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Z.B. Bremen und Kassel

Rüstungsproduktion und Rüstungsindustrie in Deutschland

Von Lühr Henken *

Häufig benutzte Abkürzungen:
BwPl: Bundeswehrplan
FAZ: Frankfurter Allgemeine Zeitung
NZZ: Neue Zürcher Zeitung
SuT: Strategie und Technik


Bis zum nächsten Jahr will die Bundesregierung einen in diesem Ausmaß bisher nicht da gewesenen Umbau der Bundeswehr abgeschlossen haben. Die Bundeswehr wird in drei völlig neue Kategorien unterteilt. Der Zweck: ihr neue Offensivkraft zu verleihen. Sie wird unterteilt in sogenannte Eingreif-, Stabilisierungs- und Unterstützungskräfte, die jeweils aus Verbänden aller drei Teilstreitkräfte gebildet werden:
  • 35.000 Mann „Eingreifkräfte“. Das sind Hightech-Soldaten mit entsprechender Ausrüstung für die schnellen Eingreiftruppen von EU und NATO. Sie unterliegen der so genannten Vernetzten Operationsführung
  • 70.000 Mann „Stabilisierungskräfte“ sind für längerfristige Einsätze vorgesehen, also KFOR, ISAF, UNIFIL etc.. Von ihnen sollen 14.000 gleichzeitig in Einsätze geschickt werden können. Zurzeit sind es 7225 in 9 Einsätzen. (Stand 10.7.09) Sie sind in sieben Ländern auf drei Kontinenten und zwei Weltmeeren unterwegs.
  • 210.000 Soldaten und ziviles Personal „Unterstützungskräfte“.
Dabei hat die Umorientierung weg von der Landesverteidigung hin zur weltweiten Interventionsfähigkeit für die Bundeswehr höchste Priorität. Die Regierung definiert im Weißbuch vom Oktober 2006 zwei zentrale Herausforderungen. Erstens: die Bekämpfung des internationalen Terrorismus und zweitens: die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, die auch in die Hände von Terroristen gelangen können. (Weißbuch, S. 16) Im Weißbuch wird auch allgemein das Interesse an der „Sicherheit der Energieinfrastruktur“ (Weißbuch, S. 19) genannt. Wie die Gewährleistung dessen aussehen soll, hat die CDU/CSU-Bundestagsfraktion genauer festgelegt: In ihrer „Sicherheitsstrategie für Deutschland“ vom Mai 2008 heißt es: „Die Herstellung von Energiesicherheit und Rohstoffversorgung kann auch den Einsatz militärischer Mittel notwendig machen, zum Beispiel zur Sicherung von anfälligen Seehandelswegen oder von Infrastruktur wie Häfen, Pipelines, Förderanlagen etc..“ (CDUCSU-Sicherheitsstrategie, S. 6) Spätestens bei den Förderanlagen wird es kriminell. Denn es sind nicht die einheimischen gemeint.

Die Europäische Union will sich bis zum nächsten Jahr eine Schnelle Eingreiftruppe schaffen, die unter anderem rund 400 Kampfflugzeuge und 100 Kriegsschiffe umfassen und spätestens nach 60 Tagen vor Ort sein soll. Von den 80.000 Soldaten dafür stellt Deutschland das größte nationale Kontingent aller Staaten: 18.000 Mann. Die Speerspitze dieser EU-Truppe sollen jeweils zwei superschnelle Einsatztruppen bilden. Diese sogenannten Battlegroups, jeweils 1.500 Mann stark, können schon innerhalb von fünf Tagen am Einsatzort sein. Ihr Einsatzradius: 6.000 km um Brüssel und zwar „vor allem in Afrika“. Jeweils zwei Battlegroups stehen pro Halbjahr Gewehr bei Fuß. Die Bundesregierung hat für acht der bisher zugesagten 22 Battlegroups Kontingente angemeldet. Das ist die höchste Anzahl aller EU-Staaten. In vieren hat sie die Führung inne. Das ist die größte Führungsübernahmebereitschaft. Deutschland beteiligt sich also in höchstem Maße an der Militarisierung der EU.

Auch die NATO hat sich eine Schnelle Eingreiftruppe zugelegt: die 25.000 Mann starke NATO Response Force (NRF). Sie kann binnen sieben Tagen weltweit zum Einsatz gebracht werden. Die Bundeswehr ist hier mit bis zu 6.200 Mann beteiligt. Auch hier stellt Deutschland das größte nationale Kontingent aller NATO-Staaten. Allerdings gibt es seit geraumer Zeit erhebliche Schwierigkeiten bei den USA und auch anderer Staaten, „die versprochenen Beiträge an Truppen und Material“ in Bereitschaft zu halten. Deshalb will man von einer ständigen Bereitschaftshaltung wegkommen und nur noch eine Kerntruppe aus „wenigen sofort abrufbaren Spezialeinheiten“ vorhalten, „eine Art Vorhut mit Kampftruppen, Fernmeldern und Nachschubsoldaten,“ (Der Spiegel, 17.9.2007) die bei Bedarf aufgefüllt werden.

Ergo: Der Umbau der Bundeswehr dient dazu, in den schnellen Eingreiftruppen in EU und NATO diese hervorragende Präsenz zu haben.

Dafür sind kostspielige Waffensysteme und Ausrüstungen bestellt und beschafft worden. Eine Folge davon: In diesem Jahr soll der Verteidigungshaushalt um 6,75 Prozent angehoben werden. Das ist der höchste prozentuale Anstieg nach Ende der Blockkonfrontation. Der Anstieg ist vor allem auf die Steigerung der Ausgaben für neue Waffen und Ausrüstungen zurückzuführen. Denn die steigen in diesem Jahr um satte 17,9 Prozent auf 5,6 Mrd. Euro. Nach NATO-Kriterien wird Deutschland in diesem Jahr 34 Mrd. Euro für das Militär ausgeben – inklusive der 500 Mio. Euro aus dem Konjunkturpaket II.

Rüstungsstandort Bremen

In Bremen befinden sich fünf Rüstungsbetriebe von bundesdeutschem, zum Teil europäischem, ja zwei sogar von weltpolitischem Rang. Weltrang haben die Satellitenfirma OHB und die Firma Atlas Elektronik. Von europäischem Rang ist Rheinmetall Defence Electronics. Die Friedrich Lürssen Werft und EADS Airbus stellen wichtige Komponenten her. Bremen ist eine Rüstungshochburg. Die Rüstung dient dem Aufbau des deutschen Anteils an den Schnellen Eingreiftruppen von EU und NATO und dem Rüstungsexport. Ich will in aller Kürze beschreiben, was diese fünf Bremer Rüstungsfirmen im Wesentlichen diesbezüglich herstellen.

