungen der Grundrechte verbunden sind, darf der Staat nur in be-sonderen Notlagen von den Bürgern fordern. Deshalb verbieten sowohl das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland (Art. 12) als auch die Europäische Menschenrechtskonvention (Artikel 4) und darüber hinaus viele internationale Verträge die Zwangsarbeit. Diese Grund- und Menschenrechte dürfen nicht aufgegeben werden, wenn Deutschland sich nicht aus dem Konsens der zivilisierten Staaten verabschieden möchte.
Nicht zuletzt muss auch an den ,Reichsarbeitsdienst' während der Nazi-Diktatur erinnert werden: Nur dort hat es bisher einen Zwangsdienst im Sinne einer allgemeinen Dienstpflicht gegeben!

Die BefürworterInnen sagen:
Der Einsatz von Dienstverpflichteten ist betriebswirtschaftlich nützlich und volkswirtschaftlich sinnvoll.

Wir stellen dagegen:
Zwangsverpflichtete Arbeitskräfte gibt es im zivilen Leben üblicherweise nicht, Sträflinge oder Kriegsgefangene sind Menschen in besonderen Ausnahmesituationen und als Vorbilder für eine Dienstverpflichtung kaum geeignet. So weit durch deren Tätigkeit ein betriebswirtschaftlicher Nutzen für einen bestimmten Zeitraum entstehen kann, kommt die erbrachte Arbeitsleistung auch unter den Zwangsbedingungen nur durch ein bestimmtes Maß an freiwilliger Kooperation und durch Leistungsanreize (z.B. Bezahlung) zu Stande. Andernfalls wäre der Aufwand zur Durchsetzung des Zwangs (Möglichkeit zur Realisierung einer Strafandrohung) stets teurer als der Nutzen für den Betrieb.

Inzwischen gibt es vielfältige Berechnungen, dass der Einsatz der Zivildienstleistenden, der pro Jahr und ZDL rd. 8.000 Euro kostet, volkswirtschaftlich keineswegs billiger ist als die tarifliche Bezahlung entsprechender Hilfskräfte. Zudem wird der durch die Ableistung von Wehr- und Zivildienst verursachte Steuerausfall und der wirtschaftliche Schaden durch Verlust an Qualifikation in Ausbildung und/oder Beruf auf Milliardensummen beziffert. Gerade in Zeiten großer Arbeitslosigkeit sollten neue, tarifliche Arbeitsplätze für soziale Dienstleistungen geschaffen und nicht durch Zwangsverpflichtete verhindert werden! Der erforderliche Finanzaufwand, um rd. 800.000 junge Menschen jährlich in Pflicht zu nehmen, würde - nach sachkundigen Berechnungen - etwa bei 10 - 12 Milliarden Euro liegen: Kosten, denen kein vermittelbarer Nutzen gegenübersteht. Dagegen würde ein Bruchteil dieses Geldes genügen, um die Freiwilligenarbeit in ihren vielfältigen Formen optimal auszustatten oder zu fördern.

Die BefürworterInnen sagen:
Eine allgemeine Dienstpflicht kann der Tendenz zur gesellschaftlichen Entsolidarisierung und damit zur Herauslösung von gemeinsamer Verantwortung entgegenwirken. Individuelles Glücksstreben darf nicht oberster Maßstab sein.

Wir meinen demgegenüber:
Die Tendenz zu gesellschaftlicher Entsolidarisierung, die vor allem über Erziehung, Medien und bestimmte, sozial schwache Milieus vermittelt wird, kann durch eine erzwungene Dienstverpflichtung eher verstärkt als bekämpft werden. Denn wer zwischen Schulabschluss und Ausbildung zwangsweise zu einem sozialen oder einem anderen Dienst abkommandiert wird, kann die Ableistung eines solchen Pflichtdienstes durchaus als Abschied von seinen Pflichten gegenüber der Gemeinschaft ansehen und sich für künftige Enthaltsamkeit bei gesellschaftlichem Engagement entscheiden. Der Staat und die gesellschaftlichen Institutionen können engagierte Bürger/innen nur durch Überzeugungsarbeit gewinnen. In diesem Zusammenhang könnte eine Palette von sinnvollen Freiwilligendiensten - gegen ein angemessenes Entgelt (z.B. Lehrlingsvergütung) und weitere (Aus-)Bildungsanreize - durchaus geeignet sein, individuelles Glücksstreben mit gemeinsamer Verantwortung zu verbinden und gesellschaftliche Solidarität zu fördern.

