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START-Folgevertrag bis April?

Neue Runde russisch-amerikanischer Verhandlungen in Moskau

Von Irina Wolkowa, Moskau *

Barack Obamas Sicherheitsberater James Jones und der Vorsitzende des Vereinigten Komitees der Stabschefs, Mike Muller, sitzen seit Donnerstag in Moskau mit am Tisch, um über ein Folgeabkommen für den Vertrag zur Begrenzung strategischer Offensivwaffen (START) zu verhandeln.

Bei den Verhandlungen geht es um Ober- und Untergrenzen für Langstreckenraketen und Kernsprengköpfe ebenso wie um Kontrollmechanismen, die die Einhaltung der Abmachungen durch beide Seiten sicherstellen sollen.

Dass Obama für den Feinschliff gleich zwei ranghohe Unterhändler in Marsch setzte, werten russische Experten als Zeichen dafür, dass der Durchbruch beim Verhandlungsmarathon nicht mehr fern ist. Zwar hatten sich die Präsidenten Barack Obama und Dmitri Medwedjew schon im Juli 2009 in Moskau darauf verständigt, ein Folgeabkommen für den START-1-Vertrag, der am 5. Dezember auslief, noch vor Jahreswechsel unter Dach und Fach zu bringen. Das Vorhaben scheiterte jedoch an gegenseitigem Misstrauen, das sich unter ihren Vorgängern aufgebaut und dafür gesorgt hatte, dass die russisch-amerikanischen Beziehungen ihren Tiefstand seit Ende des Kalten Krieges erreichten.

Als neuer Termin für eine Unterzeichnung wird jetzt April angepeilt, wenn in New York die zweite Verifizierungskonferenz zum Atomwaffensperrvertrag stattfindet. So sagte es jedenfalls Washingtons Botschafter John Beyrle in einem Interview für Radio »Echo Moskwy«.

Beide Seiten haben strenges Stillschweigen über den Verlauf der Verhandlungen bis zu deren erfolgreichem Abschluss vereinbart. Was dennoch bisher durchsickerte, lässt den Schluss zu, dass es derzeit vor allem noch bei den Kontrollmechanismen klemmt. Washington will den Zugriff auf die Flugbahndaten neuester russischer Raketen bei Teststarts. Die USA haben dem derzeit nichts Gleichwertiges entgegenzusetzen und wollen ihre Arsenale erst nach 2020 modernisieren. Russland lehnt die Übermittlung ab und besteht außerdem auf ein Junktim zwischen Angriffs- und Verteidigungswaffen (Raketen und Raketenabwehr), das Washington ablehnt.

Jetzt kommt offenbar Bewegung in die festgefahrenen Verhandlungen. Sowohl die USA als auch die NATO sind nach Worten von Botschafter Beyrle bemüht, Russland in die Entwicklung einer neuen gemeinsamen Raketenabwehr einzubinden. Von konkreten Ergebnissen ist man laut Beyrle noch weit entfernt, Möglichkeiten der Zusammenarbeit werden indes bereits diskutiert. Das beweise, dass beide Präsidenten zum Durchbruch entschlossen sind.

Wie fragil das Vertrauen dennoch ist, machte am Donnerstag ein Sprecher der Baltischen Flotte deutlich. Demzufolge solle diese mehr U-Boote und Flugzeuge bekommen, vor allem aber mit neuen Präzisionswaffen ausgestattet werden. Begründet wurde dies mit den Plänen Polens, eine Batterie US-amerikanischer »Patriot«-Raketen nicht, wie ursprünglich vorgesehen, in der Nähe von Warschau, sondern in den masurischen Wäldern - 100 Kilometer von der russischen Grenze entfernt - zu stationieren. Das russische Verteidigungsministerium korrigierte wenig später: Wegen der Stationierung der »Patriots« in Polen sei keine Aufstockung der Ostseeflotte geplant. »Sämtliche Umrüstungsmaßnahmen bei der Flotte« seien vielmehr »planmäßig«.

* Aus: Neues Deutschland, 22. Januar 2010


Warten auf den Neustart

Von Olaf Standke **

Noch immer wartet man im Kreml auf den von USA-Präsident Obama versprochenen Neustart in den russisch-amerikanischen Beziehungen. Ein wichtiges Element sollte dabei das Nachfolgeabkommen für den im Dezember vergangenen Jahres ausgelaufenen START-Vertrag zur Verringerung der strategischen Offensivwaffen sein. Doch die Verhandlungen sind längst zur Hängepartie geworden. Wieder einmal wurde jetzt die entscheidende Runde ausgerufen. Allerdings war die Begleitmusik schrill: Erst teilte Warschau mit, dass man US-amerikanische Boden-Luft-Raketen vom Typ Patriot nur 60 Kilometer von der russischen Exklave Kaliningrad entfernt stationiert wolle. Sie sind die Washingtoner Kompensation für das von der neuen Administration abgeblasene Raketenabwehrprojekt in Polen. Postwendend war aus Moskauer Militärkreisen zu hören, dass man die unweit der polnischen Küste stationierte Ostsee-Flotte in den kommenden Jahren erheblich aufrüsten werde.

Auch wenn noch gestern offiziell dementiert wurde, zeigt der Vorgang, wie fragil die Verhältnisse weiter sind. Wobei der ausbleibende neue Abrüstungsvertrag eben nicht isoliert steht. Er ist Teil eines sensiblen politisch-militärischen Beziehungsgeflechts. Da stört es Moskau etwa erheblich, dass die USA ihre modifizierten Raketenabwehr-Pläne im Dunkeln lassen. Im Gegenzug kündigte man an, zur Wahrung des Kräftegleichgewichts weiter nukleare Offensivwaffen entwickeln zu wollen. Tiefes Misstrauen und die jeweiligen geostrategischen Interessen verhindern so auch nach einem Jahr Obama eine wirkliche Annäherung zwischen beiden Ländern.

** Aus: Neues Deutschland, 22. Januar 2010 (Kommentar)


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