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Radikal pazifistisch

Militärgegner wollen neue Strukturen zur Totalen Kriegsdienstverweigerung aufbauen

Von Jörg Eichler *

Die Totale Kriegsdienstverweigerung war in Deutschland nie eine Massenbewegung. Aber es gab Zeiten, wo es durchaus eine größere Öffentlichkeit dafür gab. Die sind seit einigen Jahren vorbei. Strukturen haben sich weitgehend aufgelöst. Eine kleine Gruppe will nun einen Neuanfang versuchen.

In den letzten Jahren ist es ruhig geworden um das Thema der Totalen Kriegsdienstverweigerung. Bei einem Vernetzungstreffen von Betroffenen und Aktivisten am vergangenen Wochenende in Frankfurt am Main stand der Aufbau neuer Strukturen im Vordergrund, um diesem Trend etwas entgegenzusetzen. Oliver Steinbach hat das Treffen nach vierjähriger Pause organisiert. Der 21-Jährige hat seine Totalverweigerung selbst noch vor sich, die Einberufung zum Zivildienst ist ihm für November dieses Jahres angekündigt. »Von der Anzahl der Teilnehmer war ich zunächst etwas enttäuscht«, meint Steinbach - nur rund ein Dutzend Totalverweigerer hatte es nach Frankfurt geschafft. Dennoch sieht er das Treffen als Erfolg. »Es ist wichtig, dass die derzeit Aktiven Erfahrungen austauschen und sich untereinander vernetzen.«

Internationale Bewegung

Seitdem es Militär und Wehrpflicht als Zwangsrekrutierung gibt, gab es immer auch Menschen, die sich durch Desertion und Verweigerung entzogen oder offen widersetzten - auch im Nachkriegsdeutschland, auf beiden Seiten der innerdeutschen Grenze. Während bis dahin politisch motivierte Totalverweigerer weitgehend auf sich gestellt waren, entstanden ab etwa Mitte der 70er Jahre international Totalverweigerer-Bewegungen, so auch in Deutschland: Im Osten unter dem Namen »Freundeskreis Wehrdiensttotalverweigerer« (FWTV), im Westen zunächst unter dem Titel »Kollektiver gewaltfreier Widerstand gegen Militarismus« (KGW), eine Gruppe, die seit 1976 den libertär-pazifistischen KGW-Rundbrief verbreitete und ab 1984 das unter dem Titel »Ohne uns« (OU) erscheinende Nachfolgeblatt herausgab.

Die Totale Kriegsdienstverweigerung, kurz TKDV, blieb zwar auch weiterhin eine individuell geprägte Aktionsform radikaler Kriegsgegnerschaft, zu einer Massenbewegung hatte sie - zumindest in Deutschland - nie das Zeug. Dennoch nahm bis Ende der 90er Jahre sowohl der Grad der Vernetzung unter den Aktiven als auch die Wahrnehmung der Totalverweigerung als politische Aktionsform und Widerstand gegen die Wehrpflicht in der Öffentlichkeit stetig zu. Dabei waren sowohl die Zeitschrift »Ohne uns« als auch die jedes Jahr stattfindenden Bundestreffen mit teilweise 60 bis 80 Teilnehmern Motoren dieser Bewegung. In vielen Städten gründeten sich regionale Totalverweigerer-Gruppen, von denen einige über viele Jahre hinweg, also vor allem über die persönliche Betroffenheit hinaus, aktiv blieben. Auch auf internationaler Ebene wurden Kontakte geknüpft, etwa im Rahmen der War Resisters' International (WRI).