Atlas Elektronik

Die Atlas Elektronik GmbH ist vor allem bekannt als der „weltweit führende Elektronik-Ausstatter von U-Booten“ (FAZ 16.9.2005) und Weltmarktführer bei Minenjagdsystemen. Darüber hinaus werden in seinem Werksteil Wedel/Holstein Torpedos aller Art hergestellt. Seine Mitarbeiterzahl gibt Atlas mit 1.800 an, davon in Bremen 1.330. Atlas gibt seinen Exportanteil mit „über 80 Prozent“ an. Mehr als 50 Prozent des Umsatzes wird mit U-Booten von HDW erzielt. HDW hat bei konventionell angetriebenen U-Booten seit längerem einen Weltmarktanteil im Export von 80 Prozent. Der Renner bei HDW sind die U-Boote mit dem revolutionären Brennstoffzellenantrieb, der sie extrem leise macht. Sie sind die kampfstärksten nicht-atomar angetriebenen U-Boote überhaupt. Weil sie leiser sind als US-amerikanische Atom-U-Boote und ununterbrochen bis zu drei Wochen lang unter Wasser bleiben können und dabei bis zu 20.000 km zurücklegen, sind sie nur von wenigen Marinen von NATO-Staaten ortbar. Diese außenluftunabhängigen U-Boote sind sehr gefragt und werden auch in Krisengebiete exportiert, so nach Israel und Süd-Korea. Auch Pakistan will drei und Südkorea weitere sechs. Für die Türkei wurde vor Kurzem die Lieferung von Materialpaketen für die Herstellung von sechs dieser U-Boote abgeschlossen. Atlas liefert dafür die Elektronik, wie z.B. das Sonar aber auch die Schwergewichtstorpedos.

Atlas Elektronik - Eigentümer

Die Eigentümer von Atlas sind seit Januar 2007 ThyssenKrupp und EADS im Verhältnis 51 zu 49 Prozent. Atlas war der fehlende Mosaikstein im von ThyssenKrupp aufgestellten Marine-Systemhaus. ThyssenKrupp Marine Systems (TKMS) besitzt mit Blohm+Voss in Hamburg, den Nordseewerken in Emden, HDW in Kiel und dessen Töchtern Kockums in Schweden und Hellenic Shipyards in Griechenland einen europäischen Werftenverbund. Das Systemhaus hat knapp 9.000 Beschäftigte und macht einen Umsatz von rund 1,7 Mrd. Euro jährlich. ThyssenKrupp ist damit die Nr. 2 der deutschen Rüstungsindustrie, weltweit Nr. 39 im Jahr 2007. Der Auftragsbestand reichte nach einer Veröffentlichung aus dem Jahr 2005 damals noch rund 11 Jahre und umfasst zehn Milliarden Euro (FAZ 23.12.2005). Nach dem Verkauf von Atlas an ThyssenKrupp/EADS resümierte die FAZ: „Nach dem Zuschlag für Atlas führt der Düsseldorfer Konzern (ThyssenKrupp) das erste komplett aufgestellte Marine-Systemhaus in Europa.“ Was jetzt kommt ist wichtig: „Seine Chancen, bei der erforderlichen Konsolidierung der noch 21 europäischen Marinewerften als Kristallisationspunkt zu wirken, haben sich erheblich verbessert.“ (FAZ 23.12.2005) Nach Ansicht des damaligen Wirtschaftsministers Glos sichert der Zusammenschluss ThyssenKrupp/EADS „die führende Rolle Deutschlands im internationalen Wettbewerb für Überwasserschiffe und konventionelle U-Boote.“ (www.ngo-online.de)

Rheinmetall Defence Electronics (RDE)

Die Firma Rheinmetall Defence Electronics (RDE) in Bremen gehört zur Rheinmetall AG Düsseldorf. Die Rheinmetall AG fußt auf zwei Säulen: Autozulieferung und Rüstung. Die Rüstungssparte nennt sich Rheinmetall Defence. Rheinmetall Defence sieht sich selbst als „führendes europäisches Systemhaus für Landstreitkräfte.“ (Homepage Rheinmetall) Die Bremer Abteilung Rheinmetall Defence Electronics setzte 2007 etwa 400 Mio. Euro um, was knapp ein Viertel des Rüstungsumsatzes der Rheinmetall AG ausmacht.

Die Produktpalette von RDE in Bremen ist sehr umfangreich. Ich möchte daraus drei Rüstungsprojekte hervorheben: Die Drohnen KZO, das Großprojekt „Infanterist der Zukunft - Erweitertes System“ (IdZ-ES), und Anteile am Military Airbus A 400 M. Alle drei Projekte sind für die Ausrüstung der Bundeswehr für die weltweite Interventionsfähigkeit wichtig.

Kleinfluggerät Zielortung (KZO)

Die Drohne „Kleinfluggerät Zielortung“, abgekürzt KZO, klingt harmlos, ist es aber ganz und gar nicht. KZO ist Bestandteil der Artillerie und dient der Entdeckung, Identifizierung und genauen Lokalisierung von feststehenden und beweglichen Objekten. KZO wird auf Suchflugpfade programmiert. Bilder vom überflogenen Gebiet, die mit dem Infrarotsuchkopf erzeugt werden, können noch aus einer Entfernung von bis zu 100 km empfangen werden. Die Bundeswehr hat davon sechs Systeme für 339 Mio. Euro bei RDE gekauft. Ein System besteht aus zehn Drohnen plus zwei Bodensystemen. Somit sind 60 KZO im Bestand der Bundeswehr. Ab August wird das KZO der Bundeswehr in Afghanistan zur Verfügung stehen. KZO steht im Zusammenhang mit dem System "Infanterist der Zukunft".

Infanterist der Zukunft (IdZ)

Um die Bedeutung des Systems „Infanterist der Zukunft“ zu erfassen, muss ich ein wenig ausholen. Die Infanteristen der Bundeswehr werden seit langem im Häuser-, Straßen- und Stadtkampf ausgebildet. Gelehrt wird Aufstandsbekämpfung in besetzten Ländern. Dem System „Infanterist der Zukunft“ wird in diesen Kampfeinsätzen künftig eine Schlüsselfunktion zugedacht. Mit dem Ende der Umstrukturierung der Bundeswehr 2010 wird es ca. 11.000 Infanteristen geben. Sie sind in 15 Bataillonen zusammengefasst. Dass sind vor allem Fallschirmjäger, Gebirgsjäger und Panzergrenadiere. Zurzeit sind insgesamt etwa 2170 Infanteristen der Bundeswehr mit dem Basissystem IdZ ausgerüstet.

