Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Erneuter Anstieg bei deutschen Rüstungsexporten

Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE) kritisiert "unverändert hohen Anteil von Exportbewilligungen in Entwicklungsländer"

Auf einer Pressekonferenz in Berlin am 8. Dezember 2008 haben die Vorsitzenden der Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE) den Rüstungsexportbericht 2008 (PDF) für das Wirtschaftsjahr 2007 vorgestellt.
Wir dokumentieren im Folgenden die hierzu verbreitete Pressemitteilung der Herausgeber sowie die Zusammenfassung des Berichts.



Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE)
Joint Conference Church and Development (GKKE)


Für die Presse

Erneuter Anstieg bei deutschen Rüstungsexporten

GKKE kritisiert Lieferungen in Krisenregionen und Entwicklungsländer

Berlin, 8.12.2008 - Alarmiert über den neuerlichen Anstieg deutscher Rüstungsexporte zeigten sich die beiden Vorsitzenden der Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE) bei der Vorstellung des diesjährigen Rüstungsexportberichts am Montag in Berlin. „Die Welt wird nicht sicherer durch noch mehr Waffen“, sagte Prälat Stephan Reimers, der evangelische Vorsitzende der GKKE.

Die Ausfuhrgenehmigungen von Rüstungsgütern aus deutscher Produktion belaufen sich nach Recherchen der GKKE im Jahr 2007 auf 8,7 Milliarden Euro. Gegenüber dem Vorjahr, in dem Rüstungsexporte im Wert von 7,7 Milliarden € bewilligt wurden, ist das eine Steigerung um 13 Prozent. Reimers äußerte „Befremden“ darüber, dass diese Zahlen von der Bundesregierung bisher nicht öffentlich gemacht worden seien, obwohl sie sich zur Vorlage eines eigenen Rüstungsexportberichts verpflichtet habe.

Als besorgniserregend bezeichnete es der katholische Vorsitzende der GKKE, Prälat Karl Jüsten, dass erneut Lieferungen in erheblichem Umfang in Länder genehmigt wurden, die in schwere interne oder grenzüberschreitende Gewaltkonflikte verwickelt seien. Dazu zählten etwa Afghanistan, Indien, Israel, Nigeria, Pakistan und Thailand. Jüsten forderte die Bundesregierung auf, ihren positiven Vorentscheid für die Lieferung von U-Booten nach Pakistan zu widerrufen und die Zusage einer staatlichen Ausfallbürgschaft zurückzunehmen. „Dieses Geschäft überschreitet eine Grenze, die Rechtslage und internationale Absprachen setzen.“ Zu kritisieren sei auch der unverändert hohe Anteil von Exportbewilligungen in Entwicklungsländer. Er belaufe sich auf mehr als 20 Prozent der einzeln erteilten Ausfuhrgenehmigungen.

Der Vorsitzende der GKKE-Fachgruppe Rüstungsexporte, Bernhard Moltmann, würdigte den EU-Verhaltenskodex für Rüstungsexporte, der in den zehn Jahren seines Bestehens einen Zugewinn an wechselseitiger Information und Transparenz gebracht habe. Er forderte, den Kodex zu einem rechtlich verbindlichen „Gemeinsamen Standpunkt“ aufzuwerten und in nationales Recht zu integrieren.

Positiv hoben die Vertreter der GKKE internationale Initiativen zu vermehrter Rüstungskontrolle hervor. Prälat Reimers würdigte die Einigung auf ein Verbot von Streumunition und die Unterzeichnung der entsprechenden Konvention in Oslo Anfang Dezember als „einen Erfolg einer humanitären Rüstungskontrolle“. Er sprach sich für eine baldige Ratifizierung des Abkommens durch den Deutschen Bundestag aus.