Die BefürworterInnen sagen:
Mit einer allgemeinen Dienstpflicht kann ,soziales Lernen' stärker in die Gesellschaft eingebracht werden.

Wir geben zu Bedenken:
Der Gedanke einer allgemeinen Dienstpflicht gründet auf der Idee der Wehrpflicht und ist mit ihr unlösbar verbunden. Diese ist von militärischen Inhalten (Kampf gegen Menschen zu Lande, zu Wasser und in der Luft) und von militärischen Strukturen (Befehl-Gehorsam-Prinzip) geprägt, die sozialem Lernen entgegenstehen. Soziales Lernen, als ein gemeinschaftlicher, reflektierter und begleiteter Arbeits- und Lernprozess in Richtung sozialer Gestaltung des menschlichen Miteinanders, setzt dagegen eigenstän-diges freiheitliches Denken und Handeln voraus, das mit den für einen Pflichtdienst charakteristischen Befehl-Gehorsam-Strukturen unvereinbar ist.

Die BefürworterInnen sagen:
Die Schulpflicht ist ein Beleg für das Funktionieren einer "Dienst"verpflichtung.

Wir argumentieren dagegen:
Die Schulpflicht ist kein überzeugendes Beispiel. Denn die Schulpflicht dient als Mittel der Aufklärung, Chancengleichheit durchzusetzen. Die Entwicklung der Schulpflicht kann keine Dienstverpflichtung begründen. Die pädagogische Entwicklung führt zu einem gegenteiligen Ansatz: Moderne Pädagogik setzt auf Motivierung zu freiwilliger Kooperation aller Beteiligten. Diese ist notwendige Voraussetzung für jede sinnstiftende, ergebnisorientierte pädagogische Arbeit.

Die BefürworterInnen sagen:
Junge Frauen und - vor allem - junge Männer sollen soziale und caritative Tätigkeiten einüben: Emanzipation fängt nicht beim Militär, sondern "bei der Schnabeltasse" an.

Wir weisen darauf hin:
Mit guten Gründen dürfen Frauen nicht zum Militärdienst gezwungen werden. Die freiwilligen Beiträge von Frau-en zur Erziehung von Kindern, zur Pflege und Betreuung von Familienangehörigen und zur Gestaltung des sozialen Lebens sind nach wie vor enorm. Diese würden durch eine Dienstverpflichtung entwertet. Zwangsdienst und Emanzipation (= lat. Befreiung, Herausführung aus Sklaverei, Zwang, Knechtschaft!) schließen sich aus. Deshalb ist unseres Erachtens das Militär auch für emanzipatorische Bestrebungen von Frauen denkbar ungeeignet.
Infolge der Wehrpflicht für Männer können diese als anerkannte Kriegsdienstverweigerer anstelle des Militärdien-stes Zivildienst ableisten. Diese zivile Dienstverpflichtung mag oft zu nützlichen und wichtigen sozialen Erfahrungen in einer männlichen Biografie führen, sie kann und darf aber nicht verallgemeinert werden. Denn die Freiheit, zum Militärdienst Nein sagen zu können, ist ein starker Antrieb für eine motivierte zivile Dienstableistung vorrangig im sozialen Bereich. Würden aber ganze Jahrgänge mit einem unausweichlich erscheinenden Pflichtdienst - wo auch immer - konfrontiert, so würde dies mit Sicherheit die Frage in den Vordergrund rücken, wie dieser erzwungene Zeitverlust vermieden werden kann, insbesondere, wenn er für Ausbildung und Beruf nutzlos ist. Die Vermeidungsneigung würde einer motivierten Dienstableistung entgegenstehen oder ihr zumindest sehr abträglich sein.

Ganz davon abgesehen: Welche sinnvollen Aufgaben sollen 800.000 junge Menschen erfüllen können, wie werden sie begleitet, d.h. an ihren Dienstplätzen eingewiesen, in die Tätigkeitsfelder eingeführt, am Arbeitsplatz und außerhalb der Dienstzeit begleitet, weitergebildet, welche Qualifizierungsmöglichkeiten werden ihnen während und außerhalb des Pflichtdienstes angeboten u. v. a. m.? Fragen, die schon bei einem ‚überschaubaren' Angebot von wenigen tausend Freiwilligenplätzen nicht einfach zu beantworten sind, geschweige denn, dass daraus (finanzierbare) Aufgaben werden.

Die BefürworterInnen sagen:
Freiwilligendienste sind gut für wenige Menschen, die bereits engagiert sind. Aber uns geht es um die Inpflichtnahme möglichst vieler Menschen, einschließlich der Trägen und Faulen.

