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Stärkste Militarisierung in Nahost

Wachsende Waffenimporte

Von Olaf Standke *

Wie die Jerusalemer Zeitung »Haaretz« jetzt berichtete, soll Israel so schnell wie möglich sechs Senkrechtstarter vom Typ V-22 Osprey von den USA erhalten. Diese High-Tech-Flugzeuge seien nicht nur schnell, sie brauchten auch keine Landebahn und könnten das Radar unterfliegen – ideal, um etwa Elitereinheiten bis weit hinein nach Iran zu transportieren, für einen Angriff auf Atomanlagen zum Beispiel. Die Kosten des Projekts samt Training und Bodenpersonal liegen bei einer halben Milliarde Dollar; finanziert wird es aus der US-amerikanischen Militärhilfe für Israel.

Die Meldung passt ins Bild, das das Internationale Konversionszentrum Bonn (BICC) in seinem soeben veröffentlichten Globalen Militarisierungsindex 2013 zeichnet: Der Nahe und Mittlere Osten bleibt die am stärksten aufgerüstete Region der Welt. Lagen die Militärausgaben 2000 noch bei 80 Milliarden US-Dollar, waren es im Vorjahr 128 Milliarden; eine Steigerung von 60 Prozent. Mit Israel (Platz 1), Syrien (5), Jordanien (6) und Kuwait (10) finden sich vier Länder unter den »Top 10«, Oman (11) und Saudi-Arabien (13) folgen dichtauf. Die hohe Militarisierung zeigt sich u.a. im Verhältnis zwischen Militärausgaben und Bruttoinlandsprodukt, das in einigen Staaten deutlich über sieben Prozent und damit weit über dem weltweiten Schnitt von etwa 2,5 Prozent liegt. Aber auch in Asien beobachten die Wissenschaftler vor dem Hintergrund vieler ungelöster Territorialkonflikte und gegenseitiger Sicherheitsbedrohungen eine besorgniserregende Militarisierung.

Rüstungsimporte aus aller Welt würden in Nahost zur weiteren Destabilisierung beitragen, wie BICC-Experte Jan Grebe betont. Das könne dazu führen, dass sowohl innere als auch äußere Konflikte wie in Syrien gewaltsam ausgetragen werden. Auch die Bundesrepublik, die weltweite Nr. 3 unter den Waffenlieferanten, hat da ihren Anteil. So hat sich der Genehmigungswert deutscher Waffenlieferungen in die Golfregion von 570 Millionen Euro 2011 auf 1,42 Milliarden Euro 2012 mehr als verdoppelt. Wie dieser Tage bekannt wurde, will etwa Saudi-Arabien unbedingt U-Boote kaufen. Zunächst gehe es um fünf Boote der Klasse 209 im Wert von 2,5 Milliarden Euro. Langfristig sei der Erwerb von bis zu 25 U-Booten gewünscht. Ungeachtet der scharfen Kritik an geplanten Panzerlieferungen für Riad soll das Bundeskanzleramt im Sommer in einem Brief an das Königshaus auch hier eine rasche, wohlwollende Prüfung zugesagt haben.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 8. November 2013


Der Globale Militarisierungsindex (GMI) 2013 des BICC

Von Jan Grebe **

Was ist der Globale Militarisierungsindex (GMI)?

Der Globale Militarisierungsindex (GMI) bildet das relative Gewicht und die Bedeutung des Militärapparats eines Staates im Verhältnis zur Gesellschaft als Ganzes ab. Der GMI erfasst dazu mehrere Indikatoren, um den Grad der Militarisierung eines Landes darzustellen:
  • Militärausgaben im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) und den staatlichen Gesundheitsausgaben (Anteil am BIP);
  • Gesamtzahl von (para)militärischem Personal und Reservisten im Verhältnis zur Zahl der Ärzte und zur Gesamtbevölkerung;
  • Anzahl der schweren Waffensysteme im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung [1].
Der GMI stützt sich u.a. auf Zahlen des Stockholmer Friedensforschungsinstitut SIPRI, des Internationalen Währungsfonds (IWF), der Weltgesundheitsorganisation (WHO), des International Institutes for Strategic studies (IISS) und eigene Erhebungen des BICC. Das Gesamtranking zeigt die Militarisierung von 153 Staaten seit 1990. Er wird jährlich durch das BICC aktualisiert.

Das vorliegende Update des GMI 2013 basiert auf Daten des Jahres 2012 (d.h. die aktuellsten vorliegenden Zahlen) und umfasst 149 Staaten [2]. Der GMI des BICC wird durch das Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) gefördert.