Rüstungsexportbericht 2008 der GKKE

Zusammenfassung

Die Berichterstattung durch die Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung

(0.01) Die Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE) legt zum zwölften Mal seit 1997 einen Rüstungsexportbericht vor. Der Bericht wird von der GKKE-Fachgruppe „Rüstungsexporte“ erstellt. Ihr gehören Fachleute wissenschaftlicher Einrichtungen, der kirchlichen Friedens- und Entwicklungszusammenarbeit sowie aus Nichtregierungsorganisationen an. Der Bericht stellt öffentlich verfügbare Informationen über die deutschen Ausfuhren von Kriegswaffen und Rüstungsgütern des Vorjahres (2007) bzw. deren Genehmigungen zusammen und bewertet sie im Zusammenhang der Friedens-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik. Er erschließt diesen Politikgegenstand dem öffentlichen Diskurs und dient dem Dialog mit den Trägern politischer, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Verantwortung.

Trends im Weltrüstungshandel

(0.02) Parallel zum anhaltenden Anstieg der Weltrüstungsausgaben ist zwischen 2003 und 2007 auch das Volumen des Weltrüstungshandels gewachsen. Abgesehen von den USA ist die Mehrzahl der Staaten heute bei Rüstungsvorhaben und Rüstungsproduktion auf die Einfuhr von Waffen und Rüstungsgütern angewiesen. Deutlich zeigt sich dies am gewachsenen Binnenhandel mit Rüstungsgütern innerhalb der Europäischen Union. Schwellenländer wie Brasilien, China, Indien, Singapur, Südafrika oder Südkorea streben über die Einfuhr von Rüstungswaren und -technologie sowie von Fertigungsanlagen den Aufbau einer eigenen Rüstungsproduktion an, zunächst zur Ausstattung und Modernisierung ihrer eigenen Streitkräfte, langfristig aber auch, um als Anbieter auf dem Weltrüstungsmarkt auftreten zu können.

Lieferstaaten

(0.03) Unter den rüstungsexportierenden Staaten haben die EUMitgliedsstaaten, allen voran Frankreich, Deutschland, Italien und Großbritannien, in der Summe bereits Russland in den Schatten gestellt. Sie rangieren aber mit Abstand hinter den USA, die weltweit der größte Rüs4 tungsexporteur bleiben. Der Stellenwert europäischer Lieferstaaten stützt sich einerseits auf die Leistungsfähigkeit europäischer Rüstungskooperation. Andererseits gewinnen sie Kunden in Drittstaaten mit attraktiven Finanzierungsbedingungen und der Zusage des Technologietransfers. Hinzu kommen die Bereitschaft, Fertigungen in Empfängerländer zu verlegen, oder begleitende zivile Investitionszusagen. Europäische Rüstungshersteller profitieren zudem von der Lieferung von Nischenangeboten, wie zum Beispiel Deutschland im U-Boot-Bau, durch den Weiterverkauf von überschüssigem, aber noch einsatzbereitem Rüstungsmaterial oder durch die Modernisierung bzw. Aufwertung vorhandener Waffen und Rüstungsgüter.

Empfängerstaaten

(0.04) Als die größten rüstungsimportierenden Staaten zwischen 2003 und 2007 identifizieren unabhängige Beobachter China, Indien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Griechenland und Südkorea. Im weltweiten Vergleich spielen derzeit Rüstungslieferungen an südamerikanische Staaten eine noch geringe Rolle, und Importe afrikanischer Staaten fallen ökonomisch kaum ins Gewicht. Mit angelaufenen Modernisierungen südamerikanischer Streitkräfte, zu denen zum Beispiel umfangreiche Panzerlieferungen aus Deutschland beitragen, und Rüstungsbestellungen nordafrikanischer Staaten, die von Russland und westlichen Staaten umworben werden, wird sich das Bild bald ändern.

Daneben verdienen nicht-offizielle Transfers von Waffen, Rüstungsgütern und militärbezogenen Leistungen Aufmerksamkeit. Teils erfolgen diese mit stiller Billigung staatlicher Instanzen oder gar verdeckter Förderung (graue Märkte), teils sind die Transfers einträgliche Erwerbsquellen privater Waffenhändler (schwarze Märkte). Beide Marktsegmente nähren aktuelle Gewaltkonflikte.