Wir setzen dagegen:
Versuche, Menschen zu ihrem vermeintlichen Glück zu zwingen, sind seit Menschengedenken gescheitert. Auch staatlicher Zwang wird unmotivierte oder motivationsschwache Menschen nicht verbessern können. Die Behauptung, bei einem attraktiven Angebot von freiwilligen Diensten fänden sich nicht genügend junge (oder auch ältere!) Menschen zu solchen Diensten bereit, ist unbewiesen, weil bis heute entsprechend attraktive Angebote niemals gemacht worden sind: Die geistige Engführung und geradezu zwanghafte Fixierung von weiten Teilen unserer Gesellschaft auf Zwangsdienste als ,Heilsbringer' - wie die Debatte um eine allgemeine Dienstpflicht erneut belegt - hat bisher in Deutschland zivile und freiheitliche Entwicklungen im Umgang mit Militär und Friedensförderung weithin ausgeschlossen.

Die BefürworterInnen meinen:
Dienstpflichten werden problemlos akzeptiert und reibungslos durchgeführt.

Wir wissen demgegenüber:
Die staatlichen Pflichtdienste schaffen zahlreiche Probleme: Jede Einberufung ist ein gravierender Einschnitt, der die zivile Lebensplanung "durcheinander bringen" kann. Sozialwissenschaftliche Studien über Wehrpflichtige und über Zivildienstleistende haben ergeben, dass etwa 20% der Dienstpflichtigen mit erheblichen sozialen Defiziten (Motivationsschwächen oder -störungen bis hin zu Verhaltensauffällligkeiten, Suchtprobleme, Neigungen zu Aggression und/oder Depression) in den jeweiligen Dienst kommen, obwohl sie "wehrdienstfähig" gemustert worden sind. Sie brauchen selbst soziale und pädagogische Zuwendung und Betreuung, statt dass sie diese untereinander praktizieren oder für andere Menschen und Tätigkeiten aufbringen können. Die nötige Zuwendung und Betreuung erhalten sie an ihren Tätigkeitsplätzen und in ihren Beschäftigungsstellen nur selten, wie wir aus unseren Erfahrungen in der Zivildienstseelsorge, aber auch aus kollegialen Kontakten zur Militärseelsorge wissen. Die seelsorgerliche Betreuungsarbeit ist in Einzelfällen oft hilfreich, sie kann aber stets nur wenige erreichen und - schon bei ca. 250.000 Dienstleistenden pro Jahr - den großen Bedarf kaum decken.

Abschließend muss ein weiterer Gesichtspunkt erwähnt werden, der mit zu erwartender wachsender Dienstungerechtigkeit stärker an Bedeutung gewinnen wird: Neid auf diejenigen, die - aus legitimen oder aus schwer nachvollziehbaren Gründen - keinen Pflichtdienst zu leisten brauchen, stattdessen ihre Ausbildung fortsetzen oder im Beruf Geld verdienen: Ausgemusterte mit gesundheitlichen Problemen, Frauen und ausländische MitbürgerInnen. Der Versuch, durch eine Ausdehnung der Dienstpflicht dem Neidgefühl entgegenzuwirken, würde - wie oben dargelegt - zwangsläufig fehlschlagen und zum Gegenteil führen, nämlich Vorurteile und Ausgrenzung gegen derart "Privilegierte" verstärken. So würde unterschwelliger oder offen geäußerter Groll und Hass nur geschürt, statt sie zu vermeiden und zu bekämpfen. Dies ist in einer freiheitlichen Demokratie nur mit freiheitlichen, zwanglosen Mitteln möglich: nämlich durch Förderung von Freiwilligendiensten.

Kassel, den 13. Juni 2002

Bundesvorstand:
Vorsitzender: Bischof i.R. Dr. Christoph Demke (Berlin)
Stellvertreter: Pfarrer Hans Michael Germer (Darmstadt); Pastor Joachim Zierau (Hannover)
Beisitzer: Pädagoge Thomas Franke (Düsseldorf); Pfarrer Walter Großke (Kassel); Gemeindepädagoge Detlef Harland (Sondershausen); Pfarrer Friedhelm Schneider (Speyer); Pastor Holger Teubert (Ostfildern); Pfarrer Velten Wagner (Nürnberg);
Geschäftsführer: Günter Knebel (Bremen)

EAK-Bundesvorstand, D-28209 Bremen, Tel.: 0421-34 40 37; www.eak-online.de


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