Globale Militarisierung: Die Spitzenplätze

Dass sich mit Israel, Syrien, Jordanien und Kuwait vier Länder des Nahen und Mittleren Ostens unter den Top 10 des GMI befinden, spiegelt die hohe Militarisierung dieser konfliktreichen Region wider. Hinzu kommt, dass mit Ausnahme Katars auch alle anderen Staaten dort immerhin unter den Top 40 rangieren. Diese hohe Militarisierung trägt zusammen mit der allgemeinen Aufrüstung durch Rüstungsimporte aus aller Welt zur weiteren Destabilisierung der Region bei und kann dazu führen, dass sowohl innere als auch äußere Konflikte, wie beispielsweise in Syrien, gewaltsam ausgetragen werden.

In den TOP 10 behaupten aber auch einige europäische Staaten wie Russland und Zypern ihre Positionen. Zyperns Stammplatz in der Spitzengruppe geht vor allem auf den seit Jahrzehnten ungelösten Konflikt zwischen der griechischen und der türkischen Bevölkerungsgruppe auf der Insel zurück. Während Aserbaidschan schon in den Vorjahren hoch platziert war, ist Armenien [3] dieses Jahr neu hinzugekommen. Der forcierte Aufbau militärischer Kapazitäten im Kaukasus wird von einer hitzigen diplomatischen Rhetorik und der Gefahr eines militärischen Wiederaufflackerns des langjährigen Konflikts um Nagorny Karabach begleitet.

Mit Singapur und Südkorea gehören auch zwei asiatische Staaten zu den zehn höchst militarisierten Ländern der Welt. Die Platzierung des kleinsten Staates Asiens, Singapur, ist der Spezifik seiner Sicherheitsstrategie der „Total Defence“ zuzuschreiben. Südkoreas Militarisierung hingegen steht im Zusammenhang mit dem Bedrohungsszenario durch Nordkorea, über dessen vermutlich extrem hohen Militarisierungsgrad keine verlässlichen Daten vorliegen.

Regionale Aufrüstung im Blickpunkt: Naher und Mittlerer Osten

Nirgendwo in der Welt wird so massiv aufgerüstet wie im Nahen und Mittleren Osten. Israel (GMI: Platz 1) sowie die arabischen Staaten Syrien (GMI: Platz 5), Jordanien (GMI: Platz 6), Kuwait (GMI: Platz 10), Oman (GMI: Platz 11) und Saudi-Arabien (GMI: Platz 13) gehören zu den am stärksten militarisierten Ländern der Region. Die hohe Militarisierung zeigt sich unter anderem am Verhältnis der Militärausgaben zum Bruttoinlandsprodukt, das in einigen Staaten der Region deutlich über sieben Prozent und damit weit über dem weltweiten Durchschnitt von etwa 2,5 Prozent liegt (zum Vergleich: In Deutschland beträgt das Verhältnis etwa 1,4 Prozent).

Die Militärausgaben im Nahen und Mittleren Osten weisen eine deutliche Aufwärtskurve auf. 2012 lagen sie bei 128 Milliarden US-Dollar, während es im Jahr 2000 noch 80 Milliarden US-Dollar waren – immerhin eine Steigerung von 60 Prozent.

In der Region gibt es eine vergleichsweise hohe Konzentration schwerer Waffensysteme [4]. Noch immer verfügt Syrien über die größte Anzahl, gefolgt von Ägypten (GMI: Platz 26) und Israel.

Die Golfmonarchien, allen voran Saudi-Arabien, investieren Milliardensummen in die Beschaffung neuer Waffen, die sie größtenteils mangels eigener Rüstungsindustrie importieren. Allein 2011 beauftragte die Regierung Saudi-Arabiens US-Rüstungsunternehmen mit der Lieferung von Kampfflugzeugen und anderen Rüstungsgütern im Wert von 60 Milliarden US-Dollar. Saudi-Arabien treibt der Ehrgeiz an, die eigene Rolle als regionales Schwergewicht auszubauen und zu untermauern. Im Zentrum der Beschaffungsvorhaben stehen strategische Waffen wie Raketen und Kampfflugzeuge, die ermöglichen auch entfernte Ziele innerhalb der Region anzugreifen. Treibender Faktor hinter diesen Geschäften dürfte die Rivalität mit dem Iran sein, gegen den es eine Drohkulisse aufzubauen gilt.