Rüstungstransfers und Korruption

(0.05) Nichtregierungsorganisationen wie Transparency International weisen auf die hohe Anfälligkeit des Rüstungshandels für Korruption in Lieferwie Empfängerländern hin. Schätzungen gehen davon aus, dass bis zu zwanzig Prozent der veranschlagten Kosten für diese Zwecke aufgewandt werden. Auch europäische und deutsche Rüstungstransfers sind dem gegenüber nicht immun. Dies zeigen beispielsweise indische Ermittlungen gegen EADS, das Vorgehen deutscher Behörden im Fall von Rüstungsgeschäften mit Angola, die schwelenden Korruptionsvorwürfe im Zusam5 menhang mit den europäischen Rüstungslieferungen nach Südafrika oder die Verfahren vor deutschen Gerichten im Zusammenhang mit Lieferungen an Saudi-Arabien zu Beginn der 1990-er Jahre.

Deshalb wendet sich die GKKE gegen eine Bagatellisierung solcher Vorgänge und fordert mehr Aufmerksamkeit für Symptome und strukturelle Ursachen von rechtswidrigem Handeln in Öffentlichkeit und Politik. Es sollte auch im Interesse deutscher Rüstungshersteller und -exporteure sein, jeden Verdacht auszuräumen, Bestechlichkeit bei der Anbahnung und Abwicklung ihrer Geschäfte zu dulden.

Deutsche Rüstungsexporte im Jahr 2007

Einzel- und Sammelgenehmigungen für Rüstungsausfuhren

(0.06) Die Werte der Einzelgenehmigungen für die Ausfuhr von Rüstungsgütern an 126 Staaten im Jahr 2007 betragen 3,67 Mrd. €. Die Zahl der Genehmigungen in Höhe von 16.504 ist gegenüber dem Vorjahr (2006: 14.232) zwar gestiegen, der Gesamtwert aber um 500 Mio. € gesunken. Dabei fällt ins Gewicht, dass Bestellungen aus der Türkei und Griechenland, die in den vorangegangen Zeiten relevante Abnehmer deutscher Rüstungslieferungen waren, im Jahr 2007 zurückgegangen sind. Das wichtigste deutsche Exportgut blieben auch im Jahr 2006 Panzer und gepanzerte Fahrzeuge (Anteil an den Genehmigungswerten: 35,4%,) gefolgt von Kriegsschiffen (9,5%) und von Munition sowie Zubehör (6,3%). Im Jahr 2007 sind 100 Sammelausfuhrgenehmigungen von Rüstungsgütern im Wert von 5,05 Mrd. € erteilt worden. Im Jahr 2006 hatte dieser Wert 3,5 Mrd. € (165 Genehmigungen) und im Jahr 2005 rund 2 Mrd. € (109 Genehmigungen) betragen.

Insgesamt sind damit Genehmigungen in Höhe von 8,7 Mrd. € erteilt worden gegenüber 7,7 Mrd. € im Jahr zuvor.

Empfänger deutscher Rüstungslieferungen

(0.07) An NATO- und EU-Staaten bzw. ihnen gleichgestellte Länder wurden im Jahr 2007 Rüstungsausfuhren im Wert von 2,16 Mrd. € genehmigt. Unter den Drittstaaten waren die größten Empfänger Südkorea (164,1 Mio. €), Pakistan (163,8 Mio. €), Singapur (126,4 Mio. €), Indien (89,1 Mio. €), Malaysia (80,4 Mio. €) und die Vereinigten Arabischen Emirate (69,3 Mio. €).

An Staaten, die die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) als Empfänger offizieller Entwicklungshilfe einstuft, wurden Ausfuhrgenehmigungen in Höhe von 910,3 Mio. € (mehr als 24% des Wertes aller Einzelgenehmigungen) erteilt.

