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Genfer Geruhsamkeit in Gefahr

Abrüstungskonferenz sieht sich in Konkurrenz mit effektiveren Verhandlungsgremien der UNO

Von Wolfgang Kötter *

Die Genfer Abrüstungskonferenz tagt wieder. Am Montag (21.1) begann die diesjährige Sitzungsperiode. Die 65 Delegationen im Ratssaal des Palastes der Nationen sehen sich jedoch im Vergleich zu vergangenen Jahren einer neuen Situation gegenüber.

Höhen und Tiefen der Abrüstungskonferenz

Endlich scheint das Gremium, dessen Hauptaufgabe die Ausarbeitung multilateraler Abrüstungsverträge ist, ernsthafte Konkurrenz zu bekommen. Möglicherweise steht sogar seine weitere Existenzberechtigung auf dem Spiel. Und das wäre nicht verwunderlich, denn seit fast 16 Jahren gelingt es nicht einmal ein Arbeitsprogramm zu vereinbaren. Das war nicht immer so. In besseren Zeiten brachte die Genfer Konferenz wichtige Abrüstungsabkommen auf den Weg. Letztes Ergebnis allerdings war der Nukleare Teststoppvertrag vom 22. August 1996. Seither lähmen Streitigkeiten um prozedurale Verfahren die Arbeit und egozentrische Nationalinteressen verhindern Fortschritte in den substantiellen Fragen. Die Ursachen für die Paralyse sehen die Mitgliedstaaten durchaus unterschiedlich. Die Mehrzahl konstatiert, dass sich das in dieser Form seit 1978 bestehende Gremium nicht an die Veränderungen in den internationalen Beziehungen der vergangenen Jahre angepasst hat. Die Verfahrensregeln und insbesondere das Konsensprinzip hätten dazu geführt, dass einzelne Staaten praktisch ein Vetorecht besäßen und die gesamte Tätigkeit lahm legen können, obwohl Abrüstungsmaßnahmen dringend gebraucht würden. Während auf anderen Gebieten und in verschieden Foren wie beispielsweise in den russisch-amerikanischen nuklearen Abrüstungsverhandlungen oder Konferenzen außerhalb des UN-Rahmens Fortschritte erreicht wurden, gingen von Genf vorwiegend negative Signale aus. Nicht wenige Staaten verweisen darauf, dass der entscheidende Grund für die Stagnation im fehlenden politischen Willen zur Abrüstung und nicht in strukturellen oder technischen Mängeln zu suchen ist.

Konkurrierende Gremien

Wiederholt befasste sich auch die UN-Vollversammlung mit dem Genfer Problempatienten und mahnte dringend grundlegende Reformen an, sollte das Gremium nicht völlig irrelevant und überflüssig werden. Genützt hat es wenig. Darum zog die Vollversammlung im vergangenen Dezember praktische Konsequenzen, indem sie unter ihrer Ägide Parallelinstitutionen zu Themen schuf, deren Behandlung in der Abrüstungskonferenz blockiert wird. Ein wesentlicher Vorteil besteht darin, dass diese Gremien Entscheidungen nach dem Mehrheitsprinzip und nicht im Konsensverfahren treffen können.