2006 kam die Bremer Rheinmetall Defence Electronics ins Spiel: Insbesondere, um die Infanteriegruppe in das System der „Vernetzten Operationsführung“ einzubinden und auch eine weitere Leistungssteigerung zu erzielen, ist RDE als gesamtverantwortliche Firma beauftragt worden, ein technisches Gesamtkonzept des Erweiterten Systems (IdZ-ES) zu entwickeln.

Was ist „Vernetzte Operationsführung“? Sie wird in der Bundeswehr als „Kernelement ihrer Transformation“ (Weißbuch, S. 92) begriffen. Die so genannten Eingreifkräfte der Bundeswehr unterliegen der „vernetzten Operationsführung“. Die 35.000 Soldaten der „Eingreifkräfte“ werden – wie gesagt - den Schnellen Eingreiftruppen der NATO und der EU zugeordnet. „Vernetzte Operationsführung“ bedeutet, so steht es im Weißbuch, man schafft „einen alle Führungsebenen übergreifenden und interoperablen Informations- und Kommunikationsverbund. Dieser verbindet alle relevanten Personen, Truppenteile, Einrichtungen, Aufklärungs- und Waffensysteme.“ (Weißbuch, S. 92) Von zentraler Bedeutung ist dabei, dass jeder auf seinem Display gleichzeitig dasselbe Lagebild hat. Der Zweck der Sache: Die Beschleunigung der Entscheidungsfindung, was den entscheidenden Vorteil im Krieg bringen soll. Umgesetzt werden soll das insbesondere mit einem System von unbemannten Flugkörpern (Drohnen), die für die Aufklärung eingesetzt werden.

Insbesondere vom Verbund mit der Drohne KZO erwartet man sich bei RDE Wunder bezüglich der Anbindung des IdZ-ES an die „Vernetzte Operationsführung“. Das KZO, als fliegendes (Infrarotlicht-)Auge über dem Gefechtsfeld soll künftig auch Videolivebilder von überflogenem Gebiet übertragen. Bilder können sowohl der IdZ-ES-Truppe als auch jeder Führungszentrale live zugänglich gemacht werden und das KZO wäre durch die Infanteriegruppe selbst steuerbar. Das Ganze soll künftig auch mit Kampfdrohnen verkoppelt werden können. Das ist die als machbar bezeichnete Zukunftsvision von RDE.

Bis 2014 – so die Planung – sollen 8070 Bundeswehrsoldaten mit dem IdZ-ES ausgerüstet werden.

Airbus A400M

Im Juli 2005 erhielt RDE den Auftrag, für alle bisher bestellten 192 Military Airbusse A 400 M die Frachtraumelektronik zu liefern. Sie dient dem Lademeister zur sicheren und effektiven Beladung und Entladung des Transportflugzeugs. Über die von RDE hergestellte „Lademeisterstation [..] wird beispielsweise eine der Hauptaufgaben des A400M, das Absetzen von Transportgut aus der Luft, gesteuert.“ (Homepage Rheinmetall) Ende 2012 sollten planmäßig 12 von insgesamt 60 Airbus A 400 M an die Bundeswehr geliefert sein, so dass damit eine vorläufige Einsatzbereitschaft gewährleistet sein würde. Jedoch sind aus technischen Gründen erhebliche Verzögerungen eingetreten, die derzeit von EADS mit drei bis vier Jahren angegeben werden. Andere gehen von fünf Jahren aus, so dass gegenwärtig mit dieser Einsatzbereitschaft erst in den Jahren 2016 /2017 zu rechnen ist. (Lange, S. 3) Das wird sich auf den Preis auswirken. Zurzeit 9,3 Mrd. Euro. Die A 400 M werden als Schlüsselprojekt für den strategischen Lufttransport eigens so konstruiert, dass einer entweder zwei Kampfhubschrauber Tiger oder einen Transporthubschrauber NH-90 oder einen Schützenpanzer Puma oder einen GTK Boxer oder 116 Soldaten mit Ausrüstung weltweit transportieren kann. Fallschirmspringer und Lasten können während des Fluges abgesetzt werden.

Friedrich Lürssen Werft (FLW)

Die Friedrich Lürssen Werft an der Lesummündung in die Weser besteht seit 1875 und gilt als Wiege der deutschen Schnellboote. Sie baute für die Kaiserliche Marine Torpedo-Schnellboote und für den Hitler-Faschismus zwischen 1939 und 1945 weit über 200 Schnellboote mit Spitzengeschwindigkeiten bis zu 45 Knoten. Ab 1957 wurden für die Bundesmarine wieder Schnellboote gebaut. Die Lürssen Werft ist insbesondere erfolgreich im militärischen Exportgeschäft mit Schnell-, Patrouillenbooten und Korvetten.

In den letzten vier Jahrzehnten hat Lürssen über 264 Boote ins Ausland geliefert. 70 % ihrer Schiffe gehen ins Ausland. (Rhades, in: ami, S. 40) Dabei zählt sie mit über 1000 Beschäftigten (davon 680 in Vegesack und Lemwerder, September 2005, Tholen, S. 31) lediglich zu den mittelgroßen deutschen Marinewerften nach TKMS, die als Großwerft gilt. Der Familienbetrieb – in der vierten Generation – wird von den beiden Vettern Friedrich und Peter Lürssen geleitet. Das Managermagazin gab 2006 den Umsatz der Privatwerft mit „circa 500 Millionen Euro“ an. (Manager-Magazin, 17.3.2006) Davon ist etwa die Hälfte Rüstung. Die Bedeutung der Lürssen-Werft wird durch die Tatsache unterstrichen, dass Friedrich Lürssen dem Ausschuss Verteidigungswirtschaft im Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) vorsteht.

Um die deutsche Marinerüstung einzuordnen, hilft ein Blick auf die Globalstrategie der deutschen Marineführung. Kurz gesagt: Sie konzentriert sich auf fremde Küstengewässer und auf das Land dahinter. Warum? Das Einsatzkonzept umriss der 2004 im Führungsstab der Marine dafür Zuständige, Kapitän zur See Mannhardt: „Die Marine muss befähigt sein, langandauernd sowohl auf offener See als auch in f r e m d e n (Herv. L.H.) Küstengewässern durchsetzungsfähig operieren zu können. [...] und sie „muss [...] zur präzisen Bekämpfung von Landzielen auch auf größere Distanz von der Küste befähigt sein.“ (Mannhardt, S. 50) D.h. es steht nicht mehr Küstenverteidigung im Vordergrund, sondern die weltweite Angriffsfähigkeit. Der deutsche Marineinspekteur Nolting drückt sich so aus: „Die See wird zu einem Wirkraum, der nicht mehr durch die unmittelbare Küstenlinie selbst begrenzt wird, sondern weit darüber hinaus ins Hinterland reicht, um so die Unterstützung von Landoperationen zu ermöglichen.“ Landkrieg von See. Warum? Das erklärt der Marineinspekteur: „Über den möglichen Schutz ziviler Schifffahrt in gefährdeten Regionen hinaus, müssen wir die Weltmeere auch als größtes militärisches Aufmarsch- und Operationsgebiet begreifen. Nach Schätzung von Experten werden 2020 über 75 Prozent der Weltbevölkerung innerhalb eines nur 60 km breiten Küstenstreifens leben. Wir reagieren auf diesen Umstand, indem wir unsere Marine aktuell zu einer ‚Expeditionary Navy’ weiterentwickeln. Wir müssen Fähigkeiten entwickeln, die uns künftig die Teilhabe an teilstreitkraftgemeinsamen und multinationalen Szenarien bis in entfernte Randmeerregionen ermöglichen.“ (Nolting, Strategie und Technik, SuT, April 2007)