Auffallend an den Zahlenangaben für das Jahr 2007 sind Lizenzen für deutsche Rüstungsexporte in gegenwärtige Kriegsgebiete, so nach Afghanistan in Höhe von 180 Mio. € und an den Irak in Höhe von 6,8 Mio. €. Auch haben deutsche Lieferzusagen an internationale Friedensmissionen, vor allem in Afrika und im Nahen wie Mittleren Osten, zugenommen. Das Bild der deutschen Rüstungsexportpolitik im Jahr 2007 bleibt jedoch unvollständig, weil die Daten der Bundesregierung für die Berichterstattung zum EU-Verhaltenskodex für Rüstungsausfuhren nicht die Kategorie der „Sammelausfuhrgenehmigungen“ enthalten. Dieses in den Vorjahren gewichtige Segment bezieht sich auf deutsche Kooperationen mit Rüstungsproduzenten in anderen EU- und NATO-Staaten, die zu Re-Exporten deutscher Zulieferungen durch den Endhersteller führen können.

Ausfuhr von Kriegswaffen

(0.08) Die deutsche Rüstungsexportstatistik erfasst allein die Ausfuhren von Rüstungsgütern, die unter die Kriegswaffenliste gemäß Kriegswaffenkontrollgesetz fallen – die realen Ausfuhrwerte aller anderen Rüstungsgüter bleiben dagegen im Dunkeln. Die Exporte von Kriegswaffen erreichten im Jahr 2007 einen Wert von 1,03 Mrd. € und halten sich auf dem Niveau der vorangegangenen Jahre. Die größten Abnehmer waren Südkorea, die Türkei, die Niederlande, Mexiko, die Vereinigten Arabischen Emirate und Singapur.

Etwa 22,9% aller deutschen Kriegswaffenexporte im Jahr 2007 gingen an Staaten, die die OECD als Empfänger offizieller Entwicklungshilfe einstuft. Im Jahr 2006 hatte der Anteil 23% betragen. Die größten Abnehmer waren im Jahr 2007 die Türkei, Chile, Saudi-Arabien, Pakistan, Indien und Ägypten.

Kleine und leichte Waffen

(0.09) Kleine und leichte Waffen sowie Munition und Zubehör stellten auch im Jahr 2007 ein relevantes Exportsegment deutscher Rüstungsproduzenten dar. So hat die Bundesregierung die Ausfuhren von 10.381 Maschinenpistolen an 45 Staaten und von 19.014 Sturmgewehren an 34 Staaten genehmigt. Damit hat sich der Umfang dieser Genehmigungen gegenüber dem Vorjahr nahezu verdoppelt. Relevante Abnehmer waren Ägypten, In7 dien, Mexiko, Saudi-Arabien sowie der karibische Inselstaat Trinidad und Tobago.

Bewertung

(0.10) Die Angaben zu den erteilten Einzel- und Sammelausfuhrgenehmigungen für Rüstungsgüter im Jahr 2007 weisen insgesamt einen weiteren Anstieg der deutschen Rüstungsexporte im Vergleich zu den vorangegangenen Jahren aus: Hatte das Gesamtvolumen im Jahr 2006 noch 7,7 Mrd. € (2005: 6,2 Mrd. €) betragen, so erreichte es im Jahr 2007 einen Wert von 8,72 Mrd. €. Insbesondere das Anwachsen der Sammelausfuhrgenehmigungen von 3,5 Mrd. € (2006) auf 5,05 Mrd. € im Berichtsjahr dokumentiert den hohen Stellenwert, den deutsche Zulieferungen für Rüstungsproduzenten in NATO- und EU-Staaten bzw. diesen gleichgestellten Ländern erreicht haben.