Seit etwa 2001 ging die Zahl der Verweigerer und damit auch ihre politische Bedeutsamkeit erkennbar zurück. Das erscheint auf den ersten Blick widersprüchlich, fehlte es doch angesichts der neuen deutschen Außenpolitik eigentlich nicht an »guten Gründen« für eine radikale Kritik an Krieg und Militär. Die Ursachen für den Einbruch sind vielfältig. Erheblichen Einfluss hatten zum einen äußere Faktoren. Eine Reihe von Totalverweigerern wurde nach einer Absenkung der Altersgrenze gar nicht erst einberufen. Zwischen 2003 und 2005 gab es sogar einzelne Fälle, in denen die Ankündigung einer Totalverweigerung dazu führte, dass Wehrbehörden zusagten, den Betreffenen nicht einzuziehen.

Auch Veränderungen auf parteipolitischer Ebene machten es der kleinen Bewegung schwer: Bis Ende der 90er Jahre war zumindest punktuell eine Zusammenarbeit mit den Grünen möglich. Spätestens mit ihrem Regierungseintritt 1998 und der deutschen Beteiligung am Kosovo-Krieg war es damit endgültig vorbei. Während seitdem ein Auslandseinsatz dem nächsten folgt und Krieg - auch wenn dieser selten so genannt wird - wieder als legitimes Mittel deutscher Politik gilt, stießen Totalverweigerer in den großen Medien immer weniger auf Interesse.

Kriegsbefürworter auch in der Linken

Aber auch in der außerparlamentarischen Linken war radikale Kriegsgegnerschaft längst nicht mehr Konsens. Bereits im Zuge des Kosovo-Krieges, spätestens aber durch die Terroranschläge vom 11. September 2001 erhielten kriegsbefürwortende Positionen starken Auftrieb. Eine pazifistische Grundhaltung wurde schnell als »antiamerikanisch« oder »antisemitisch« diffamiert. Die TKDV-Bewegung begann ebenfalls zu bröseln. Das »Ohne uns« erschien unregelmäßiger, verlor seine Bedeutung als eine der »Wirbelsäulen« der Bewegung und wurde Anfang 2005 eingestellt. Unregelmäßiger wurden auch die Bundestreffen. So sie noch stattfanden, kamen immer weniger Teilnehmer. Beim letzten Treffen 2005 in Dresden war Begräbnisstimmung angesagt: Neben knapp 20 bekannten Gesichtern waren lediglich drei aktuell noch Betroffene anwesend. Das Treffen wurde deshalb bis zum Anbrechen »besserer Zeiten« ausgesetzt.

Damit scheint es nun so weit zu sein. Seit knapp zwei Jahren sind wieder mehrere Fälle von Totalverweigerung bekannt geworden, mit leicht steigender Tendenz, wenn auch nur im einstelligen Bereich. Einige suchen bewusst die Öffentlichkeit, um so ihrer Totalverweigerung über den jeweiligen Einzelfall hinaus eine politische Dimension zu geben. Dennoch haben es TKDVer schwer, aus ihrem Einzeldasein herauszutreten. Vor allem, weil überregionale Strukturen praktisch nicht existieren. Teilweise erfahren sie zwar Unterstützung durch lokale Soligruppen, die sich mehr oder minder spontan aus ihrem persönlichen und/oder politischen Umfeld zusammenfinden, aber eben auch genauso schnell wieder zerfallen, wenn der Prozess oder der Bundeswehrarrest vorbei sind.

Angesichts der schlechten Ausgangslage ist es daher für Detlev Beutner schon ein Erfolg, »dass nach vierjähriger Pause überhaupt wieder ein bundesweites Treffen stattgefunden hat«. Beutner hat schon Anfang der 90er Jahre totalverweigert und ist seitdem in der TKDV-Initiative Frankfurt am Main aktiv. Die nächsten Ziele sind vorsichtig gewählt. Zunächst geht es an den Aufbau neuer Informationsstrukturen. So soll die Homepage von »Ohne uns« vollständig überarbeitet und zu einer zentralen Plattform für Totalverweigerung werden. Dies soll Aktiven künftig ein stabileres Umfeld für ihren radikalen antimilitaristischen Protest bieten.

* Aus: Neues Deutschland, 19. Juni 2009


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