Korvetten

Dass dies nicht nur blanke Theorie ist, zeigte sich spätestens am Bau neuartiger Korvetten. Über sie ist im Weißbuch zu lesen: „Mit den Korvetten K 130 verbessert die Marine künftig ihre Durchsetzungs- und Durchhaltefähigkeit. Diese Eingreifkräfte der Marine werden zur präzisen Bekämpfung von Landzielen befähigt sein und damit streitkräftegemeinsame Operationen von See unterstützen.“ (Weißbuch S. 124) Die Korvetten werden den so genannten Eingreifkräften zugeordnet, die – wie gesagt – aufgebaut werden für die Schnellen Eingreiftruppen von EU und NATO.

Fünf Korvetten wurden bisher von der Arbeitsgemeinschaft Korvette K 130, bestehend aus ThyssenKrupp Marinesystems und Lürssen für 1,5 Milliarden Euro hergestellt und ordnungsgemäß getauft. Lürssen hat sämtliche fünf Achterschiffe gebaut und zwei Schiffe wurden sogar in Bremen getauft. Die Korvetten haben Tarnkappeneigenschaften und sind jeweils mit vier Marschflugkörpern bestückt, die aus über 200 km Entfernung gestartet auch an Land treffen können. Sie sind extrem störsicher und ermöglichen der deutschen Marine damit sogar Überraschungsangriffe.

Das Typ-Schiff Braunschweig und die Magdeburg sind inzwischen in Dienst gestellt. Die anderen Indienststellungen sollten eigentlich in diesem Jahr erfolgen. Jedoch legte eine Schraube die Korvette Oldenburg lahm, indem sie einen großen Getriebeschaden verursachte. Weil bei der Gelegenheit Konstruktionsfehler festgestellt wurden, erhalten nun alle fünf Korvetten ein neues Getriebe, so dass derzeit davon ausgegangen wird, dass erst Mitte 2011 alle Korvetten einsatzfähig sein werden.

Schon heute wird das Nachfolgeprojekt geplant. Im Bundeswehrplan 2009 tauchte bereits eine Korvette K 131 für die Zeit nach 2016 auf. Marineinspekteur Wolfgang Nolting spricht sogar von sechs neuen Korvetten (Interview Europäische Sicherheit 9/2007, S.4), die die Schnellboote ablösen sollen. Es ist davon auszugehen, dass wieder Lürssen am Bau beteiligt wird.

Fregatten

Die deutsche Marine verfügt zurzeit über 15 Fregatten (8 F 122, 4 F 123, 3 F 124). Darauf gehe ich jetzt nicht näher ein. Werfen wir lieber einen Blick in die Zukunft.

Grünes Licht gab der Bundestag bereits im Juni 2007 für einen neuen Fregattentyp: die F 125. Vier Kriegsschiffe sollen von 2014 bis 2017 für die sogenannten Stabilisierungskräfte beschafft werden. Sie sind noch größer als ihre Vorgänger. Die F 125 ist „für langjährige weltweite Einsätze auch in rauen Seegebieten“ (SuT, November 2005, S. 61) konzipiert. Ein neues Konzept sieht vor, dass diese Kriegsschiffe ununterbrochen zwei Jahre lang auf See bleiben können. Wie das? Die Besatzungen werden alle vier Monate ausgewechselt. Die F 125 sollen der „asymmetrischen Kriegführung“ und der Unterstützung von Spezialkräften dienen. Marineinspekteur Nolting schrieb über die F 125: „Eine Stärke liegt dabei in der Fähigkeit, Operationen in einem Einsatzland mit Waffenwirkung von See zu unterstützen.“ (SuT, April 2007, S.14) Also wieder Beschuss von See an Land – wie bei den Korvetten. Als Bewaffnung sind u.a. ein (127-mm-)Geschütz mit einer Reichweite von bis zu 23 km und ein Mehrfach-Raketenwerfer vorgesehen. Über dessen Reichweite ist nicht entschieden. Reichweiten bis 100 km sind in der Diskussion. Die Fregatten werden von der Arbeitsgemeinschaft F 125 gebaut, die aus TKMS und Lürssen besteht. TKMS hat die Federführung. Der Stückpreis liegt derzeit bei 675 Mio. Euro (Bundeswehrplan 2009, BwPl09, S. 73).

Einsatzgruppenversorger (EGV)

Ein Tochterunternehmen von Lürssen ist die Krögerwerft in Schacht-Audorf bei Rendsburg, mit 250 Beschäftigten. Sie hat gemeinsam mit der Flensburger Schiffbau Gesellschaft die beiden Einsatzgruppenversorger (EGV) BERLIN und FRANKFURT AM MAIN gebaut. Die EGV sind mit 20.000 t die größten deutschen Marineschiffe nach 1945. Ihr Einsatz erhöht die landungebundene Stehzeit der Einsatzgruppe von 21 auf 45 Tage, so dass Dauer und Reichweite der Einsätze buchstäblich weltweit ausgedehnt werden können. Am 17. Dezember 2008 gab der Bundestag grünes Licht für den 3. EGV. Er soll 2012 fertig sein. Lürssen ist wiederum an der Arbeitsgemeinschaft beteiligt.