Der Rückgang der Werte für Einzelausfuhrgenehmigungen um etwa 500 Mio. € gegenüber dem Vorjahr signalisiert zunächst nur, dass im Berichtszeitraum die Werte für ausgelieferte Großaufträge, vor allem von Kriegsschiffen, gesunken sind. Das darf nach Einschätzung der GKKE jedoch nicht dazu führen, dass deutsche Rüstungshersteller und die Bundesregierung in einen neuen Wettbewerb um Aufträge aus Drittstaaten eintreten. Vielmehr eröffnet sich für die Bundesregierung die Chance, europaweit auf eine Verringerung der Rüstungsexporte zu dringen. Insbesondere ist auf die französische Seite einzuwirken, ihre Rüstungsexportpolitik im Sinne des EU-Verhaltenskodexes restriktiver zu handhaben.

(0.11) Dass im Jahr 2007 den über 16.500 erteilten Ausfuhrgenehmigungen nur 110 Ablehnungen gegenübergestanden haben, zeugt eher von der Fortsetzung einer gelockerten Genehmigungspraxis, wie sie die GKKE schon in den Vorjahren kritisiert hat. Dafür spricht auch, dass die Zahl der Staaten als Empfänger deutscher Rüstungslieferungen erneut zugenommen hat, die unter Gesichtspunkten des EU-Verhaltenskodexes als „kritisch“ einzustufen sind, weil sie dessen Kriterien nicht oder nur bedingt genügen.

Auch in diesem Jahr hat die Bundesregierung die Veröffentlichung ihres eigenen Rüstungsexportberichts 2007 wie schon in den Jahren zuvor zeitlich hinausgezögert. Sie ist damit weit entfernt von der ausdrücklichen Aufforderung des Bundestages aus dem Jahr 2004, „künftige Rüstungsexportberichte zeitnah zum Jahresabrüstungsbericht“, das heißt bis spätes8 tens April des darauf folgenden Jahres, vorzulegen. Dies wertet die GKKE als Indiz für die Schwierigkeiten, unter den Ressorts zu einer abgestimmten und kohärenten Bewertung der deutschen Rüstungsexportpolitik zu kommen. Eine sachgemäße Beurteilung des Geschehens wird dadurch für den Bundestag und die Öffentlichkeit erschwert. Dies steht im Widerspruch zu der Notwendigkeit, ein Höchstmaß an Transparenz auf diesem Politikfeld zu gewährleisten und schwächt das Vertrauen in das Einhalten politischer Zusagen.

(0.12) Sorge bereitet der GKKE, dass kleine und leichte Waffen sowie Munition deutscher Herkunft weiterhin auf dem Weltrüstungsmarkt auf rege Nachfrage stoßen. Auch im Jahr 2007 haben deutsche Lieferungen erneut Regionen und Empfängerländer erreicht, in denen die regionale Stabilität und Sicherheit gefährdet sind oder interne oder grenzüberschreitende Konflikte gewaltsam ausgetragen werden. Gerade das Engagement der deutschen Diplomatie und Entwicklungszusammenarbeit, die Verbreitung dieser Waffen einzudämmen, verlangt nach einer äußerst zurückhaltenden Genehmigungspraxis. Dies schließt auch ein, bei der Vergabe deutscher Ausfuhrlizenzen auf die Einhaltung des Prinzips „neu für alt“ zu dringen. Der Empfängerstaat sollte verpflichtet werden, Altbestände überprüfbar zu zerstören und nicht weiterzuverkaufen. Hinzu kommt die dringende Mahnung, den gesicherten Endverbleib gelieferter Waffen zu gewährleisten. Die im Jahr 2007 deutlich gestiegenen Munitionsexporte aus Deutschland verweisen auf zusätzliche Herausforderungen an eine Rüstungsexportpolitik, die sich an Frieden, Sicherheit und Entwicklung orientiert.