Insgesamt ist im Nahen und Mittleren Osten die Anzahl der Soldaten im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung in den einzelnen Staaten hoch. Neben dem Iran (GMI: Platz 28) haben Ägypten und der Irak (GMI: Platz 40) beachtliche Streitkräfte. Die Golfmonarchien hingegen besitzen nur kleinere Militärapparate, die gleichzeitig aber stark hochgerüstet und häufig gut trainiert sind.

Militarisierung in Asien und Ozeanien

Die zunehmende Militarisierung in der Region vollzieht sich vor dem Hintergrund einer Vielzahl ungelöster Territorialkonflikte, gegenseitiger Sicherheitsbedrohungen und Rivalitäten zwischen einzelnen Staaten. Zwar bewegen sich die Militärausgaben im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt bei den meisten Staaten häufig auf einem moderaten Niveau, in absoluten Zahlen sind die Militärausgaben zuletzt aber stark angestiegen.

Dabei nimmt China (GMI: Platz 83) in Bezug auf die Militärausgaben nicht nur weltweit, sondern auch in Asien einen Spitzenplatz ein. Es ist allein für 40 Prozent der gesamten Militärausgaben in der Region verantwortlich. Zusammen kam der Kontinent 2012 auf 382 Milliarden US-Dollar, während es im Jahr 2000 noch 202 Milliarden US-Dollar waren. Dies bedeutet eine Steigerung von 89 Prozent. Die Tendenz zur Aufrüstung macht sich auch daran fest, dass Indien (GMI: Platz 73), China, Pakistan (GMI: Platz 46), Südkorea (GMI: Platz 7) und Singapur (GMI: Platz 2) in den letzten Jahren zu den weltweit größten Rüstungsimporteuren gehörten.

Durch hohe Investitionen in die Modernisierung der Waffenarsenale steigerten Staaten in Asien die Zahl konventioneller Großwaffensysteme. China sticht bei der Anzahl schwerer Waffensysteme hervor und dominiert mit Abstand den gesamten asiatischen Raum [5]. Südkorea bleibt angesichts des andauernden Konflikts mit Nordkorea ein hochgerüsteter Staat.

Die ungelösten Territorialkonflikte im ost- und südchinesischen Meer beeinflussen insbesondere die Anschaffung maritimer Waffensysteme. Zahlreiche Staaten sehen in der Stärkung der chinesischen Streitkräfte ein Bedrohungspotenzial und streben daher eine Modernisierung ihrer Seestreitkräfte an. So forciert nicht nur China den Bau und den Kauf neuer U-Boote, sondern auch Vietnam (GMI: Platz 21), Südkorea, Japan (GMI: Platz 111), Australien (GMI: Platz 72) und Indonesien (GMI: Platz 91) erwerben neue U-Boote oder planen deren Anschaffung. China verfügt mit Abstand über die größte Armee in der Region und hat gemessen an der Anzahl der Soldaten auch die weltweit größten Streitkräfte. Sie verfügen jedoch über keinerlei Kampferfahrung und wären nur begrenzt in der Lage komplexe Operationen fernab des eigenen Territoriums durchzuführen. Auch Indien verfügt mit 1,35 Millionen Soldaten über ein beachtliches Militär.

Mit der Modernisierung der Waffenarsenale und der Veränderung der Bedrohungsszenarien planen viele Staaten eine Professionalisierung und in diesem Zuge auch eine teilweise Verkleinerung ihrer Streitkräfte.

Fußnoten
  1. Eine genauere Beschreibung der Methode findet sich unter: Grebe, Jan. 2011. Der Globale Militarisierungsindex (GMI) – Der Nutzen des GMI zur Bewertung der Entwicklungsorientierung von Staaten und regionaler Militarisierung. Occasional Paper, Februar 2011, BICC: Bonn. http://www.bicc.de/oldsite/ uploads/pdf/publications/papers/occ_paper_07/occasional_paper_VII_02_11_deu.pdf
  2. Der GMI 2013 wurde für alle zurückliegenden Jahre neu berechnet. Daher ergeben sich Veränderungen gegenüber früheren Jahren.
  3. Seit 2013 werden für Armenien auch Reservisten erfasst, weshalb das Land im Vergleich zu zurückliegenden Jahren deutlicher höher platziert ist.
  4. Gepanzerte Fahrzeuge, Artillerie , Kampfflugzeuge , Großkampfschiffe
  5. Es ist anzunehmen, dass Nordkorea zahlenmäßig über ein noch größeres Arsenal schwerer Waffen als China verfügt. Verlässliche Angaben dazu sind jedoch nicht vorhanden.
** Der ganze Bericht - er enthält eine Reihe von Tabellen und Schaubildern - kann hier heruntergeladen werden: www.bicc.de [externer Link]




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