Zum umstrittenen Thema der nuklearen Abrüstung wurde eine für alle UN-Mitgliedstaaten offene Arbeitsgruppe gebildet. Sie soll ebenfalls in Genf tagen und Vorschläge entwickeln, wie multilaterale nukleare Abrüstungsverhandlungen für die Errichtung und Gewährleistung einer atomwaffenfreien Welt zustande kommen können. Eine entsprechende Resolution unterstützten 147 Staaten. Die Kernwaffenmächte, Frankreich, Großbritannien, Russland und die USA stimmten dagegen; China, Indien, Israel, und Pakistan enthielten sich der Stimme. Zur nuklearen Abrüstung soll im kommenden September ebenfalls ein hochrangiges Staatentreffen im UN-Rahmen in New York stattfinden. Im Gegensatz zu 179 Befürwortern verweigerten Frankreich, Großbritannien, Israel und die USA ihre Zustimmung. Das Interesse der Atommächte besteht primär in einer Stabilisierung des Status quo: Errichten von Barrieren gegen die Proliferation von Massenvernichtungswaffen und rüstungsrelevanten Technologien bei gleichzeitiger Bewahrung ihres Kernwaffenmonopols. Das allerdings wird von vielen Staaten als diskriminierende Zementierung bestehender Ungleichheit zurückgewiesen. Sie verlangen eine Demokratisierung der internationalen Beziehungen mit für alle gleichen Rechten und Verpflichtungen. Wer also der Weiterverbreitung von Waffen und Rüstungstechnologien auf Dauer vorbeugen will, muss auch selbst zu deren Verzicht bereit sein. Die Kernwaffenächte sind jedoch weder zur Aufgabe ihrer Atomwaffen, noch zu multilateralen Verhandlungen über einen Zeitplan der nuklearen Abrüstung bereit und widersetzen sich sogar einem rechtsverbindlichen Anwendungsverbot. In der Genfer Abrüstungskonferenz scheitert ein Arbeitsprogramm regelmäßig auch an der Verweigerungshaltung der Nuklearmächte zu nuklearen Abrüstungsverhandlungen. Letztlich kann zwar niemand die Kernwaffenmächte gegen ihren Willen zum Verzicht zwingen, gleichwohl sehen sie sich einem wachsenden politischen Druck ausgesetzt. Zahlreiche Vorschläge für die nukleare Abrüstung liegen inzwischen vor und Experten haben sogar den Entwurf für eine Nuklearwaffenkonvention ausgearbeitet. Der Mustervertrag sieht mehrere Phasen für die weltweite Zerstörung aller Atomwaffen vor: Reduzierung der gelagerten Arsenale, Löschen der Alarmbereitschaft atomarer Waffen, Rückzug aller Atomwaffen aus ihren Stationierungsorten, Entfernung der Sprengköpfe von den Trägermitteln, Verschrottung der Sprengköpfe und internationale Kontrolle über sämtliches Nuklearmaterial. Zuerst werden von den USA und Russland tiefe Einschnitte in ihre atomaren Arsenale verlangt, dann folgt ein umfassender Plan, der für alle Länder gleichermaßen gelten wird. Er ermöglicht, dass die weltweite Abrüstung von Atomwaffen in schnellstmöglicher Zeit Realität wird.

181 Staaten unterstützten als zweites Gremium eine Arbeitsgruppe für die Vorbereitung der vierten UN-Sondertagung zur Abrüstung. Allein Frankreich, Großbritannien, Israel und die USA enthielten sich der Stimme. Hinter der negativen Haltung stecken handfeste Motive. Tatsächlich fürchten die Nuklearmächte, bei der kollektiven Neubestimmung eines multilateralen Abrüstungskonzepts in die Defensive zu geraten. Die erste derartige Tagung, die sich ausschließlich mit Abrüstungsfragen befasste, hatte im Jahre 1978 stattgefunden. Das damals verabschiedete 129 Paragraphen umfassendes Schlussdokument, das ausführlich Grundsätze, Prinzipien, Maßnahmen und den institutionellen Abrüstungsmechanismus formuliert, gilt bis heute als die „Abrüstungsbibel“ der Vereinten Nationen. Damals, mitten im Kalten Krieg, gelang es den drei großen politischen Staatengruppen – dem sozialistischen Osten, dem kapitalistischen Westen und der Bewegung der Nichtpaktgebundenen – ein gemeinsames multilaterales Abrüstungskonzept zu vereinbaren. Angesichts des Rückfalls in eine Spirale von Aufrüstung und Krieg erstaunt, zu welchen bemerkenswerten Erkenntnissen die internationale Staatenwelt bereits vor mehr als drei Jahrzehnten gelangt war: „Das Anhäufen von Waffen, insbesondere von Kernwaffen, stellt heute weit eher eine Gefahr als einen Schutz für die Zukunft der Menschheit dar. Deshalb ist es an der Zeit ... Sicherheit durch Abrüstung anzustreben... Die Einstellung des Wettrüstens und die Verwirklichung echter Abrüstung sind Aufgaben von größter Bedeutung und Dringlichkeit ... Wenn dem Wettrüsten nicht Einhalt geboten wird, wird es den Weltfrieden und die internationale Sicherheit und selbst das Überleben der Menschheit in wachsendem Maße bedrohen...“ Es war anscheinend der reine Selbsterhaltungstrieb, der die Politiker trotz ideologischer und politischer Divergenzen zu kooperativen Kompromissen führte. Ein Aktionsprogramm von Einzelschritten und Teilmaßnahmen sollte schließlich zum Ziel der „allgemeinen und vollständigen Abrüstung" führen. Zwei weitere Sondertagungen folgten, ohne jedoch die gleiche Bedeutung erreichen zu können.