Kontroversen um deutsche Rüstungsexporte

Verlust an politischer Richtungskontrolle des Bundestages

(0.13) Der Bundestag hat die Berichte der Bundesregierung zu ihrer Rüstungsexportpolitik seit dem Jahr 2003 nicht mehr im Plenum erörtert. Dies signalisiert, dass die Rüstungsexportpolitik zu einem Randthema des politischen Alltags geworden ist. Allerdings hat sich das Parlament durchaus mit Einzelfragen der Verbreitung von Waffen befasst. Gerade Oppositionsparteien haben mit ihren parlamentarischen Möglichkeiten Auskünfte über einzelne Aspekte von Rüstungsgeschäften von der Bundesregierung verlangt. Die GKKE sieht dreierlei Gefahren: In der Sache droht eine Beschädigung des Konsenses über eine restriktive Rüstungsexportpolitik und des Bemühens um mehr Kohärenz – auf moralischer Ebene scheint die Verknüpfung von Friedens-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik als Merkmal deutscher Außenpolitik zur Disposition zu stehen – in institutionellen Zusammenhängen konsolidiert sich eine Gewichtsverschiebung zugunsten der Exekutive und zu Lasten des Parlaments. In der Summe verliert der Bundestag seine Kompetenz der politischen Richtungskontrolle, wie es sich ähnlich bei anderen „Querschnittsthemen“, wie in der Entwicklungspolitik und der Krisenprävention, abzeichnet.

Deutsche U-Boot-Lieferungen an Pakistan

(0.14) Im Berichtsjahr war der sich anbahnende Transfer von drei U-Booten des Typs 214 nach Pakistan Gegenstand politischer Kontroversen, zumal das Geschäft mit einer Ausfallbürgschaft in Höhe von 1,029 Mrd. € abgesichert werden soll. Auf Grund der ungewissen politischen Situation im Empfängerland sind die Verträge noch in der Schwebe. (Stand: Oktober 2008)

Nach Einschätzung der GKKE widerspricht die wohlwollende Haltung der Bundesregierung zu dem U-Boot-Transfer nach Pakistan den von ihr selbst gesetzten Maßstäben, wie sie ihren Niederschlag in den Politischen Grundsätzen für die Ausfuhr konventioneller Rüstungsgüter (2000) und in dem EU-Verhaltenskodex für Waffenausfuhren (1998) gefunden haben. Zudem sieht die GKKE die Gefahr eines unkontrollierten Technologietransfers mit Proliferationsrisiken. Beides kann geeignet sein, die regionale Rüstungsdynamik zu verschärfen. Dass bei der Zusage einer Ausfallbürgschaft auch Arbeitsplatzargumente zum Zuge kamen, entwertet gegenläufige Vorgaben der Politischen Grundsätze. Deshalb fordert die GKKE von der Bundesregierung, die bereits erteilte positive Antwort auf eine entsprechende

Voranfrage zu widerrufen, auch wenn dies der erste Fall wäre, in dem das geschieht.

Staatliche Ausfallbürgschaften für Rüstungsexporte (0.15) Die Bundesregierung hat im Jahr 2008 offenbart, dass im Vorjahr Transfers von Rüstungsgütern aus der Kriegswaffenliste an zwölf Staaten in Höhe von 1,678 Mrd. € durch staatliche Ausfallbürgschaften abgesichert worden sind.

Demgegenüber hält die GKKE daran fest, dass Rüstungsexporte nicht durch die Gewährung staatlicher Garantien gefördert werden sollen. Das kommt einer Entlastung der beteiligten Unternehmen von Geschäftsrisiken und einer indirekten Subventionierung deutscher Rüstungsausfuhren gleich.

Deutsche Waffen auf dem georgisch-russischen Kriegsschauplatz

(0.16) Die Bundesregierung hat bislang keine plausible Erklärung dafür liefern können, unter welchen Umständen das moderne G36-Gewehr in die Hände georgischer Sicherheitskräfte gelangt ist, obwohl ein entsprechender Antrag von Georgien auf eine Ausfuhrgenehmigung abgelehnt worden war.