Preis und Herstellergruppe für den 3. EGV haben einen Beigeschmack. Zur Geschichte: Die beiden ersten EGV kosteten jeweils 130 Millionen Euro. Der 3. EGV soll 350 Mio. Euro kosten, obwohl er „im wesentlichen als Nachbau des 1. Loses geplant“ ist. (Baudirektor Brückner) Die öffentlich diskutierte Ursache für die exorbitante Preiserhöhung ist die Monopolstellung des Anbieters. Und wer hat ein Monopol? Die eigens gegründete Arbeitsgemeinschaft EGV, die aus den vier Werften Krögerwerft, der Flensburger Schiffbau Gesellschaft (beide haben gemeinsam das erste Los hergestellt), dann der Peenewerft in Wolgast und TKMS in Emden besteht. Die vier Werften hatten sich geweigert, im Wettbewerb gegeneinander anzutreten und waren lediglich bereit, ein gemeinsames Angebot vorzulegen. Als Preis hatte der Bundeswehrplan 2009 dafür noch lediglich 245 Mio. Euro veranschlagt (BwPl09, S. 76). Nun sind es 100 Mio. Euro mehr geworden. Daraus lässt sich schließen, dass Regierung und Bundestag erpressbar sind.

EADS Airbus Bremen

Das Bremer Airbuswerk am Flughafen ist, so zu lesen auf dessen Homepage, „maßgeblich an der Entwicklung und Fertigung der A 400 M beteiligt.“ In Bremen ist demnach „der deutsche Anteil des Programmmanagements für die A400M angesiedelt.“ (Homepage EADS) Für die bestellten 192 Military Airbusse sollen in Bremen sämtliche Rümpfe montiert und ausgerüstet werden, auch mit dem Fracht-Ladesystem. Auch die Landeklappen werden in Bremen gefertigt. Die Rümpfe werden zur Endmontage nach Sevilla gebracht. Allerdings ist in Bremen die Produktion der Rümpfe bereits nach fünf Prototypen im April 2008 gestoppt worden. Der Grund: Zunächst sollten Probeflüge abgewartet werden, (Der Spiegel, 10.11.2008, S. 18) die jedoch wegen der technischen Probleme bisher nicht stattgefunden haben. Airbus gibt für Bremen eine Mitarbeiterzahl von 3200 an. 2006 war aus dem Hamburger Abendblatt zu entnehmen, dass „allein in Bremen 1080 Mitarbeiter am Projekt (A400M, d. Verf.) beteiligt“ (Hamburger Abendblatt, 25.7.2006) seien.

OHB-Technology AG

Die Bremer Firma Orbitale Hochtechnologie Systeme, kurz OHB Technology AG, im Technologiepark bei der Uni ist ein extrem expandierendes Unternehmen. Es versiebzehnfachte seinen Umsatz von 2001 nach 2008 von 15 Mio. auf 260 Mio. Euro. Womit? Die Firma ist im Satellitenbau für militärische Zwecke engagiert. Das ist zum einen das Radarsatellitensystem SAR-Lupe für die Bundeswehr und zum anderen das Navigationssatellitensystem Galileo für die EU. OHB gibt seine Mitarbeiterzahl mit knapp 1300 an. Die Beschäftigtenzahl in Bremen dürfte bei 300 liegen.

SAR-Lupe

OHB ist Generalunternehmer für die Herstellung des ersten Aufklärungssatellitensytems der Bundeswehr. SAR-Lupe basiert auf der Radartechnik und erlaubt eine nationale, vom Wetter und von der Tageszeit unabhängige präzise Erdbeobachtung weltweit. Objekte der Größe eines halben Meters sind weltweit identifizierbar. Durchschnittlich vergehen zwischen Bestellung und Lieferung von Bilddaten 11 Stunden. (http://de.wikipedia.org/wiki/SAR-Lupe) Über die außerordentliche Bedeutung von SAR Lupe sagte der stellvertretende Generalinspekteur Vizeadmiral Wolfram Kühn: „Militärpolitisch bringt uns das in der satellitengestützten Aufklärung auf Augenhöhe mit anderen Staaten, im Radarbereich sogar in eine Spitzenpositiong (http://www.ohb-system.de/News/presse/0412_08.html). Spitzenposition meint: vor die USA. Deutschland wird damit zum Global Player. Die fünf baugleichen Radarsatelliten umkreisen die Erde in etwa 500 km Höhe und liefern Bilder an die ebenfalls unter der Regie von OHB in Gelsdorf bei Bonn errichtete Bodenstation. Seit Anfang Dezember 2008 hat das „Kommando Strategische Aufklärung“ das System für Bundeswehr und Bundesnachrichtendienst (BND) übernommen. Die nationale weltweite Aufklärungsfähigkeit aus dem Weltraum ist die Voraussetzung für die weltweite Einsatzfähigkeit der Bundeswehr.

OHB hat auch die technischen Voraussetzungen geschaffen, SAR-Lupe mit dem französischen optischen Satelliten Helios II zu verknüpfen. Das System soll als Kern eines europäischen Satellitenverbunds dienen.

Galileo

Die EU-Kommission hat im September 2008 OHB und die deutsche EADS-Raumfahrsparte Astrium als letzte verbliebene Bieter für die Herstellung der restlichen 26 von insgesamt 30 Satelliten des EU-Navigationssystems Galileo ausgewählt. Es wird davon ausgegangen, dass sich beide Firmen den Auftrag teilen werden, „Voraussichtlich wird OHB als Generalunternehmer fungiereng, meldet die Militärzeitschrift Strategie & Technik (SuT, November 2008, S. 57). Ab 2013 sollen dann Verkehrsteilnehmern zu Lande, zu Wasser und in der Luft dieses Konkurrenzsystem zum von Pentagon betriebenen GPS nutzen können, zu dem eine Komplementarität hergestellt werden soll (http://de.wikipedia.org/wiki/Galileo_(Satellitennavigation). Galileo wird privat betrieben, bietet jedoch Geheimdiensten und dem Militär zwei verschlüsselte Frequenzbänder an, die Navigation im Zentimeterbereich ermöglichen sollen. Damit ließen sich dann beispielsweise Marschflugkörper, Raketen, Panzer, Infanteristen, Drohnen usw. unabhängig von den USA lenken.

Fazit: Bremer Rüstungsbetriebe leisten vor allem mit Satelliten und Drohnen, mit Elektronik für Marine und Heer, durch Kriegsschiff- und Flugzeugbau einen beachtlichen Beitrag zur Entwicklung der weltweiten Interventionsfähigkeit der Bundeswehr und zur Verbreitung von Kriegswaffen und Ausrüstungen auf dem Globus. Nahezu 5 Prozent der Bremer Wertschöpfung erfolgt durch Rüstungsproduktion. Zum Vergleich: In der Bundesrepublik sind es 0,7 Prozent.

