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Schwerter zu Pflugscharen am Lac Léman?

Kampf gegen Atomwaffen und Weltraumrüstung im Mittelpunkt

Von Wolfgang Kötter *

Heute (3. August) beginnt die Genfer Abrüstungskonferenz ihre jährliche Sommersitzung . Nach langer Zeit der Tatenlosigkeit verfügt sie wieder über ein konkretes Arbeitsprogramm.

Es sind zwar keine 100 Jahre wie im Märchen vom Dornröschen, aber dennoch, seit fast 13 Jahre scheint die Genfer Abrüstungskonferenz im Tiefschlaf versunken zu sein. Jedes Mal vollzieht sich dasselbe Ritual: Ende Januar fahren die zumeist älteren Herren in schwarzen Limousinen am Palais der Nationen vor, nehmen ihre Plätze im altehrwürdigen Ratssaal ein und verlassen im September die geruhsame Stadt am Genfer See, um der UNO-Vollversammlung im hektischen New York zu berichten, dass sie wieder einmal nichts erreicht haben.

Die Abrüstungskonferenz ist zwar mit den Vereinten Nationen eng verwoben, formal aber ein selbstständiges Organ. Die Entscheidungen über Mitgliedschaft, Tagesordnung, Arbeitsprogramm, Verfahrensfragen und natürlich über die Verhandlungsergebnisse erfordern einen Konsens. Also kann jeder der 65 Teilnehmer einen ihm nicht genehmen Beschluss jederzeit blockieren. Die Konferenz berücksichtigt bei der Aufstellung der Tagesordnung die in den Resolutionen der UN-Vollversammlung enthaltenen Empfehlungen und berichtet ihr jährlich.

Gewöhnlich tagt die Konferenz in drei Sitzungsperioden von Jahresbeginn bis in den Spätsommer. Neben Plenarsitzungen agierten Arbeitsgruppen zeitweilig zu den Themen Weltraum, Sicherheitsgarantien für Nichtkernwaffenstaaten, radiologische Waffen und umfassendes Abrüstungsprogramm. Doch spätestens seit dem Abschluss des Atomteststoppvertrages 1996 steckt die Konferenz in der Paralyse. Es gibt zwar eine permanente Tagesordnung, aber über ein konkretes Arbeitsprogramm konnte man sich nie einigen. Unvereinbare Interessen und Verfahrensstreit blockierten jeden Fortschritt. Während der acht Jahre Bush-Regierung in den USA scheute Washington jegliche völkerrechtliche Verpflichtung, die seine Aufrüstungsbestrebungen hätte behindern können. Folglich mauerten die US-amerikanischen Vertreter bei allen entscheidenden Abrüstungsthemen.

Im Frühjahr 2009 gelang jedoch ein historischer Durchbruch: Nach über zehn Jahren vergeblicher Bemühungen beschloss die Konferenz wieder ein Arbeitsprogramm. Demzufolge werden vier Arbeitsgruppen gebildet:
  • nukleare Abrüstung;
  • Produktionsstopp für militärisches Spaltmaterial;
  • Verhinderung eines Wettrüstens im Weltraum;
  • Sicherheitsgarantien für Nichtkernwaffenstaaten.
Zusätzlich einigte man sich auf Koordinatoren zu den Themen neue Massenvernichtungswaffen und radiologische Waffen, Transparenz der Rüstungen und umfassendes Abrüstungsprogramm. Als Konferenzpräsident Idriss Jazairy aus Algerien die Einigung am 29. Mai verkündete, pries er den Moment pathetisch als Höhepunkt seiner langen Karriere, »für den allein sich mein Leben gelohnt hat«.

Natürlich bedeutet das noch keine Garantie für Ergebnisse, aber in der heutigen globalisierten Welt vermag kein Staat seine Sicherheit allein zu gewährleisten. Nur durch multilaterale Verhandlungen können allgemein verbindliche Rechtsnormen gesetzt, globale Verifikation gewährleistet und Verlässlichkeit in den internationalen Beziehungen geschaffen werden.

Trotz berechtigter Kritik spricht vieles für die Genfer Abrüstungskonferenz. Auf ihrer Agenda stehen gleich mehrere der dringendsten Problemkreise. Außerdem sind mit den USA, Russland, Frankreich, Großbritannien und China alle fünf offiziellen Kernwaffenstaaten vertreten. Darüber hinaus wären auch die »grauen« Atommächte Israel, Indien, Pakistan und Nordkorea sowie wichtige Schwellenmächte, etwa Argentinien, Brasilien, Iran, Irak, Ägypten, Syrien und Nigeria, involviert. Zwar sind multilaterale Verhandlungen wegen der zahlreichen unterschiedlichen Positionen oftmals zeitraubend und diffizil. Andererseits erhöht die Einbeziehung einer repräsentativen Anzahl von Staaten die Legitimität und Akzeptanz ausgehandelter Ergebnisse.