Die GKKE wertet diesen Vorgang als Hinweis darauf, dass die Regelungen, die einen gesicherten Endverbleib von Waffen und Rüstungsgütern gewährleisten sollen, nicht effizient sind. Sie warnt vor der Gefahr, dass sich das G36-Gewehr ähnlich unkontrolliert verbreitet wie einst das G3- Gewehr, das heute auf vielen Kriegsschauplätzen verwendet wird.

Insgesamt zeigen Daten zu deutschen Rüstungstransfers nach Georgien über einen längeren Zeitraum hin, dass das Land zu einem relevanten Abnehmer deutscher Waffen und Rüstungsgüter in der Kaukasus-Region geworden ist. Gerade im Vorfeld der jüngsten militärischen Auseinandersetzungen mit Russland hatte es sich um deutsche Lieferungen bemüht, dem die Bundesregierung allerdings nicht in vollem Umfang entsprochen hat. Insofern ist durchaus von Sensibilität im Umgang mit Exportanträgen auszugehen, was im Widerspruch zu der offiziell bekundeten Unwissenheit über die georgischen Rüstungsanstrengungen steht.

Internationale Ansätze zur Kontrolle des Waffenhandels

EU-Verhaltenskodex für Waffenausfuhren

(0.17) In diesem Jahr ist Anlass, auf das zehnjährige Bestehen des EUVerhaltenskodexes für Waffenausfuhren von 1998 zurückzublicken. Seine Kriterien geben Standards vor, die bei der Genehmigung von Rüstungstransfers „in Rechnung zu stellen sind“, „beachtet werden sollen“oder zumindest „zu berücksichtigen sind“. Praktische Erfahrungen führten inzwischen dazu, sie in Handbüchern zu präzisieren. Gleichzeitig sieht der Kodex eine wechselseitige Konsultationspflicht in Fällen vor, in denen ein EU-Mitgliedsstaat einen Ausfuhrantrag abgelehnt hat und ein anderer Staat sich erneut mit einem Genehmigungsbegehren konfrontiert sieht. In der Handhabung des Kodexes hat sich mittlerweile ein dichtes Netz von Austausch auf der administrativen Ebene entwickelt. Auch haben ihn Staaten, die nicht der Europäischen Union angehören, übernommen.

(0.18) Das Vorhandensein des Verhaltenskodexes hat jedoch nicht verhindert, dass EU-Mitgliedsstaaten immer wieder Rüstungstransfers genehmigt haben, die seinen Zielen widersprechen. Auch hat er nicht einer Konkurrenz europäischer Anbieter bei Aufträgen aus Drittstaaten Einhalt geboten. Von einer Harmonisierung der Rüstungsexportpolitik innerhalb der Europäischen Union kann nur bedingt die Rede sein. Bei allem Zugewinn an wechselseitiger Information und Transparenz fehlt dem Dokument weiterhin die rechtliche Verbindlichkeit.

Deshalb wiederholt die GKKE ihren Appell an die Bundesregierung, ihre Bemühungen um eine Aufwertung des Kodexes zu einem Gemeinsamen Standpunkt fortzusetzen, zumal die technischen Vorbereitungen dazu seit Jahren abgeschlossen sind. Dann wäre er für nationale Gesetzgebungen bindend.

Ferner hält es die GKKE angesichts der Bemühungen seitens der Europäischen Kommission, Rüstungstransfers innerhalb der Union zu erleichtern, für geboten, restriktive Vorgaben für Exporte in Drittstaaten nicht aufzuweichen, Vorsorge für gesicherte Endverbleibsregelungen gelieferter Rüstungswaren zu treffen und die Transparenz bei Rüstungsgeschäften zu erhöhen. Außerdem stellt die GKKE fest, dass das Anliegen, die europäische Rüstungskooperation zu fördern, nicht mit dem Aufbau eines europäischen Rüstungsexportkontrollregimes korrespondiert.