Tabelle 1: Umfang der Bremer Rüstungsproduktion

Firma Beschäftigte in Bremen (HB) Gesamtumsatz in HB (in Mio. Euro) Rüstungsanteil (in Prozent)Anzahl der Rüstungs-
beschäftigten in HB (geschätzt.)
Rüstungs-
produktion (in Mio. Euro)
Atlas Elektronik (TK/EADS) (2007) 1.300 (A) 366 (A) 90 (B) 1170330
Rheinmetall Defence Electronics (2007)1.370 (A) 400 (A) 90 (B) 1230 360
Friedrich Lürssen (2005) 680 (E) 250 (D) 50 (D) 340 125
EADS Airbus (2005) 3.200 (C) 600 (B) 33 (B) 1080 (E) 200
OHB (2008) 300 (A) 260 (C) 33 (D) 100 (D) 20
Summe Bremenrd. 4000rd. 1000
Summe BRDrd. 80.000 rd. 15.500

Anmerkungen zur Tabelle:
  • (A) vom Autor modifizierte Werksangaben für die Fälle, in denen sich Standorte außerhalb des Bremer Stadtgebiets befinden, jedoch in der Werksangabe für Bremen enthalten sind
  • (B) Autorenangabe
  • (C) Werksangabe
  • (D) Dieter Hanel, Die Bundeswehr und die deutsche Rüstungsindustrie, Bonn 2003, 238 Seiten
  • (E) Medienangabe
  • Angaben zu Atlas Elektronik: ohne Werksteile in Wedel und Berlin Angaben zu Rheinmetall Defence Electronics: ohne Werksteile in Rostock und Ismaning
  • Zum Umsatz von EADS Airbus Bremen: Der Arbeitskreis „Wehrtechnik und Arbeitsplätze in der IG Metall“ gibt für 2005 die Zahl der High-Tech-Arbeitsplätze in Deutschland in der Luft- und Raumfahrtindustrie mit 16.000 an, die einen Umsatz von 3 Mrd. Euro realisieren („Ottobrunner Erklärung“ zur „Lage der militärischen Luft- und Raumfahrtindustrie in Deutschland“ vom Januar 2006). Umgerechnet auf EADS Bremen bedeutet das einen Umsatz von 600 Mio. Euro.
Von den bundesweit 80.000 Arbeitsplätzen in der Rüstungsproduktion sind 4.000 in Bremen. Das sind 5 Prozent aller Rüstungsarbeitsplätze in Deutschland.

Von insgesamt 15,5 Mrd. Euro (AK Wehrtechnik der IG Metall 2006, S. 4) Rüstungsproduktionswert in Deutschland 2005 (rund 17 Mrd. Euro in 2008 sagt der BDI, www.bdi.eu/1965.htm ) werden, sobald die Produktion der A400 M-Rümpfe bei EADS anläuft, 1 Mrd. Euro aus Bremen kommen. Das sind 6,5 Prozent. Es wohnen allerdings nur 0,66 Prozent der Bundesbürger in der Stadt Bremen (545000 von 82,5 Mio.). Ergo: Rüstung ist hier überrepräsentiert. Bremen ist eine Rüstungshochburg.

Rüstungsstandort Kassel

Schauen wir uns die deutsche Heeresindustrie an, landen wir in Kassel. Denn die beiden bedeutendsten deutschen Firmen dieser Branche haben hier große Werke. Das ist Krauss-Maffei Wegmann (KMW) und Rheinmetall Landsysteme (RLS) GmbH, eine Tochter der Rheinmetall AG. Beide Firmen gelten als Systemhersteller.

Rheinmetall

Die Sparte Defence der Rheinmetall AG mit Sitz in Düsseldorf ist der größte deutsche Rüstungskonzern mit einem Umsatz von 1,81 Mrd. Euro im Jahr 2008 (AK Wehrtechnik der IG-Metall 2009, S.7). Dazu muss man zwei Anmerkungen machen. A) zum deutschen und b zum größten. Das deutsch bezieht sich auf die Historie und den Schwerpunkt der Standorte. Die Aktionärsanalyse Ende 2007 ergab nämlich, dass „fast 70 Prozent der Aktien im Ausland liegen, vor allem bei Fonds.“ (FAZ 20.3.2008) B) das größte, gilt insofern als man EADS ausblendet. EADS ist größer als Rheinmetall, aber nicht deutsch, sondern ein westeuropäischer Konzern. Rechnet man den Daimler-Anteil von 22,52 Prozent als „deutsch“, dann ist EADS größer als Rheinmetall. Das ist Ansichtssache. Allerdings wird es dann eine Klärung dieser Frage geben, sobald der deutsche Anteil am EADS-Kapital um 7,5 Prozent auf 15 Prozent gesenkt ist, so wie Daimler es beschlossen hat. Dann wird Rheinmetall sehr wahrscheinlich unangefochten die Nr. 1in Deutschland sein.

SIPRI das internationale Friedensforschungsinstitut in Stockholm, platzierte Rheinmetall 2007 auf Platz 9 unter den größten Rüstungskonzernen in Europa und auf Platz 29 in der Welt. (The SIPRI Top 100) Rheinmetall Defence ist ein regelrechter Rüstungskrake mit vielen Standbeinen und Standorten im Bereich der Heeresrüstung. Die Sparte ist aufgeteilt in die Bereiche Fahrzeugsysteme, Waffe und Munition, Antriebe, Flugabwehr, Elektronik sowie Simulation und Ausbildung. Rheinmetall hat Niederlassungen außer in Deutschland in Kanada, Griechenland, Italien, der Schweiz und in Südafrika und unterhält Büros in 14 Ländern auf vier Kontinenten. Die Sparte Defence beschäftigt 7.200 Personen. Es ist ein global agierender Rüstungsmulti mit einem Exportanteil von 63 Prozent im Jahr 2007 (NZZ 20.3.2008) Die Umsatzrendite der Sparte Defence lag 2008 bei 10,7 Prozent. Vorstandschef Klaus Eberhardt kündigt an: „Wir wollen unseren Umsatz im Defence-Geschäft durchschnittlich um zehn Prozent pro Jahr steigern“ (http://www.finanzen.net/nachricht/_HB_Rheinmetall_Chef_sieht_gute _Exportchancen). Der Umsatz der Rüstungssparte soll bis 2013 auf drei Milliarden Euro wachsen. Im ersten Quartal 2009 stieg der Gewinn um 28 Prozent. Trotz der Rezession ihrer Sparte Automotive legte die Aktie der Rheinmetall AG seit Anfang des Jahres um 30 Prozent zu. Und das in Zeiten einer weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise.