Schließlich beschloss die UN-Vollversammlung die Bildung einer Expertengrupp, die Empfehlungen für einen Vertrag zum Produktionsstopp von nuklearem Spaltmaterial erarbeiten soll. Mit einem Verbot für militärisch nutzbares Spaltmaterial könnte ein erster Schritt zur atomaren Abrüstung getan werden. Bildet doch die Herstellung von spaltbarem Material eine entscheidende Phase bei der Atomwaffenproduktion. Daher könnte ein Abschneiden („cut off") des Zuflusses von Bombenmaterial den Trend atomarer Aufrüstung zumindest quantitativ beenden. Jede Begrenzung, Erfassung und Verminderung des weltweit verstreuten Spaltmaterials hilft ebenfalls zu verhindern, dass es in die Hände von Terroristen oder Kriminellen gerät. Eine zu diesem Thema bereits vereinbarte Arbeitsgruppe der Genfer Abrüstungskonferenz wird bisher von Pakistan blockiert, das auch als einziger gegen die entsprechende von 166 Staaten unterstützte Resolution stimmte.

Sollten die neu gebildeten Konkurrenzgremien in den kommenden Wochen und Monaten zu einer konstruktiven Arbeit finden und konkrete Ergebnisse vorlegen, könnte es für die Genfer Abrüstungskonferenz tatsächlich um Sein oder Nichtsein gehen.

Themen auf der Tagesordnung der Genfer Abrüstungskonferenz

  1. Einstellung des nuklearen Wettrüstens und atomare Abrüstung
  2. Verhinderung Atomwaffenkrieg
  3. Verhinderung eines Wettrüstens im Weltraum
  4. Sicherheitsgarantien für Nichtkernwaffenstaaten
  5. Neue Massenvernichtungswaffen / radiologische Waffen
  6. Umfassendes Abrüstungsprogramm
  7. Transparenz der Rüstungen
Die 65 Mitglieder der Genfer Abrüstungskonferenz

Ägypten, Äthiopien, Algerien, Argentinien, Australien, Bangladesch, Belarus, Belgien, Brasilien, Bulgarien, Chile, China, Deutschland, Ecuador, Finnland, Frankreich, Großbritannien, Indien, Indonesien, Irak, Iran, Irland, Israel, Italien, Japan, Kasachstan, Kamerun, Kanada, KDVR, Kenia, Kolumbien, DR Kongo, Rep. (Süd-)Korea, Kuba, Malaysia, Marokko, Mexiko, Mongolei, Myanmar, Neuseeland, Niederlande, Nigeria, Norwegen, Österreich, Pakistan, Peru, Polen, Rumänien, Russland, Schweden, Schweiz, Senegal, Simbabwe, Slowakei, Südafrika, Spanien, Sri Lanka, Syrien, Türkei, Tunesien, Ukraine, Ungarn, USA, Venezuela, Vietnam.

Internationale Abrüstungsverträge, die in der Abrüstungskonferenz bzw. unter ihrer Mitwirkung entstanden:
  • Vertrag über das Verbot der Kernwaffenversuche in der Atmosphäre, im kosmischen Raum und unter Wasser (Teilteststoppvertrag), (1963);
  • Vertrag über die Prinzipien für die Tätigkeit der Staaten bei der Erforschung und Nutzung des Weltraums einschließlich des Mondes und anderer Himmelskörper (Weltraumvertrag), (1967);
  • Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen (Nichtverbreitungsvertrag), (1968);
  • Vertrag über das Verbot der Stationierung von Kernwaffen und anderen Massenvernichtungswaffen auf dem Meeresgrund und Ozeanboden und in deren Untergrund (Meeresbodenvertrag), (1971);
  • Konvention über das Verbot der Entwicklung, Herstellung und Lagerung von bakteriologischen (biologischen) und Toxin-Waffen und über ihre Vernichtung (Biowaffenkonvention), (1972);
  • Konvention über das Verbot militärischer oder sonstiger feindseliger Anwendung von Mitteln zur Einwirkung auf die Umwelt (Umweltkonvention), (1977);
  • Konvention über das Verbot der Entwicklung, Herstellung, Lagerung und Anwendung chemischer Waffen und über ihre Vernichtung (Chemiewaffenkonvention), (1992);
  • Umfassender Nuklearer Teststoppvertrag, (1996).


* Eine gekürzte Version dieses Beitrags erschien am 22. Januar 2013 im "neuen deutschland".


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