Weltweiter Vertrag zur Kontrolle des Waffenhandels (Arms Trade Treaty, ATT)

(0.19) Im Kreis der Vereinten Nationen haben Bemühungen Aufschwung erfahren, auf eine globale Regelung zur Kontrolle des Waffenhandels zuzugehen. Dabei sollen Rüstungstransfers verhindert werden, die schwerwiegende Verletzungen von Menschenrechten und des humanitären Völkerrechts nach sich ziehen oder eine nachhaltige Entwicklung im Empfängerland hindern. Die Bundesregierung unterstützt dieses Vorhaben und beteiligt sich an den vorbereitenden Verhandlungen. Sie strebt an, Dualuse- Güter und die Lieferung von Munition einzubeziehen. Das Anliegen eines ATT hat auch die Unterstützung von Bundestagsabgeordneten gefunden. (0.20) Die GKKE begrüßt das Engagement der Bundesregierung. Sie sieht aber gemeinsam mit ihren Partnern gerade in Ländern, die von Gewaltkonflikten erschüttert werden, die Notwendigkeit, dem Projekt eines ATT in Politik und Öffentlichkeit noch mehr Nachdruck zu verleihen. Zudem geben die geringen Fortschritte bei dem seit 2001 laufenden Programm, die illegale Verbreitung von kleinen und leichten Waffen einzudämmen, Anlass, vor zu großem Optimismus zu warnen.

Außerdem regt die GKKE an, die Kontrolle der Tätigkeit privater Sicherheitsdienstleister einzubeziehen. Sie sieht die Gefahr einer Erosion des staatlichen Gewaltmonopols durch die Privatisierung von Sicherheitsleistungen. Lizenzierungen entsprechender Dienstleistungen sollten in Anlehnung an allgemeine rüstungsexportpolitische Regeln erfolgen.

Verbot von Streumunition

(0.21) Ein positives Ergebnis erreichten die von der norwegischen Regierung initiierten Anstrengungen zu einem weltweiten Verbot von Streumunition. Am 30. Mai 2008 einigten sich Repräsentanten von mehr als 110 Staaten auf eine entsprechende Konvention, die im Dezember 2008 in Oslo unterzeichnet werden soll. Sie verpflichtet alle unterzeichnenden Staaten, keine Streumunition zu entwickeln, zu produzieren, anzuschaffen, zu lagern oder zu transportieren. Außerdem verbietet sie den Einsatz dieser Waffen. Deutschland und andere NATO-Staaten setzten aber durch, dass sie an Militäroperationen gemeinsam mit Staaten, wie den USA, teilnehmen können, die sich dem Verbot nicht anschließen wollen.

Die Bundesregierung hat den „Oslo-Prozess“ unterstützt und will sich nun für die Ratifikation der Übereinkunft einsetzen. Sie hat die Bereitschaft erklärt, in Zukunft auf Streumunition zu verzichten.

(0.22) Die GKKE begrüßt die Einigung auf ein Verbot von Streumunition und wertet dies als weiteren Erfolg einer „humanitären Rüstungskontrolle“. Immerhin handelt es sich bei Streumunition um eine Waffe, deren Einsatz dem humanitären Kriegsvölkerrecht widerspricht. Nicht aufgespürte Blindgänger wirken auch nach dem Ende von Kampfhandlungen noch verheerend. Die GKKE appelliert deshalb an die Bundesregierung, ihre Unterscheidung zwischen „gefährlicher“ und „nicht gefährlicher“ Streumunition aufzugeben, nicht zuletzt, um dem Vorwurf einer zynischen Argumentation zu wehren.

Quelle: Rüstungsexportbericht der GKKE, S. 3-12;
http://www3.gkke.org/fileadmin/files/publikationen/2008/REB_2008.pdf



Zu weiteren Beiträgen über Rüstung und Rüstungsexport

Zur Presse-Seite

Zurück zur Homepage