Zum Rheinmetall Standort Kassel: RLS in Kassel hat in den 70er Jahren über 2000 Schützenpanzer Marder und die Transportpanzer Luchs und Fuchs gefertigt. Bis auf den Fuchs sind dies Auslaufmodelle. In Kassel hat Rheinmetall heute etwa 900 Beschäftigte (www.hna.de 25.3.2009). Heute werden hier kleine und mittlere militärische Radfahrzeuge produziert. Derzeit sind das der mittelgroße LKW DURO oder auch Yak genannt. 296 davon sollen bis 2013 für die Bundeswehr fertig sein. (BwPl09, S. 80) Außerdem werden für den Export leichte „Geschützte Führungs- und Funktionsfahrzeuge“ (GFF) der Marken Gavial und Caracal hergestellt. Zudem plant die Bundeswehr die Anschaffung weiterer kleinerer GFF, für die auch der Standort von Rheinmetall Kassel in Frage käme, aber dazu bedarf es weiterer Recherchen. Bis 2013 plant die Bundeswehr 844 solcher GFF und 642 geschützter Transportfahrzeuge (GTF). RLS Kassel ist auch Instandsetzungsbetrieb für Bundeswehrfahrzeuge ihrer Produktionspalette.

Krauss-Maffei Wegmann

KMW ist als Systemhersteller schwerer Kampfpanzer bekannt. Tatsächlich ist KMW europäischer Marktführer bei Panzern und gepanzerten Fahrzeugen. Zur Produktpalette gehörten und gehören: Die schweren Kampfpanzer Leopard 1 und 2, die Panzerhaubitze 2000, die Raketenwerfer MARS und die Flugabwehrpanzer Gepard. Gepanzerte Radfahrzeuge wie Boxer, Fennek, Dingo und Mungo kommen aus dem Hause KMW. Im Geschäftsjahr 2008 machte KMW einen Umsatz von 1,4 Mrd. Euro. Damit liegt KMW in Deutschland auf Platz 3 und in der Welt auf Platz 42 (2007). 70 Prozent der Rüstungsgüter werden in insgesamt 30 Länder exportiert. KMW beschäftigt etwa 3400 Mitarbeiter je zur Hälfte in München und Kassel.

Eigentümer

KMW entstand 1999 als Zusammenschluss der Rüstungsaktivitäten des Münchner Krauss-Maffei-Konzerns (Lokomotiven, Kunststofftechnik), einer damaligen Tochtergesellschaft der Mannesmann AG, und der Kasseler Firma Wegmann & Co, welche sich mehrheitlich in Besitz der Familie Bode befand. Seit 2000 hält Siemens einen 49 Prozent-Anteil an KMW. Siemens kam zu der Beteiligung an dem Panzerbauer durch den Kauf großer Teile des Industriegeschäfts von Mannesmann. 51 Prozent werden von einer Holding der Nachkommen des Unternehmers August Bode gehalten. Siemens möchte sich von seinem Anteil trennen. Ebenso wie RLS ist KMW in Kassel Instandsetzungsbetrieb für Bundeswehrfahrzeuge ihrer eigenen Produktionspalette.

Und das ist in Kassel nicht die einzige Gemeinsamkeit der beiden Heeresausrüster RLS und KMW, sondern sie betreiben gemeinsam und zu gleichen Teilen in Kassel eine Firma, die es in sich hat. Die PSM GmbH. Dieses Kürzel steht für „Projekt System & Management“, was uns auch noch nicht weiterbringt. „Die Gründung der PSM erfolgte 2002 mit dem Ziel, die Entwicklung und Fertigung des neuen Schützenpanzers Puma für die Bundeswehr industrieseitig zu koordinieren.“ (Homepage PSM) Das heißt von A bis Z.

Anfang Juli erteilte der Haushaltsausschuss, den Auftrag an PSM 405 Schützenpanzer Puma herzustellen. Das Auftragsvolumen soll angeblich noch 3,1 Milliarden Euro betragen. Insgesamt – also mit den Kosten für Forschung, Entwicklung und Erprobung und der Waffenanlage – kostet das Rüstungsprojekt Puma 4,8 Milliarden Euro. Der PUMA ist der teuerste Schützenpanzer der Welt. „Es ist damit nicht nur der größte Auftrag für die beiden Unternehmen RLS und KMW in ihrer Nachkriegsgeschichte, sondern auch das derzeit aufwendigste Rüstungsprojekt für Landstreitkräfte in ganz Europa,“ berichtete die FAZ (FAZ 7.7.2009) „Für die Bundeswehr spielt der Puma eine Schlüsselrolle für die Modernisierung der Heeresrüstung“, urteilt Boerse.ARD.de. (http://boerse.ard.de/druck.jsp?key=dokument_361326)

Die Montage der Schützenpanzer soll ab dem kommenden Jahr hier in Kassel zu gleichen Teilen bei RLS und KMW beginnen. Bei RLS werden damit 250 Mitarbeiter ausgelastet sein (http://www.hna.de//wirtschaftstart/00_20090617182140_Panzer-sichert_jobs.html). Die Produktion ist auf zehn Jahre bis zum Jahr 2020 angelegt. Also sollen pro Jahr 40 Puma hergestellt werden. Die Bundeswehr erwartet bis 2013 insgesamt 130 Puma. Die Komponenten werden von mindestens 20 Firmen angeliefert.

Zuvor hatten die Firmen bereits fünf Puma als Erprobungsmuster für 350 Mio. Euro an die Bundeswehr geliefert. Diese wurden ausgiebig getestet. Allerdings gibt es hier ungelöste technische Schwierigkeiten. Obwohl es unabdingbar für die Zulassung für die Serienfertigung ist, erfüllen die Vorserien-Puma wesentliche Leistungsparameter nicht. Weder bei „Getriebe, Motor und Fahrwerk“ noch beim Gewicht ist der Nachweis der Serienreife erbracht (vgl. Der Spiegel, 11.5.2009). Um im Bild zu bleiben: Der Bund kauft mit dem PUMA eine Katze im Sack. Erinnerungen an die HS-30-Affäre werden wach, als der Bundestag in den 50er Jahren neue Schützenpanzer in Auftrag gab, obwohl er lediglich als Holzmodell zu besichtigen war. Eine umfangreiche Bestechungsaffäre schloss sich an.

Die Regierung hat es offensichtlich eilig mit den Puma. Warum? Welche Funktion ist den Puma zugedacht?

Schützenpanzer sind die Waffen der Panzergrenadiere. Diese zählen im „abgesessenen Zustand“, das heißt, wenn sie sich außerhalb ihres Schützenpanzers befinden, zur Infanterie. Die Bundeswehr verfügt über sieben Panzergrenadierbataillone. Jedes Bataillon erhält 44 Schützenpanzer Puma, zusammen also 308. Neun Soldaten haben in einem Puma Platz. Davon sind sechs Grenadiere, die anderen sind der Kommandeur, der Richtschütze und der Fahrer. Der je nach Panzerung zwischen 31,5 und 41 Tonnen schwere Puma zeichnet sich durch hohe Beweglichkeit, Feuerkraft und starke Panzerung aus und ist im urbanen Kampf das ideale Kampffahrzeug. Das heißt also im Stadt- und Ortskampf. Das Ziel ist es, den Puma für die Aufstandsbekämpfung einzusetzen. Dafür kommt Afghanistan am ehesten in Frage. Der Puma kann mit den Airbus A 400 weltweit transportiert werden.