Was nun gebraucht wird, ist der politische Wille aller Staaten, der Genfer Konferenz wieder eine Chance zu geben. Möglicherweise ist die von USA-Präsident Barack Obama verkündete Vision einer atomwaffenfreien Welt ein Anzeichen dafür. Nachdem Russland und die USA wieder über Nuklearwaffen verhandeln und beide eine Wiederbelebung des multilateralen Abrüstungsprozesses beschworen haben, keimt auch am Genfer See, dem Lac Léman, neue Hoffnung.

Hintergrund - Wechselvolle Geschichte

Die Abrüstungskonferenz blickt auf eine bewegte Vergangenheit zurück. Als Mitte des vergangenen Jahrhunderts in den Jahren des Kalten Krieges die Erkenntnis reifte, dass ein schrankenloses Wettrüsten nicht mehr Sicherheit bringt, begann auch ein zögerlicher Dialog über Waffen und Rüstungen. Zunächst trafen sich je fünf Vertreter der beiden von der Sowjetunion und den USA angeführten Blöcke in einem Zehn-Staaten-Abrüstungsausschuss. Schon damals war Genf der Ort ihrer Wahl. Der Versuch scheiterte jedoch an Ost-West-Querelen.

Ein neuer Anlauf gelang 1961 mit dem McCloy-Sorin-Abkommen. Die von Spitzendiplomaten Moskaus und Washingtons ausgehandelten Abrüstungsprinzipien sahen auch die Bildung eines mehrseitigen Verhandlungsorgans vor, in das zusätzlich acht neutrale und nichtpaktgebundene Staaten aufgenommen wurden.

Am 15. März 1962 reisten die Außenminister zur ersten Sitzung des 18-Staaten-Ausschusses in Genf an. Er tagte als permanentes Gremium, anfangs unter Ko-Präsidentschaft der UdSSR und der USA. Da sich bald herausstellte, dass eine Einigung über vollständige Abrüstung illusorisch war, wandten sich die Delegationen Teilmaßnahmen zu. Mit der Erweiterung auf 30 Mitglieder erhielt das Gremium 1969 die Bezeichnung Konferenz des Abrüstungsausschusses.

Die erste UN-Abrüstungssondertagung 1978 vergrößerte die Zahl der Mitglieder abermals, das Gremium nannte sich nun Abrüstungsausschuss. Die beiden deutschen Staaten arbeiteten ab 1975 mit, Frankreich ab 1979, China trat 1980 bei. Seit 1984 tagt man als Abrüstungskonferenz. Sie wird von monatlich wechselnden Präsidenten geleitet. Für August hat Caroline Millar (Australien) das Amt inne. Unter Leitung von Christian Strohal (Österreich) wird im September der Jahresbericht erarbeitet werden. W.K.

Internationale Verträge, die in der Abrüstungskonferenz entstanden sind:

  • 1963: Vertrag über das Verbot der Kernwaffenversuche in der Atmosphäre, im kosmischen Raum und unter Wasser (Teilteststoppvertrag)
  • 1967: Vertrag über die Prinzipien für die Tätigkeit der Staaten bei der Erforschung und Nutzung des Weltraums einschließlich des Mondes und anderer Himmelskörper (Weltraumvertrag)
  • 1968: Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen (Nichtverbreitungsvertrag)
  • 1971: Vertrag über das Verbot der Stationierung von Kernwaffen und anderen Massenvernichtungswaffen auf Meeresgrund und Ozeanboden und in deren Untergrund (Meeresbodenvertrag)
  • 1972: Konvention über das Verbot der Entwicklung, Herstellung und Lagerung von bakteriologischen (biologischen) und Toxinwaffen und über ihre Vernichtung (Biowaffenkonvention)
  • 1977: Konvention über das Verbot militärischer oder sonstiger feindseliger Anwendung von Mitteln zur Einwirkung auf die Umwelt (Umweltkonvention)
  • 1992: Konvention über das Verbot der Entwicklung, Herstellung, Lagerung und Anwendung chemischer Waffen und über ihre Vernichtung (Chemiewaffenkonvention)
  • 1996: Umfassender Atomteststoppvertrag


* Aus: Neues Deutschland, 3. August 2009


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