Die Bewaffnung des Schützenpanzers: Neben einem Maschinengewehr für den Nahbereich, erhält der Puma eine variable Munitionierung der Maschinenkanone. Besonders perfide: Die von Rheinmetall entwickelte programmierbare „Air Burst Munition“ (Zeitzündermunition). Das ist eine rechnergestützte „intelligente Munition“, (Geschwindigkeit 567 km/h, Reichweite 200 bis 4.000 m, SuT Februar 2009, S.41) die die Granate je nach Wunsch kurz vor dem Aufprall in 162 Wolfram-Subprojektile mit einem Gewicht von jeweils 1,24 Gramm zerlegen kann. Diese kann gegen Panzerungen, langsam fliegende Hubschrauber, Menschen und befestigte Stellungen eingesetzt werden. Offiziere im Generalstabsdienst stellen fest: Dies „verschafft dem neuen Schützenpanzer eine hohe Durchsetzungsfähigkeit auch in bebautem Gelände“ (SuT Januar 2006) Die Frage, ob es sich bei den Projektilen um Streumunition handelt, und deshalb nicht zulässig wäre, ist rein rechtlich klar zu beantworten: leider Nein. Denn unter die Definition der Streumunition fallen lediglich alle Arten von Submunition, die explosiv sind. Das ist hier nicht der Fall. Es handelt sich eher um einen extrem heftigen „Schrotflinteneffekt“. Politisch und moralisch gehören diese Waffen allerdings geächtet!

Zwei der Panzergrenadierbataillone sind den so genannten Eingreifkräften der Bundeswehr zugeordnet. Sie stehen also für aktive Kampfhandlungen hoher Intensität zur Verfügung – also zur Kriegsführung. Sie erhalten 88 Puma. Diese Panzergrenadierbataillone sind in Munster und Augustdorf stationiert und unterstehen der 1. Panzerdivision in Hannover. Diese stellte bereits die 200 Soldaten der Quick Reaction Force (QRF) im afghanischen Norden. Es liegt auf der Hand, dass die ersten Exemplare, d.h. die erste Kompanie mit 14 Puma, beginnend mit dem Jahr 2010, eventuell wegen der technischen Probleme, erst 2011, nach Afghanistan entsandt werden sollen. Deshalb die Eile.

Tabelle 2: Rüstungsstandort Kassel

Firma Beschäftigte in Kassel Gesamtumsatz in KS (in Mio. Euro) Rüstungsanteil (in Prozent)
Rheinmetall (2008) 900225 [1]100
KMW (2008)1.700700100
Zusammen2.600925100

[1] Anmerkung zur Berechnung des Umsatzes von Rheinmetall: die 900 Mitarbeiter in Kassel stellen 12,5 % der 7217 Mitarbeiter der Sparte Rheinmetall Defence dar (31.12.08). Rheinmetall Defence machte 2008 einen Umsatz von 1,814 Mrd. Euro. 12,5 % von 1,814 Mrd. Euro sind 225 Mio. Euro.

Quellen und Literatur:
  • Arbeitskreis „Wehrtechnik und Arbeitsplätze in der IG Metall“, Kasseler Erklärung zur Lage der heerestechnischen Industrie in Deutschland, Mai 2006, 34 Seiten
  • Arbeitskreis Wehrtechnik und Arbeitsplätze beim IG Metall Vorstand, Europäische Perspektiven der heerestechnischen Industrie in Deutschland, 5.6.2009, 18 Seiten http://www.geopowers.com/News/News_II_2009/IGMetall_Heerestechnik_5.2009.pdf
  • Baudirektor Gunther Brückner (Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung), http://www.europaeische-sicherheit.de/Ausgaben/2007/2007_04/03_Br%FCckner/2007,04,03,03.html
  • Sascha Lange, Der Airbus A 400 M vor dem Aus? SWP-Aktuell 7, Februar 2009, 4 Seiten
  • http://www.manager-magazin.de/koepfe/unternehmerarchiv/0,2828,406217-2,00.html
  • Jürgen Mannhardt, Der maritime Beitrag im Aufgabenspektrum der Bundeswehr, Soldat und Technik, Juni 2004
  • Wolfgang Nolting, Die Marine im Einsatz, Strategie und Technik April 2007, S. 10 bis 14 http://www.strategie-und-technik.de/04-07/insp_mar.pdf
  • Wolfgang Nolting, Interview, http://www.europaeische-sicherheit.de/Ausgaben/2007/2007_09/02_Nolting/2007,09,02.html
  • Jürgen Rhades: HDW – auch für die Zukunft gut gerüstet, in: Wehrtechnik I/1999, S. 77, in: Europäischer Marineschiffbau, antimilitarismusinformation (ami) 10/00, S. 37-43
  • The SIPRI Top 100 arms-producing companies in the world excluding China, 2007 http://www.sipri.org/research/armaments/production/resultoutput/arms_prod_companies
  • Jochen Tholen, Thorsten Ludwig, Institut Arbeit und Wirtschaft, Universität Bremen, Beschäftigung, Auftragslage und Fertigung im deutschen Schiffbau, Ergebnisse eine Betriebsrätebefragung im September 2005, 56 Seiten
  • Generalinspekteur der Bundeswehr, Bundeswehrplan 2009, www.geopowers.com
  • Eine Sicherheitsstrategie für Deutschland, Beschluss der CDU/CSU-Bundestagsfraktion vom 6.5.2008, 13 Seiten
  • Bundesministerium der Verteidigung, Weißbuch der Bundeswehr, Oktober 2006, http://merln.ndu.edu/whitepapers/Germany_Weissbuch_2006_oB_sig
  • Konvention über das Verbot von Streumunition, /themen/Streubomben/vertrag.pdf
Homepages:
  • Atlas Elektronik GmbH: http://www.atlas-elektronik.com/index.php?id=493
  • EADS-Airbus: http://www.eads.com/1024/de/career/Entry_options/ausbildung/ausbildungsstandorte/bremen-airbus.html
    ngo-online: http://www.ngo-online.de/ganze_nachricht.php?Nr=12613
  • Rheinmetall: http://www.rheinmetall-detec.de/index.php?fid=3269&lang=2
  • PSM: http://www.psm-spz.com/upload-media/Datenblatt_PSM.pdf
* Vortrag auf der Sommerakademie des "Friedensratschlags", Reinhardswaldschule Fuldatal, 19. Juli 2009


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